Ich kann nicht mehr

Hallo zusammen,

ich weiß gar nicht recht wie und was ich hier will, vielleicht einfach alles runterschreiben. Mein Mann und ich haben einen Gendefekt, der eine Krankheit mit tötlicher Behinderung auslöst, weshalb wir bereits 2 Kinder in der 20. SSW verloren haben. Nach dem letzten Versuch haben wir eine PID gemacht die auch nicht klappte. Wir haben eine gesunde Tochter, dennoch ist der Wunsch nach noch einem Kind groß. Im September ist meine Elternzeit um und ich müsste wieder als Sozialarbeiterin im sozialpsychiatrischen Rahmen arbeiten, jedoch sehe ich mich momentan eher auf der anderen Seite. Ich kann mir nach den letzten Jahren echt nicht den Ballast von anderen Menschen aufladen. Ich habe das Gefühl, das grad alles über mir zusammen bricht. Ich bin total labil, null belastbar und völlig überfordert mit den kleinsten Herausforderungen. Mein ganzes Leben ist ständig ein Kampf (früher war ich schwer drogenabhängig). Ich tue zwar alles nach Lehrbuch (Sport, Natur, ich rauche ja noch nicht mal mehr), aber trotzdem fliegt mit Grad alles um die Ohren und entgleist mir... Ich fühle mich echt hilflos...

Danke fürs lesen und liebe Grüße

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Hallo Annka,

Wie kannst du dich ein Stück weit von deinem zwanghaftem Grübeln, von deinem Selbstmitleid lösen, das durch deinen unerfüllten Kinderwunsch getriggert wurde?
Was ist dein seelischer Humus, auf dem dieses Unkraut jetzt gedeiht und wo es scheinbar prächtig Ableger produziert?

Mich hat dein Satz sehr angesprochen "...und ich müsste wieder als Sozialarbeiterin im sozialpsychiatrischen Rahmen arbeiten, jedoch sehe ich mich momentan eher auf der anderen Seite."
Genau dasselbe empfinde ich bei meiner ehrenamtlichen Tätigkeit im seelsorgerischen Bereich auch (ich bin selbst trockener Alkoholiker). Wie oft denkt ich mir, mit meinen ganzen Schwächen und Mängeln, mit meinem Kopfkino, meinen zwanghaften Grübeleien, mit all meinen depressiven Momenten, mit meinem bunten Strauß an Suchtverlagerungen, bin ich doch völlig ungenügend. Wie könnte jemand wie ich anderen Menschen in ihrer seelischen Not beizustehen und Trost zu spenden, wenn ich selbst Trost und Beistand brauche?
Aber dann rufe ich mir ins Gedächtnis zurück, es sind wohl gerade meine inneren Verletzungen und Narben, die mich mitfühlend machen, die es mir erleichtern, mich in andere Menschen hineinzuversetzen.

Du hast nach deiner Elternzeit im Moment große Angst, dir angesichts deiner desolaten Verfassung noch den Ballast anderer Menschen aufladen zu lassen. Weil du befürchtest, dadurch endgültig zum Absturz gebracht zu werden.
Ich habe in meinen Selbsthilfegruppen und bei meinem Ehrenamt genau die gegenteilige Erfahrung gemacht. Das Annehmen und Teilen der Lasten eben dieser anderen Menschen führt bei mir paradoxerweise zu einer Erleichterung meiner eigenen inneren Belastungen. Dieses Mit-Tragen heilt mich selbst ein Stück weit.
Ich möchte dir daher Mut zusprechen, nach deiner Elternzeit wieder in deinen Beruf zu gehen.

Bei deiner beruflichen Qualifikation ist es für mich natürlich schwierig, irgendwelche wohlfeilen Ratschläge vom Stapel zu lassen, die dich wahrscheinlich in deinem Zustand noch weiter runter ziehen. Also versuche ich bei mir zu bleiben.
In meinen schlechten Zeiten helfen mit einfach das "So tun als ob" und das strikte Festhalten an meiner Tagesstruktur, zu der sowohl meine Arbeit als auch Sport, Hobbies und meditative Übungen gehören. Wie sieht es bei dir mit diesen innerlichen Zentrierungsübungen aus wie etwa PMR, autogenes Training, Atemmeditationen?

Für mich war mein Perspektivenwechsel hin zu meiner Dankbarkeit und meiner Akzeptanz für das, was ich habe, ein steiniger Weg. Geistige Rückfälle sind bei mir an der Tagesordnung. Ich denke, ohne meinen Weg in die Spiritualität hätte ich das nicht geschafft.

Vielleicht hilft dir im Augenblick schon, mit einem anderen Menschen deine ganze innere Not zu teilen, du versuchst das doch gerade durch deinen Beitrag hier im Forum.
Wie wäre es, wenn du auch mit einem Seelsorger darüber sprechen würdest? Oder einfach - wenn dir danach ist, auch immer wieder - die Telefonseelsorge anrufen? Die sind immer für dich da, Tag und Nacht.

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Hi Christoph,

Danke für deine Antwort. Ich versuche eigentlich mir den Tag so voll zu packen, dass ich Abends ins Bett falle. Und nicht nur voll Arbeit packe, sondern auch mit Hobbies, Sport, Lesen etc. Es ist trotzdem so schwierig. Mein Mann ist in einer Führungsposition und daher auch erst spät da. Eigentlich bleibt alles an mir hängen. Ich bin die letzten 4 Jahre mit Vollgas gefahren und hatte dabei 2 tote Kinder in meinen Armen. Ich denke das ganze verdrängen fliegt mit grad voll um die Ohren. Und meine Arbeit empfinde ich eigentlich eher als Last, nicht das ich das nicht schaffe. So krass es auch klingt, aber ich kann mir das Gejammer nicht mehr anhören, ohne das die Leute etwas ändern. Eine weitere Elternzeit hätte ich für eine Umschulung genutzt. Wenn ich jetzt dran denke wieder da arbeiten zu müssen, raubt mir das jetzt schon alle Energie.

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Hallo Annka,

lieben Dank für deine Antwort.

Du sagst " So krass es auch klingt, aber ich kann mir das Gejammer nicht mehr anhören, ohne das die Leute etwas ändern."

Genauso empfinde ich oft auch, das war sehr hart für mich zu akzeptieren. Ich habe völlig wider meinem Erwarten bei meinem Ehrenamt die Erfahrung machen müssen, es sind nicht die völlig ausweglosen Lebenssituationen wie schwere Krankheit, bevorstehender Tod, schwere Einschränkungen und Behinderungen und furchtbare menschliche Verluste, die mich in meiner Rolle belasten.
Nein, es waren zu meiner Überraschung diese kaum erträglichen Endlosschleifen aus tief empfundener Sinnlosigkeit, Depressivität, Hoffnungslosigkeit und Selbstmitleid (du nennst das Gejammer), die mir schwer zugesetzt haben und immer wieder noch zusetzen. Und die oft völlig fehlende Bereitschaft dieser leidenden Menschen, sich zu verändern, in innere Bewegung zu kommen, alte Muster aufzubrechen.

Bis ich akzeptieren konnte, diese Menschen halten mir selbst den Spiegel, in dem ich mich selbst und meine eigenen Schwächen erkennen kann. Mein Glaube hilft mir zu versuchen, diese Menschen so anzunehmen, wie sie sind, ohne selbst in Aktionismus zu verfallen und zu versuchen, ihnen Lösungen aufzudrängen, die sie innerlich nicht wollen. Mir gefällt das biblische Gleichnis vom Senfkorn. Ich kann versuchen, meinem Mitmenschen ein Senfkorn zu geben. Ob dieser Same irgendwann aufgeht, das steht nicht in meiner Macht.

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Hey Annka!

Du beschreibst schon eine heftige Vergangenheit in den letzten 4 Jahren: 2 Babys in der Schwangerschaft verstorben, PID, künstliche Befruchtung. Jetzt habt ihr zwar ein Kind, aber natürlich fällt der Ballast nicht von dir ab.

Wäre es vielleicht eine Idee, das Erlebte aufzuarbeiten? Therapie, Kur, was auch immer?
Fühl mal in dich hinein, was du brauchst. Vielleicht kann dein Hausarzt dir weiterhelfen.

Liebe Grüße 🖤
Schoko

Achso, du schreibst nicht, wie alt deine Tochter nun ist. Wird sie im September 1 oder 2? Dann könnte es sich auch noch um eine Wochenbettdepression handeln, die in den beiden Jahren nach der Geburt einsetzen kann. Ansprechpartner sind dann deine Hebamme (falls dein Kind unter 1 ist) oder in jedem Fall dein Gyn oder der Hausarzt.

Bearbeitet von schokofrosch
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Hi Annka,

Du hast massiv belastende, um nicht zu sagen traumatische Lebensereignisse innerhalb der letzten Jahre gemacht; Du hast weiter eine anhaltende Belastung durch den Kinderwunsch (unter diesen massiv erschwerten Bedingungen noch hinzu, wobei allein küBe schon so belastend ist). Zudem hast Du eine psychische Vorbelastung und bist also bereits dadurch verletzlicher für die Verarbeitung weiterer belastender Ereignisse.
Ich finde es aus dieser Perspektive darum eine sehr wohl adäquate und selbstfürsorgliche Haltung zu merken, dass da die Belastungsgrenzen beschritten sind und Du zumindest derzeit diese ihrerseits emotional so fordernde Tätigkeit nicht mehr machen kannst.
Es gibt ja zwar die Metapher vom verwundeten Heiler. Aber anderen beim Heilen zu helfen klappt nicht, wenn man selbst gerade zu verwundet ist und keinerlei Reserven mehr hat. Das kann nach Bearbeitung all der belastenden Ereignisse wieder gehen, solange aber kaum. Im Bild geblieben handelt es sich ja nicht um Narben, sondern noch offene Wunden die ihrerseits erstmal versorgt werden müssen. So ist man auch für andere nicht hilfreich. da besteht mE sogar eine Verantwortung sich zumindest vorübergehend rauszunehmen.
Ich würde Dir empfehlen, Dich bei der Verarbeitung der Verluste sowie der insgesamt belastenden KiWu-Behandlung therapeutisch unterstützen zu lassen. Beruflich würde ich schauen, dass ich zumindest für die nächste Zeit, in ein Tätigkeitsfeld mit keinem oder stark reduziertem Klientenkontakt wechseln kann, wenn dies irgendwie möglich ist.

alles Gute

Bearbeitet von rma
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Perfekte Antwort! 👍

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Danke Dir.

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