Mutter im Pflegeheim

Meine Mutter (77) hatte letztes Jahr im Juni einen Schlaganfall mit Aphasie (Sprache war weg).
In der Reha wurde es nicht so wirklich besser, sie wirkte dement und teilnahmslos. Konnte teilweise auch nicht laufen. Nach Hause konnte sie nicht zurück, da sie nichts mehr allein machen konnte und auch allein lebte. Also kam sie in ein Seniorenheim und siehe da, trotz Corona blühte sie dort nochmal richtig auf. Die Sprache kam zurück, sie lief allein durchs Haus (mit Rollator), kam gut mit allen Pflegern klar usw. Wir waren alle froh, dass es ihr wieder besser ging.

Doch ab Frühjahr 2021 immer wieder kleine Rückschläge. Mal sind es kleine epileptische Anfälle, die sie um Tage zurückwerfen oder vielleicht auch jedesmal wieder ein „Ereignis“ im Gehirn? Im Juni diesen Jahres dann ganz schlimme Schluckbeschwerden, die zu einer heftigen Lungenentzündung führten. Von der hat sie sich glücklicherweise erholt, aber die Schluckbeschwerden kommen immer wieder, jeden Tag muss man gucken, was sie besser essen kann. Breiform oder fest. Laufen tut sie überhaupt nicht mehr (Beine kann sie aber bewegen), Sprechen ist auch so gut wie weg, ab und an mal ein geflüstertes Ja oder Nein. Sie ist auch voll inkontinent. Und die Arme liegen fast den ganzen Tag einfach neben ihr.

Es gibt Tage, an denen glaubt man, sie versteht alles, an anderen wirkt sie wie in Trance.

Ich weiß langsam nicht mehr, was man noch tun kann. Berufsbedingt kann ich sie nur 2x die Woche besuchen. Ich bringe ihr immer ihre Lieblingsleckereien mit, Essen und auf den Fernseher oder an die Decke starren, das ist alles, was noch geht. Physio bekommt sie auch, Logopädin kommt auch, Maniküre, Pediküre – alles soweit ok. Ab und an, wenn der Kreislauf mitspielt, kommt sie in den Rolli und darf mal ne Stunde irgendwo anders ins Gebäude. Vor zwei Monaten konnte ich so wenigstens noch mit ihr raus. Das ist denen aber jetzt auch zu riskant, haben Angst, dass sie kollabiert.
Das alles ist nicht mehr wirklich lebenswert. Aber ich denke immer, solange sie isst, hat sie noch nicht aufgegeben. Oder sie begreift es evtl. nicht mehr? Ich kenne meine Mutter. Wenn sie sprechen könnte, würde sie sich so ein „Leben“ nicht wünschen. Sie hat auch eine Patientenverfügung, wir haben dieser bei allen auftretenden Notfällen auch entsprochen und dachten mehr als einmal, das war`s jetzt. Einmal war sogar schon der Pastor da. Und am nächsten Tag ging es einfach so weiter.
Das tut mir alles so unendlich leid. Ich weiß einfach nicht, wie man diesen „Zustand“ noch "verschönern" könnte?
Sie lebt nun seit September 2020 im Heim.

Vielleicht hat jemand schon ähnliches erlebt und kann berichten.

LG
Merline

1

Hallo!

Ich denke, das Zermürbende ist, dass ihr als Familie so lange zusehen müsst, wie deine Mutter immer weniger wird.

"Das alles ist nicht mehr wirklich lebenswert."

Das ist das, was du als Außenstehende denkst und fühlst, das ist nicht unbedingt das, was deine Mutter denkt und fühlt. Für sie ist das ein Prozess, sie gibt jeden Tag ein bisschen mehr ab. Offenbar hadert sie gar nicht damit, nimmt das so hin. Du hast dabei den größeren Leidensdruck.

Viel mehr machen kannst du nicht. Das ist auch nicht erforderlich. Die Aufgabe ist das Aushalten der Situation. Auch du musst jeden Tag ein Stückchen abgeben.
Deine Mutter hast noch nicht aufgegeben. "Verschönern" kannst du, in dem du die Situation annimmst, so oft wie möglich (und wie es für dich aushaltbar ist) bei ihr bist und tust, was gerade geht. Manchmal reicht es auch, einfach nur daneben zu sitzen. Viel Aktionismus braucht es gar nicht, ist meist sowieso kontraproduktiv.

LG

2

nach deutschen Rechte muss man so über Jahre leben, die Oma meines Mannes hat es 8 Jahre geschafft. solange sie nicht von Maschinen erhalten wird, gibt es kein Abschalten, es ist tragisch Menschen so zu sehen.

3

Ja, das ist leider so. Als alles noch gut war, hat meine Mutter sehr offen über dieses Thema gesprochen. Da wir mit meinem Vater ähnliches erlebt haben, und auch meine Oma lag lange so da.
Sie sagte dann immer, weil in D ja sowas nicht möglich ist, ich solle sie in die Schweiz bringen, da gäbe es andere Möglichkeiten. (Sie ist Schweizerin, hat aber immer hier gelebt).
Auf ein Wunder hoffe ich eigentlich nicht mehr. Also dass das nochmal besser wird. Der aktuelle Zustand ist ja jetzt "erst" ein halbes Jahr so, aber mir kommt es vor wie eine Ewigkeit. Und der Gedanke, sie versteht alles, kann aber nicht sagen, was sie will oder nicht will - das macht mich fertig.

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Es immer hart mit anzuschauen, wie geliebte Menschen vor den eigenen Augen so extrem abbauen. Wie eine andere Userin schon schrieb, das kann noch Jahre so gehen.
Ich möchte jetzt gar nicht lange um den heißen Brei reden. Auch bei uns zu Hause wurde ganz offen über das Thema geredet. Auch über die erlösenden Möglichkeiten in der Schweiz, hier kam es aber dann ganz anders und ich habe mich nie näher mit dem Thema befassen müssen. Soweit ich informiert bin, muß deine Mutter in der Lage sein, das Medikament selber einzunehmen und auch den Wunsch äußern. Nagel mich da aber bitte nicht drauf fest.
Du ahnst wo ich drauf hinaus möchte. Suizidhilfe ist für deine Mutter kein Tabuthema, sie hat ja sogar im Vorfeld den Wunsch geäußert, als Schweizerin in die Schweiz gebracht zu werden, wenn es nicht mehr geht. Du fragst, was du für sie tun kannst...wäre das nicht etwas, ihrem Wunsch nachzukommen?

Ich weiß, es ist ein hartes Thema, aber wenn sie als Schweizerin die Möglichkeit hat, einen anderen, selbstbestimmten Weg zu wählen. Warum nicht die Fühler ausstrecken, um rauszufinden, ob es machbar ist oder was überhaupt die Bedingungen sind? Ist zu dem Thema etwas in ihrer Patientenverfügung vermerkt?

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Dazu steht leider nichts in der Patientenverfügung. Die hatte sie schon 1998 von einem Notar aufsetzen lassen.
Alleine etwas einnehmen? Keine Chance. Sie kann auch nicht alleine essen.
Das steht jetzt natürlich noch gar nicht zur Debatte, aber trotzdem danke für deine Offenheit. :-)

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Dann ist das Thema ja eh im Grunde vom Tisch.

Tja, was kann man den Menschen noch Gutes tun. Für sie da sein, dafür sorgen, das es im Heim für sie alles gut läuft. Nähe, Geborgenheit, Schutz.
Ich muß jetzt gestehen, meine Leutchen waren nie in einem Heim (auf beiden Familienseiten Mehrgenerationenhäuser), sie wurden immer zu Hause bis zum Tod umsorgt und waren bis zum Tod auch Bestandteil der Familie. Man hat sie wie Babys umsorgt, ich glaube das trifft es. Das kann nun mal nicht jede Familie leisten,das ist einfach so.

Ich denke wirklich die drei oben genannten Dinge und Beständigkeit bei den Besuchen, weil man ja nicht weiß, wieviel sie wirklich noch mitbekommen....mehr kannst du nicht machen, so traurig es auch ist.
Und vielleicht solltest du Kontakt mit dem Hausarzt suchen, vielleicht weiß er noch was oder ist auch dir auf irgendeine Art und Weise eine Stütze.

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Merline, wurde denn Deine Mutter in der Zwischenzeit von einem Neurologen untersucht? Wenn Deine Mutter häufiger epileptische Anfälle hat, wurde die Dosierung von einem Neurologen überprüft? Gab es schon mal Gehirnstrommessungen?
Warum erhält sie kein Gehirnleistungstrainung und Ergotherapie?

Bevor ihr, wie das hier einige tun, darüber nachgedacht wird wie ein Mensch ein würdiges und sanftes Ende finden kann, sollte man doch erst einmal die Möglichkeiten zur Lebensqualitätssteigerung überprüfen.

Und ja, ich weiss wovon ich spreche. Mein Mann hatte 2019 einen schweren Schlaganfall, im Folgejahr einen lebensbedrohlichen epileptischen Anfall der über Tage andauerte (und viele Erfolge wieder zunichte machte).

Mir ist daher auch bekannt, was Therapien vermögen und dass auch Jahre nach dem Ereignis Verbesserungen möglich sind und kein Tag ist wie der Andere (eher ein stetes Auf- und Ab und dass wir in DE leider in einem Land leben in dem man nach dem Schlaganfall ziemlich alleine gelassen wird wenn es darum geht heraus zu finden was helfen könnte.

Ich vermute mal, dass die Medikation durch den Hausarzt verordnet wird. Ebenso die Therapien. Das ist ja in der Regel auch gut und richtig (zeitsparend). Aber ab und zu, mindestens 1x pro Jahr, sollte auch ein Neurologe auf den Patienten schauen. Besonders wenn epileptische Anfälle immer wieder zuschlagen.

Hast Du schon mal versucht mit Deiner Mutter zu singen? Alte Lieder die sie mochte. Singen können häufig Aphasiker auch, wenn ansonsten die Sprache auf wenige Worte reduziert ist. Einen Versuch wäre das wert.. das hilft auch die Gesichts- und Schluckmuskulatur zu stimulieren.
Macht man mit Deiner Mutter "Mund-Schluckübungen"? Sehr hilfreich wenn sie Probleme beim Schlucken hat. Wurde bereits untersucht was die Ursache der Schluckprobleme ist? Mein Mann z.B. hat ab und zu (ist Tagesformabhängig) heute noch leichte Probleme. Er macht dann Übungen die recht simpel sind, aber gut helfen. Nämlich, mehrfach Zunge rausstrecken, dann nach oben, nach unten, nach links und rechts. Er war erst durch dieses Training (ja, ich weiß, liest sich albern) wieder in der Lage zu lächeln oder gar zu lachen.

https://www.krupp-krankenhaus.de/fileadmin/pdfs/patienteninfo/publikationen/Gesichtslaehmung.pdf

Mein Mann bekommt die Übungen übrigens leichter hin, wenn ich ihm das vor mache.

Reagiert denn Deine Mutter auf Dich, so dass Du diese Übungen mit ihr machen könntest? Lächelt sie noch wenn du kommst?

Die Hände und Füsse kannst Du mit einem Igelball stimulieren. Vielleicht würde sie Schmusetiere im Bett mögen (evtl. motiviert sie das, die Hände zu bewegen)
Du schreibst, der Kreislauf macht Probleme? Wie optimal ist sie denn mit Blutdrucksenkern eingestellt? Ich kann nur so viel sagen, dass die Medikation die die Reha meinem Mann verpasst hat dazu führte, dass er wirkte wie ein Zombie und wenig Fortschritte machte. Nachdem er aus der Reha raus war und die Hausärztin ihn besser eingestellt hatte, stellten sich auch die Therapieerfolge ein. Man merkt auch heute noch meinem Mann an, wenn der Blutdruck unter einem bestimmten Level ist.