Körperlich kranke Mutter - wie wieder Lebensfreude empfinden?

Hallo zusammen,

der Text wird leider ziemlich lang, aber ich muss mir einiges von der Seele reden:

Bedingt durch Krankheiten kann sich meine Mutter (Mitte 50) mittlerweile nicht mehr selbst versorgen (sie kann weder aufstehen noch laufen, den Toilettengang nicht alleine bewältigen, die Arme nicht heben um richtig zu essen etc). Seit 10 Monaten ist sie nun nicht mehr Zuhause (Krankenhaus, Reha, wieder Krankenhaus wegen nicht korrekt durchgeführter OP, Pflegeheim, derzeit wieder Reha). Sie ist extrem weinerlich und sehr sehr traurig dass sie nicht mehr kann wie sie möchte. Das überträgt sich natürlich auch stark auf unsere Familie. Zum einen leidet mein Vater sehr darunter und zum anderen kann ich überhaupt nicht damit umgehen. Ich würde sagen ich befinde mich derzeit in einer depressiven Phase. Ich zeige es der Familie nicht, aber Zuhause breche ich regelmäßig zusammen. Es tut mir einfach so weh meine Mutter so hilflos und unglaublich traurig zu sehen. Auf der anderen Seite trauer ich irgendwie auch um meinen Vater. Ihm setzt das alles ziemlich zu, er ist dadurch sehr viel alleine, empfindet keine Freude mehr, alles dreht sich um meine Mutter. Ich fühle mich irgendwie für ihn verantwortlich..
Ich hab das Gefühl nicht gklücklich sein zu dürfen, wenn meine Eltern doch so leiden. Ich habe schreckliche Zukunftsängste - wie wird es weitergehen? Bleibt sie ein Pflegefall? Kann mein Vater in irgendeiner Form wieder glücklich werden? Es bricht mir das Herz wenn ich daran denke wie oft mein Vater alleine ist. Was ist, wenn meine drei restlichen Verwandten (alle um die 80) nicht mehr sind? Und ein ganz großer Punkt ist natürlich auch dass meine Mutter als meine Bezugsperson weggefallen ist. Hinzukommt dass ich derzeit auch die Trennung vom depressiven Partner durchmache und somit zwei Bezugspersonen verloren habe. Die ganze Zeit hat viel mit meiner Mutter gemacht und ich würde sagen ihre Persönlichkeit hat sich etwas verändert. Über Themen wie die Trennung kann ich im Moment nicht mit ihr sprechen.

Habt ihr Tipps für mich wie ich besser mit der Situation umgehen und vor allem etwas positiver in die Zukunft blicken kann? Ich sehe da derzeit leider nur schwarz und nur Trauer. Ich weiß dass mein Leben (ich bin Ende 20) nicht nur mit Trauer und schlechtem Gewissen weitergehen kann, ich hab ja auch noch so viel vor mir...

P.s. eine Psychotherapie mache ich bereits, aber da wird hauptsächlich die Trennung und deren Auswirkungen auf mich besprochen.

Vielen Dank und viele Grüße
Moni

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Ich habe in der direkten Familie jemanden mit der Krankheit die Steven Hawking hatte ......ALS .....das wo du irgendwann bei vollkommen klarem Verstand in deiner Hülle gefangen bist und manchmal innerhalb eines Jahres mitten aus dem Leben heraus, dass Du bis dahin gelebt hast, deine kompletten Fähigkeiten überhaupt irgendwas motorisch zu tun, verlierst....bis Du erstickst. Die Prognosen lagen bei ihr bei vielleicht 3 Jahre .....
Was soll ich dir sagen......wir feiern immer noch Partys und Geburtstage, fahren in den Urlaub und ich blase nicht Dauertrübsaal und es sind 6 Jahre vergangen. Diese Oma ist voller Lebenswillen und denkt nicht daran mehr als irgendmöglich an diese Krankheit zu verlieren. Die Motorik ja, aber nicht ihren Lebensinhalt. Die Krankheit ist die beschissenste Krankheit auf der Welt und sie schafft unendliches Leid, aber diesen Sieg gönnen wir ihr nicht ...

Dann haben wir noch eine Oma im Pflegeheim.....ja sie ist krank, aber theoretisch haben sie sie da wieder ziemlich gut hoch gepflegt. Sie kann schon wieder recht viel selbst. Trotzdem jammert sie von früh bis spät.

Was soll ich dir sagen. Mitgefühl - unbedingt!

Aber 1. Jeder ist in jeder Situation ein Stück weit seines eigenen Glücks Schmied durch die Art und Weise, wie er damit umgeht und darüber denken lernt.

2. Man muss als Angehöriger unbedingt lernen sich abzugrenzen. Ja, man darf Spaß am Leben haben, während jemand aus der Familie in seinem Leben leidet. Man darf auch Mal Pause haben, in den Urlaub fahren und auf die Kirmes gehen. Du hast selbst auch nur eine begrenzte Zeit zum Leben. Die Krankheit deiner Mutter darf euch nicht gleich mit verschlingen. Wem würde das auch helfen?

3. Man muss auch als Betroffener lernen seine Krankheit zu akzeptieren und dass man damit nicht alle anderen Gesunden auch noch krank machen darf. Dass man sich nicht übergriffig verhält. Manche Menschen haben diese Tendenz sich an allen mit ihrem Leid und Selbstmitleid festzuklammern egal wie tief sie sie mit runter ziehen. Und davor muss man sich dann teilweise selber schützen, egal wie sehr man diese Person liebt und durchaus versteht.

Man darf sein Leben nicht über der Pflegebedürftigkeit der Eltern aus den Augen verlieren. Die Pflegebedürftigkeit kommt so oder so irgendwann als Thema in jede Familie....für den einen eher ....für den anderen später. Das Leben ist voller großer und kleiner Abschiede auf dem Weg zur Endlichkeit. Und keiner kommt lebend raus ;).

Daher muss sie nun lernen sich von einigen Fähigkeiten zu verabschieden. Und kann sie das partout nicht, dann musst du die Zeit mit ihr im Interesse deiner eigenen Gesundheit begrenzen.

Mir scheint, dass ihr alle nicht so die Experten im positiv Denken seid. Das klingt Eso.....ist es aber nicht. Das Gehirn ist ein Muskel. Und die Bereiche, die wir besonders oft ansprechen, werden trainiert. Ständige schlechte Gedanken führen dazu, dass wir besonders empfänglich werden für alles "schlechte" um uns herum und unsere eigene Situation viel schlechter bewerten als sie wirklich ist. Ja, deine Mutter hat nun Einschränkungen, die scheiße sind, aber....das betrifft viele Menschen und trotzdem ist auch noch so einiges möglich. Um das aber so zu sehen, muss man selbst aus diesem negativ Kreislauf gedanklich raus kommen und sein Gehirn auf andere Gedanken umprogrammieren. Vielen Depressionen geht eine intensive Grübelei über etwas sehr Negatives über einen langen Zeitraum voraus.....wenn man sich selbst dann keine Gegenpole im Leben schafft, dann verlernt man tatsächlich ein Stück weit Freude zu empfinden und zu sehen.

Als ich Krebs bekam....haben viele gesagt....dass ich das sehr gut wegstecke....aber mir wurde einfach nur umso deutlicher wie sehr ich Leben will und dieser Gedanke war gut....dieses Gefühl, dass Leben so zu wollen. Und ich habe es genossen. Es war wie ein Schwur an mich selbst. Ich habe diese Zeit....nicht nur als schlecht in Erinnerung....obwohl sie sehr schwer war.....und ich bin sehr dankbar über das Leben geworden. Ich finde auch, dass Comedy eine super Sache ist, um mit Krankheiten umzugehen. Ich empfehle dazu auch das Programm von Eckhardt von Hirschhausen ;) auch wenn ich sonst andere Komiker bevorzuge. Lachen ist in der Tat etwas sehr gesundes.

Was Du brauchst, ist immer wieder eine gedankliche Distanz und Auszeivon deiner Mutter und Unternehmungen die rein gar nichts mit ihrer Krankheit zu tun haben um abzuschalt. Niemand kann 24/7 über Krankheiten reden und pflegen ohne verrückt zu werden.

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Vielen Dank für deine ausführliche Antwort.

Du hast mit deinen Punkten vollkommen Recht. Ich versuche mir auch immer vor Augen zu halten dass es anderen Menschen wesentlich schlechter geht. Meine Mutter ist mehr oder weniger klar im Kopf und hat keinerlei Schmerzen. Ich könnte auch irgendwie damit leben wenn sie ab jetzt für immer im Pflegeheim wäre, wenn ich die Zustände da nicht kennen würde. Sie ist im Schnitt 20 Jahre jünger und war beim letzten Mal die einzige die Klar im Kopf war. Man hat richtig gemerkt wie ihr Kopf in den 4 Monaten abgebaut hat, weil sie dort keine "normalen" Kontakte hatte. Das ist es was mir Angst macht.
Schlimm ist auch der Gedanke dass sie es selber in der Hand hat, sie müsste nicht zwingend ins Pflegeheim, wenn sie sich in der Reha jetzt mal zusammenreißen und anständig mitarbeiten würde. Aber laut der Therapeuten ist sie nicht besonders bemüht - das sieht sie aber nicht ein.

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Super Antwort!
Ich ergänze noch, dass deine Mutter von EUCH positive Energie braucht. Bringt sie zum lachen, schmiedet Pläne, bringt sie nochmal zum lachen, zeigt ihr, wofür es sich zu kämpfen lohnt!
Ich konnte nach meiner Zeit im Koma weder sprechen, noch mich bewegen. Mein Mann war mit den 3 Kindern alleine am Limit. Aber--wir haben gelacht, als ob es kein Morgen gibt! Er hat mich ständig zum lachen gebracht, ich habe ihn zwar an manchen Tagen nicht erkannt, aber er war so witzig, da habe ich mich trotzdem totgelacht.
Wenn ihr alle gramgebeugt bei ihr hockt zieht sie das noch mehr runter.
Daher: Lachen ist die BESTE Medizin! Das wird sie auch in ihren Rehamaßnahmen motivieren!
Alles Gute!

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Das ist wirklich eine schwere Situation, in der ihr euch da aktuell befindet. Gut, dass du eine Psyschtherapie machst. Ansonsten kann ich dir und deinem Vater nur raten, auch andere Kontakte zu pflegen (Freunde, Kollegen, Nachbarn). Gerade in so schweren Zeiten ist es wichtig, auch mal mit jemandem zu reden, der nicht involviert ist oder auch mal um auf andere Gedanken zu kommen. Klar dreht sich jetzt alles um deine Mutter (bzw. deine Eltern), aber denke daran, dass du noch jung ist und dir dein eigenes Leben aufbauen musst... Ist deine Mutter auch in psychologischer Betreuung? Wie sind den ihre Aussichten, wieder gesund zu werden? Oder zumindest wieder selbststäniger zu werden? Eine positive Einstellung ist immer wichtig. Das geht nicht immer, aber nur traurig sein bringt ja auch keinen weiter...

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Sie ist noch nicht in einer psychologischen Betreuung. Ich habe es ihr schon geraten, aber im Endeffekt muss sie es wollen und sich da melden. In der Reha gibt es ja eine Station.
Also gesund wird sie nie wieder, aber ihr Zustand könnte sich verbessern. Am Rollator gehen und selbstständig aufstehen wäre möglich. Allerdings bekamen wir gestern einen Anruf der Reha dass sie zu bequem ist und die Anwendungen nicht zu 100% macht und Übungen gerne aufschiebt... wir reden seit Monaten auf sie ein und sprechen ihr gut zu, sie ist auch der Meinung dass das nicht stimme und sie alles tut... sie glaubt halt eher an Wunderheilung. Soll erfüllt indem sie bei der Therapie war und das muss reichen. Ich werde heute ein Gespräch mit ihr führen und ihr klar machen dass sie Fortschritte machen muss, weil sie sonst für immer im Pflegeheim landen wird (so Auskunft Sozialer Dienst).

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Hallo,

bei meinem Vater wurde im Juli im Anschluss an eine erfolgreiche Beipass OP Krebs im Endstadium festgestellt. Auch er konnte nicht mehr nach Hause und kann nur noch mit dem Rollator ein paar Schritte gehen. Wir haben in diesem Sommer auf einiges Verzichtet (Zum Beispiel sind unsere Kinder statt mit uns mit ihrer anderen Oma auf eine Islandkreuzfahrt gefahren, auf die wir uns alle sehr gefreut hatten), trotz allen genießen wir unser Leben denn gerade jetzt sehen wir wie schnell sich alles ändern kann. Ich investiere viel Zeit um meinen Vater zu begleiten in dem ich ihn täglich besuche. Ihn versuchen wir mit Dingen aufzumuntern die noch gehen...zum Beispiel ein Kaffee trinken im Café im Heim oder an einem guten Tag einen kurzen Ausflug im Rollstuhl. Für uns geht das Leben parallel weiter, mein Mann und ich gehen Arbeiten die Kinder in die Schule. Versuche einfach dich an kleinen Sachen zu freuen und nimm dir gezielt Auszeiten...genieße dein Leben, denn du hast auch nur eins. Hier hat Niemand den Kopf in den Sand gesteckt und wir haben eine ähnliche Situation vor 10 Jahren bei meiner Mutter schonmal erlebt. Im großen und ganzen habe ich mehr Stärke gewonnen als verloren.
Du bist noch jung, kümmere dich ruhig um deine Eltern aber vergesse dich selber nicht...Treff dich mit Freunden und mach die Dinge die man mit Ende 20 so macht...ein schlechtes Gewissen ist unnötig.

LG

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Wenn Du gerade eine Therapie machst, dann kann sich Dein Therapeut nicht nur auf ein Problem beschränken sondern muss Dich als Gesamtheit ansehen, mit allen Sorgen, die Dich gerade bewegen, sonst ist es nur Flickwerk, sag ihm das so.
Ich habe vor vielen Jahren auch eine Therapie gebraucht und die Therapeutin brachte mir bei, mit meiner GESAMTsituation umgehen zu lernen, ein einzelner Baustein hätte mir nichts genutzt.
So sehe ich das bei Dir auch. Wichtig ist erstmal, dass Du Dich nicht für alles verantwortlich fühlst, Du kannst nicht alleine die Welt retten sprich sämtliche Personen Deiner Familie stützen, das geht nicht.
Ich dachte auch mal, ich kann das - geht nicht - ich bin schon oft an meine Grenzen gestoßen, aber dann ist das eben so. Dann geht man einen Schritt zurück, Blick aufs Ganze, neu ordnen - und dann wieder vorwärts schauen.
Man kann nur einen Punkt nach dem anderen verarbeiten. Deine Trennung ist durch, Haken dran. Deine Mutter kannst Du trösten, ihr aber nicht alles abnehmen. Jede Situation neu bewerten, nicht zu viel denken "was wird noch alles kommen" - das macht Dich nur verrückt.
Ich bin kein Therapeut, hab aber auch schon einiges durch, meine damals beste Freundin jahrelang durch schwerste Krankheiten bis in den Tod begleitet, meinen Mann bis zum Tod gepflegt, akzeptieren müssen, dass mein Sohn sich mit seiner Familie vor bald 5 Jahren für immer von seiner Herkunftsfamilie abgetrennt hat....ich weiß schon, was Schwarzsehen und nächtelanges Grübeln ist.
Aber man muss auch wieder lachen lernen, für die, die Dich lieben #herzlich
Alles Gute. LG Moni

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Du hast Recht, ich werde das Thema bei der nächsten Sitzung ansprechen. Im Moment überwiegt die Problematik auch.
Ich habe gestern ein langes Gespräch mit meinem Vater geführt, welches auch gut lief. Er sagt ich müsse mir nicht so viele Sorgen um ihn machen und im Moment unternimmt er auch einiges, sodass er nicht so viel alleine ist wie ich befürchtet habe. Und ich könne mich drauf verlassen dass er mit mir spricht falls er nicht mehr könne.
Nun müssen wir nur meine Mutter dazu bringen wieder mehr Willen zu zeigen..

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Ich hoffe, dass Deine Mutter bereits einen Pflegegrad hat, damit es sie und damit auch Dein Vater leichter hat. Wenn nicht, bitte sofort beantragen. Jeder Pflegedienst hilft euch dabei.
LG