*Trigger Suizid* Angehöriger verstorben

Vor einer Woche stand unsere Welt still. Ein sehr nah stehender Angehöriger hat sich auf brutale Art und Weise das Leben genommen. Der Schock sitzt immer noch tief und es quält mich sehr.
Er war seit 2 Jahren depressiv, vorher extrem lebensfroh, er war für jeden Quatsch zu haben.
Er fehlt meiner Familie und mir sehr. Ich bin derzeit schwanger in der 22. Woche und es nimmt mich extrem mit.
Das man nicht weiß, was in seinen letzten Minuten vor sich ging, da er vorher noch Wege erledigt hatte. Ob man ihm hätte irgendwie helfen können (er hat ein stabiles Familien- und Freundesnetzwerk gehabt, keine finanziellen Probleme). Er sagte immer: ich habe alles und trotzdem bin ich so unglücklich… wir alle können es einfach nicht fassen. Dass man ihn nie wieder sehen wird. Nie wieder anrufen kann. Das alles zu verarbeiten ist so schwer. Ich habe Angst vor der Zukunft. Plötzlich Angst vor allem. Wie soll man damit nur fertig werden?

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Liebe Karoline

Fühl dich umarmt und fest gehalten, wenn du magst. Ich kenne dich nicht und ich weiss nicht, wie du tickst, aber wie es sich anfühlt, jemand Nahestehendes an Suizid zu verlieren, das weiss ich leider.

Du fragst, wie man damit fertig werden soll.

Ich kann dir nur aus meiner Erfahrung erzählen. Dass es mir erst etwas besser gegangen war, als ich angefangen hatte, drüber zu reden, mit Familie, Freunden, seiner Familie. Die Trauer nicht allein tragen und ertragen zu wollen. Die aus mir rauszulassen, rauszuschreien, auf alle möglichen Arten.

Wir haben uns regelmäasig getroffen, an Orten, woe er gerne war, miteinander geredet, Texte vorgelesen, sogar gelacht und lustige Erinnerungen geteilt oder erzählt. Dinge, die man eigentlich vergisst, wieder ausgegraben, Fotos gesammelt und ein Buch gemacht. Ein Steinmännchen neben seine Lieblingsbank aufgestellt und dort hab ich sehr oft, wenn ich hinging, irgendjemanden angetroffen. Manchmal haben wir uns nur umarmt, festgehalten. Ich hab mich wahnsinnig viel halten lassen, umarmen wäre hier das falsche Wort.

Ich habe mich manchmal bewusst der Trauer hingegeben, das fast in meinen Wochenplan integriert, und mich aber auch gezwungen, aus dem Heulloch rauszukriechen, Dinge zu planen, das Leben, das ja doch weitergeht, und das ich immernoch führe, anzunehmen als Geschenk, im Wissen, dass das meinem guten Freund vergönnt blieb.

Ich habe wahnsinnig viel geschrieben, die Briefe/Texte habe ich teilweise mit anderen geteilt, teilweise einfach in eine Metallkiste bei seinem Grab gelegt. Ich war so wahnsinnig traurig und dann irgendwann so unglaublich wütend…Ich habe dann auch viel gemalt in einer Maltherapie mit anderen Trauernden, als ich keine Worte mehr hatte, alles schon tausendmal gesagt/geschrieben hatte… das Malen war Seelenbalsam, und mich dabei austauschen und fallenlassen zu können. Andere Geschichten zu hören, zu verstehen, verstanden zu werden.

Mir geht es heute gut. Er fehlt immernoch. Ich denk fast jeden Tag an ihn. Aber es ist ok. Ich spreche heute noch mit ihm. Ich bin nicht mehr so traurig, auch nicht mehr so wütend wie in der ersten Zeit. Meine Maltherapeutin meinte mal zu mir, dass ich ihm zutrauen muss, dass er für sich den Weg gegangen ist in der Überzeugung, dass wir trotzdem wieder glücklich werden können. Dass ich ihn vermissen darf, seinen Weg aber respektieren und Frieden machen muss.

Ich habe manchmal immer noch das Gefühl, wir (seine Freunde und Familie) hätten ihn vielleicht retten können. Schliesslich wollte er das aber nicht, und ja, das tut so unendlich weh.

Falls du einen Rat hören willst, wäre es wohl dieser:

Finde Wege, die Trauer auszudrücken, zuzulassen, zu integrieren als Teil in deinem Leben, der dich von nun an begleiten wird, der schmerzt, dich aber auch daran erinnert, wie unglaublich unersetzbar und wertvoll so ein Leben ist.

Ich schicke dir Liebe und Geduld❤️
Meise

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Vielleicht doch mal mit dem Thema Jeneits auseinander setzen oder ist der athestische Glaube zu stark, dass da nichts mehr kommt?
Ich bin überzeugt, da kommt noch so einiges. Ich könnte dir etwas empfehlen, wenn du magst.

ohne so etwas damit klar zu kommen, wäre für mich genauso paralysierend... dafür bin ich auch zu sensibel.

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Hallo!

Ich bin keine Atheistin und muss nicht über Glauben und Kirche diskutieren, aber wieso können sich Atheisten nicht mit den Themen Sterben und Tod auseinander setzen?
Ich begleite seit Jahrzehnten Sterbende und ihre Zugehörigen. Es ist nicht so, dass Gläubige sich automatisch leichter tun bzw. Atheisten es grundsätzlich schwerer haben. Dasselbe beobachte ich meinen KollegInnen, die alle seht unterschiedliche Lebenphilosophien haben.

"... dafür bin ich auch zu sensibel. "

Dafür ist deine Antwort aber sehr unsensibel. Wenn jemand durch Suizid aus dem Leben scheidet, ist das immer traumatisch für die Hinterbliebenen. Da spielt es erst mal keine Rolle, ob nach dem Tod noch was kommt oder nicht. Zunächst ist da der Schock und das Unverständnis. Man konnte nicht begleiten und nicht begreifen. Bevor Angehörige sich Gedanken über das Jenseits machen können, muss erst das Diesseits sortiert werden.

Weißte, auf meiner Arbeit höre oft den Satz: "Ihren Job könnte ich nicht machen, dafür wäre ich zu sensibel!"
"Ja, genau!", denke ich dann immer. "Soeben hast du bewiesen, dass du es nicht bist. Ich arbeite hier, weil ich ein grober Klotz bin und mir sowieso alles egal ist! Mann, Mann, Mann!"

LG

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ganz genau. extrem unsensible Antwort von der Vorschreiberin. --Interessanterweise sind es immer die Leute, die betonen wie sensibel sie sind, die oft am unsensibelsten sind.
Volle Zustimmung zu allem anderen was Du gesagt hast. Suizid ist für die Angehörigen traumatisch und verdient alle (empathische) Unterstützung die man bekommen kann.

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