Hallo,
aufgrund eines Threads hier weiter unten, bin ich nicht drumrum gekommen, mein eigenes 'jugendliches' Verhalten mal zu überdenken und ja, mir sind da durchaus einige Dinge eingefallen, die ich heute so nicht mehr machen würde.
Ein paar Beispiele:
- Mein Opa wollte immer in ein bestimmtes Restaurant essen gehen. Er war bettlägerig und hatte die höchste Pflegestufe, war auf Sauerstoff angewiesen und nicht mobil. Für mich mit Mitte zwanzig ausreichend Grund, immer wieder Ausreden - aus heutiger Sicht war es nix anderes - zu finden, warum wir ihm diesen Wunsch nicht erfüllen konnten. Heute frage ich mich, warum um alles in der Welt? Es hätte uns vielleicht einen Tag gekostet, ein paar Stunden Anstrengung, aber irgendwie hätten wir es möglich machen können und müssen. Inzwischen ist er längst verstorben und ich bereue es wirklich, ihm diesen Wunsch nicht erfüllt zu haben.
- Meine Oma wurde im selben Jahr 60 wie ich 16 und wie es das Schicksal so wollte, hatten wir einen über den anderen Tag Geburtstag. Meine Oma hat ihren 60. also am folgenden Samstag gefeiert und wollte mich natürlich dabei haben. Mir war es aber natürlich viel wichtiger, meinen eigenen zu feiern. Auch an diesem Samstag. Da denke ich mir halt auch, hätte mir echt nicht weh getan, noch eine Woche zu warten. So war meine Oma - auch wenn sie nichts gesagt hat - doch sehr verletzt, dass ich nicht dabei war.
- Meine Schwiegereltern leb(t)en im Ausland, etwa 1800 Kilometer entfernt. In den letzten Jahren haben wir sie viel zu selten besucht. Zu viel Aufwand mit drei Kindern, zu teuer, und überhaupt, sie kommen ja auch nicht zu uns, warum müssen immer wir und überhaupt und sowieso. Mein Schwiegervater ist inzwischen verstorben und die Kinder haben so gut wie keine Bindung zu diesen Großeltern. Das bereue ich wie kaum etwas anderes. Damals dachte ich, ich wäre völlig im Recht, vielleicht war ich es auch, aber war es deswegen richtig? Ich denke nicht.
- Eine Tante, zu der ich ein sehr gutes Verhältnis hatte, hat sich bei einem Besuch darüber beklagt, unser Sohn wäre zu wild und laut und sie erträgt das nicht. Ich war sauer, wie man sowas sagen kann und bin gegangen mit den Worten, ja gut, dann kommen wir halt nicht mehr. Das habe ich auch durchgezogen. Heute kann ich sie verstehen. Ich mag Kinder wirklich, aber manchmal wird es mir einfach zu viel, wenn sie laut sind. Das ist keine Boshaftigkeit, aber ich kann das auch nicht überspielen oder an mir abprallen lassen. Meist entziehe ich mich der Situation und würde jetzt wohl eher niemandem sagen, dein Kind ist mir zu laut. Aber im Grunde hätte ich auch anders reagieren und sie auch hier und da ohne Kind(er) besuchen können. Auch sie ist inzwischen viel zu früh verstorben. Ich konnte ihr nicht mehr sagen, dass ich das heute nachvollziehen kann.
Ich könnte die Liste noch viel weiter fortführen und je länger ich nachdenke, desto mehr fällt mir ein. Das wirklich Schlimme für mich daran ist, ich kann es nicht mehr ändern. Je älter ich werde, desto klarer wird mir, wie die anderen sich gefühlt haben müssen und gerade im Bezug auf meinen Opa fühle ich mich so wahnsinnig schuldig, es ist teilweise wirklich nicht leicht, damit klarzukommen.
Deswegen versuche ich, meine Kinder so zu erziehen, dass sie auch immer andere im Blick haben. Denn die traurige Wahrheit ist halt, die Älteren, die man in jungen Jahren mit ihren Befindlichkeiten vielleicht als lästig oder anstrengend empfindet, die werden irgendwann nicht mehr da sein und man bleibt mit seinem Gewissen, falschen Entscheidungen und verpassten Gelegenheiten zurück.
Rückblickend scheint mir mein eigenes Verhalten manchmal so ... idiotisch. Gibt ja noch viele andere Kleinigkeiten, wo ich mir heute denke, meinen Güte, hast du dich so anstellen müssen? Wenn ich nur dran denke, wie sauer ich auf meine Oma war, weil sie unseren Sohn bei seiner Taufe einen Krümel Tortenboden in den Mund gesteckt hat. Er hatte keinen Zuckerschock und es hat ihm auch nicht geschadet, aber ich hab mich wahnsinnig aufgeregt und unser Verhältnis war zeitweise wirklich belastet. Ich hab sie mit Argusaugen beobachtet, wenn sie unseren Sohn hatte, sie fand mein mangelndes Vertrauen wohl nicht so prall und Himmel, es gab kaum bessere Hände, in die ich mein Kind hätte geben können. Schließlich hat diese Frau auch mich großgezogen.
Geht das anderen auch so, dass ihr rückblickend Dinge bereut oder gar nicht mehr versteht, warum ihr euch vielleicht albern verhalten habt?
Vielleicht gehört der Post auch eher in 'Lebensmitte', aber im Grunde geht es ja auch um das Familienleben.
Was bereut ihr?
Bisher (Mitte 40, 16 Jahre verheiratet/22 Jahre zusammen, 3 Teenager) bereue ich nur eins.
Den Job. Das wars. Und damit kann ich leben.
Da bin ich neugierig: Mit Mitte 40 "geht ja noch was". Machst Du einen Jobwechsel? Eine Weiterbildung oder arrangierst Du Dich mit dem Job?
Ich bin mittlerweile selbständig. Und damit zufrieden.
Das ich meinen Ex nicht schon min 1,5 Jahre vorher rausgeschmissen habe.
Ich finde es gut, dass du reflektierst. Das tun bei weitem nicht alle - viele reden es sich schön und suchen die Schuld immer bei anderen. Hut ab, dass du da so selbstkritisch bist.
Ja, ein paar Dinge gibt es schon, die ich bereue.
Das betrifft aber hauptsächlich mein Studium / Job / (nicht vorhandene) Karriere.
Ist blöd, aber ich hoffe, dass ich mit Anfang 40 noch die Chance habe, das irgendwie hinzubiegen und doch noch etwas aus meinem Berufsleben zu machen.
Ich bereue mein Studium auch. Ich war damals einfach nicht so weitsichtig zu sehen, dass es kaum eine Zukunft für mich in dem Beruf gibt. Aus Frust bin ich einfach immer weiter und weiter gegangen bis zur Promotion, obwohl ich immer den Drang hatte alles hinzuschmeißen. Ich hatte nicht den Schneid, wollte andere Leute nicht enttäuschen und hatte Angst davor was andere Leute von mir denken wenn ich abbreche. Jetzt hab ich einen Doktortitel und bin am Ende meiner Karriere. Andere sind beeindruckt von dem Doktortitel, davon kann ich mir aber auch kein Eis kaufen. Statt Stolz ist da nur Reue auf meiner Seite und den Wunsch dieses Kapitel einfach vergessen zu können.
Ich glaube, bei manchen ist die Schuld bei anderen zu suchen ein Selbstschutz. Oder ein tiefergehendes Problem, das eigene Fehler einfach nicht zulassen kann. Meine Kollegin ist so jemand. Sie lässt nicht einmal den Gedanken zu, Fehler zu machen oder gemacht zu haben. Betont immer wieder, wie perfekt sie ist und wie hervorragend sie ihre Arbeit macht. Mal ein Beispiel: Während ich in den USA im Urlaub war, ist ein Dokument falsch in unser System gescannt worden. Kein Beinbruch, das passiert, wirft niemand irgendjemandem vor. Sie beharrt darauf, dass ich das war. Das Datum ist dokumentiert, aber das ist dann halt ein Systemfehler. Ja nun ... ich habe das so stehen lassen und denke mir, im Grunde ist es traurig, dass sie so verbissen ist.
Und klar, natürlich kannst du mit Anfang 40 noch alles erreichen! Ich habe mit 43 meinen Traumjob gefunden. Vor uns liegen noch gut zwanzig Jahre Berufsleben, da kann viel passieren.
Mhmm🤔 manchmal denke ich darüber nach, warum ich mein drittes Studium nicht auch noch durchgezogen habe. Aber da jetzt den Begriff "Reue" zu nutzen würde die Sache nicht treffen.
Das, wovon du erzählst, habe ich tatsächlich nicht, obwohl auch ich/ wir einige harte Entscheidungen bezüglich der Großeltern/Großtanten treffen mussten.
Vom Typ her bin ich auch eher die, die nach vorne schaut, auch wenn mehr Jahre hinter mir, als vor mir liegen.
Egal, Hauptsache die werden lebenswert.
Ich finde das wirklich schön, wenn jemand mit sich im Reinen ist und nach vorne schauen kann, ohne sich mit der Vergangenheit zu belasten. Bei mir ist das gar keine bewusste Entscheidung, ich bin halt so und ja, manchmal wünschte ich, ich könnte das einfach abstellen. Es ist auch nicht so, dass ich mich immer und ständig selbst 'zerfleische', aber manchmal ist da diese ... Trauer um das, was hätte sein können, hätte ich die richtigen Entscheidungen getroffen und/oder anders reagiert.
Cool dass du so selbstreflektiert bist. Da gehört viel Wachstum und Mut zu.
-Ich bereue, dass ich in der Vergangenheit Menschen manchmal unschön behandelt habe, weiß aber auch dass es daher rührt, wie ich mich innerlich gefühlt habe.
-Ich bereue es, dass ich familiär nicht schon eher Grenzen für mich gesetzt habe.
-Ich bereue es, dass ich in der Vergangenheit viel "faul" war und vieles karrieretechnisch hab schleifen lassen, weiß aber auch da, dass es viel mit meiner psychischen Erkrankung zu tun hatte.
Danke. Wachstum und damit Zeit hat es ganz sicher gebraucht. Ich bin heute ein ganz anderer Mensch als früher, weiß aber auch, dass das nicht nur gut ist. Mir ist wichtiger, andere nicht zu verletzen/Konflikte zu vermeiden, als in meinem eigenen Interesse zu handeln. Daran versuche ich, zu arbeiten, aber mit wenig Erfolg. Aber, damit komme ich klar. :)
Ja , so ist das , wenn man erwachsen wird 😅😉, oder alt ...
Sind doch gute Züge, die du entwickelt hast. Wenn du später mal, auf der Seite der Alten ,Kranken stehst, wirst du hoffentlich leicht verzeihen können, wenn ein Jungspund ,sich selbst zu wichtig nimmt .
Oh, verzeihen kann ich, auch wenn ich noch nicht so alt bin. Wobei es wenig gibt, wo ich sagen würde, da gibt/gab es was zu verzeihen. Da müsste schon sehr viel passiert sein. Bei den meisten Sachen bin ich schnell wieder versöhnt.
Das ich meine Oma nicht öfter besucht habe und mich bei meiner anderen Oma auf meine Mutter verlassen habe, als es um ihren Gesundheitszustand ging, hätte besser selbst angerufen.
Mein Oma väterlicherseits war mir sehr nahe, sie hat mir damals sehr geholfen, als ich in der Schule gemobbt wurde. Sie hat ähnliches erlebt. Sie war rothaarig, Bj, 37, ihr könnte euch denken, wie es einem damals mit der Haarfarbe ging. Als Erwachsene war das dann anders, sie war wahnsinnig beliebt im Ort, jeder kannte meine Oma bzw. meine n Vater und mich, das war manchmal schon unheimlich, weil einem irgendwelche ältere Dämchen immer angesprochen haben um der Oma Grüße auszurichten. Und ich immer nur dann zur Oma gesagt habe. Da hat eine Frau gesagt ich soll Grüße ausrichten, weiß aber ihren Namen nicht :D Meine Oma kam mit der Beschreibung aber meist drauf, wer das war.
Als Kinder/jugendliche haben wir oft mal eine Woche bei ihr übernachtet, sie hat im selben Ort gewohnt und sie auch regelmäßig besucht. Dann kam die Ausbildung und mein Freund (inzwischen Mann) und ich hab das immer mal nach hinten geschoben. Haben sie schon besucht, aber ich hätte es regelmäßiger machen müssen. Dann wollte ich ein Wochenende eigentlich zu ihr, aber dann kam was anderes dazwischen und ich dachte, ach, verschieben wir das noch eine Woche. Mittwochs haben dann ihre Vermieter angerufen, sie ist gefallen, wir sind hin, Rettungsdienst kam dann auch und sie kam etwas unterkühlt und dehydriert ins KH, aber eigentlich war soweit alles gut. In der Nacht ist sie dann verstorben.
Ich mache mir heute noch Vorwürfe, dass ich es verschoben habe. Vielleicht ging es ihr da schon nicht gut, sie hat nie angerufen, damit sie jemand wohin fährt. Mein Vater wohnt auch in dem Ort, er hätte sie überall hingefahren, kam aber auch nicht auf die Idee anzurufen. Vielleicht hätte ich es ja gemerkt und verhindern können.
Das sind so die Gedanken die ich noch bis heute habe.
Meine andere Oma hatte Lungenkrebs und sie hat da nie so gerne drüber geredet. Wir waren noch auf ihrem 70. Geburtstag, dann Weihnachten bei ihr. Dann hab ich meine Mutter immer mal gefragt, wie es so steht. Die meinte immer nur soweit gut. Dabei war sie zu dem Zeitpunkt schon im KH, wusste meine Mutter aber wohl auch nicht, weil sie sich gar nicht gemeldet hatte oder erkundigt. Ich habe es dann über Wer kennt wen, von der Tochter meines Opas (Stiefopa eigentlich) erfahren. Sie hat mir da eine Nachricht geschickt, wenn ich mich noch verabschieden wollte, dann sollte ich es schnell tun. Bin direkt am nächsten Tag dorthin und konnte mich noch ein paar Minuten mit ihr unterhalten, sie war da schon sehr schwach. Der nächste geplante Besuch konnte ich dann schon nicht mehr machen, da sie schon verstorben war. Ich bin heute noch froh über die Nachricht, dass ich mich noch verabschieden konnte und ihr sagen konnte, dass es uns gut geht und alles gut ist. Sie war sichtlich erleichtert als ich es sagte.
ich war stinksauer auf meine Mutter, könnt ihr euch sicher vorstellen, aber auch auf mich, dass ich mich da auf meine Mutter verlassen habe und nicht selbst aktiv geworden bin.
Diese zwei Dinge bereue ich bis heute. Sonst ehrlich gesagt nichts groß. Alles andere hat mich zu dem Menschen gemacht der ich bin und zu dem Leben geführt dass ich jetzt lebe und damit bin ich sehr zufrieden und glücklich.
Das mit deiner Oma tut mir sehr leid. Ich habe das ähnlich mit meinem Vater erlebt, dessen Tod ich bis heute nicht verarbeitet habe. Immer wieder frage ich mich, warum habe ich ihn nicht öfter angerufen, warum nicht in dieser Woche, warum bin ich nicht einfach mal hingefahren. Die einfache Antwort: Weil es eine ganz normale Woche, der Mann mit Ende 60 topfit - hat er immer behauptet, und es keinen Grund gegeben hat, irgendwas anders zu machen als sonst. Meine Trauerbegleiterin hat mir mal gesagt, Menschen suchen beim Tod gern nach einem Schuldigen und wenn sich kein anderer findet, nehmen sie sich selbst.
Aber schön, dass du dich von deiner anderen Oma verabschieden konntest, das ist unglaublich viel wert. Gerade wenn man den Vergleich zu einem plötzlichen Tod ohne Abschied hat.
Bei mir ist die Reue auch tatsächlich nur - oder hauptsächlich - im Zusammenhang mit Menschen. Ich hab auch den falschen Beruf gelernt, aber das bereue ich nicht. Er ist einer der kleinen Schritte gewesen, die mich da hingebracht haben, wo ich heute bin. Hin und wieder denke ich, vielleicht wäre es finanziell, beruflich, insgesamt, besser gewesen, das erste Kind nicht schon mit 22 zu bekommen. Aber auch das bereue ich keinen Moment, sonst hätte ich das wirklich tolle Leben, das wir heute führen. Das war alles für was gut. Menschen zu verletzen und zu enttäuschen halt nicht.
Finde ich eine wirklich spannende Frage.
Tatsächlich gibt es einige Dinge, die ich bereue.
- Dass ich die Reise, die mein Opa mir zum Abschluss geschenkt hat nie mit ihm gemacht habe. Ich hatte in der Lebensphase keine Energie dafür und als ich bereit war, hatte er keine mehr.
- Dass ich in Schulzeiten manchmal echt eklig zu einer Freundin war und sie als Ventil für meinen Frust genutzt habe.
- Dass ich nicht härter um mein Wunschstudium gekämpft habe. Die Alternative war mindestens genauso aufwändig/anstrengend und ich frage mich bis heute, ob mich das andere Fach nicht zufriedener gemacht hätte.
- Dass ich nicht viel früher und viel vehementer Grenzen gesetzt und Hilfe eingefordert habe.
- Dass ich erst im Burnout landen musste, um das tatsächlich zu tun.
- Dass ich nicht schon früher verstanden habe, dass ich liebenswert bin und für meine Leistungen Respekt verdiene, auch wenn ich mich nicht mehr ausnutzen lasse. Und dass es mehr über die andere Person aussagt als über mich, wenn sich jemand daran stört.
Bei deinem ersten Absatz ist mir echt die Kehle eng geworden. Zumindest das habe ich mit meiner Oma gemacht, ein gemeinsamer Urlaub. Daran denke ich heute noch oft und in diesen zwei Wochen habe ich gefühlt mehr über sie erfahren, als in den übrigen 25 Jahren meines Lebens. Es hat unser Verhältnis nochmal gefestigt und mir gezeigt, was für eine unglaublich starke, beeindruckende Frau sie war. Schade, dass du das mit deinem Opa nicht haben konntest, aber du konntest nicht und ich bin sicher, das hat er auch verstanden.
Manchmal hören wir tatsächlich erst auf unseren Körper, wenn er sehr, sehr deutlich wird, dass er nicht mehr mitspielt. Ich hoffe, dir geht es jetzt gut oder besser und du achtest gut auf dich.