Selbstzweifel - Wie die Mutter, so die Tochter

Kennt ihr das? Es ist früh am Morgen, ihr seid noch nicht ganz wach… und BÄM! Die erste Herausforderung des Tages reißt euch schon gnadenlos aus dem Autopiloten.

„Und was ist, wenn er es nicht mag?“ fragt meine Sechsjährige, zutiefst verzweifelt. Sie hat ein Herz für ihren Freund gemalt und eine, ihrem Empfinden nach, hässliche 5. Er hat heute Geburtstag. Es endet damit, dass sie die Karte wütend zerreißt. Aufheult. Er könnte ja denken, sie sei in ihn verliebt. Ist sie aber nicht. Er könnte sie auslachen, weil ihr die 5 nicht gut gelungen ist. Würde er nicht tun.

Ich bin genervt. Werde auch wütend. Mein Mann rettet die Situation. Nach ein paar Atemzügen erkenne ich mich in ihrem Verhalten wieder. Die ganzen Selbstzweifel. Die Verzweiflung. Die Wut. Die Trauer.

Passierte mir heute Morgen. Passiert mir nicht jeden Morgen. Aber so, so oft seit ich Mama geworden bin. Denn Spiegel vorhalten kann meine Tochter richtig gut. Ihr verzweifeltes „Und was ist, wenn er es nicht mag?“ macht mir Vieles über mich klar. Und lässt mich diesen Beitrag anlegen.

Wie geht das, unseren Kindern zeigen, dass sie zu sich stehen können? Sich nicht ständig hinterfragen? Sich nicht von Gefühlen und Gedanken überfluten lassen? Wenn es uns selbst oft nicht gelingt.

Hier kommt er, mein Versuch und meine Mutprobe. Meine Gedanken öffentlich angstfrei zu äußern. Mich frei davon zu machen, wer was worüber denken könnte. Widerstand, Kommentare, Kritik aushalten zu können. Denn ich bin wichtig. Meine Tochter ist wichtig. Nicht all die Stimmen, die potentiell nicht wohlwollend sind. Ich möchte meiner Tochter das vorleben, was ich mir für sie wünsche.

Ich schreibe morgen wieder. Mit einer Geschichte, die zu erzählen mich Überwindung kostet. Offen, ehrlich, ohne Angst.

Seid ihr dabei? Kennt ihr diese Fragen, Gefühle, Selbstzeifel? Wie geht ihr damit um? Was ist eure Geschichte?

Bearbeitet von MamaGoesEhrlich
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Zwei Möglichkeiten:
"Warum sollte er es nicht mögen?"

Oder:
"Ja, das könnte sein. Du hast dir aber trotzdem Mühe gegeben. Wie würdest du auf ein Geschenk reagieren, das dir nicht komplett gefällt? Meist freut man sich doch!"

Selbstzweifel haben mMn zwei Gründe: Perfektionismus - zu hohe Ansprüche an sich selbst,
oder Angst vor sozialem Ausschluss/ Stigma/ Ablehnung.

Bei Letzterem muss man sich immer fragen: Möchte ich mit Menschen zusammen sein, die mich DESWEGEN ausschließen, abwerten etc.? Sind die mir wirklich wichtig? Wäre es nicht besser, sich dann andere Freunde zu suchen?

Und auch: Was GENAU bedeutet denn ein Kommentar, eine Haltung?
Ich habe mich früher immer geschämt, weil ich keinen flachen Bauch hatte. Hatte immer Sorge, was passiert, wenn das jemand kommentiert. Irgendwann habe ich mich gefragt: Was bedeutet es denn WIRKLICH? Es wäre ein Kommentar über die Wahrheit - ich habe keinen flachen Bauch.
Was ist meine Angst dahinter? Dass der andere denkt, dass ich hässlich bin und dass er deswegen nichts mehr mit mir zu tun haben möchte.
Aber: Ist das wirklich so? Meide ich jeden, der nicht 100T% meinem Schönheitsideal entspricht? MUSS diese Aussage zwingend diese Hintergedanken/ Folgen haben? Eigentlich nicht. Eigentlich steht hier vor allem meine Angst vor sozialer Isolation dahinter.

Es gab mal diesen Spruch "es gibt zwei Möglichkeiten". Man verknüpft eine Aussage immer mit der Schlussfolgerung: Dann gibt es wieder zwei Möglichkeiten.

Das geht mit Kindern sehr gut und kann auch lustig gestaltet werden.

In eurem Fall wäre das:
Wenn ich eine Geburtstagskarte male, gibt es zwei Möglichkeiten:
Er mag sie. Dann ist alles gut.
Oder er mag sie nicht.
Wenn er sie nicht mag, gibt es wieder zwei Möglichkeiten:
Er mag nur die Karte nicht, aber mich schon - dann ist alles gut.
Wenn er mich nicht mehr mag, weil ihm die Karte nicht gefällt, gibt es wieder zwei Möglichkeiten:

Ich akzeptiere das und suche mir an dem Tag jemand anderen zum Spielen. Dann ist alles gut.
Oder ich akzeptiere es nicht und versuche, es wieder "gutzumachen". Dann gibt es wieder zwei Möglichkeiten:

Ich male ihm eine neue Karte.
Oder ich frage ihn, was ich an dem Tag für ihn tun könnte (mit ihm spielen könnte), damit er sich besser fühlt/ freut.

Wenn er das akzeptiert, habe ich wieder zwei Möglichkeiten....

Man kann das mMn wirklich mit dem Kind durchspielen;: Was wäre das Schlimmste, das passieren kann? Wenn das passiert, was könntest du machen, damit es dir trotzdem noch gut geht?

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Danke dir, Toschkalee, für deine Gedanken! Ja, Pefektionismus kenne ich auch, sicher hängt alles miteinander zusammen. Wenn es nur so einfach wäre, dieses Feuerwerk an Gefühlen und Gedanken, den ich wider Willen bereits auf meine Tochter übertragen habe, mit nur einer Methode zu stoppen ☺️… Ich habe viel an mir gearbeitet, Psychotherapie gemacht, Vieles ist besser geworden, Vieles werde ich (noch) nicht los.

Ich werde die Methode an mir ausprobieren! Und es mit meiner Tochter versuchen. Vielleicht nicht im Augenblick der Wut und Verzweiflung, da ist mensch weniger empfänglich für die Kognition. Aber vielleicht üben wir beide es im Nachhinein solcher Situationen und es wird über die Zeit immer besser und besser. Danke nochmals und einen schönen Tag!

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Dein Text hört und liest sich wie von Shakespeare und irgendwo hab ich das auch schonmal gelesen, komm nur gerade nicht drauf, vielleicht ChatGPT

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Danke auch dir, 3ungS! Ich fasse es mal als Kompliment auf ☺️. Aber nein, ChatGPT war nicht im Spiel. Nachprüfbar über verschiedene Programme. Und an Shakespeare reiche ich (noch 😉) nicht heran. Trotzdem hast du mir heute früh ein Lächeln ins Gesicht gezaubert

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Krass, hab das gerade mal ausprobiert. Echt krass.

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Ich mag deinen Beitrag, deine Gedanken, deine Selbstreflexion und deine Worte :)
Für mich ist der Schlüssel im Wissen, dass mein Wert nicht vom Verhalten und Befinden anderer abhängt. Unser Wert wird nicht kleiner oder größer, nur weil uns jemand anderes peinlich oder doof findet. Unser Wert ist beständig, völlig leistungsunabhängig, einfach da. Immer.
Das ist eine Haltung, die auch zu deiner werden kann. Du kannst sie super an und mit deiner Tochter verinnerlichen.
Deine Tochter hat doch nicht solche Angst, dass er das Herz doof findet. Sie hat Angst, dass er sie doof findet. Und das einzige, was das so schlimm machen würde, ist der Gedanke, dass der eigene Wert von der Bewertung anderer abhängt und sie sich dann tatsächlich weniger wert fühlen würde. Dann wäre ein grundlegendes Bedürfnis frustriert, was wiederum sehr schmerzhaft ist (Bedürfnis nach Selbstwertschutz).

Kurz: Lerne gemeinsam mit deiner Tochter, Wert und Bewertung voneinander zu entkoppeln. Wie?

- leistungsunabhängige Wertschätzung im Alltag ala "ich mag dich, weil du bist wie du bist" in allen Varianten ("Das hat mir gerade Spaß gemacht, ich verbringe gern Zeit mit dir./Ich bin so gern deine Mama/Es ist so schön, dass du auf der Welt bist, ich habe dich lieb, du bist wundervoll etc")
- Glaubenssätze. Sage sie deiner Tochter so oft, wie möglich und dir selber auch. Wenn du anders groß geworden bist und etwas anderes über dich gelernt hat, fühlt sich das erstmal völlig falsch an. Aber keine Sorge, du findest rein. Das kann sowas sein wie "Ich bin gut genug", "Ich bin liebenswert", "Ich bin genauso richtig, wie ich bin" usw.
- Kritisiere IMMER Verhalten. Sei sensibel, was Konflikte und Schimpfen für deine Tochter bedeuten. Sie kann nicht falsch sein, aber ihr Verhalten schon. Diesen Unterschied muss sie von dir erfahren und lernen. Sag ihr zB "Ich habe dich immer lieb, auch wenn wir uns streiten" "Ich habe gesagt, ich finde dein Verhalten doof, nicht du bist doof" usw. Das ist wirklich ein feiner Unterschied, der zu verstehen für dein Kind sehr wichtig ist.
- Achte auf deine Sprache, sei ein gutes Vorbild. Nicht "Das ist doof/Der ist doof", sondern immer "ich finde...."
Es ist wie immer im Leben: Alles subjektiv. Selbst wenn fünf Leute mein Kleid nicht mögen, werden sich fünf andere finden, die es toll finden. Es ist deshalb immer wesentlich, welche Haltung ich zu meinem Kleid habe.

Jetzt eine konkrete Reaktionsmöglichkeit in der Situation mit deiner Tochter zu formulieren, ist mir gerade etwas zu lang. Sollte dir das wichtig sein, schreib gern. Dann würde ich mir später nochmal Zeit nehmen.

Erstmal wünsche ich euch alles Liebe :)

Bearbeitet von EsIstWieEsIstx2
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Wow, EsIstWieEsIstx2, ich bin sehr berührt von deinen Worten! Ja, du triffst für mich den Nagel auf den Kopf. Ich hatte gar nicht gehofft, hier so tiefes Verständnis und wohlwollenden Rat zu finden. Mir ging es ums Schreiben, ums Offensein, darum, mich zu zeigen. Wie schön, so viel mehr bekommen zu haben als ich erwartet hatte.

Was du geschrieben hast, geht tiefer als konkrete Reaktionsmöglichkeiten für die beschriebene Situation. Es ist sicher auch nachhaltiger, mich und meine Tochter immer wieder im Alltag zu stärken, als die einen vermeintlich richtigen Worten in der Einzelsituation. Wenn du Zeit und Muße findest, schreib dennoch gerne mehr. Ich mag deine Denkweise und fühle mich von deiner Einschätzung sehr abgeholt. Dir auch alles Gute und vielleicht bis später.