Hallo zum Freitag miteinander,
Ivh wohne in einer 10000 Einwohner Ortschaft, auch die Nachbarorte sind mehr oder weniger gleich groß.
Wir hatten in den letzten Jahren Wahlen im Gemeinderat, und Pfarreienrat, was man eigentlich nicht wirklich als Wahl bezeichnen kann, weil sich fast keine Freiwilligen finden ließen die Interesse an einem dieser Ämter hat. Demenstprechend wurde mit Ach und Krach nach Leuten gesucht und die Mindestanzahl wurde somit erreicht. In den letzten Jahrzehnten haben noch viele bei den Wahlen kandidiert, aber die Anzahl hat stetig abgenommen.
Der Pfarreienrat ist Ehrenamtlich und im Gemeinderat bzw. Stadtrat bekommt man etwas Geld.
Sitzungen wie im Gemeinderat fanden bei uns immer Freitag Abend statt also ein Zeitpunkt wo jeder Zeit hätte.
Bei uns mussten im Gemeinderat einige alteingesessene Mitgleider aus dem Ruhestand zurückgeholt werden, weil wir sonst nicht die Mindestzahl erreicht hätten.
Warum hat keiner mehr Bock solche Ämter anzustreben? Was sind die Gründe dafür? Haben die Leute wirklich weniger Zeit oder einfach keine Lust oder sind es andere Gründe?
Bitte schreibt mir ehrlich eure Meinung.
Warum gibt es immer weniger Mitglieder im Gemeinde - bzw. Stadtrat und Pfarreienrat?
Ja, natürlich haben Leute weniger Zeit. Früher gab es mehr Alleinverdiener, mehr Vollzeit Hausfrauen, mehr Mehrgenerationenhäuser mit verfügbaren Großeltern.
Heute sind die meisten Leute mit Haus und Hof und Arbeit und Kindern mehr alleine und haben weniger Zeit und Energie oder auch Lust.
Vermutlich müssten sich auch die Institutionen anpassen und nicht mehr erwarten, dass es genauso funktioniert wie vor 50 Jahren. Andere Termine, Online-Veranstaltungen, geteilte Ämter usw.
Weil das zum Teil echt scheißjobs sind und es ja nicht nur die Sitzungen sind sondern dann ruft abends noch wer an und beschwert sich dass die Kirche zu kalt war, dann muss man irgendwie zu Geld kommen und dafür wieder Leute anschreiben.
Bin Tochter von Eltern die bis heute sehr viel Ehrenamt machen. Kirche und Feuerwehr. Und es gab so viele Abende wo während des Essens das Telefon geklingelt hat, jemand an der Haustür stand. Der nur schnell irgendwas wollte. Da das ja oft erwünscht war dass jemand anderes unterstützt und man froh war dass xy den Schlüssel fürs Gemeindehaus zum putzen geholt hat, hat man das natürlich hingenommen.
Und dann gibt es die meckerer die es immer nur besser wissen die aber nie selber machen und heutzutage ja dann noch viele mit Anwalt drohen.
Nun ja, diese Erfahrung in meiner Kindheit und Jugend und bis heute immer wenn ich bei meinen Eltern bin hat mich bisher davon abgehalten ein Ehrenamt anzunehmen. Außer Elternbeirat im Kindergarten. Aber da gab es auch Momente wo ich echt an mich halten musste. Der Elternbeirat ist sicher nicht dafür zuständig, dass Goldschätzchen nicht in den feinen Ballerinas in den Garten geht oder solche Themen die dann der Elternbeirat doch bitte klären soll.
Andererseits habe ich tatsächlich die Tage mit meinem Mann gesprochen, dass wir zur Zeit soviel Zeit haben wie schon lange nicht mehr und ich mir Pläne machen muss damit ich abends nicht ständig am Handy daddle. Vielleicht also doch ein Amt?!
Am Freitagabend wo JEDER frei hätte.
Also wenn ich mich so umsehe, haben doch recht viele in meinem Bekanntenkreis nicht jeden Freitagabend frei. Vielleicht wenn man in einer Blase aus Verwaltungsangestellten und Lehrern lebt, aber viele Berufe erfordern Schichtarbeit.
Zufällig sind es auch Leute aus der Verwaltung die bei uns bei jeder Sitzung des Gemeinderats (vorstand/magistrat/stadtverordneten Usw.) Protokoll führen mit anwesend sein müssen.
Sitzungstermine zu finden ich schwierig.
Nicht immer können alle bzgl. Arbeit, Familie usw.
Naja und Kirche - absolut rückläufig die Zahlen der Mitglieder- daher nicht verwunderlich.
>>Vielleicht wenn man in einer Blase aus Verwaltungsangestellten und Lehrern lebt,...<<
Genau aus DEM Grund gibt es kaum noch Leute, die sich dafür engagieren WOLLEN!
Denn ständig kommen solche Besserwisserkommentare, ohne daß der Betreffende auch nur den Hauch einer Ahnung hat, wieviel die von Dir genannten Verwaltungsangestellten und Lehrer arbeiten.
Ach ja, und bevor Du weiter nachfragst: Ich habe in 3 Schichten gearbeitet, mein Mann in Verwaltungsangestellter und mein ältester Sohn Studienrat. Wenn man mich fragt, ob ich mit ihnen tauschen würde, ist die Antwort "Nein, auf gar keinen Fall!" Da arbeite ich lieber weiter Schicht.
Und sollte Dich der Neid auf die Lehrer weiterhin beschäftigen: Bitte, dann werde einer!
Nennt sich Konsumgesellschaft.
Alles haben wollen und nichts dafür tun. Was man dagegen tun kann? Seine Kinder so zu erziehen, das sie Lust auf Ehrenämter haben.
Anderer Punkt, keine Angst vor unbekannten bzw. unbekanntes. Lust haben Menschen kennen zu lernen, Verkrustetes aufzubrechen und die Zukunft zu gestalten.
Zum Thema Arbeit, ich arbeite in der Geriatrie, die Menschen haben immer gearbeitet. Den Genussarbeitslosen habe ich noch nicht getroffen.
Gesellschaft ist Verantwortung und Arbeit, schimpfen ist leichter.
Ich habe 15 Jahre als Optikerin gearbeitet, ich habe nahezu jeden Freitag bis 20 Uhr gearbeitet. Soviel zu: Freitagabend hat Jeder Zeit.
Hinzu kommt,dass sich die politische Lage verändert hat, auch gemeinderäte etc heute bedroht werden, einschließlich der Familie.
Und dann sind die Zeiten vorbei, wo Frauen den Haushalt gemacht haben und der Mann nach der Arbeit noch in der kommunalpolitik aktiv war. Heute arbeiten in vielen Familien beide, da sind viele froh, wenn irgendwann Feierabend ist.
Kann ich dir sagen:
Bei uns werden sämtliche Lokalpolitiker regelmäßig angefeindet und für alles, was hier im Ort schief läuft, verantwortlich gemacht, selbst dann, wenn sie die Entscheidungen gar nicht getroffen haben, sondern nur umsetzen.
Ich selbst war früher politisch aktiv. Seit den Kindern habe ich bisher aber noch nicht wieder die Zeit dafür gefunden. Ich überlege hin und wieder, mich wieder zu engagieren, aber ganz ehrlich: wenn ich mir in einem unbezahlten Ehrenamt für unseren Ort den Hintern aufreiße, um hier etwas zu gestalten und mir dafür nur Wut und Hass entgegenschlägt, frage ich mich auch, ob ich mir das wirklich antun soll. Wenn es ein Patentrezept für alle Probleme geben würde, hätte die schon längst jemand gefunden.
Nun ja, ich kann nur für mich sprechen:
Keine familiäre Unterstützung vor Ort.
Freitag Abend und ich sitze arbeitend am Laptop, während ich darauf warte, K1 in 90 Minuten vom Sport nach Hause zu kutschieren.
Ich habe tatsächlich ein Ehrenamt. Ergebnis: Bei sämtlichen Festen „muss“ ich arbeiten, während die anderen Teilnehmer eine gute Zeit haben. Die Sitzungen (zum Glück nur 8-10 im Jahr) liegen auch noch in der Arbeitszeit meines Mannes, so dass er zT Gleitzeit nehmen muss, um währenddessen die Kinder zu betreuen. Gleitzeit ist toll, nur muss er die Stunden ja an einem anderen Tag wieder rausarbeiten. Also auch für ihn eine zusätzliche zeitliche Belastung.
Dieses Jahr wollte ich nicht mehr kandidieren. Hab mich nochmal breitschlagen lassen, weil keine Nachfolge in Sicht. Obwohl ich bei der Werbung mega aktiv bin. Ergebnis: Es kommen viel mehr Teilnehmer als früher, nur mithelfen tut keiner.
Während Corona hatte ich auch noch ein zweites Ehrenamt, auf kommunaler Ebene. Ein Traum, da sämtliche Sitzungen online. Jetzt sieht das Gesetz nur noch Präsenzveranstaltung vor, da bin ich raus.
Wenn es keiner macht wird es sich irgendwann von alleine regeln, durch bezahlte Ämter oder attraktivere Bedingungen. Von alleine ändert sich nichts, darum sind solche Engpässe notwendig um Wandel voranzubringen.
Wo das nicht passiert ist es der Gesellschaft nicht wichtig genug und dann gibt es das eben nicht mehr.
Es ist vor allem für diejenigen ein Thema die keine Nachfolge finden, nicht für diejenigen der Gesellschaft die es nicht machen möchten. An anderen Stellen entstehen dafür neue andere Dinge.