Einfach kurz aussprechen

Ich muss es einfach kurz los werden, ich glaube, es gibt keine „Lösung“, ausser mit den Schultern zucken und loslassen.

Vorgeschichte: meine Kindheit war nicht schön. Eher für mich schlimm. Schweres Mobbing durch zwei ältere Geschwister. Undiagnostiziertes ADHS mit entsprechenden Problemen zu funktionieren. Ehe der Eltern ein Kriegsgebiet. Vater abwesend. Mutter mit giftigen Sätzen, Beleidigungen, täglichem Geschrei, Schlägen.

Ich hab ab 10 gewartet, dass ich endlich ausziehen kann. Es war wie lebendig begraben in einem Albtraum. Ich war in meiner Familie nicht willkommen und durfte mich aber auch nicht ausserhalb frei entfalten und habe einfach meine Zeit abgesessen.

Ich hab mich selber gefunden als ich ausgezogen bin und endlich ich selber sein konnte. Hab meine Bindungsprobleme aus der Welt geschafft. Einen wundervollen Mann und Kinder. Meine Kindheit spielt für mich keine Rolle mehr, sie ist vorbei und hat mich nicht kaputt gemacht.

Was mich jetzt wirklich belastet und was ich einmal aussprechen muss: wegen einem Demenzfall im Umfeld hab ich mich belesen was das heisst. Und ein Satz lässt mich nicht mehr los. Dass Erkrankte oft in ihrer Kindheit leben und das als ihre Gegenwart wahrnehmen. Das war wie eine Keule in den Magen.
Mir ist klar geworden, dass das meine persönliche Hölle wäre, würde mir das passieren und irgendwie bekomme ich das nicht mehr los.
Ich weiss, ich bin traumatisiert von einigem damals, aber ich hab mich frei gekämpft.
Die Vorstellung noch einmal so leben zu müssen…
Ja, es ist bescheuert. Ich habe keine Demenz und werde hoffentlich auch nie erkranken. Aber die Erkenntnis, wie schlimm es für mich wäre, in meiner Kindheit zu leben und dass andere das ja als was schönes sehen würden. Irgendwie macht es was mit mir, dass mir klar wird, dass mir 19 Jahre meines Lebens genommen wurden, die eigentlich hätten schön sein sollen.

Ich wollte es nur mal aussprechen, weil es wirklich raus muss aus mir. Ich wünschte, kein Kind müsste solche Erinnerungen haben.

Und jetzt werde ich zusehen, das loszulassen. Denn nichts was ich dazu fühle würde es ändern. Weder das was war, noch was kommen könnte.
Vielleicht drückt ihr eure Kinder heut abend einmal mehr und sagt ihnen, dass ihr sie liebt. Ich mache es mit meinen auf jeden Fall.

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Hallo Sonnenfleck,

Du träumst davon, die Last deiner Kindheit durch dein Teilen von dir zu nehmen und sie dadurch ein Stück loslassen zu können.

Deine Angst, dein Albtraum, möglicherweise im Alter in einer Demenz wieder dauerhaft in die innere Hölle deiner Jugend abgleiten zu müssen, das kann ich gut verstehen.
Ich musste lernen, auch für mich gibt es keine Erlösung, auch wenn ich anfangs meinen Erlösungsphantasien verfallen war.
Nun bin ich zwar nicht erlöst, kann aber wie du ein erfülltes Leben Tag für Tag wertschätzen und viel darüber nachdenken, wie gut es mir inzwischen geht.

Aber meine persönliche Hölle, die ist nach wie vor in mir. An manchen Tagen lodert das Feuer etwas stärker und ich werde wieder angegrillt, aber ich weiß, das ist nicht von Dauer. Es geht vorbei.

Vielleicht hilft dir der Gedanke an ein Leben im hier und jetzt, nur für heute. Heute kann ich auf mich achten, das Morgen bleibt im Nebel, es kommt wie es kommt.
Mir hat bei der Bewältigung meiner geheimen Ängste meine Spiritualität sehr geholfen. Seitdem ich meinen persönlichen Glauben gefunden habe, bleibe ich mit meinen Ängsten nicht mehr alleine und habe immer jemanden, mit dem ich reden kann.

2

Danke dir Christoph. Du hast recht, es gibt nichts, was es ungeschehen macht. Deswegen versuche ich das was mir vorenthalten wurde jetzt zu leben. Klappt soweit gut.

Dein für mich wichtigster Satz war immer mein Mantra: Auch das geht vorbei. Nichts kann mir das nehmen.

Vielleicht ist es das Gefühl der Hilflosigkeit, dass man dem Ganzen wieder ausgeliefert wäre. Es hat mich kalt erwischt, dass sowas passieren könnte. Und dass nichts dagegen hilft. Und dass es immer noch mein grösster Schrecken ist.

Ich werde einfach mit so viel Glück wie möglich dagegen halten. Da hast du absolut recht.

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Ich glaube, Erkrankte leben oft mental dort, wo sie sich am sichersten, am wohlsten fühlten. Sie wollen oft „nach Hause“, und ja, damit ist oft das Elternhaus gemeint, weil sie dich dort geborgen und sicher fühlten.

Ich denke, in deinem Fall wäre es dann ehereine andere Zeitperiode, in der du eben diese Gefühle erlebt hättest.