Hallo, wie geht ihr um mit Situationen, wo sich ein Kind (konkreter Fall 8 Jahre, Mädchen) in einen Wutausbruch hineinsteigert, dass sie von aussen nicht mehr wirklich erreichbar ist. Leider manchmal auch aggressiv in Form von Schlägen gegen Eltern (oder schlimmer) Geschwister, selten auch Gegenstände.
Häufigkeit - vermutlich ein bis zweimal in 2 Monaten in einer Form, die mich zumindest soweit nachdenklich stimmt, als dass ich mal wieder hier ein Thema starte.
Ursachen sind vielfältig, ggf. nach Hinweis auf aufräumen, ab und zu nachdem erlaubtes Fernsehen nach der abgemachten Zeit beendet werden soll, Ursache war auch schon die Steigerung eines kleinen Streits mit Geschwister sein.
* Kind lässt sich mit Worten nicht beruhigen
* Gewalt, ausser Festhalten zum Schutz des Geschwisterkinds, ggf. Gegenstände kommt nicht in Frage.
* Als Vater selbst laut werden bringt aus meiner Sicht nur etwas um ggf. kurz die Aufmerksamkeit zu bekommen mit dem Versuch anschließend wieder in normaler Lautstärke und Tonlage mit dem Kind zu sprechen.
* Gerne würde ich ihr helfen, indem ich sie in ihr Zimmer als Rückzugsort schicke, wo sie sich durch lesen malen oder ähnliches beruhigen kann. Aber dies verweigert sie komplett. (Türen knallen, Dinge im Zimmer zerstören) Ich halte nichts davon, sie gewaltsam in ihr Zimmer zu stecken und Tür abzuschliessen oder zuzuhalten.
Was also ist pädagogisch sinnvoll - wenn es mal wieder zu einer solchen Situation kommt?
Dass man die Rahmenbedingungen so gestalten sollte, dass es gar nicht zu solchen Situationen kommt, ist natürlich sicher auch ein guter Vorschlag. Wer gute Ideen hierzu hat, kann sie auch gerne mitteilen :)
Ich hatte ihr bereits folgende Ideen mit auf den Weg gegeben:
* Man die Möglichkeit, in Ausnahmesituationen tief zu atmen, und kann dabei sich und seine Gefühle beobachtenl, weil es interessant ist, welche Auswirkungen Gefühle auf das Handeln haben.
* Vielleicht hilft es ihr Tagebuch über Gefühle zu führen oder Bilder zu malen. Wenn sie möchte, kann sie es mir zeigen, muss es aber nicht.
Vielleicht hilft ihr dies mittelfristig - Ich versuche dies aber auch nicht zu überthematisieren.
Gruß Sturla
Deskalation bei Wutausbrüchen von Kind
Naja 1-2x im Monat ist nicht wirklich schlimm. Zwischen 6-9J. nennt man solche "kleinen" (für die Kids allerdings Bergshohe) Reibereien so: die kleine Pupertät. In ihr geht es nicht darum, den eigenen Kopf durchzusetzen, sondern die Sicherheit des Alltagslebens auszutesten. Ähnlich der großen Pupertät haben sie durch Schule und soziales Umfeld mehr Freiheiten aber auch mehr Anforderungen an sich selbst erhalten. All das neue muss nochmal für sie richtig einsortiert werden: sie merken sie sind größer, wollen auch größer sein und behandelt werden, sind aber im gleichen Moment noch Kinder, wissen und fordern das genauso auch ein. Gerade in dieser Zeit brauchen sie feste Grenzen, Stetigkeit und Rückhalt, aber auch altersentsprechende Möglichkeiten.
Anders als bei der richtigen Pupertät, spielen die Hormone und langsam fortschreitende Abnabelung von den Eltern keine Rolle - im Gegenteil, brauchen sie den familiären Rückhalt (wenn auch umständehalber durch getrennte Eltern, die aber dennoch und egal welche Umstände Eltern bleiben, es auch wollen und den Kindern auch zeigen - näheres hierzu ist allerdings ein anderes Thema).
Pädagogisch sinnvoll sind nur ein paar wenige Grundpfeiler, die helfen aber
1) Im Akutfall:
- stets ruhig bleiben, Kind nicht böse anschauen
- stets ins Gedächtnis rufen, dass die sichtbaren Ursachen nur Auslöser sind!
- eskalierten Streit unterbrechen, Kinder vorerst räumlich trennen
- Kind aus dem Gefahrenraum nehmen (zB von Straße weg oder aus engen Raum raus),
- immer beim Kind bleiben, sozusagen Sprungreichweite aber mit Platz zum Selbstschutz
- dem Kind zuhören, falls Kind Auswege anbietet (Ausweg muss aber für dich akzeptabel sein ohne dir Standard-Regeln zu brechen; Kindesauswege zeigen dir häufig was es jetzt gerade wirklich braucht)
- feste Auswege in ruhigem, liebevollem Ton bieten (nicht mehr als 2, Kind braucht Stütze nicht noch mehr Verunsicherung)
2) Wenn sich Kind anfängt zu beruhigen:
- Hand/Arme anbieten aber ohne zu fordern
- Anbieten langsam bis 10 zu zählen, um beim Beruhigen zu helfen; Kind darf anschließend auch noch 1x (mit)zählen im Tempo des Kindes!
- nocheinmal Hand/Arme anbieten / Versöhnung
- Ausweg (ja nicht in Auslösersituation zurückkehren) und Signale des Kindes während Wutanfall merken
3) Nachgespräch
- wenn Kind dazu bereit ist, ansprechen, vorsichtig herausfinden ob der Auslöser wirklich wichtig war fürs Kind (=tatsächlich Ursache; meist eher selten) oder ob sich etwas bereits über mehrere Tage/Wochen anstaut (Achtung: elterliche Beobachtungsgabe stark gefragt)
- Situation besprechen: Grenzen nochmal ruhig bestätigen, Lösungen für die tatsächliche Ursache anbieten, Kind (mit 8 mögl.) um Feedback beten - zB hab ich dir genug Zeit gegeben, war das Zählen hilfreich?
- als Elternteil aus der Situation lernen
Deutlich schwieriger wird es wenn alle beteiligten Kids einen Wutanfall haben.
Vorbeugende Maßnahmen - elterliche Beobachtungen/Reflektion:
- wissen/herausfinden wie man selbst im aktuellen Vorfeld tickt / Selbstreflektion: bin ich ein gutes Vorbild und halte mich auch selbst an die gesteckten Grenzen? Sind meine eigenen Grenzen zu streng, zu lasch? Neige ich dazu Situationen auszuweichen obwohl ich eigtl. Signale erhalte? Was passiert bei mir alles bevor es zum letzten Tropfen kommt? Neige ich zur Übervorteilung in bestimmten Situationen? Habe ich meinem Kind Zeit geschenkt oder war ich eher Beobachter/Aufpasser? ...
- herausfinden wie Kind tickt: welche Grenzen sind wichtig für mein Kind, schaffe ich sie selbst einzuhalten und durchzusetzen? Wie erging es meinem Kind in den letzten 3 Tagen (Besonderheiten: zB wenig Schlaf extra anstrengend, hat intensives Gefühl dass etwas fehlt/zu wenig war, Alltagsbrüche auch von außen (zB Schule, Freunde, aber auch Elternstreit/Belastung),...; wenn 3 Tage nichts, dann weitere Zeiträume ansehen: 1 Woche, 3 Wochen); Wie denkt es selbst über die aktuelle Situation und kann ich die Sichtweise des Kindes akzeptieren (nicht eigene Erfahrungen und Gedankengänge aufdrücken; Situation nicht verharmlosen oder überbewerten nach gusto, sondern nach dem Kind)
Vorbeugende allgemeine Möglichkeiten:
- gutes Grundgebäude haben: Struktur, Regelmäßigkeit, Stetigkeit in regeln und auch als Vorbild
- "Wutseminar": 1x wöchentlich den ganzen Frust richtig rauslassen - gemeinsam aber jeder das was am meisten die Woche aufgeregt hat (zB durch Sportspiel: abschütteln, abboxen, abtrampeln; zB Spielart: Wer mag anfangen - was hat dich am meisten die Woche aufgeregt? - okay, xy also, wie wollen wir die Aufregung besiegen (Kuscheln, Strampeln/Boxen/...)? - alle machen mit, jeder kommt dran) mit Entspannungsausklang (zum Beruhigen zB Tieryoga und ausklingen lassen mit langsamen Zählen bis 10); Nachfragen ob noch Themen eine Lösung brauchen, diese dann nachbearbeiten; vermischt freudigen Alltag mit ernsten Themen, trainiert auch akute Wutsituationen
Es gäbe noch viel viel mehr. Nicht umsonst gibt es massig Bücher, auch mit Beispielen zum Thema Erziehung. Unseren Familiengruppen haben gerade bei Wutanfällen innerhalb der Familie die Beispiele von Jesper Jul immer recht gut getan, wurden dann in der Gruppe nochmal nachbesprochen und hat uns geholfen, unsere jeweiligen aktuellen Situationen besser einzuschätzen.
Danke für deinen Beitrag.
Ich würde es abklären lassen. Ggf. sprichst du erstmal selbst mit Lehrern, Erziehern im Hort und fragst euren Kinderarzt.
Wut ist ein Gefühl, ja. Aber derart ausrasten sollte ein Kind in dem Alter nicht mehr regelmäßig. Eine 8-jährige kannst du vielleicht noch geradeso festhalten. In der sicheren Wohnung ist das sowieso nochmal etwas anderes. Aber was machst du in 2 Jahren? Oder in 4 Jahren? Oder wenn das in der Großstadt an der vielbefahrenen, mehrspurigen Kreuzung passiert? Die Kinder entwickeln in dem Moment ja unheimliche Kräfte und sie reagieren ja auf gar nichts mehr.
Mein Jüngster hat das ebenfalls lange gemacht. Er ist Autist. Wir wurden hier von seiner Therapeutin begleitet. Das Ziel ist tatsächlich, dass wir bereits im Vorfeld diese Situation erkennen und in aus der Situation bringen. Du weißt also, dein Kind reagiert schnell mit Wutanfällen, sicher wenn sich am Tag schon so einiges angestaut hat. Das kann man am Kind sehen. Das musst du aber eine Weile aktiv beobachten. Also wie sieht dein Kind aus VOR der Frage, die es zum ausrasten bringt.
Ansonsten war bei meinem Sohn immer hilfreich, wenn ich ihm eine Belohnung in Aussicht gestellt habe. Also: „Wenn du das Zimmer aufgeräumt hast, darfst du Fernsehen.“
Heute hat sie mir beim ins Bett gehen gesagt, dass die Situation vor ein paar Tagen für sie schrecklich gewesen sei.
Ich habe ihr darauf hin gesagt, dass sie sicherlich noch öfters in ihrem Leben wütend werden wird.