Wo macht ihr Abstriche im Leben?

Ich denke mal wieder über mein Leben nach, über meine Hoffnungen, Wünsche und Träume, über die Erwartungen in meiner Kindheit, wie es mal werden würde, und darüber, wie es ist. Es ist in vielem gut, wie es ist. Realistisch betrachtet. Und doch...

... ich bin eine der Frauen, die als Mädchen von ihrer Umgebung viel bestärkt wurde, dass Frauen heutzutage doch alles erreichen könnten und was alles möglich sei. Ich hatte damals die unrealistische Erwartung, ich könnte drei Kinder haben, daneben eine erfüllende Berufstätigkeit, einen lebendigen Freundeskreis, genug Zeit für Freizeit und Sport, natürlich ein Haus, das in Ordnung ist, gutes, gesundes Essen usw.

Und es geht sich nicht aus! Nicht in meinem Leben, nicht in dem meiner Freunde und Bekannten. Es reicht nicht. Alle haben ein bisschen etwas, einen oder zwei Lebensbereiche, die wirklich gut laufen und ein paar, die so halb laufen, aber niemand hat alles.

Das ist wohl Teil des Erwachsenenlebens, oder? Teil des Älter-Werdens? Und das, was mir und wohl auch einigen anderen aus meiner Generation in den 90er Jahren vermittelt wurde, waren unrealistische Vorstellungen (von damals erwachsenen Menschen, die es doch auch besser hätten wissen müssen)?

Ich habe jetzt:
- eine eineinhalbjährige Tochter
- einen lieben Mann, der ein aktiver Vater, aber dennoch auch Vollzeit berufstätig ist
- einen Beruf, für den ich studiert und danach noch eine anspruchsvolle Fachausbildung gemacht habe und den ich liebe und derzeit in Teilzeit ausübe
- einen lieben Freundeskreis, aber nicht hier in der Nähe, und viel zu wenig Zeit dafür

Ich hätte gerne:
- noch ein bis zwei Kinder und genug Zeit für sie (insbesondere mein Mann wünscht sich sehnlichst bald ein zweites)
- einen sportlicheren, fitteren Körper, also mehr Zeit für Sport
- jeden Tag mehrere sehr gute, gesunde, selbst gekochte Mahlzeiten (im Rahmen, in dem das möglich ist, haben wir das, aber teilweise weniger, als wir gerne hätten)
- genug Zeit für meine Freundinnen, die sich teilweise schon beklagen, dass ich weniger Zeit habe als früher (insbesondere die ohne Kinder)
- viel Zeit für meinen Beruf, für Weiterentwicklung und Weiterbildung darin
- auch noch ein immer sehr sauberes, aufgeräumteres Haus

Und das geht sich alles nicht aus! Es geht nicht, ich schaffe es nicht, das alles in einem, meinem Leben unterzubringen. Und wahrscheinlich doch keiner, oder?

Wie geht es euch damit? Wo macht ihr Abstriche und wie geht es euch damit?

Ich mache derzeit Abstriche bei:
- meiner beruflichen Tätigkeit: ich würde gerne mehr Stunden arbeiten, das ist aber mangels Kinderbetreuung hier nur schwer möglich (ich lebe in einem österreichischen Dorf, will eh unbedingt umziehen, aber auch das ist nicht so leicht) und wird gesellschaftlich verurteilt
- damit meiner finanziellen Unabhängigkeit und beruflichen Verwirklichung
- meinem Körper: ich hätte gerne regelmäßig mehr Zeit für Sport und das Kochen von gesunden Mahlzeiten
- meinen Freundschaften
- dem Haushalt
- selbst bei der Zeit mit meiner Tochter und Aufmerksamkeit für sie, weil es all die anderen Themenbereiche auch gibt

Ich habe das Gefühl, um irgendetwas wirklich gut zu schaffen, mit hoher Qualität in dem jeweiligen Bereich, würde ich nur wenige dieser Bereiche schaffen: z.B. Beruf & Sport/gute Ernährung & Partnerschaft. Oder Kinder & Freundschaften & Haushalt.

Wenn ich alles unter einen Hut bringen will, geht alles maximal mittelmäßig bis schlecht, ich fühle mich in allen Bereichen unzulänglich und reibe mich auf.

Wenn ich noch ein weiteres Kind kriegen würde, würden sich diese Problematiken vermutlich verschärfen.

Wie geht ihr damit um und wie findet ihr euren inneren Frieden damit? Und habt ihr bewusst entschieden, in welchen Bereichen und welche Abstriche ihr macht und überprüft diese Entscheidung regelmäßig? Oder hat sich das einfach so ergeben?

Bearbeitet von Eternal-Hope
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Ich denke ich bin dir das ein oder andere Jahr vorraus.
Aber auch ich bin groß geworden mit der Zuversicht, dass Frauen machen können, was sie wollen.
So habe ich eine Lehre gemacht und zwei Diplomstudiengänge absolviert. Geheiratet, ein Haus gekauft, zwei Kinder bekommen und arbeite jetzt Vollzeit an einer Grundschule. Die Grundschule meiner Kinder, wobei der Große schon studiert und meine Tochter nächstes Jahr ihren Abschluss macht.
Meinen Mann würde ich auch nach 25 Jahren Ehe nochmal heiraten, also das klappt auch.

Jetzt bin ich dabei abzunehmen, jetzt habe ich die Zeit und die Nerven, mit kleinen Kindern, war daran nicht zu denken. Doch eine Kindheit nachholen geht nicht, abnehmen und mehr Sport kann man da deutlich besser schieben. Ernährung ist aktuell ein Punkt, als die Kinder klein waren und jede Mahlzeit zu Hause gestellt wurde, kein Problem. Mit meinen Teeniekindern ist das echt anders, ich arbeite daran.

Ich bin mit mir rundum zufrieden und mag mein Leben sehr. Ich liebe meine Familie und meinen Job.

Und da alles seine Zeit hat und ich nie zur Perfektion geneigt habe ging es mir immer gut. Mit Zuversicht und Vertrauen hatte ich nie das Gefühl irgendwas zu verpassen oder nicht zu bekommen.

Nein, ich habe keine Abstriche gemacht. Habe aber vielleicht eine andere Einstellung zum Leben.🤷‍♀️

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Hallo!
Solche unrealistischen Ziele habe ich mir nie gesteckt. Mir hat auch niemand in den 90ern vorgegaukelt, dass es funktionieren würde. Hätte ich in jungen Jahren schon hier im Forum gelesen, könnte ich mir hingegen eher vorstellen, mit der rosaroten Brille ins Leben gestolpert zu sein.

Bearbeitet von Inaktiv
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Ich hatte nie die Vorstellung das alles zusammen ohne Abstriche geht sonst hätte ich keine gemacht . Ich habe die Familienplanung recht zeitig angegangen glücklicher Weise mit gutem finanziellen Background . Beruflich habe ich sehr lange zurückgesteckt , was Freizeit betrifft genauso . Haus war gut aber der Wohnort ( ländlich ) war ein Kompromiss . Freunde habe ich leider keine mehr , ein paar Bekannte vielleicht . Jetzt wo ich wieder freier bin und mehr Zeit habe will ich das in Angriff nehmen aus den Abstrichen wachse ich langsam raus . Freizeit ist wieder vorhanden , Wohnort geändert, wir sind vor 2 Monaten in die Stadt gezogen , beruflich ist es ok (seid 2 Jahren arbeite ich wieder) , soll noch besser werden ( die Mega Karriere machen wollte ich nie das wäre jetzt sowieso Geschichte ) .

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Man kann natürlich noch immer mehr wollen, aber so gut wie niemand bekommt alles im Leben. Und schon gar nicht alles auf einmal.

Dein Kind ist ein Kleinkind, und braucht sehr viel Aufmerksamkeit. Da sollte nun erstmal eure Priorität liegen. Das Haus wird wieder sauberer und aufgeräumter wenn die Kinder größer sind, dann turnt auch ständig Besuch von den Kindern durchs Haus und es ist unangenehm wenn’s dann nicht ordentlich ist.

Ich habe die Erfahrung gemacht das es nicht ohne Abstriche möglich ist wenn beide Eltern berufstätig sind und Karriere machen wollen. Da ich nicht bereit bin diese Abstriche zu machen habe ich meine beruflichen Erwartungen angepasst. So einfach kann es sein. Natürlich würde ich auch lieber mehr arbeiten, aber geht halt nicht. Also bin ich dankbar das wir die Wahl haben und die Familie auch so gut durch bekommen.

Dankbarkeit ist ein ganz wichtiger Punkt. Prioritäten. Und dein Leben wird hoffentlich noch ein paar Jahre für dich bereit halten, alles hat seine Zeit im Leben.

Ich glaube die wenigsten Berufstätigen mit Kleinkind haben häufig Zeit für Sport oder ihre Freundinnen. Wenn die Kinder Teenager sind sieht das aber wieder anders aus, und auch dann kann man noch trainieren und feiern gehen.

Guten Rutsch

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Ich hatte nie solche unrealistischen Vorstellungen. Ja Frauen können heute alles machen, aber doch nicht gleichzeitig. Es geht immer um Entscheidungen im Leben. Ich habe früh ein Kind bekommen, da war dann halt nix mehr mit Party und so. Ich habe mich entschieden und das war dann ok für mich. Meine Freundschaften bis dahin haben das dann nicht überlebt, einfach weil sie ein ganz anderes Leben geführt haben. Ich habe neue Freundschaften geschlossen, nette Muttis mit denen ich jetzt 20 Jahre befreundet bin. Heute kann ich dafür Vollzeit arbeiten habe Zeit für Sport, Freunde und Hobbys. Ich persönlich finde die Kindheit meines Kindes das wichtigste. Diese Zeit kommt nie wieder. Was ist dir wirklich wichtig? Das Haus musst du ja nicht selber putzen zum Beispiel.

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Ich habe 2 Kinder, einen tollen Ehemann, tolle Schwiegereltern und Freunde, die wir mindestens 2 mal die Woche sehen und mit denen wir reisen, spiele spielen, trinken, Musik hören, feste feiern wie sie kommen!
Wo ich derzeit Abstriche mache:
Wir leben in einer Mietswohnung, eigentlich hätte ich gerne ein Haus.
Bei uns zu Hause sieht es oft chaotisch aus
Mein Job ist ok - ich mag ihn gerne- verdiene dafür aber eher mittelmäßig. Dafür gut mit dem Familienleben vereinbar.
Wir essen oft eher einfach
Und mir fehlt einfach Zeit um mal in Ruhe durchzuatmen - ständig ist irgendwas, keine Ahnung wann ich das letzte mal ausgeschlafen habe - wahrscheinlich vor 5 Jahren als ich mit dem ersten Kind schwanger war.
Für Hobbys/Sport fehlt mir auch die Energie.

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Liebe TE,

ich habe bis heute lauter Abstriche, die zum Glück immer weniger werden, im Leben gemacht. Warum? Meine beiden Söhne (24 und 18 Jahre) erwachsen. Mein Jüngster ist mehrfachbehindert durch Autismus+geistige Behinderung. Weit über 15 Jahre waren mehrmals die Woche Therapien und manchmal auch Arztbesuche angesagt neben den ganzen normalen Familienwahnsinn und Teilzeitarbeit. Das war aber nicht der einzigste Hemmschuh. Ich hatte zusätzlich zu dem ganzen Gedöns auch noch eine Mutter die erst Hilfe brauchte und später auch noch pflegebedürftig wurde. Und eine Familie, wo einige Familienangehörige toxisch und manipulativ waren. Auf deutsch mir versucht hatten, die Hölle heiß zu machen wegen meiner Mutter wegen nicht genug kümmern. Wirklich Zeit für mich hatte trotz sehr guter Unterstützung meines Mannes aber nicht. Ich kam zur kurz. Sport machen konnte ich eigentlich selten, weil mein Mann Schichten gearbeitet hatte. Es dauerte auch bis ich ein gutes Netzwerk aufgebaut hatte wegen der Verhinderungspflege für den Jüngsten. Terminlich war ich stark eingebunden, dazu gehörte es auch noch meine Mutter regelmäßig 1x die Woche zu besuchen, was einigen meiner Angerhörigen nicht langte. Und auch noch gegen meinen Jüngsten wetterten indirekt. Sollte mir noch mehr Zeit für die eigene Mutter nehmen. Das machte ich aber natürlich nicht. Ich habe eine Familie, einen Freundes- und Bekanntenkreis um den ich mich kümmerte und das wollte ich nicht auch noch Abstriche machen. Das ich noch ein Eigenleben führte, störte meine Angehörigen wohl. Aber nicht mit mir. Irgendwann ich froh, keinen Kontakt mehr zu denen zu haben, die mir nicht gut taten.

Wie sieht es heute nach 18 Jahren bei mir aus? Mein Autist macht keine Therapien mehr. Bei ihm war die Luft auch irgendwann raus und bei mir genauso. Für mich war damals eine Muki-Kur (mit meinem Jüngsten) eine Wendepunkt. Dort konnte ich auch meine negativen Erlebnisse und Erfahrungen verarbeiten. Und für mich etwas machen. Mein Jüngster arbeitet seit September 22 in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Wir waren froh, dass das die Schule vorbei war.
Corona hatte uns auch zugesetzt mit den ganzen Schulschließungen.

Ich selber mache doch wieder einige Sachen für mich. Ich gehe Nordic Walking 2 bis 3 die Woche, manchmal auch mit einer Freundin. Die Arbeit im Homeoffice 2x die Woche spart den Arbeitsweg an den Tagen und habe dadurch auch mehr Zeit. Ich werde nächstes Jahr weiterhin an meinen gesundheitlichen Problemen arbeiten. Zur Zeit habe ich starke Schulterprobleme
und dadurch ein Art Pseudo Karpaltunnel-Syndrom mit Kribbeln in den Händen. Für solche Geschichten hatte ich auch wenig Zeit. Bin zwar immer regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen gegangen, aber so etwas passte nicht in meinen Zeitplan.
Mein Jüngster macht im Mai 2023 Probewohnen in einer Wohneinrichtung und kommt dann hoffentlich auf die Warteliste.
Was mir manchmal so fehlt, in Ruhe ein Buch zu lesen. Das ist hier zur Zeit zu Hause nicht möglich. Mein Jüngster ist so ein Unruhegeist, läuft hin und her. Das macht er schon seit er Kleinkind ist.. Früher schaffte ich es noch im Bett mal für eine Stunde zu lesen. Heute bin ich zu müde und kaputt dafür. Vielleicht liegt es auch am Alter, ich gehe auf Ende 50 zu.

Auch wenn unser Jüngster später in einer Einrichtung lebt, werden wir weiterhin für unser Kind da sein. Wir sind gesetzliche Vertreter für unsern Sohn.

Also bei mir wird es wohl noch etwas dauern bis wir mein Mann und ich noch mehr Zeit haben.

LG Hinzwife

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Liebe Eternal-Hope, ich glaube wir beiden ticken recht ähnlich. Ich gebe auch offen zu, eher perfektionistisch veranlagt zu sein. Ich hatte auch früher die Vorstellung, dass eine liebevolle Mutter zu sein und Karriere zu machen natürlich gleichzeitig für mich drin sind. Jetzt ist es anders. Unsere Tochter ist jetzt 3,5 und ich bin mit dem zweiten Kind schwanger. Davor habe ich immer viel gearbeitet und bin auch promoviert.
Als unsere Tochter eins war, hat mein Mann eine sehr gute Führungsposition bekommen, sehr weit von unserem damaligen Wohnort entfernt. Wir sind umgezogen und somit war klar, dass ich nicht mehr in meine alte Stelle zurück kann, was sehr hart für mich war. Das Leben mit Kleinkind in einer neuen Stadt ohne Familie und anfangs auch ohne Freunde war fordernder, als ich es mir je gedacht hätte. Mit der Kita, in der wir einen Platz bekommen haben, war ich nicht zufrieden und wir haben unsere Tochter wieder rausgenommen. Ihr Wohl stand für mich an oberster Stelle. Mein Vater wurde schwer krank, meine Familie lebt weit weg und ich wollte die Möglichkeit haben, auch dort zu sein. Wir haben uns ein zweites Kind gewünscht und es war klar, der Weg geht wie für Kind Nr 1 über eine kosten- und zeitintensive Kinderwunschbehandlung. Ich habe daher nach dem Kind bisher nicht wieder gearbeitet. Für meinen Mann war es nicht möglich, in Teilzeit zu gehen, obwohl er gewollt hätte. Ein großer Abstrich für mich und ich mache mir täglich Gedanken, wie der Wiedereinstieg klappen wird. Nun bin ich mit dem zweiten Kind schwanger, es war sehr erwünscht und trotzdem hat es meine Sorge um meine berufliche Zukunft vergrößert.
Ein weiterer Abstrich ist auch das Eigenheim. Mein Mann und ich haben immer von einem Häuschen mit Garten geträumt. Mit unserem Umzug sind wir aber genau in die Zeit gefallen, als die Preise explodiert sind. Wir dachten, wenn mein Mann diese Führungsposition bekommt, können wir uns natürlich ein Häuschen leisten. Die Realität in der Stadt, in der wir gelandet sind, ist aber leider, dass man zwei Menschen in Führungsposition und Vollzeit bräuchte, um einen entsprechenden Kredit stemmen zu können. Also wohnen wir zur Miete, völlig überteuert. Ein weiterer Abstrich, der schmerzt.
Und Sport ist bei mir auch ein großer Abstrich. Ich habe früher gerne trainiert, aber wenn ich unser Kind den ganzen Tag betreue und mein Mann arbeitet, fehlt mir dafür einfach die Zeit und Energie. Ich hoffe, jetzt mit dem Kindergarten werde ich dafür doch noch Zeit haben, bevor Nummer zwei auf die Welt kommt. Aber wenn ich mich in den Spiegel sehe, bin ich schon frustriert, dass ich plötzlich gar nicht mehr sportlich aussehe.
Naja, alles in allem gibt es aber auch sehr viel, für das ich sehr, sehr dankbar bin. Allem voran unsere Tochter, wir haben einen langen Kiwu-Weg hinter uns, meine zweite Schwangerschaft, unsere gute Ehe, dass es finanziell überhaupt möglich war, dass ich so lange nicht gearbeitet habe, meine Freundschaften und Familie.
Alles Liebe!

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Danke für deine Antwort, liebe Antelope, ich fühle mich gerade von dir sehr gesehen und verstanden und ja, wir ticken wohl ähnlich und kommen auch aus ähnlichen beruflichen Umfeldern. Ich war auch dabei, zu promovieren… habe das aber dann aufgegeben, als ich realisieren musste, dass Schwangerschaft, Berufstätigkeit und diverse corona- und krisenzeitbedingte Einschränkungen damit für mich nicht kompatibel sind. Das ist auch noch was, womit ich vielleicht noch meinen endgültigen Frieden finden muss, auch wenn ich auch so gut in meinem Beruf etabliert bin und grundsätzlich gute Chancen habe.

Du kennst also wahrscheinlich auch einen Teil meines sozialen Umfeldes: sehr talentiert, sehr ehrgeizig, sehr feministisch. Viele davon haben bis jetzt zumindest keine Kinder, manche haben Kinder und bessere Rahmenbedingungen (zB durch Erbschaft schon abbezahlte Eigentumswohnung in Wien, wodurch beide Elternteile nur Teilzeit arbeiten müssen und es sich trotzdem gut ausgeht). Gefühlt messen sie mich alle an ihren bisherigen Maßstäben und gefühlt versage ich. Bin nicht feministisch genug, nicht emanzipiert genug. Wofür habe ich denn so viel Zeit und Energie in Studium und Beruf investiert, wenn ich jetzt nur wenige Stunden arbeite und mich hauptsächlich um unsere Kleine kümmere? Verkümmere ich jetzt doch noch zum konservativen, vom Mann abhängigen Hausmütterchen (in deren Augen und meiner Spiegelung davon)?

Dann gibt es natürlich auch die anderen, die nicht studiert haben, denen Karriere nie wichtig war, die meist schon etwas ältere Kinder haben als ich… davon gibt es hier am Land auch viele und da pass ich auch nicht dazu. Die verstehen wiederum nicht, wieso ich nicht jahrelang nur Vollzeitmutter sein und alles andere komplett zurückstellen will und kann. Irgendwie pass ich nirgends mehr dazu.

Ich bin auch dankbar für vieles, was ich habe und insbesondere für unsere tolle Tochter. Ich weiß, dass es gar nicht selbstverständlich ist, ein Kind zu haben, das sehe ich überall im Bekanntenkreis und auch bei uns hat es nicht so schnell funktioniert.

Vielleicht hab ich nur einfach meinen neuen Platz im Leben noch nicht ganz gefunden.

Darf ich fragen, was hat euch denn den Mut gegeben, ein zweites Kind zu wagen und war das eine klare Entscheidung? Und wie wünschst du dir, dass dein Leben insgesamt langfristig weitergeht?

Bearbeitet von Eternal-Hope
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Ich kenne diese Gedanken. Dass ich momentan gar nicht arbeite, geht natürlich auch gegen die feministischen Ideen, die mir immer wichtig waren, und ich muss vorsichtig sein, dass es mir nicht auf den Selbstwert geht. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, das, was ich mit unserer Tochter leiste, ist so wertvoll. Ich bin manchmal verzweifelt über den Zustand der Welt und ein Ansporn in meinem Beruf war auch, einen kleinen Beitrag zu leisten, dass sich die Dinge zum Besseren entwickeln. Aber was ist denn die allerwichtigste Voraussetzung, dass die nächste Generation die Erde nicht weiterhin kaputt macht? Dass es Menschen gibt mit gutem Selbstwert, Empathie, Zuversicht, Intelligenz, Durchhaltevermögen und tragfähigen Werten. Und ich glaube, indem ich unserer Tochter eine gute Basis für ihr Leben bereite, bringe ich ganz viel Gutes in die Welt - nur auf andere Art, als ich das in meinem Beruf gemacht habe. Die Angst, dass ich beruflich rausfalle, wird mir wahrscheinlich bleiben, aber ich versuche mir immer wieder zu sagen, dass die Zeit für beruflichen Einsatz auch wieder kommen wird und ich gute Voraussetzungen geschaffen habe, dass der Wiedereinstieg klappen wird. Das klingt ja bei dir auch so, dass du einen guten Lebenslauf hast. Und wer sagt denn, dass alle Arbeitgeber es schlecht bewerten, wenn man sich Zeit für die Familie genommen hat? Mein Mann hat jetzt auch MitarbeiterInnen eingestellt und die mit Familienpause im CV hatten keineswegs schlechtere Chancen…

Dass mein Mann und ich gerne zwei Kinder haben möchten, war eigentlich immer klar. Nur war mir früher nicht so klar, dass das nicht so einfach mit zwei Karrieren unter einen Hut zu bringen ist. 😉 Aber aufgrund meines Alters ist die Möglichkeit, ein zweites Kind zu bekommen, jetzt oder nie. Und da der Wunsch schon immer da war, eben jetzt 🙂.

Ich wünsche dir von Herzen alles Gute und dass du auch Menschen findest, die als Freunde beide Seiten von dir schätzen: deine intellektuelle, ehrgeizige Seite und deine zarte, fürsorgliche Seite. Für eure Tochter ist es jedenfalls ein Riesenglück, dass du beides in dir hast. Und meiner Erfahrung nach gibt es auch im akademischen Umfeld durchaus Menschen, die der Zeit, die Eltern mit ihren Kindern verbringen, einen hohen Stellenwert einräumen. Gibt ja auch wissenschaftliche Studien dazu 😉.

Alles Liebe

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Hi 🙃

Interessanter Threat. Ich kann dich verstehen, meine Mutter hat auch immer so gelebt - Vollzeit nach dem Studium gearbeitet, zwei Kinder als AE erzogen, ein Haus, eine (damals noch) glückliche Partnerschaft mit meinem Stiefvater (der sich bei Erziehungsfragen konsequent rausgezogen hat), zwei Hunde, viele Freunde, gutes Essen, viele Reisen. Und ich habe das immer als Vorbild gesehen, dass es bei mir selbstverständlich auch so laufen muss.

Dann kam das erste Kind und nach meiner EZ fing ich natürlich an, VZ zu arbeiten. Katastrophe. Ich wurde meiner Arbeit nicht gerecht, ich hatte ein permanentes schlechtes Gewissen meinem Kind gegenüber. Zwar waren die teuren Urlaube immer noch drin, die schöne Stadtwohnung mit Garten, aber es war einfach zu viel.
Mit meinen Freundinnen habe ich mich dennoch wöchentlich abends getroffen und auch Sport habe ich zwei mal die Woche gemacht - mein Mann hat in der Zeit unser Kind übernommen.
Ich war irgendwann fast im burn out, weil ich doch alles unbedingt gleichzeitig schaffen musste.
Dann wurde ich erneut schwanger und kam sofort ins BV - welch eine Erholung! Ich konnte entschleunigen. Durchatmen.

Die EZ mit dem zweiten Kind war ganz anders. Viel mehr Konflikte mit dem großen Kind, oft ein schlechtes Gewissen beiden Kindern gegenüber… als unser großes Kind dann in die Kita ging, wurde es entspannter. Es entzerrte die Situation.
Bald endet meine EZ und mein Mann beginnt seine für sieben Monate. Ich steige TZ wieder ein. Und auch mein Mann wird nach seiner EZ nur TZ arbeiten.

Ich glaube, man schafft wirklich nur alles, wenn beide Partner TZ arbeiten oder eine Person komplett zuhause bleibt. Anders ist es eigentlich nicht möglich. Das muss natürlich finanziell drin sein, was es heute bei vielen einfach nicht ist.