Hab ich immer alles zu eng gesehen?

Am Ende einer 5-monatigen Beziehung weiß ich mittlerweile selbst nicht mehr, ob ich einfach ein Arsch bin, der immer alles zu eng genommen hat, oder ob meine Bedenken berechtigt waren. Wahrscheinlich muss ich mir auch einfach die vergangenen Monate von der Seele schreiben. Vielleicht könnt ihr mir, auch wenn die Erzählung nur einseitig ist, ein paar ehrliche Worte schreiben.

Nach einer 11-jährigen Ehe war ich auf der Suche nach einem neuen Partner, mit dem ich alt werden kann und will. Weil ich schon 42 Jahre alt bin, kam eigentlich keine Frau mit einem Kleinkind in Frage. Doch weil der Zufall es so wollte, habe ich genau so eine Person kennengelernt. Weil mir die 38-jährige Frau sehr sympathisch war und auch optisch gefiel, habe ich sie getroffen, obwohl sie mir erzählte, dass sie zwei Kindern hat. Details wusste ich jedoch nicht.

Nach einer Kennenlernphase und einem Abendessen bei mir, bei dem auch mein 15-jähriger Sohn dabei war, haben wir ein gemeinsames Treffen bei ihr zu Hause ausgemacht. Mein Sohn ist immer im Wechsel zwei Wochen bei mir und dann wieder zwei Wochen bei seiner Mutter. Schon bei der Fahrt zu meiner zukünftigen Partnerin wurde klar, dass sie sehr abgeschieden außerhalb einer kleinen Ortschaft wohnt. Wenige Sekunden nachdem ich ihr Haus betreten hatte, habe ich auch gesehen, dass ihre 4-jährige Tochter das Down-Syndrom hat und nahezu geistesabwesend ist. Davon hatte sie mir zuvor nie etwas erzählt. Ihre 12-jährige Tochter machte einen distanzierten, aber höflichen Eindruck. Auch wenn mich das neue Wissen um das behinderte Kind zum Nachdenken brachte, knisterte es noch gewaltig in mir. Und weil auch sie sich verliebt hatte, gingen die Wochen und Monate dahin.

Sehen konnten wir uns in dieser Zeit jedoch meistens nur, wenn ich zu ihr kam. Ihr war der Aufwand meist zu groß, beide Töchter einzupacken und zu mir zu kommen. Wenn sie doch mal am Wochenende zu mir kam, war ihre 12-jährige Tochter fast nie dabei. Wenn sie doch mal mitkam, brachte sie ihre Mutter dazu, nach dem Abendessen wieder nach Hause zu fahren. Dabei muss man aber sagen, dass ich einen gemütlichen Bauernhof besitze, der auch für Kinder und Jugendliche viele Spielmöglichkeiten bietet. Ihre Tochter kann aber gefühlt machen und sagen, was sie will. Selbst wenn sie heimlich bei
Amazon für mehrere hundert Euro shoppen geht oder ihre Mutter angiftet, muss sie keine Sanktionen fürchten.

Parallel dazu wurde mir auch immer klarer, dass meine neue Partnerin nicht so selbstständig und stark ist, wie es zum Beginn der Beziehung schien. Sie wohnt nämlich nicht alleine im abgeschiedenen Anwesen, sondern im Nachbarhaus ihren Eltern. Wenn sie nicht von mir bekocht wurde, wurde Essen bestellt oder ihre Mutter kochte. Auch ihre Wäsche wurde von ihrer Mutter gewaschen und gebügelt. Häufig stand ihre Mutter auch unangemeldet in ihrem Garten, um die Pflanzen zu schneiden oder sie stand plötzlich in der Wohnung und räumte auf. Zudem klingelte ständig das Telefon meiner Partnerin: "Wo bist du? Wann kommst du nach Hause? Kannst du noch das besorgen? Ich brauche hier deine Hilfe." Auch in der Landwirtschaft wurde sie ständig ungefragt eingespannt und verplant. Immer wenn dies geschah, mussten mein Sohn und ich hinten anstehen. Dass wir feste Termine um mehrere Stunden verschieben oder ganz absagen mussten, war an der Tagesordnung.

Leider habe ich während der Beziehung auch viel zu viele Details erfahren, die ich lieber nie gewusst hätte. Beide Geschwister meiner Partnerin hatten sich aus dem Staub gemacht und ihre Schwester sowie ihre Eltern sitzen gelassen. Diese kommen nur, wenn sie etwas brauchen. Ihr Geschwister bauen eine eigene Zukunft auf und sind sich eines festen Teils des Erbes sicher. Die 12-jährige Tochter meiner Partnerin hat ihren Vater verloren, von dem sie aber schon längst geschieden war. Das behinderte Kind war bei einer Unachtsamkeit mit einem Betrüger erstanden, der zeitgleich noch sechs andere Frauen schwängerte. Eine Person, die nur ab und zu vorbeikam, um ihren Spaß zu haben. Die für mich bittere Aussage meine Partnerin dazu: "Ich fand das damals eigentlich ganz toll so." Auch Geschichten über Partner, die 20 Jahre älter waren, hätte ich am besten nie erfahren. Ich denke, niemand mag sich seine Partnerin mit einem 20 Jahre älteren türkischen Motorradrocker vorstellen? So viele Dinge, die ich nur schwer aus meinem Kopf herausbrachte.

Die negativen Erlebnisse und Gedanken wurden von Woche zu Woche schwerwiegender. Immer häufiger wurde meine Partnerin von ihrer Familie in Beschlag genommen und immer häufiger mussten mein Sohn und ich zurückstecken. Die schrecklichste Situation war am Tag vor ihrem Geburtstag und am Geburtstag selbst. Hier hatten wir extra beide Urlaub genommen und wollten Zeit miteinander verbringen. Weil sie aber an beiden Tagen nahezu durchgängig für ihre Eltern arbeiten musste, hatten wir nur wenige Minuten zusammen. An diesem Punkt habe ich den Schlussstrich gezogen und die Beziehung beendet. Weil ich es jedoch nicht übers Herz gebrachte, mich von ihr zu trennen, haben wir einen Neuanfang gewagt.

Wir haben uns ein paar Tage später mit den Kindern an einem See getroffen. Ihre ältere Tochter hat sich wieder absolut auffällig daneben benommen und laut gesagt: "Was machen die denn hier? Wollen wir mit denen wohl zusammen am See Abendessen?" Wir haben zusammen am See gegessen. Nachdem ihre 12-jährige Tochter die Currywurst und die Pommes verspeist hatte, trank sie ihr Glas und das Glas ihrer Mutter aus und sagte: "Jetzt fahren wir aber sofort." Ähnliche unangenehme Situationen hatte ich in den vergangenen Monaten immer wieder erlebt. Ich habe meine Partnerin auch ab und zu darauf hingewiesen. Ihr Antwort war jedoch meistens: "Naja, ich war als Kind auch so. Außerdem hat sie es nicht leicht, weil sie ihren Vater verloren hat." Schlussendlich kam ihre Tochter aber immer mit dieser Art und Weise durch. Den "herzlichen und zeitintensiven" Umgang ihrem behinderten 4-jährigen Kind möchte ich nicht näher beleuchten. Ich habe meine Partnerin darauf angesprochen, dass zwei Stunden gemeinsame Zeit pro Tag aus meiner Sicht viel zu wenig sind. Sie hat es aufgenommen und will es in Zukunft ändern.

Der Showdown unserer Beziehung kam bei meinem nächsten Besuch - nach der 12 Stunden-Trennung - bei meiner Partnerin. Nachdem sich ihre ältere Tochter wieder daneben benommen hatte und ihr behindertes Kind im Bett war, wollten wir ein paar ruhige Minuten zusammen verbringen. Plötzlich stand jedoch die Schwiegermutter im Raum und schrie mich und ihre Tochter an: "Bist du total blöd? Was macht der hier? Erst macht er Schluss und dann lässt du ihn wiederkommen. Meine Partnerin hatte also noch am selben Abend - nach unserem Trennungsgespräch - mit ihrer Mutter darüber geredet. "Dann hat die Oma ihrer Tochter gesagt, wie faul sie doch sein und dass sie nichts erben wird: "Noch gehört hier alles mir - auch das Haus in dem du wohnst - und dann bleibt es halt so."

Im weiteren Gesprächsverlauf haben sich weitere meiner Befürchtungen bewahrheitet. Ihre ältere Tochter hat mich anscheinend immer wieder bei Oma und Opa schlecht gemacht. Warum sie das gemacht hat und warum sie nahezu nie dabei war, wenn wir etwas zusammen unternehmen wollten, hat ihre Tochter später auch verraten: "Ich will nicht, dass du einen neuen Partner hast. Deine einzige wahre Liebe ist mein verstorbener Vater." Mir wurde nun endgültig klar, dass die Tochter meiner Partnerin und auch ihre Eltern eine riesige Angst haben. Die Angst, einen Menschen zu verlieren, der sich manipulieren und unter Druck setzen lässt.

Auch wenn seit diesem Moment noch gut zwei Wochen vergingen und meine Partnerin - nach eigenen Worten - endlich das wahre Gesicht ihre Eltern und ihrer Tochter gesehen hat, änderte sich nichts. Ich konnte nicht mehr zu ihr kommen, ohne die Angst zu haben, dass die Mutter wieder in der Tür steht und schreit. Selbst meine Partnerin wurde in der Zwischenzeit nochmal von ihrer Mutter abgefangen und unter Druck gesetzt. Ich konnte mit meinem Sohn nicht mehr zu ihr kommen, weil ich nicht wollte, dass er eine derartige Eskalation erlebt. Meine Partnerin hat sich auch kaum noch sehen lassen, weil ständig etwas anderes dazwischen kam. Ständig war sie unter Zeitdruck, geistig abwesend und gefühlskalt.

Deshalb habe ich gestern die Reißleine gezogen und die Beziehung endgültig beendet, auch wenn es mir das Herz bricht. Gewiss habe ich vieles Falsch gemacht. Aber ich wusste mir einfach nicht mehr zu helfen. Ich habe die Hoffnung verloren, dass sie sich jemals aus dieser toxischen Familiensituation lösen kann und selbstständig wird. Umso trauriger ist es, dass wir in gut fünf Monaten nur Konfrontation und Streitgespräche hatten, die von ihrem Umfeld erzeugt wurden.

Bitte seht es mir nach, dass ich euch mit einem derartig langen Text gequält habe. Ich musste mir das aber jetzt einfach von der Seele schreiben und würde mich auch echt freuen, eure Einschätzung zu bekommen.

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Hallo David,
gut, dass du hier mal ein Ventil findest. Niemand wird dir sagen können, was richtig oder falsch ist.
Ich persönlich möchte dir am liebsten "herzlichen Glückwunsch zur Trennung" sagen, das ist auch blöd, du bist noch voll im Schleurdegang.
Weder du noch deine Partnerin sind Teenager. Du trägst Verantwortung für deinen Sohn. Sie für ihre Kinder. Eine neue Beziehung ist mit solchen Voraussetzungen nie einfach. Ein Kind mit Einschränkungen ist noch mal ne andere Hausnummer. Vielleicht ein Mit-Grund, warum die schöne Frau sich nie von ihren Eltern abgenabelt hat. Das kannst du nicht ändern. Du könntest dich weiter und weiter verbiegen, bis von dir kaum noch was übrig ist. Oder du bleibst bei dir und deiner Entscheidung. Es ist okay, nicht die ganze Welt retten zu können.
Gestatte dir die Traurigkeit. Genieße deinen gemütlichen Bauernhof. Komm zur Ruhe. Es ist deine Lebenszeit.
Ja, sicher warst und bist du nicht Mr. Perfekt. "Immer alles zu eng gesehen" kann ich aus deinem Bericht nicht rauslesen. Was ich lese: Einfach ein Mensch. Mit Ecken und Kanten, mit Träumen und Realitäten, mit Herz und Verstand, mit Geschichte und Zukunft. Kopf hoch, in den Spiegel schauen und dir sagen: Schön, dass es mich gibt!
Alles Gute!

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Hallo David81,

also mein Eindruck aus deinen Schilderungen ist, dass es sich wirklich um ein komplexes und schwieriges Umfeld handelt, in dem sich deine Freundin befindet und ich hätte auch die Befürchtung, dass die Chancen eher gering sind, dass sie sich daraus je lösen wird.

Ich denke, mir wäre da auch zu viel an Negativität und Komplexität, das würde mich runterziehen und mir wenig Hoffnung auf eine harmonische Beziehung geben.

Von daher – nein, ich finde nicht dass du „alles zu eng genommen hast“. Du hast ja auch nicht sofort aufgegeben, sondern es nochmal versucht, aber bist beim gleichen Ergebnis gelandet. Und letztlich zählt, bei allen Einschätzungen die du von außen bekommen magst, vor allem dein eigenes Gefühl dabei, du musst selbst das Pro und Contra abwägen und wenn für dich das Negative klar überwiegt …

Das einzige wo ich evtl. zu einem anderen Gedankenansatz anregen würde, ist ihre Vergangenheit, wo du sagst „viel zu viele Details erfahren, die ich lieber nie gewusst hätte.“ - Wenn ich mich auf einen Menschen einlasse, dann will ich keine Details aus seiner Vergangenheit „lieber nicht wissen“, denn alles was er erlebt hat, gehört zu diesem Menschen und hat ihn zu dem gemacht was er jetzt ist. Für die Beziehung entscheidend sollte aber das JETZT sein, nicht die Vergangenheit. Sprich komme ich mit dem Partner klar wie er JETZT ist – das ist wichtig. Ich schätze es, wenn mein Partner offen ist und mir auch aus seiner Vergangenheit erzählt, nicht zuletzt weil es mir hilft ihn besser zu verstehen.

Ich wünsche dir alles Gute und hoffe dass du Klarheit für dich selbst findest.

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Guten Morgen,

ich habe nur die ersten 4-5 Absätze gelesen (dann wurde mir klar, dass der Text für die Internetzeit, die ich mir am morgen vor der Arbeit gönne zu lange ist :-)).

Ich will dir nur meinen Eindruck sagen: Dein Schreibstil spricht die Sprache- Es ist vorbei

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Meiner Meinung nach sollte die Überschrift lauten "warum habe ich es nicht gleich sein lassen?" Klar, lieber später als nie, aber irgendwie scheinen die letzten 4,5 Monate deiner Beziehung überflüssig gewesen zu sein.

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Ich würde mir einen Partner wie dich wünschen. Also zu eng gesehen, nein sehe ich nicht so. Wir haben alle Fehler. Ich erkenne jedoch absolute No-Gos. In einer Beziehung finde ich es schon gut wenn man Prioritäten setzt und die sollte der Partner sein. Ich finde das Kind und auch die Eltern sehr übergriffig. Es ist jedoch auch nicht leicht eine Familiendynamik zu durchbrechen. Jedoch ist sie hier in erster Linie selbst gefragt. Entweder sind ihre Gefühle für dich nicht auf gleicher Ebene wie deine und / oder sie hat sich so dran gewöhnt (sie zieht ja auch einen Vorteil daraus) und will die Vorzüge nicht aufgeben. Dass sie springt und euch im Regen stehen lässt wenn ihre Eltern rufen finde ich unmöglich und auch dass sie es als Umstand empfindet die Kinder einzupacken und zu dir zu fahren (da wäre ja immerhin mehr Ruhe vor den Eltern). Wenn die Eltern sich von einem Kind beeinflussen lassen wie ein anderer Mensch ist, finde ich das arm. Du kannst da aber nichts machen und es ist nicht deine Aufgabe Überzeugungsarbeit zu leisten. Ich finde erzieherisch ist deine Ex da sehr gefragt. Was die Vergangenheit angeht, ich kann verstehen, dass du einiges nicht wissen wolltest. Da finde ich allerdings schon dass du es zu eng siehst denn jeder hat seine Geschichte und sie muss dir nicht gefallen. Irgendwie hat es sie ja auch zu dir geführt meinst du nicht? Es ist nicht deine Aufgabe das zu bewerten. Im Gegenteil sie sollte da schon die Sicherheit und das Vertrauen bei dir finden, dass sie dir eben alles anvertrauen kann. Das finde ich doch sehr wichtig in einer Beziehung. Ihr gefällt vltl. auch nicht alles an dir oder deiner Vergangenheit. Ich hoffe du gertätst nicht zu sehr in Selbstzweifel. Ich finde toll wie reflektiert du bist. Das sollten viel mehr Menschen (äh Männer) sein.