Meine Mama

Dieser Beitrag beinhaltet kein Frage.

Ich schreibe nur um es loszuwerden und nicht immer meinem Mann dasselbe zu erzählen.

Im Februar starb mein Schwiegervater im Alter von 66 Jahren. Nach 15 CLL (chronisch lymphatische Leukämie) ziemlich schnell und plötzlich.

Wir haben sehr getrauert und mein Mann hat mehrere Tage im Bett verbracht. Aber er und seine Mutter machen das toll. Es wird viel geredet und erinnert. Gelacht, geweint und auf keinen Fall etwas versteckt.

Ebenfalls im Februar mochte meine Mutter (59 Jahre alt) mit einmal keinen Kaffee mehr (nach 40 Jahren Abhängigkeit) nach ein paar Wochen kam regelmäßiges Übergeben und Aufstoßen hinzu so dass sie zum Arzt ging (nach 35 Jahren das erste Mal)

Der empfahl eine Magenspiegelung aber Mama hatte große Angst und somit schickte die Ärztin sie erst mal zum CTG.

Da wurde eine Verdickung am Magenausgang festgestellt, also doch zur Spiegelung.

Bei der Spiegelung wurde eine Probe entnommen und ab da stand fest: Magenkrebs. Am 02 Mai nach ein paar Tagen Krankenhaus die endgültige Diagnose.

Magenkrebs Stadium 4 gestreut in Leber und Bauchfell. Keine Heilungsaussicht. Nur noch Palliative Behandlung.

Meine kleine Welt brach zusammen. Meine Mutter und ich haben eine sehr tiefe Bindung. Sie ist mein erster Ansprechpartner. Wir telefonierten fast jeden Tag und fuhren zusammen in den Urlaub.

Meine Mutter entschied sich gegen eine palliative Chemo (ohne 4-6 Monate Lebenserwartung, mit 9-12 Monate)

Ab da ging es rapide abwärts. Kein Essen blieb mehr drin. Alles wurde erbrochen und kein Mittel half gegen die Übelkeit. Wir haben alles ausprobiert. Selbst Tropfen und Spucke konnten nicht mehr geschluckt werden ohne das es Erbrechen nach sich führte.

Also intravenöse Ernährung. Aber sie baute immer weiter ab.

Mein Bruder ich wechselten uns mit Besuchen ab (jedes Wochenende da 400km entfernt). Angangs noch mit unseren Familien und am Ende ohne Kinder. Sie wurde die ganze Zeit von meinem Vater gepflegt und vom SAPV Team begleitet.


Am 05.09 war sie anders. Wortfindungsschwierigkeiten und sehr schwach. Nach einem langem Gespräch mit uns und meinem Vater entschied sie sich am Montag den 06.09.2021 die künstliche Ernährung einzustellen und ein selbstbestimmtes Ende zu haben. Fachlich nennt man es FVNF (freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit auch Todesfasten genannt)

Ich bin am Sonntag kurz nach Hause. Mein Bruder fuhr den Montag gleich zu ihr und ich am Dienstag auch wieder. Aber da registrierte sie meine Anwesenheit schon nicht mehr richtig.

Sie wurde immer schwächer und schlief ganz viel.

Am Mittwoch war ich mit ihr allein und sie musste zur Toilette. Mit Ach und Krach habe ich es geschafft sie in den Toilettenstuhl zu heben.

Ich habe sie gesäubert und mit einer noch größeren Kraftanstrengung zurück ins Bett bekommen. Mein Vater brachte Windeln mit weil es einfach kaum noch ging.



(Das ist jetzt der Punkt der mich am Meisten belastet)

Abends zeigte sie wieder an das sie auf die Toilette wollte und ich redete ihr gut zu das sie eine Vorlage hat und nicht mehr aufstehen muss. Wir versuchten sie im Bett zu halten aber sie entwickelte eine Wahnsinnskraft und kniff mich sogar damit ich ihr aus dem Weg gehe. Mein Vater und ich haben versucht sie unter Tränen vom Aufstehen abzuhalten.

Irgendwann gaben wir nach und zu zweit schafften wir es. Sobald sie auf dem Toilettensitz saß verließen sie alle ihre Kräfte und der Weg zurück ins Bett artete in einen Tortur für uns alle vier aus.


Danach sprach sie nicht mehr mit uns gab uns keine Zeichen und bei der Gabe von kleinen Eisstückchen oder Schmelztabletten verweigerte sie sich komplett. Hat man sie berührt zog sie die Hand zurück.

Die Palliativschwester sagte das es bei dem starken Herz noch 7-12 Tage dauern kann.

Uns verließ der Mut und die Kraft und wir haderten mit der Entscheidung das zu viert zu Hause zu machen.

Freitag war sie nicht mehr da. Gar nicht mehr. Keine Bewegung keine Abwehr. Keine Reaktion auf irgendwas und Samstagmorgen am 11.09 um 06.40 Uhr rief uns mein Vater und die letzten beiden Atemzüge waren wir alle bei ihr.

 

Der Tod war friedlich. Das war meine größte Angst das es ein Kampf wird. Aber eigentlich hat sie die letzten Tage 98% geschlafen. Das Morphium wurde hochgesetzt und  sie zeigte auch keine Anzeichen von Schmerzen. Ich war ganz ruhig und tiefe Dankbarkeit erfasste mich. Denn meine Mama hatte die größte Angst vor einem hässlichem Krebstod.

 

Mein Opa kam gegen 08 Uhr um sich von seiner Tochter zu verabschieden. Wir wuschen sie und zogen sie an. Räumten das Zimmer auf und ich stelle eine Kerze neben sie. Jeder ging nochmal zu ihr und blieb eine Weile bei ihr. Um 11 Uhr kam der Arzt um den Tod festzustellen und 14 Uhr der Bestatter.

Alles war würdevoll und ruhig.

Die Beerdigung fand am 25.09 statt. Im Friedwald bei einer sehr bewegenden Zeremonie.

 

Sie fehlt mir, so sehr. Wir alle trauern zusammen und jeder für sich.

Mein Vater ist am Sonntag zu einer Radtour (1000km) aufgebrochen. Diese wollten meine Eltern dieses Jahr noch gemeinsam machen. Ich glaube viele verstehen unseren Umgang mit der Trauer nicht. Aber es fühlt sich richtig an. Ich kann leider nicht viel weinen und wenn dann bricht es richtig eklig aus mir raus und ich weine eine Stunde wie ein kleines Kind. Mit Schnodder und hochziehen.

 

Liebe Mama, es war ein Privileg deine Tochter zu sein. So schwierig unser Umgang in der Pubertät auch war. Als erwachsene Frauen warst du meine beste Freundin.

Eine fantastische Oma, eine tolle Schwiegermutter und ich wünschte wir hätten mehr Zeit gehabt. Ich liebe dich.

 

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Es tut mir ehrlich unendlich leid, was Du erleben musstest, mir laufen gerade dieTränen runter. Der Tod meines Mannes hat sich so ähnlich ereignet.
Wir dürfen traurig sein, es waren ja die liebsten Menschen für uns.
Die Entscheidung Deiner Mama kann ich verstehen, ich würde genauso entscheiden, Chemo habe ich mehrfach als grausam erlebt.
Du darfst weinen und trauern, wie Du es empfindest, andere machen es anders, auch das ist in Ordnung, es gibt keine Regel.
Alles Liebe für Dich.
Liebe Grüße von Moni

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Danke Moni,

Ich weiß das viele das selbe durch gemacht haben aber gerade eben fühlt man sich grausam allein.
Man ist wie in einer blase und ich möchte immer zum Telefon greifen und sie anrufen. Wie jeden Tag zum Feierabend. Sie fehlt mir so sehr.

Wie mein Vater sich nach 40 Jahren Ehe fühlt oder wie es dir ging kann ich mir gar nicht vorstellen.

Es ist als ob ein Teil amputiert wurde. Phantomschmerz... es ist nicht mehr da tut aber furchtbar weh.

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Ja, der Tochter meiner Freundin geht es gerade genauso. Sie verlor im Mai ihre Mama, sie waren auch sehr sehr eng, sie telefonierten täglich mehrmals, wenn sie sich nu ht sowieso sahen. Es ging alles furchtbar schnell, am 3. Mai schickte ich ihr noch ein schönes WA-Gutenachtbildchen, am 4. Mai abends war sie schon nicht mehr da. Sie hat es über Monate ignoriert, wie schlecht es ihr ging.
Ich schau ihr Bild an und kann es nicht fassen, dass wir nie mehr durch Hamburg bummeln werden. 😰 Sie, mein Mann und ich hatte so schöne Tage dort.
Irgendwann muss man es begreifen lernen.
Meiner Tochter wird es mal nicht anders gehen, wir sind auch sehr eng. Aber leider - ich kann auch nicht ewig dableiben.
#liebdrueck

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Hi du,

mein herzliches Beileid. Auch mir kamen bei dem Text die Tränen. Du hast viel Stärke und Liebe bewiesen, deine Mama an ihren letzten Tagen zu begleiten. Sie ist bestimmt unendlich stolz auf dich und wird immer in deinem Herzen sein. Ich finde es übrigens toll, dass dein Papa die Radtour antritt. Jeder trauert auf seiner Weise. Als meine Oma gestorben ist (wir standen uns sehr nahe, leider auch Krebs im Endstadium) konnte ich auch nicht viel weinen. Es war wie bei dir, wenn dann kamen die Tränen so richtig. Auch heute vermisse ich sie oft unendlich doll. Der Zeit heilt nicht immer die Wunden, aber der Schmerz wird erträglicher. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute 🍀.

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Hallo Frau H

Danke für deinen lieben Beitrag.
Gut zu hören das es nicht nur mir so geht mit dem weinen.
Mein Bruder leidet laut und mein Vater sehr viel.
Ich fühle mich wie ein kalter Eisblock, der manchmal taut. Ich schiebe die Gedanken auch immer weg. Ich weiß das das nicht gut ist und die Trauer auch raus muss. Aber ich kann nicht.
Ich habe einfach Angst das es dann nicht mehr aufhört.

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Hallo!

Mein Mann starb vor einem Jahr hier bei uns Zuhause. Das war ein schneller Verlauf, aber wir nutzten die letzten Wochen ähnlich intensiv wie ihr. Er hatte viel Besuch und genoss das sehr. Es war immer jemand bei ihm, ich, die Kinder, seine Geschwister. Auch als er starb, waren alle da, er wartete noch auf seinen Bruder, damit wir vollständig waren.

Natürlich sind wir traurig und natürlich fehlt er uns. Wir konnten dieses Ereignis aber gut und schnell in unser Leben einbauen, weil wir im wahrsten Sinne des Wortes "begreifen" durften, weil wir uns für alles Zeit ließen (der Bestatter kam erst knapp 24 Stunden später), weil mein Mann keine Angst hatte, geredet hat und sehr offen und ehrlich war.

Mich stört immer noch diese "Trauererwartung" an mich. Manchmal habe ich das Gefühl, einige arbeiten ihre (Todes-)Angst an mir ab. Manchmal wird von mir irgendwie DRAMA erwartet. Dabei ist das nicht so. Meine Trauer ist sehr persönlich, sie ist nicht öffentlich.
Ich glaube, das ist das, was du meinst, oder?

In der Trauer gibt es kein richtig oder falsch. Wenn dein Vater Fahrrad fahren will, dann ist das einfach sein Recht. Das muss er noch nicht mal im Andenken an deine Mutter tun. Wenn er einfach Freude daran hat, dann hat er ein Recht darauf.

Mich erschreckt, wie einfach das Leben weiter geht, wenn jemand verschwindet. Gleichzeitig tröstet das. Mein Leben und das der Kinder geht erst mal weiter und wir dürfen dabei Spaß und Freude haben. Das war übrigens auch ein Auftrag meines Mannes. Das haben wir schriftlich!

Alles Gute

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Hallo Golm,

Ja ich glaube du bringst es ein wenig auf den Punkt.
Wenn mich jemand anspricht dann mit so einer "Leidensmine" leiser Stimme und sehr traurigem Grundton.
Wenn ich dann sachlich antworte dann sind viele irritiert.
Aber ich weine nicht vor jedem. Und ich möchte trotzdem darüber reden können auch mit anderen.
Deine Erfahrungen hätten mir in den letzten Monaten sehr helfen können. Aber unromantisierte Erfahrungsberichte sind sehr selten.

Das was wir in den letzten 4 Monaten gemacht haben würde ich nur empfehlen wenn man selber stabil ist und ein gutes Umfeld hat.
VG Anja

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"Das was wir in den letzten 4 Monaten gemacht haben würde ich nur empfehlen wenn man selber stabil ist und ein gutes Umfeld hat. "

Ich glaube aber, dass man an solchen Erlebnissen sehr wachsen kann, dass man daran stabiler werden kann.

"Wenn mich jemand anspricht dann mit so einer "Leidensmine" leiser Stimme und sehr traurigem Grundton.
Wenn ich dann sachlich antworte dann sind viele irritiert. "

Ich weiß, was du meinst .Auf der Trauerfeier erwartete man, dass ich "zusammenbreche" und ich weiß bis heute nicht, was das sein soll und wie das geht. Die Trauerfeier war für die anderen, wir haben uns Zuhause verabschiedet und zwar mit allem Zick und Zack.

Dafür halten sie mich für abgebrüht, aber ich frage mich, was die Alternative gewesen wäre? Er im Krankenhaus, wegen Corona immer eine(r) bei ihm und zwei draußen? Er wäre da vollkommen verloren und allein gewesen, das war er hier nicht.Wir haben Regie geführt, wir haben den Abschied gestaltet und uns dafür Zeit genommen. Wir haben ihn nicht "entsorgt", sondern ihn so lange bei uns behalten wie es nötig war und das war.....lass es mich mit den Worten seiner Schwester sagen:

"Ich finde es so schrecklich, dass mein kleiner Bruder tot ist, und gleichzeitig habe ich nicht gewusst, dass man auch so sterben kann. So was Schönes habe ich noch nie erlebt! Ich habe nicht gewusst, dass man so fühlen kann!"

Das war nicht kaltherzig, das war warm und liebevoll. Sie hat sich wie wir hinein begeben in die Situation und das war die eigentliche Stärke. Selbst unsere Teenie-Söhne haben das verstanden. Alle, die mir mit ihren Trauererwartungen kommen, die lasse ich stumpf abblitzen. Wir wissen, was wir geleistet und getan haben. wir können so gelassen sein, weil wir so ziemlich alles richtig gemacht haben und dafür sogar die Bestätigung von meinem Mann bekamen. Im Grunde bin ich ziemlich genervt von Leuten, die ihre eigenen Befindlichkeiten so in den Mittelpunkt stellen und die des Gegenübers gar nicht mehr wahrnehmen.

Ich glaube, dir geht es da ähnlich. Ihr habt was Großes geleistet, ihr habt deine Mutter in den Mittelpunkt gestellt und nicht euch. Das trauen sich leider zu wenige.Man kann es Menschen, die so was noch nie getan haben und die auch weigern, das zu tun, kaum erklären.

LG

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Von Herzen mein Beileid!

Ich habe ähnliches erlebt ...

Am 21.10. ist der erste Todestag meiner Mutter.

Sie hat 4.5 Jahre gegen den Krebs gekämpft und am Ende doch verloren.

Wir haben sie zu Hause gepflegt und sie durfte zu Hause sterben.

Die letzten drei Wochen waren eine Qual für sie und für uns körperlich wie mental extrem anstrengend.
Aktuell durchlebe ich diese Zeit durch die Erinnerung.

Am Ende war ich froh ob der Erlösung, aber sie fehlt mir unendlich.
Da wir in einem Mehrgenerationenhaus leben, täglich.

Ich habe aber das Gefühl, dass sie nicht wirklich weg ist. Wenn ich am Grab stehe, empfinde ich nicht, dass sie dort ist. Bin ich dagegen zu Hause fühle ich ihre Nähe.

Alles Gute für euch ...
und trauert so, wie es für euch richtig ist und nicht so, wie es andere erwarten.

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Hallo Elfe

Dir auch mein herzlichstes Beileid.

Die eigene Mutter beim sterben zu begleiten ist eine sehr harte Sache. Wie du schon sagst emotional sowie physisch.

Ich habe mit 22 Jahren meine beste Freundin beim sterben begleitet.
Auch das war schlimm aber bei meiner Mama hat es sich schlimmer angefühlt.
Vermutlich weil wir wussten was passiert.
Bei coco damals dachten wir alle sie hätte es geschafft und das Ende war sehr kurz.

Bei meiner mutter dauerte das sterben sozusagen 4 Monate.

Ach mir fehlen einfach die Worte.

Danke für deine Antwort.
VG Anja