Kleingeistigkeit

Hallo zusammen,

ich komme schnell zum Punkt: Ich bin ein kleingeistiger Mensch. Ich weiß es, sehe es an mir und es nervt mich an mir selbst. Ich wäre gerne entspannter, generöser, verzeihender und generell Menschen gegenüber positiver und aufgeschlossener eingestellt. Aber immer, wenn mich mal wieder Dinge ärgern, kann ich nur schwer aus meiner Haut heraus. Ich spreche mir gut zu und versuche mir zu erklären, dass es Gründe für bestimmte Verhaltensweisen gibt.

Mich ärgert es beispielsweise über alle Maßen, wenn jemand auf dem Eltern-Kind-Parkplatz parkt, obwohl er oder sie offensichtlich alleine ist. Das geht so weit, dass ich Leute darauf anspreche und sie auffordere den Platz wieder zu verlassen. Ich war mal im Playmobilland. Einer drängelte sich in der Schlange vor. Ich machte klar, was ich davon halte. Das Ganze artete in eine lautstarke Auseinandersetzung aus. Ich kann Menschen mit Rechtschreibschwäche nicht ernst nehmen, beispielsweise, wenn derjenige seit und seid vertauscht und insbesondere dann, wenn es zielsicher falsch gemacht wird – so als würde diese Person die falsche Regel absichtlich befolgen. Es fällt mir immens schwer, nicht einen schnippischen Kommentar zu verfassen. Vielleicht fallen euch an dieser Stelle auch unschönere Wörter als kleingeistig ein? Ich könnte es verstehen. Es ist kein schönes Verhalten meinerseits.

Ich komme mir immer sehr deutsch vor, wenn mich wieder einmal so ein Mist ärgert. Insbesondere Situationen, in denen (kodifizierte) Normen übertreten werden, lassen meinen inneren Alman durchdrehen, beispielsweise wenn jemand zu dicht auffährt, zu schnell fährt, in einer Spielstraße nicht Schrittgeschwindigkeit fährt, sich beim Bäcker vordrängelt, sein Kind wiederholt zu spät aus der Kita abholt, obwohl die Leitung schon mehrmals geschrieben hat, dass das nicht toleriert wird oder einfach sich störend benimmt, beispielsweise bei einer Busfahrt.

Mir ist schon klar, dass das alles auch nicht die schönsten Verhaltensweisen anderer sind, aber irgendwie bekommen es andere Menschen immer besser hin, sich nicht so sehr darüber zu ärgern wie ich das leider mache. Ich wäre gerne aufgeschlossener, entspannter und weniger streng gegenüber vergleichsweise harmlosen „Individualismen“, insbesondere dann, wenn sie nur unverhältnismäßig andere beeinträchtigen. Was stört es mich, wenn jemand bei rot über die Ampel fährt, wenn da auch kein Auto/Mensch weit und breit ist? Es ergibt ja auch keinen Sinn. Ich versuche mir immer wieder gut zuzureden, mir klar zu machen, dass ich bigott bin in meiner Haltung, weil ich ebenso viele, wenn nicht sogar mehr Schwächen habe. Ich versuche Verständnis aufzubringen und die Menschen zu mögen. Aber all das möchte nicht fruchten.

Vielleicht habt ihr ja eine (küchen-)psychologische Erklärung für diese innere Haltung oder Lösungsansätze, weil ihr selbst solche Verhalten kennt (bei euch)?

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Sehr interessant. Eine Lösung habe ich leider nicht, klinke mich aber mal ein und lese mit. Ich bin auch so. Teilweise jedenfalls. Einige deiner Beispiele könnten von mir sein, z.b. Thema Rechtschreibung. Oder wenn jemand Dialektbegriffe bzw regionale Ausdrucksweisen nutzt wie "schaffen" für arbeiten gehen. Könnte ich ausflippen.
Andere von dir genannte Dinge wie z.b. das zu schnelle Fahren, stören mich nicht grundsätzlich. Dafür aber, wenn man Musik (leider egal wie leise) aus dem Nachbarhaus hört, wenn ein fremdes Auto vor unserem Haus parkt oder ein Bewegungsmelder an einer Haustür sehr grell auf den Bürgersteig scheint.....

Bearbeitet von Auchi
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Ich weiß aus Erfahrung, dass Menschen, die beruflich mit Rechtschreibung, Grammatik und Ausdruck zu tun haben die schlimmsten Pedanten und Kleingeister sind. Das ist ein gefährlicher Weg, den man da einschlägt…

Für mich sind auch schon englische Anführungszeichen ein rotes Tuch und (leider weit verbreitet und aus quantitativer SIcht kaum thematisiert) Deppenleerzeichen bei Komposita.

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Ich bin auch so eine Berufsgrammatikfetischistin. Privat lehne ich mich aber in der Regel ganz entspannt zurück und freue mich darüber, dass ich nicht zuständig bin.

Obwohl, neulich bei der Kammermusik musste ich mir auch mal ein bisschen auf die Zunge beißen.
A: "Bin ich eigentlich die Einzigste, die in Takt 305 eine Hemiole hat?"
Ich: 🤐🤐🤐
B nach einem Blick in die Partitur: "Nein, C hat da auch eine, aber ihr beide seid die Einzigsten."
Ich: 🤐🤐🤐

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Hatte Birkenbihl nicht so etwas geschrieben wie "immer, wenn ich mich ärgere, vergeude ich unnötig Energie und am Ende geht es nur MIR schlecht"?

Tief durchatmen und immer fragen: Geht das gerade MICH etwas an? Stört es MICH? Warum? Was triggert mich da?

Vielleicht solltest du mal regelmäßige Entspannungsübungen zu Hause machen und wenn du darin sehr geübt bist, diese in diese Situationen übertragen. Atemübungen, Visualisierungen, Muskelentspannung nach Jacobson, einfach bewusste körperliche Entspannung und "ScheiX-egal-Haltung".

Immer sagen: Es ist mein Blutdruck, der steigt, mein Cortisol, das steigt, meine Stimmung, die in den Keller geht - warum sollte ich anderen Menschen diese Macht über mich geben?

Schreibe mal abends auf, worüber du dich geärgert hast und dann schaue dir die Weltnachrichten an oder überlege, welche schwierwiegenden Probleme einige Menschen haben könnten und frage dich, ob dein Ärger wirklich gerechtfertigt war.
Tracke auch, wie lange nach der Situation du dich noch ärgerst und wie viele schöne Momente du dadurch verpasst.

Es könnte sich lohnen, zu fragen, ob du früher für ähnliches Verhalten verurteilt wurdest - von den Eltern, Lehrern, Eltern der Freunde etc. - und ob es dich vielleicht deshalb so ärgert. Und dann überlege doch mal, was du deinem Kind oder einer anderen Person sagen würdest, wenn die sich durch ähnliche Situationen selbst den Tag ruiniert!

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Hallo

Ich kenne das von mir, kann allerdings vom (für mich unangenehmen) Glück sprechen, dass mein Mann mir jedes Mal, wenn er es live erlebt, den Spiegel vorhält und mich dadurch zwingt, meine Gedanken bzw. Aktionen zu hinterfragen.

Ein Schocker für mich als Linguistin ist immer wieder, dass im Job in verschiedenen Unternehmen diejenigen mit grottigen Schreibfähigkeiten ziemlich erfolgreich sind - ich spreche von Leuten auf Managementebene. Ich, die doch stets auf korrekte Orthographie, formale Formulierungsweisen usw. achtet, erhalte keinen Lob und keine Beförderung dafür, dass meine Sprache schön formuliert ist 🤌. Leider - so scheint es - kommt man im Berufsleben auch mit Fairness und Freundlichkeit nicht weiter, denn das wären aus meiner Sicht die Tugenden eines Managers. Das nagt zeitweise noch an mir, aber ich habe es weitestgehend akzeptiert.

Die Gesellschaft tickt sehr divers. Die Visibilität Einzelner wird durch diverse Medien zusätzlich befördert. Da ich aber Kinder habe und Teenager/junge Erwachsene persönlich kenne, weiss ich, dass die Mehrheit es gut meint und die Gesellschaft mehrheitlich okay tickt.

Ich gebe allerdings zu, mich beschäftigen diese Themen tagtäglich. Es ist ein stetiger innerer Kampf. Ich will mich aber keinen Peinlichkeiten mehr aussetzen, so wie früher, als ich jünger war, und halte mich meistens zurück. Emotionalität wird ja auch als unsexy betrachtet. Ich will nicht dadurch auffallen und meinem Umfeld zumuten, dass ich auf negative Weise ausser der Reihe tanzen kann.

Dies ein kurzer Einblick in meine kunterbunte kleingeistige Welt.

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Hallo liebe/-r Arno Nym,

darf ich dich fragen, was für einen Beruf du ausübst? Es geht darum, ob dein Arbeitsalltag nicht genau diese Charakterzüge fordert (akribisch auf die Regeleinhaltung achten und sofort reagieren, sollten diese gebrochen werden). Falls es so ist, wäre das ein Beispiel für déformation professionelle, vielleicht kannst du diese Neigung über diese Schiene lösen.

Viele Grüße
Windig