Abgrenzen in sozialen Berufen

Hallo!

Ich arbeite seit 3 Monaten mit Langzeitarbeitslosen zusammen.

Ich habe mich jetzt selbst 5 Jahre aus meinem gelernten Beruf genommen, etwas anderes studiert und mich neu orientiert und bin auf die 5 Jahre alles andere als stolz... Prinzipiell sehe ich mich auch als Langzeitarbeitslose und habe nun den Luxus Peu á Peu meine Stunden jeden Monat steigern zu können und mich im langsamen Tempo einarbeiten zu können. Also Momentan komme ich im Schnitt auf 12 Stunden im Monat, oder 3 Tage.

Nun haben wir einen Klienten gehabt, dessen Fähigkeiten wir testen sollten.
Alle, die zu uns kommen, tragen ihr Päckchen. So natürlich auch dieser Klient.

Das nervtötende für mich ist, dass ich auch mein Päckchen trage und dieser Mann, den wir diese Woche getestet haben und mit dem wir sprachen, mir so unglaublich ähnlich im Lebenslauf und im Auftreten war, dass ich mich gefühlt habe, als hätte ich da mein 5Jahre jüngeres ICH vor mir sitzen.
Ich kontne mich da einfach nciht abgrenzen #aerger

Unsere Aufgabe ist, Fähigkeiten zu testen, ein Gutachten zu schreiben und eine Empfehlung für das Jobcenter auszusprechen.
Und da sitz ich dem Mann nun gegenüber mit meiner Hausfrauenpsychologie und meinen Psychotherapieerfahrungen und meinem Studium und soll akzeptieren, dass dieser Mann nicht die nötige Psychotherapie aufsuchen wird. Dass er weiterhin Raubbau an seinem sowieso schon kaputten Körper betreibt. Dass er immer noch glaubt allein gegen die böse Welt zu kämpfen. Und sich mit seinen völlig übersteigerten Ansprüchen an sich und die Welt weiterhin im Wege stehen wird. Und das alles vermutlich, so wie ich, noch einige Jahre, bis er langsam begreift, dass er sich eine Alternative zu dem Beruf suchen muss, der für ihn immer noch alles ist, den er aber auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes nicht mehr ausüben kann.
Und ich muss auch akzeptieren, dass er diesen Weg allein einschlagen muss. Er muss ihn nicht allein gehen, aber er muss die Richtung allein einschlagen.

*NEEEERV!!!!* :-[

Und dann hat der auch noch das gleiche Geburtsdatum, wie mein Mann #klatsch

Wie macht ihr das? Wie grenzt ihr euch ab?
Ich musste die ganze Zeit tierisch aufpassen, nicht ständig meine Bedürfnisse in ihn hineinzuprojezieren.

Ich hab Angst, dass ich was übersehe, weil ich nur das sehen kann, was ich selbst gefühlt habe. Das Auswertungsgespräch musste ich heute vollständig einer Kollegin überlassen, weil ich vermutlich angefangen hätte, mit ihm über die Notwendigkeit einer kognitiven Verhaltenstherapie zu diskutieren und viel zu viel Persönliches von mir preis gegeben hätte.

Mir tat das so leid, dass er diese depressiven Phasen durchmachen muss und unter seinem niedrigen Selbstwert so offensichtlich litt.
Ich hätte ihm gern mehr mitgegeben, als die Auswertung seiner Tests.
Aber die Therapie ist weder unser Job, noch sind wir dafür ausgebildet. Wir können testen, wir können ein Stück weit hinter die Fassade der Leute gucken, aber ändern können wir daran nichts.

Ich schieb das jetzt mal unter Anfangsschwierigkeiten, weil ich ehrlich gesagt keine Lust habe NOCH einen Beruf zu lernen, weil ich wieder einsehen muss, dass ich ungeeignet für DIESEN Beruf bin. Außerdem macht mir meine Arbeit im großen und ganzen Spaß und ich hab SUPER nette Kollegen #verliebt

Immer her mit euren Tipps zur Abgrenzung #winke

Faltblatt

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Hallo, ich schreibe es ungern, aber meine nun 14 jährige Berufstätigkeit in diversen Feldern der sozialen Arbeit hat mich nie zu solch, schon recht gravierenden, Abgrenzungsproblematiken geführt.
Ich behaupte auch, entweder hat man diese Fähigkeit zur Distanzwahrung bzw. kann Beruf und Privates trennen oder man hat es schwer. Wirklich erlernbar halte ich dies nicht, zumindest nicht in dem Maße, um die eigene Persönlichkeit auf Dauer zu stabilisieren.

LG

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ich würde behaupten, wer niemals ein Abgrenzungsproblem in der sozialen Arbeit hat, der hat keine Empathie, dem sind die Klienten sch... egal.

Gruß

Manavgat

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Ich schrieb das ich nie solch “große“ Probleme (wie die Te es beschrieb) hatte in all den Jahren (natürlich gab es auch in meiner Berufslaufbahn solche Ansätze), aber wenn ich solche Probleme fürchte, dann grenze ich mich vorher ab, indem ich Fälle an Kollegen abgebe, Kollegen mit hinzu ziehe und wir als Tandem einen solchen Klienten betreuen, ich nutze kollegiale Fallberatung, Supervision usw.

Gerade erst ein ganz aktuelles Thema, da eine Betreuungsanfrage eines Klienten kam, mit dem ich früher aufgewachsen bin, dessen Familie, Geschichte ich kenne und wo ich genau weiß, das ich NICHT adäquat professionell mit umgehen könnte. Ich habe da unsere frühere Bekanntschaft nur genutzt, um das Betreuungsverhältnis anlaufen zu lassen, den natürlichen Vertrauensvorschuß genutzt - die alltägliche Betreuungsarbeit übernimmt jedoch die Kollegin.

Und ich stehe noch immer dazu, Empathie und professionelles Handeln, eine gewisse Distanz - ohne das einem die Klienten egal sind - all das ist vereinbar, ohne eine gefühllose Maschine zu sein. Auch wenn Du es anders siehst, gerade hinsichtlich Empathie bekomme ich positive Rückmeldungen von Seiten der Klienten, Kollegen, Vorgesetzten.

Man kann und muss sich selbst schützen, auch um den Klienten überhaupt gut betreuen zu können. Wenn mich Fälle so mitnehmen, das ich nicht mehr handlungsfähig bin, dann ist der Punkt sich Hilfe zu holen längst überschritten... und was bringt das dann dem Klienten?

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Kann ich grundsätzlich nachvollziehen, dass das nicht einfach ist.

Ich glaube es ist notwendig, mit sich total im Reinen zu sein und selbstbewusst ,in sich zu ruhen'. Wenn man das erreicht hat, finde ich es z.B. auch nicht schlimm von persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen zu berichten.

Letztendlich kann man nur die Hand reichen. Die anderen müssen sie ergreifen. Das muss man eben akzeptieren. Nicht jeder will sich helfen lassen. Deine Arbeit hast du trotzdem gut gemacht.

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Ja.. das mit dem "In sich ruhen" ist nicht so meins ;-)
Da brauch ich noch ein bisschen Zeit für sowas.
Wie gesagt: Ich bin selbst nicht besonders stolz auf meinen Lebenslauf.

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Es ist schon mal gut, dass Du so relektiert bist, dass Du merkst, wenn Du auf dieser Schiene unterwegs bist. Ich kenne einige Kollegen, die das nicht sind. Selbstverständlich bringt man in die Beratung auch immer ein Stück seiner eigenen Persönlichkeit, seiner eigenen Lebensgeschichte mit ein. Mir ging/geht es teils so, wenn ich allein erziehende sehe, die die heute vorhandenen, meiner Ansicht nach sehr guten, Hilfs- und Beratungsangebote partout nicht nutzen wollen. So viele Hilfen gab es vor etwas mehr als 20 Jahren, als ich eine allein Erziehende mit kleinem Kind und ohne Ausbildung im Sozialleistungsbezug war, nämlich nicht. Da kann ich schon mal innerlich fassungslos bis zornig werden, wenn z.B. ein über ein Landesprogramm finanzierter Coachingkurs, der auch noch den Erwerb des FÜHRERSCHEINS beinhaltet, abgelehnt wird.
Oder auch, wie bei Dir, Menschen, bei denen das Selbstbild/die Ansprüche null mit der Fremdwahrnehmung oder der Realität konform gehen.

Was hilft? Zum einen die Zeit. Du wirst mit der Zeit nicht mehr so empfänglich, lernst zu erkennen, dass du gerade sozusagen triggerst und Dich dann wieder auf die Sachebene zu bringen. Lernst, dass - auch wenn es scheinbar Gemeinsamkeiten gibt - jeder Mensch seine eigene, individuelle Geschichte und individuellen Beweggründe für sein Verhalten hat.

Zum Anderen empfehle ich bei solchen Fällen Supervision und so diese nicht fachlich von außen angeboten wird (wie es leider oft der Fall ist), die kollegiale Fallberatung. Hier wäre es natürlich toll, wenn es jemanden im Team gäbe, der ausgebildet ist, eine solche Fallberatung entsprechend zu moderieren. Aber auch wenn nicht, so hilft es, wenn man den Fall im Team bespricht. Einerseits hole ich damit "meinen" Fall auf die Teamebene, stelle also so die Distanz zu mir her. Andererseits gibt mir das Team neue Impulse, Ideen für einen anderen Beratungsansatz - oder sagt auch mal offen oder durch die Blume "Da kannst Du weiter nichts machen, Du hast alles beratungstechnisch Mögliche getan, dann ist eben so, lass los, es ist ok."

In unseren Teamsitzungen haben wir immer einen Punkt "Fallbesprechungen", diesem Punkt räume ich (bin in einer Personalentwicklungsmaßnahme zur Teameitung und führe bereits ein Team unter Anleitung meines Vorgesetzten) inzwischen mindestens die Hälfte unserer Teamsitzungszeit ein. Zudem möchte ich ein Seminar besuchen, bei dem ich das Moderieren von kollegialer Fallberatung "richtig" lerne.

Wo ich arbeite? In einem Jobcenter, Bereich Fallmanagement. :-)

LG o_d

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Guten Morgen,
was hast du denn da studiert??? Mit "Hausfrauenpsychologie" bist du da natürlich fehl am Platz. Ich hab grad "Soziale Arbeit" abgeschlossen und sowohl als Nebenjob als auch im Praxissemester im Bereich Existenzsicherung (vorwiegend Obdachlose) gearbeitet.

Wichtig ist, den Klienten in seiner Situation zu sehen. Eigene Vorstellungen, wie es richtig oder falsch ist oder wie man sein Problem selbst lösen würde haben da überhaupt nichts zu suchen. Wurdest du da nicht entsprechend ausgebildet? Oder arbeitest du im Auftrag des Jobcenters und erstellst Gutachten, die mit darüber entscheiden ob Leute sanktioniert werden oder nicht? Dann kannst du so weiter machen, aber verorte dich dann nicht auf dedr "helfenden" Seite.

Gruß Katja

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Nachtrag: Last not least ist IMHO Deine eigene Erfahrung auch eine Stärke, die Du mitbringst. Du weißt aus eigener Erfahrung, wovon Du sprichst. Das wird Deine Beratung authentisch machen. Lass Dich nur nicht hinreißen, zu den Klienten zu sagen "ich war selbst mal, blablabla..." und damit Dich zum Thema zu machen.

Ich sage durchaus schon mal "Wissen Sie, ich war selbst mal allein erziehend und ich kann mich noch erinnern, dass mir auch ganz blümerant war/was ich für Ängste und auch Schuldgefühle hatte, als mein Kind in den Hort kam, aber es hat sich dann heraus gestellt, dass es so schlimm gar nicht war und das mein Kind im Hort auch so viel Spaß, Aktivitäten und Anregung hatte, die ich ihm so gar nicht hätte bieten können". oder "Wissen sie, hier arbeiten viele Leute, die nicht von der Schule hierher gepurzelt sind und sich nun im angeblich bequemen Beamtensessel ausruhen, viele von uns kennen die andere Seite des Schreibtisches auch..." aber das war es dann auch. Gefahr hierbei ist, dass Klienten dann auf der "dann wissen sie doch, wie es ist"-Schiene fahren. Ich sage dann immer "Ja, ich weiß, wie es ist, aber ich weiß auch, dass es einen Weg zu einer besseren Zukunft gibt. Der wird mitunter nicht einfach und vielleicht wollen Sie zwischendurch auch mal hinwerfen, aber es wird sich lohnen, ihn zu gehen."

Das nur mal so als Beispiel. Es mag nicht die hohe Schule der Sozialpädagogik sein, wie ich vorgehe, aber a) bin ich ja auch kein Soz.Päd. und b) fahre ich so bisher ganz gut. Mach Dein vermeintliches "Manko" zur Stärke, Deine Beratung authentisch werden zu lassen (die Klienten werden spüren, dass da kein Berater sitzt, der wie ein Blinder von der Farbe labert), aber pass auch auf, Dich nicht zum Anwalt der Klienten gegen das vermeintlich ungerechte "System" zu machen.

:-)

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Ich würde ihm Bereich der sozialen Arbeit niemals einen Auftrag annehmen ohne Superversion. Wir haben alle das Problem der Abgrenzung. Alternativ: kollegiales Beratungsgespräch, das kann einen notfalls auf die Sachebene zurückholen.

Gruß

Manavgat

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Hallo,

mit Mitleid kann dieser Mensch, mit dem Du gearbeitet hast, sicher am wenigsten anfangen.

"Mir tat das so leid, dass er diese depressiven Phasen durchmachen muss und unter seinem niedrigen Selbstwert so offensichtlich litt."

Natürlich gehört Empathie ein stückweit zu solchen Berufen dazu aber Du solltest Dich auf keinen Fall mit Deiner Lebensgeschichte in Deine Klienten hineinprojezieren - das geht nach hinten los.

Das Einzige, was man tun kann, ist, diese Menschen zu ermutigen, sich auf den Weg zu machen - wie auch immer der aussehen wird. Dein Weg ist nicht unbedingt auch für Deine Klienten der Beste...und Du hast keine Ahnung, ob er nicht für sich etwas anderes findet.

"...und soll akzeptieren, dass dieser Mann nicht die nötige Psychotherapie aufsuchen wird. Dass er weiterhin Raubbau an seinem sowieso schon kaputten Körper betreibt. Dass er immer noch glaubt allein gegen die böse Welt zu kämpfen. Und sich mit seinen völlig übersteigerten Ansprüchen an sich und die Welt weiterhin im Wege stehen wird. Und das alles vermutlich, so wie ich, noch einige Jahre, bis er langsam begreift, dass er sich eine Alternative zu dem Beruf suchen muss, der für ihn immer noch alles ist, den er aber auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes nicht mehr ausüben kann."

- Ja genau, das sollst Du nicht nur, das MUSST Du sogar akzeptieren. Es ist nämlich SEIN Leben und SEINE Wahl - und wie er damit umgeht, KANNST Du gar nicht wissen...Vermutungen darüber anzustellen, bringt Dich auch nicht weiter.

Hast Du jemanden, mit dem Du über diese Abgrenzungsproblematik sprechen kannst? Ich sehe da dringenden Gesprächsbedarf.
Ich arbeite in den Hilfen zur Erziehung mit jungen Müttern, die teilweise Gewalt- und Drogen-Erfahrungen haben oder selbst Misshandlung erfahren bzw. am eigenen Kind verübt haben. Um dies zu verarbeiten, haben wir regelmäßig Supervision, was sehr hilfreich ist, um das eigene Handeln und die Gedanken rund um den Beruf zu reflektieren.

Mein Weg dorthin war übrigens ähnlich dem Deinen (und sicher auch dem vieler anderer Mütter) - anderen Beruf gelernt, in Elternzeit ausgestiegen, andere Richtung studiert, Abschluss gemacht und in neues Berufsfeld gewechselt. Dort arbeite ich jetzt seit einem Jahr auf 80%-Basis.

Die Abgrenzungsproblematik kenne ich auch, kann aber damit mittlerweile gut umgehen. Man muss sich immer wieder klar machen, dass man das Schicksal dieser Menschen nicht in die eigenen Hände nehmen kann sondern dies jeder selbst machen muss und dass die eigene Lösung für die Probleme, die uns dabei tagtäglich begegnen, nicht immer die richtige oder einzige für die der Klienten ist.

LG und alles Gute!

a79