Verkorkste Herkunftsfamilie - schwanger und Angst, alles falsch zu machen

Hallo,

ich bin derzeit schwanger in der 30. Woche mit dem ersten Kind und habe wirklich eine verkorkste Herkunftsfamilie. Meine Schwester will keinen Kontakt mehr, ganz normale Familientreffen enden oft im Streit und ich bin seit Jahren immer wieder in Behandlung beim Therapeuten. Mit den Eltern und der anderen Schwester habe ich zumindest Kontakt. Es gibt aber genug Familienmitglieder, die gar nicht auf die Idee kämen, eine Therapie oder so zu machen. Für mich war und ist es sehr schwer meinen eigenen Weg zu gehen.

Jetzt habe ich plötzlich total Angst, mein Kind nicht vor diesem Chaos schützen zu können und obwohl ich es anders machen möchte, ihm auch unbewusst ähnliche Muster anzutun.

Kennt das jemand von euch und wie habt ihr es geschafft, trotzdem "gute" Eltern zu werden, obwohl ihr eure Eltern nicht unbedingt als Vorbild wollt? Oder muss ich mich davon verabschieden, alles richtig machen zu wollen?

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Hallo, ich komme zwar aus sehr behüteten Verhältnissen und die meisten anderen Mamis in meinem Umfeld auch, daher möchte ich nur etwas zu deinem letzten Punkt "Muss ich mich davon verabschieden alles richtig zu machen" sagen...

Ja, musst du. Denn du wirst so oft von anderen hören, dass dies oder jenes DER Weg ist und du es so oder so machen sollst und DAS das Beste für's Kind ist. Es gibt unendlich Themen mit unzähligen Ansichten (Stillen, Familienbett, Beikost, Tragen etc.). Ich habe viele unserer Entscheidungen in den vergangenen Monaten oft hinterfragt, wenn ich gehört habe, dass andere Mamis anders handeln. Aber im Endeffekt halte ich mich an den Rat meiner Hebamme. Hör auf dein Bauchgefühl und schau was dein Kind glücklich und zufrieden macht. Dann ist man auf einem guten Weg. Jede Familie und jedes Kind ist schließlich anders.

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Das kenne ich aus dem Freundeskreis

"Oder muss ich mich davon verabschieden, alles richtig machen zu wollen? "

Das wäre ein guter Ansatz. allerdings deswegen, weil meine Mutter vieles perfekt machen wollte und ich darunter gelitten habe.

Mein Umkehrschluss für mich als Mutter: unperfekt kann besser sein.
Sofern ich versuche es gut zu machen, mir selbst kleinere Fehler zu gestehe, bleibt für uns mehr Leben übrig.

Ich achte durchaus darauf was ich tue, möchte es gut machen. Aber eben nicht perfekt.



Das andere ist: wenn man nicht weiter kommt: um Hilfe bitten ist ok.
Was meine Mutter mir nicht bei bringen konnte (Alter, andere Zeit) erfrage ich von Freunden.
Ebenso fragen mich Freunde, wenn es bei ihnen anders war.

Mit guten Freunden kann ich mich gut über Erziehung austauschen, da wir respektieren, wenn unsere Kinder andere Erziehungsmomente brauchen. Was meinem Kind gut tut, bringt einer Freundin gar nichts und umgekehrt.
Sich Tipps holen, austauschen, erleben, dass es bei anderen auch nicht perfekt läuft, mal besser, mal schlechter.... das hilft sehr.


Reflektieren und Prioritäten setzen.
- Was brauche ich
- was braucht mein Kind
- was möchte ich, was ist mir sehr wichtig
- was will ich auf keinen Fall.

Die Bereiche auf keinen Fall sind sehr wenige, dafür habe ich dann mehr Kraft, das auch umzusetzen. Bei allen anderen Bereichen fahre ich zwar eine klare Linie, aber eben nicht perfekt. Orientierung mit Möglichkeit zur situativen Anpassung und sehen, was meinem Kind wirklich gut tut.


Hilfe holen:
mit Pro familia habe ich schon sehr gute Erfahrungen gemacht
aber auch Caritas und andere Beratungsstellen können helfen.

Tipps für Anträge, Stellen wo man Hilfe finden kann, Gespräche mit dem Jugendamt, Familienhilfe (nicht weil man etwas falsch macht, sondern zur Unterstützung um selbst zu lernen mit dem Kind so zu leben, wie man es gerne möchte, aber unsicher ist, wie .... um die Angst zu lindern .... etwas falsch machen zu können .... und aus Unsicherheit anders handelt als man möchte)
Adressen für Austausch mit anderen Eltern in ähnlichen Situationen

Tipps für Leihomas/Leihopas in der Umgebung, was einem selbst ja auch gut tun kann, sich mit anderen Menschen auszutauschen

Freunde fragen, wie es bei ihnen in der Kindheit war. da auch Gutes raushören und ausprobieren, wenn es passen könnte...

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Danke für eure Antworten. Du hast Recht, von guten Freunden kann man sich am ehesten helfen lassen und Kindern tut es bestimmt gut, wenn sie andere Erwachsene erleben als ihre Eltern.
Ich hatte selbst Akademiker Eltern mit leichtem Ökotouch und bei der Freundin gab es Cola und Privatfernsehen 🤣
Zu Beratungsstellen gehen ist eigentlich ein guter Tipp, ich tu mich halt teilweise schwer, weil ich selbst vom Fach bin (Sozialarbeit), aber mit Erwachsenen arbeite. Aber als Mutter kann ich ja trotzdem Hilfe brauchen.. Wahrscheinlich hätten die gar kein Problem damit, solange ich keines hab.

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Ich verstehe dich gut. Die unbewusste Erziehung nach diesem ungewollten Muster gibt es leider. Mein Mann hat mir dabei geholfen dies zu erkennen und daran zu arbeiten. Umgekehrt ebenfalls. Jemanden positives zu haben, mit dem man sich austauschen kann, ist hilfreich. Es ist was anderes, wenn es Freunde machen, als wenn es der Partner macht, da dieser aktiv bei der Erziehung mitwirkt. Wir haben selbst über unsere Kidnheit nachgedacht, was wir gut fanden und was nicht V.a. war uns dabei wichtig darüber nachzudenken, wie wir uns dabei fühlten, um unsere Kinder besser zu verstehen.

Als meine Große 6 Monate alt war, hat es mir mit meinem Teil der Familie gereicht, insbesondere meiner Mutter. Es ist einfach zu viel passiert und da sie u.a. offensichtlich gegen unsere Erziehung und auch Beziehung gearbeitet hat, habe ich den Schlussstrich gezogen. Es war das Beste für meine eigene kleine Familie. Ich wollte auch mein Kind vor ihr schützen, dieses war damals 6 Monate alt. Wir haben Die letzten 5 Jahre zwischendurch immer mal wieder Kontakt versucht (nach Besserungsbekundungen), jedoch kamen dann schnell die alten Muster wieder zutage, das wollte ich ihr nicht antun.

Jedes Kind und auch jede Mutter ist anders. Dies gilt auch für Geschwister. Es gibt nicht die perfekte Mutter, aus Fehlern lernt man mehr und wächst daran. Nur weil etwas bei einem Kind klappt, muss es nicht auch bei anderen funktionieren. Anfangs dachte ich, ich sollte die Ratschläge meiner Mutter und Schwester umsetzen, schließlich sind sie die erfahrenen Mütter. Es war das dümmste, was ich je in der Erziehung gemacht habe. Soetwas wie mütterlichen Instinkt gibt es wirklich, was ich vor der Geburt meines ersten Kindes nicht glauben wollte. Als ich jedoch auf mein Bauchgefühl hörte und die Ratschläge ignorierte, wurde unser Familienleben erst lebenswert. Ein Baby spürt instinktiv, ob du authentisch bist. Bist du es nicht, wird es unsicher und handelt dementsprechend mit viel Geschrei und Klammern. Wenn du sicher hinter deinen Handlungen stehst, wird dein Baby entspannter, weil du entspannt bist. Ich habe mir Inspirationen von anderen Mütter geholt, aber die Umsetzung von irgendwelchen Methoden habe ich an uns angepasst. Heute ist meine Große fast 6 Jahre alt und gibt mir nun konstruktive Kritik zu meinem Erziehungsstil und sie weiß auch, dass sie das darf. Sie erzieht mich ja auch mittlerweile in mancher Hinsicht. Ich muss aber gestehen, dass so manche Narbe wieder aufgerissen wurde, je älter meine Kinder wurden. Da kommen in manchen Situationen einfach wieder negative Erinnerungen hoch. Ich habe gelernt mir neue positive mit meinen Kindern zu schaffen und meine eigenen zu verarbeiten.

Du bist eine gute Mutter, wenn du dir selbst treu bleibst und dein Kind sowohl vor körperlicher als auch vor seelischer Gewalt schützt. Geh auf die Bedürfnisse deines Kindes ein und nicht auf die von anderen, ohne dabei deine Bedürfnisse vollkommen zu übergeben. Wenn du entspannt bist und auf deinen Instinkt hörst, ist dein Baby auch entspannt. Und wenn dein Kind älter ist, dann ist es auch keine Schande selbst Fehler einzugestehen. So lernt dein Kind, dass auch Mama nicht perfekt ist und es selbst ebenfalls auch mal Fehler machen darf.

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Meine Mutter kam aus einer schlechten Familie (psychische und physische Gewalt, Vernachlässigung, Missbrauch) und hatte auch Angst, keine gute Mutter sein zu können. Zudem ist sie seit ihrer Kindheit schwer krank und war mit mir noch alleinerziehend und berufstätig.

Wir sehen ab und zu ihre Brüder, den Rest der Familie nicht.

Sie hat Fehler gemacht, aber andere als ihre Eltern, genauso wie ich andere Fehler machen werde, als sie.

Auffallend ist, dass sie meine Erziehung viel negativer in Erinnerung hat, als ich. zB dass sie viel müde war, wenig mit mir spielen konnte und durch ihre Schmerzen oft schnell ungemütlich wurde... daran erinnere ich mich nicht so sehr, aber daran, dass ich immer zu ihr konnte, wenn ich Probleme hatte.

Auch du wirst Fehler machen, aber auch viele gute Entscheidungen treffen.

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Ja, ich war in ähnlicher Lage. Ich bin in Therapie gegangen, sicherheitshalber. Ausserdem hab ich halt viel gelesen, was Pädagogik, Entwicklungspsychologie und ähnliches angeht. Und natürlich hilft es auch, wenn man Freunde und Bekannte hat, mit denen man sich da austauschen kann. Ich finde, dass ich es ganz anders gemacht habe als meine Eltern. Und natürlich besser. :) Andererseits sehe ich einige Ähnlichkeiten und sehe da auch, dass nicht alles schlecht war.

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Hi, meine Mutter und ihre Geschwister hatten keine guten Eltern, ich geh nicht ins Detail. Sie sind auch ausnahmslos psychisch erkrankt, die eine mehr, der andere weniger. Meine Cousinen und ich sind uns auf jeden Fall einig, dass sie bei uns einiges verbockt haben...

Aber du hast jetzt schon einen Wahnsinns-Vorsprung vor Deiner Verwandtschaft!

Meine Mutter war das erste in Therapie mit 41. Sie hat mich mit Anfang 20 bekommen, danach noch meine Schwester. Ich war mit 18 das erste Mal in Therapie. Ich bin auch absichtlich eher spät Mutter geworden, als ich mich stabiler gefühlt habe. Ich hab einen Notfallplan, wenn es mir schlecht geht, eine Ärztin, die Bescheid weiß etc. Kontakt hab ich nur so viel, wie ich möchte und gut wegstecken kann.

Ich finde, ich bin stabiler als meine Mutter damals. Ich mache trotzdem Fehler, ich hab sogar schon die gleichen wie meine Mutter gemacht. Im Gegensatz zu ihr hab ich mich bei meinem Kind entschuldigt.

Ich bin keine Supermutti, es wird bei einem Kind bleiben. Als meine Mutter ihr Problem erkannt hat, war ich schon erwachsen. Du klingst, als hättest du schon mehr Hirnschmalz in eure familiäre Problematik reingesteckt als weite Teile deiner Verwandtschaft. Du schaffst das, alles Liebe!

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Ich bin der Ansicht, dass es allein dadurch, dass du dir Gedanken machst und es anders machen willst, dass du Änderungsbereitschaft zeigst, es deinen Kindern besser gehen wird als dir 👍

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Danke, ihr macht mir Mut. Und es stimmt, allein, dass ich es gut machen will, ist auch schon viel wert. Und meinen Partner hab ich ja auch noch, würde ihn beschreiben als in sich ruhender Bär 🐻 😂 er holt mich oft runter, wenn ich emotional bin. Und in letzter Zeit habe ich festgestellt, dass ich negative Gefühle und Erinnerungen auch "wegschicken" kann und sie mich dann nicht so im Griff haben. Aufarbeitung ist zwar auch wichtig, aber dann, wenn man auch die Energie dazu hat. Ich meine eher, dass ich mich den Gefühlen nicht mehr ausgeliefert fühle.

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Es gibt ein Buch "raus aus den Lebensfallen" glaube ich, das soll gut sein. Habe es selber nicht gelesen aber es ist von einem Fachmenschen geschrieben und kein "Esoterik-Kram". Vielleicht wäre das was für dich.