Querschnittslähmung und Bournout

Das ist mein erster Beitrag in diesem Forum und ich weiß nicht so recht was ich mir erhoffe, aber vielleicht hilft es mir unsere Geschichte mal niederzuschreiben.

Ich bin seit 2012 mit meinem Mann zusammen, seid 06/15 mit ihm verlobt. Leben tun wir schon seit 2013 zusammen.

Im September 2015 habe ich meine 2. Ausbildung begonnen. 23 Tage später hatte mein Mann einen folgenreichen Arbeitsunfall. Er ist seither Querschnittsgelähmt. Wir haben zusammen alles durchgestanden. Durch meine Erstausbildung zur Krankenschwester konnte ich seine Pflege auch übernehmen am Anfang. Er war über ein halbes Jahr in der Reha. In der Zeit organisierte ich den Umzug, meine Ausbildung und bin jedes Wochenende 300km gependelt zwischen Reha und unserem Zuhause. Als er nach Hause kam, haben wir probiert unseren Alltag bestmöglich zu gestalten. Ich nahm ihm alles ab - Haushalt, Wäsche, kochen, Bürokratie, einfach alles. Und das hat sich bei uns irgendwann als Normalität eingeschlichen. Er hat nach knapp 2 Jahren wieder begonnen stundenweise zu arbeiten, allerdings im Homeoffice. Selbst dabei habe ich am Anfang geholfen. Er igelte sich für die nächsten Jahre komplett ein, soziale Kontakte gab es kaum. Höchstens an den Wochenenden zu den Eltern. Und ich trug es mit, schließlich wusste ich wie knallhart das Leben außerhalb unserer Wohnung für einen Menschen mit Handicap sein konnte.
2017 folgte dann unsere Hochzeit und wir planten parallel unseren Hausbau. Auch hier übernahm ich die Planung in Eigenregie. 2019 zogen wir ein. Unser Leben kam langsam ein wenig wieder in Fahrt, er traute sich immer mehr zu. Im Herbst 2019 dann die freudige Nachricht - ich war schwanger mit unserem ersten Sohn. Und 2022 wurde unser 2. Sohn geboren. Natürlich verlagerte sich der Lebensmittelpunkt wieder auf Zuhause.
Seit nun ungefähr einem Jahr habe ich das Gefühl das Leben zum ersten Mal wieder so richtig leben zu können. Die Kinder haben das Leben zurückgebracht und wir können immer mehr unternehmen. Und auch mein Mann ist so sehr aus sich rausgekommen und macht mittlerweile jeden Ausflug so gut es geht mit.
Und nun das Problem.. jetzt an diesem Punkt merke ich, dass ich nicht mehr kann. Das die letzten Jahre zu viel waren, ich nicht mehr weiß wer ich selbst bin. Ich fühle mich schon so lange ferngesteuert, eigene Entscheidungen treffen fällt mir so schwer. Nach vielen heftigen Streiterein hilft mein Mann seit nun ein paar Monaten im Haushalt mit. Vorher habe ich alles übernommen.
Ich stehe gerade an einem Punkt, an dem ich mich nur noch leer fühle. Rings um mich ist das Leben und ich kann es nicht genießen. Am liebsten würde ich alles hinter mir lassen, das Haus und meinen Mann. Es fühlt sich alles so schwer an. Ich habe mir schon Hilfe gesucht, aber es wird wohl dauern, bis das Früchte trägt. Jeden Tag stelle ich mir die Frage ob das das Leben ist, was ich leben möchte. Jeden Tag zerfließe ich in Tränen und weiß nicht wie es weitergehen soll. Die letzten Jahre haben alles von mir abverlangt. Die Kinder sind das, was mich noch Glück empfinden lässt.
Mir wurde ein Bournout diagnostiziert. Nur zweifle ich gerade, ob ich es mit meinem Mann daraus schaffen werde. Sein Unfall hat dazu geführt, dass ihm die Empathie abhanden gekommen ist. Und letztlich ist es doch so, ihm ist so etwas schlimmes passiert, was ist dagegen ein Bournout?
Vielleicht würde ich mir gerne eine Meinung von anderen hören, eine andere Sicht auf die Dinge. Ich komme an diesem Punkt gerade einfach nicht mehr weiter und würde am liebsten einfach nur flüchten.

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Hallo Cupcake20,

deine Erzählung hat mich sehr berührt und ich kann nur erahnen, wie du dich jetzt fühlst.

Ich habe versucht, mich in deine Rolle bei der Geschichte deiner Ehe und Familie hineinzuversetzen. Wäre ich selbst imstande gewesen, das zu leisten und zu erdulden, so wie du es warst?
Da musste ich mir ganz ehrlich zugeben, ich hätte nicht mal ein Drittel des Weges geschafft, den du gegangen bist. Dann hätte ich aus Erschöpfung, Niedergeschlagenheit und Verzweiflung aufgegeben.
Für mich hast du in den letzten Jahren als Ehefrau und Mutter schier übermenschliches gemeistert!

Du vergleichst dein Schicksal deiner Erschöpfungsdepression mit dem doch viel schwereren deines Mannes und fühlst dich durch diesen Vergleich trotz deiner immensen Leistung irgendwie schuldig. Ich halte solche Vergleich für krank und eine schlimme Falle. Es geht um dich und deine Erkrankung und nicht um deinen Mann.

Du hast dir schon professionelle Hilfe gesucht, fühlst aber noch keine Wirkung und ahnst, es könnte vielleicht nicht ausreichen wieder auf die Beine zu kommen. Das macht dir große Angst, dazu blockiert dich deine innere Leere. Am Liebsten würdest du fliehen aus deiner Lage. Bitte habe in deiner akuten Krise keine Angst, Antidepressiva zu nehmen.

Das Fliehen halte ich für keine so schlechte Idee. Ich sehe bei dir und deiner Familie im Augenblick zwei Prioritäten:

Zuerst deine eigene Genesung.
Dann die Versorgung deiner beiden Kleinkinder.
Dein Mann könnte wohl - mit etwas externer Unterstützung - erst einmal durchaus alleine klarkommen.

Ich glaube, du solltest für eine längere Zeit erst einmal raus aus deiner belastenden Situation mit deinem Mann kommen, weil sie deine Genesung auch verhindern könnte. Du sprichst ja auch von der Empathielosigkeit deines Mannes.

Es gibt mittlerweile stationäre Einrichtungen, zu denen Patienten auch ihre Kinder mitnehmen können. Hast du schon einmal an diese Möglichkeit gedacht?
An so einen Aufenthalt könntest du dann noch eine Mutter-Kind-Kur anschließen, um wenigstens einige Monate heraus aus deiner Alltagssituation zu kommen.
In dieser Zeit wirst du in deiner Therapie sicherlich Fortschritte machen.
Und langsam einen Plan für die Zeit danach, für deine Struktur danach zu entwickeln. Langsam wirst du so auch Klarheit darüber gewinnen können, ob deine Ehe noch eine Zukunft hat.

Ich habe bewusst auf praktische Tipps verzichtet. Da du gelernte Krankenschwester bist, hast du sicherlich mehr Ahnung von den Beratungsmöglichkeiten der Hilfsorganisationen und auch von den Krankenkassen.

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Liebe Cupcake,

ich empfehle dir dringend
a) zum Psychiater zu gehen, um dich körperlich durchchecken lassen (großes Blutbild, EEG)
b) dich zur Stabilisierung die nächsten Wochen bzw. bis zur Reha eventuell medikamentös einstellen zu lassen
c) eine psychiatrische Reha zu machen (6 Wochen) mit Kind oder ohne.

Mit der Q haben sich eure Rollen verfestigt: Er die Leidende, du die Sorgende. Das funktioniert nicht mehr, weil du jahrelang mehr Energie aufgewandt hast, als in Wahrheit vorhanden war. "Deficit spending" hat das mein Arzt immer genannt. Bitte nimm deinen Zustand unbedingt ernst. Arbeitest du zurzeit? Dann lass dich umgehend krankschreiben. Auf meiner Reha waren so viele Mitpatienten in Pflegeberufen - ein Klassiker.

Also: Massive Änderung der Rollendynamik. Das ist ein Lernprozess, der vor allem bei dir selbst anfängt. Du musst beginnen, für dich selbst so zu sorgen, wie du für deinen Mann und die Kinder sorgst. ganz konkret! Ich drück dich aus der Ferne.

Lil