Gefühlsstarke Kinder: Diskutiert hier mit Buch-Autorin Nora Imlau
Liebe Nora,
vielen Dank für erstmal für die Möglichkeit, dir hier Fragen zu stellen. Ich habe begonnen, dein Buch zu lesen und finde es bisher wirklich hilfreich.
Meine Tochter (3 Jahre und 10 Monate, hochsensibel, sehr schlau und gefühlsstark) bringt mich fast täglich ans Limit. Schlimm sind vor allem Situationen, in denen es ums Anziehen geht. Wir wecken sie morgens immer so, dass wir ausreichend Zeit zum Fertigmachen vor der KiTa haben.
Wir haben geregelte Abläufe, erst zur Toilette, Zähne putzen, Haare kämmen, dann anziehen und alle Rahmenbedingungen sind so, dass sie die Dinge selbstständig machen kann, wenn sie möchte. Sie bekommt aber auch immer Hilfe angeboten. Meist hält man es aber nicht aus, ihr zu helfen, da braucht man Nerven wie Drahtseile. Sie hört auf kein Wort, springt im Bad herum, trödelt ewig auf der Toilette obwohl sie fertig ist oder rennt ständig lachend aus dem Bad. Haben wir das dann endlich, meist irgendwann mit Schimpfen oder zumindest streng sein, hinter uns gebracht, geht es mit dem Anziehen weiter. Wir fragen sie, was sie anziehen möchte oder sie bekommt 2 Outfits zur Auswahl. Daran stimmt in 90% der Fälle mindestens ein Teil nicht, welches dann nochmal ausgewechselt oder wieder ausgezogen werden muss. Den Pulli mag sie nicht, der ist dunkelgrau, sie will den hellgrauen, also ziehen wir den an, weil ich ja möchte, dass sie sich wohl fühlt. Der hellgraue drückt aber oben an den Schultern, den müssen wir wieder ausziehen und einen anderen suchen, es geht von vorne los. Eingreifen darf man in den Vorgang des Aussuchens dann oft nicht, es kommt zum Schubsen, Hauen, Treten, seit neustem quiekst und schreit sie in einer Lautstärke, bei der ich (selbst hochsensibel) mich derart erschrecke, dass mein Herz gefühlt kurz aussetzt und ich sofort den Raum verlassen muss, weil schrille laute Geräusche sofort dazu führen, dass es mir schlecht geht, mein Puls rast usw. Haben wir dann einen Pulli, kommen Strumpfhose, oder noch schlimmer, Socken an die Reihe. Die drücken dann meist vorne und zwar brüllt meine Tochter dann so sehr oder „jammert“ wenn ich ihr das an den Fuß ziehe, weil sie es selbst nicht schafft (oder zumindest so tut) als hätte sie wirklich schlimme Schmerzen. Auch dann verlasse ich meist den Raum, dann zieht sie die Socken selbst an. Sobald ich ihr sage, die Socken jetzt oder du gehst barfuß, sind drückende Nähte meist kein Problem mehr. Einmal hab ich sie gefragt, wie sie das eigentlich im Kindergarten macht mit den drückenden Socken, Schuhen etc. Da hat sie mir geantwortet, da macht sie das nicht. Auf meine Frage, warum sie es dann zu hause so macht, meinte sie, da macht es mehr Spaß. Ich will nicht denken, sie macht das „mit Absicht“, ich will ihre Probleme ernst nehmen, aber wie erkenne ich die Grenzen und was mache ich, wenn ich den Eindruck habe, das ist jetzt „Theater“?
Bei dem ganzen Schauspiel wechseln mein Mann und ich uns übrigens ab, immer dann wenn wir merken, der andere ist kurz vorm Ausrasten.
Das geht frühs 45 min so, danach bin ich fix und fertig. Ich bin in der 39. SSW und ich weiß nicht, wie das mit 2 Kindern werden soll.
Heute morgen bin ich bei der Strumpfhosensituation türknallend im Schlafzimmer verschwunden und hatte wenig Lust, mich von ihr zu verabschieden. Allerdings möchte ich nicht im Streit mit ihr auseinander gehen. Sie kam dann und hat sich entschuldigt, das ist immer so. Danach entschuldigen wir uns beieinander. Ich weiß noch, dass ich mich als Kind immer zusammen reißen musste, deswegen nehme ich ihre Bedürfnisse und Empfindungen ernst, auch wenn ich sie mal nicht verstehe. Aber was mache ich, wenn sie beim Socken anziehen schmerzhaft ihr Gesicht verzieht und jammert, als würde ich ihr ein heißes Bügeleisen an die Fußsohlen halten? Wie bekomme ich Struktur in unseren Morgen, wenn sie diese dann gar nicht ernst nimmt? Es ist ihr schlichtweg egal, ob die Sanduhr abgelaufen ist, sie muss jetzt noch eine Tasche und ein Kuscheltier aussuchen, aber die Tasche hat nicht die richtige Farbe und das Kuscheltier hat einen zu kleinen Kopf, Mama können wir bitte noch in den Keller gehen und 3 Kisten durchsuchen, bis ich das richtige gefunden habe?? Und ich stehe daneben mit Puls bei 110 und hochrotem Kopf, fassungslos, wie sie mich das jetzt ernsthaft fragen kann, nachdem ich sie seit geraumer Zeit anmotze: NEIN, mach das JETZT, zieh das JETZT an, wir sind schon wieder zu spät; Ich habe NEIN gesagt; Wo bist du jetzt schon wieder?, Du hast ja noch überhaupt NICHTS angezogen?!
Sie merkt entweder nicht, wenn meine Grenze erreicht ist oder es interessiert sie nicht. Erst wenn ich rum schreie oder motze, dann reagiert sie und seit Neuestem wirft sie sich dann hin und weint und sagt: Ich bin kein gutes Mädchen!
Keine Ahnung woher sie das hat und dann nehm ich sie natürlich und tröste sie und sage ihr, dass das nicht stimmt und ich nicht möchte, dass sie sowas denkt.
Ich verurteile mich auch täglich dafür, es wieder nicht geschafft zu haben, nicht zu meckern, geduldig zu sein etc. und überlege ständig, wie ich da den Druck raus nehmen kann oder ruhig bleiben kann. Es gibt auch vereinzelt Tage, da ist sie in 20 min fertig und sitzt am Tisch und malt bis wir los müssen.
Sorry dass das so lang geworden ist.
Ich hoffe, du hast den einen oder anderen Tipp für mich.
Liebe Grüße, Isa
Liebe Isa,
vielen Dank für Deine Frage. Mensch, das klingt ja wirklich belastend bei Euch. Mein persönlicher Eindruck bei Deiner Schilderung ist, dass Ihr bei dem Versuch, liebevoll und bedürfnisorientiert mit Eurer gefühlsstarken Tochter umzugehen, Eure eigenen persönlichen Grenzen aus dem Blick verliert. Und damit geht auch die Klarheit flöten, die gefühlsstarke Kinder so dringend brauchen.
Im Moment ist es ja, grob zusammengefasst, so, dass Du einerseits ganz stark versuchst, auf die zig verschiedenen Wünsche Deiner Tochter einzugehen - es aber dann nicht mehr schaffst, freundlich zu bleiben.
Ich würde für den umgekehrten Weg plädieren: Es ist nicht Dein Job, auf jeden ihrer Wünsche einzugehen. Aber es IST Dein Job, klar zu sein und gleichzeitig freundlich.
Konkret heißt das: Ich würde mich in einem ruhigen Moment am Nachmittag mit meiner Tochter hinsetzen und schauen, in welchen Klamotten sie sich wohl fühlt und welche ihr Probleme bereiten. Hat sie beispielsweise grundsätzlich ein Problem mit Socken, kann sie ja auch Strumpfhosen anziehen. Mag sie keine Knöpfe an Hosen, kann sie Leggins anziehen, und so weiter. Dann würde ich mit ihr alles aus dem Schrank räumen, was für sie nicht geht, so dass nur Klamotten im Schrank sind, die sie anziehen kann. Und dann würde ich sagen: Jetzt, wo nur noch für Dich tragbare Klamotten im Schrank sind, können wir Dich morgens ganz einfach anziehen, weil sich ja alles gut anfühlt. Wir legen die Klamotten für den nächsten Tag am Abend raus, und am nächsten Tag ziehst Du sie an. Und dann würde ich darauf hinwirken, dass am nächsten Tag die Anzieherei in maximal 10 Minuten vorbei ist. Also kein 40minütiger Kampf mit Diskussionen und Hin und Her, bei dem Ihr Euch zu zweit völlig verausgabt. Sondern: Enge Begleitung durch eine Person. Jetzt die Strumpfhose, jetzt Hose, jetzt das T-Shirt. Und jetzt gehen wir frühstücken, und dann gehen wir los.
Der Punkt ist: Ich glaube, Du erwartest von Deiner Tochter (unbewusst) zu viel. Dass sie doch SEHEN muss, dass es so nicht geht. Dass sie doch VERSTEHEN muss, wie sehr es Dich stresst, wenn sie kurz vorm Losgehen noch in den Keller will, Spielzeug holen. Das kann sie aber nicht leisten. Was sie braucht, ist klare, freundliche Führung: JETZT gehen wir los. Und dann losgehen, ohne mit hochrotem Kopf darauf zu warten, dass sie doch einsehen muss, dass das jetzt dran ist. "Können wir noch ein Spielzeug aus dem Keller holen?" - "Nein, wir gehen jetzt los." Und wenn sie dann wütet oder schreit: "Ich verstehe, dass dich das frustriert. Das tut mir leid. Jetzt gehen wir los."
Du musst nicht auf ihr Einverständnis warten. Bedürfnisorientiert zu begleiten heißt nicht, dass unsere Kinder alles toll finden müssen, was wir tun. Sie haben das Recht, auch mal pampig, frustriert oder wütend auf uns zu sein. Und es ist unser Job, es ihnen dann nicht gleich zu tun, sondern ihnen vorzuleben, dass man auch gestresst und trotzdem freundlich sein kann. Das geht aber nur, wenn ich für mich ganz klar bin: Es ist nicht die Aufgabe meines Kindes, eine Struktur toll zu finden oder bereitwillig zu unterstützen. Aber wenn ich mit viel innerer Klarheit gar keinen Zweifel daran lasse, was wann dran ist - dann gibt diese Klarheit gefühlsstarken Kindern auch dann Halt, wenn sie zunächst dagegen rebellieren.
Hilft Dir diese Antwort weiter?
Herzliche Grüße
Nora Imlau
Liebe Nora,
danke für deine Antwort.
Ja, das stimmt, genau so ist es auch. Ich versuche, auf alles einzugehen, weil ich alles so machen möchte wie sie es braucht bzw. möchte und dabei gehe ich weit über meine Grenzen hinaus und am Ende bin ich so überlastet, dass ich explodiere, obwohl mir gerade ein wertschätzender Umgang mit meinen Mitmenschen enorm wichtig ist und ich auch versuche, meiner Tochter das zu vermitteln.
Und ja, ich glaube auch, dass ich sie manchmal überfordere. Sie ist sehr schlau und verständig und manchmal erwarte ich dann Dinge von ihr, die sie noch gar nicht leisten kann. Leider vergesse ich das oft.
Es tut gut zu hören, dass sie nicht mit jeder der von vorgegebenen Struktur einverstanden sein muss. Ich konnte nach einer sehr langen, sehr strapaziösen Geburt schon als Baby ihr Weinen nicht gut aushalten und genau so geht es mir jetzt, wenn ich sie nicht zufrieden stellen kann oder sie wegen mir wütend wird oder weint. Ich habe dann das Gefühl, etwas falsch zu machen oder ihr nicht gerecht zu werden. Deshalb beziehen wir sie in alles sehr stark mit ein, vielleicht zu stark, und dadurch fehlt ihr wahrscheinlich die so wichtige Klarheit und wir überfordern sie. Und am Ende sind alle unzufrieden.
Das mit dem Kleiderschrank ist eine sehr gute Idee, das mache ich gleich heute Nachmittag.
Und ich glaube, ich kann in Zukunft auch ihren Protest besser aushalten, wenn ich weiß, dass ich an dem Protest nichts ändern muss bzw. kann, sondern meine Aufgabe darin besteht, sie da freundlich und mit Verständnis zu begleiten.
Vielen lieben Dank!
LG Isa
Liebe Thea,
vielen Dank, dass ich heute hier Gast sein darf. Ich freue mich auf den spannenden Austausch hier bei urbia!
Herzliche Grüße
Nora Imlau
Guten Morgen Nora,
habe letzte Woche Dein Buch in der Buchhandlung entdeckt und schon die ersten Tipps mitgenommen.
ich habe immer Riesenkämpfe mit meinem 8jährigen Sohn, Anziehen, frühs fertig machen und Riesentheater mit Hausaufgaben. Generell gefällt ihm die Schule schon aber alles was mit Druck zu tun hat da blockt er voll ab. Wenn er sie nicht macht muss er sie in den Pausen nachholen, hat ihn aber auch nur kurz beeindruckt.
Egal was wir schon probiert haben, nix fruchtet, Belohnungen in Aussicht, Streichung von Unternehmungen, Eieruhr, ..... haben wohl ein besonders hartnäckiges Exemplar ); das belastet natürlich das ganze Familienleben. Mit Konsequenz und Aufmerksamkeit kommen wir gar nicht weiter, er muss immer das letzte Wort haben.
Was würdest Du denn mit so einem Härtefall versuchen?
VG
Hallo, und vielen Dank für Deine Frage.
Du beschreibst ja selbst sehr treffend, dass Dein Sohn voll abblockt, wenn er unter DRuck gesetzt wird. Das trifft in gewisser Weise auf alle Kinder zu, auf gefühlsstarke aber ganz besonders. Denn Druck bedeutet Stress, und Stress können gefühlsstarke Kinder nicht gut ab. Dass sie dann regelrecht "dicht machen" ist keine Trotzreaktion, sondern ein gesunder Schutzmechanismus ihrer Psyche. Das heißt aber auch: Mit Belohnungen und Bestrafungen (Streichungen von Unternehmungen etc) oder Zeitstoppen (Eieruhr) macht man bei diesen Kindern alles nur noch schlimmer. Denn so gut diese Tricks gemeint sein mögen, haben sie doch eins gemeinsam: Sie bauen Druck auf, erhöhen den Stresspegel, und verhindern so, dass ein Kind sich konzentrieren und lernen kann.
Was hilft also? Dafür müssen wir uns kurz angucken, was Kinder brauchen, um gut lernen zu können: Entspannung und Motivation. Das heißt: zunächst einmal brauchen sie einen gelösten Grundzustand ohne Stress, und dann brauchen sie die Motivation zu lernen. Die können Menschen grundsätzlich auf zwei Wegen bekommen. Durch so genannte extrinsische Motivation, bei der für irgendeinen äußeren Grund gelernt wird (etwa um die Lehrerin zufrieden zu stellen, um eine gute Note zu bekommen, um nicht von Mama und Papa geschimpft zu werden, um ein Eis zu bekommen) und durch so genannte intrinsische Motiovation, bei der aus einem inneren Grund gelernt wird (Interesse am Thema, Leidenschaft, Beigeisterung, Neugierde).
Gefühlsstarke Kinder lassen sich sehr schwer extrinsisch motivieren. Belohnungen und Bestechungsversuche prallen an ihnen ab. Sie können aber unglaublich gut lernen, wenn sie intrinsisch motiviert sind. Das macht Hausaufgaben mit ihnen zur Herausforderung, denn sie sind oft nicht besonders spannend, und die innere Leidenschaft für das kleine Einmaleins zu entwickeln fällt fast allen Kindern schwer.
Die wirkungsvollste Strategie ist trotzdem: Einen möglichst stressfreien Rahmen ohne Druck und Zwang schaffen. Und dann an die intrinsische Motivation appellieren. Also nicht: Wenn Du die Aufgaben nicht machst, gehen wir morgen nicht ins Schwimmbad. Sondern: Guck mal, hier kannst Du lernen, blitzschnell im Kopf auszurechnen, wie viel 8 Packungen Gummibärchen kosten. Und wieviele jedes Kind bekommt, wenn Du sie unter vier Freunden aufteilst. Ihr könnt Wettrechnen spielen, einander vorlesen, Euch über die Aufgaben unterhalten und versuchen, irgendwie etwas Spannendes oder zumindest vage Interessantes an ihnen zu finden.
Und wenn das alles nicht klappt? Dann ist Ehrlichkeit die beste Antwort. "Ich finde diese Hausaufgaben auch langweilig und doof. Und es tut mir leid, dass du sie machen musst. Doch so sind leider die Regeln in der Schule, um im Leben gibt es immer wieder Dinge, die wir machen müssen, auch wenn wir keine Lust drauf gaben. Das ist frustrierend, aber diesen Frust können wir zusammen aushalten. Wie kann ich es Dir leichter machen?"
Ich wünsche alles Gute!
Nora Imlau
danke für die Ausführungen, werde ich heute nachmittag gleich mal austesten (;
VG
Guten Morgen Frau Imlau,
auf Empfehlung hier im Forum habe ich mich kürzlich auch an ihr Buch gewagt und habe meine Tochter wiedererkannt zu denke ich 85% 90%.
Ich hatte hier einen Post verfasst zum Thema: Unternehmungen nicht möglich. Jedoch hapert es bei mir an der Problemlösungsfindung, bzw an etwas konkreteren Beispielen/Ratschlägen.
Toll, dass wir hier eine Möglichkeit haben uns Tipps zu holen.
Meine Tochter (22m) ist schon immer eine Schippe drauf, in Allem. Sie war ein Schreibaby, wird heute noch in den Schlaf begleitet und ihr Verhalten ist halt oft extrem und unsere, vor allem meine Nerven liegen blank. Sie spricht schon Recht viel, freut sich stark , und ist offen für viele Reize, genauso wütet sie stark und "gibt nicht auf".
Konkret zur Zeit, fast alles ein Kampf. Abholen aus der Kita dauert ewig, sie will nicht gehen, Schuhe nein, Jacke anziehen nein. Sie macht sich steif, tritt, windet sich. Im Auto geht's dann noch schlimmer los. Sie hat Hunger. Obwohl sie gut essen soll in der Kita. Mittlerweile habe ich immer was dabei, damit sie Mal drei min ruhig ist. Ja, der Weg des geringsten Widerstandes wird hier immer öfter gegangen. Denn was ist ein wirkliches Bedürfniss und was nur Krawall? Wir können es oft nicht unterscheiden denke ich. Denn sie jammert nicht normal oder quengelt. Sie schreit als würde man ihr ans Leben wollen.
Sie will dann nachdem sie was in sich rein gestopft hat ihren Ruuuucksaaaaack, oder die puuuupeeeee. Reicht wann es ihr war es eh falsch, Versuche ich es auszusitzen schreit und windet sie sich hartnäckig weiter in ihrem Sitz.
Meist schreit sie dann kuuuscheeeln, ja geht nicht, ich muss noch Autofahren, gleich zu Hause kuscheln wir...
Ich kann es einfach nicht mehr ertragen, ich bekomme dabei richtige Magenschmerzen.
Alleine mit ihr Einkaufen traut sich keiner mehr mit uns. Zu 90% eskaliert es. Mein Kind bleibt nicht ruhig im Einkaufswagen sitzen, sie versucht sich rauszustürzen wenn sie es so will, Ablenken, einbeziehen.....alles probiert. Meist sind wir danach schweißgebadet, bekommen noch gratis nett gemeinte Ratschläge von netten alten Omis und wünschen uns, dass die Schlafenszeit naht.
Wahrscheinlich müssen wir da auch noch klarer werden, nur wie gesagt, was sollte man erfüllen und was gehört zum ganz normalen ichwilldasjetztaberso Verhalten einer fast zwei jährigen? Vielleicht liegt hier ein Problem?!?
Hallo und vielen Dank für Deine Frage!
Zunächst einmal: Das klingt irre anstrengend - ich kann gut verstehen, dass Du erschöpft bist und nach Lösungen suchst. Gucken wir also mal gemeinsam, was Ihr machen könnt. Drei Botschaften erscheinen mir dabei wichtig:
1. Es ist okay, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, wenn er Euch das Leben leichter macht. Wirklich. Es ist müßig, herausfinden zu wollen, ob sie "aus gutem Grund" etwas einfordert oder "Theater macht". Sie ist 22 Monate alt. Sie kann nicht so tun, als ob. Sie macht kein Drama, sie erlebt ein Drama - wenn auch vielleicht aus nichtigem Anlass. Ein Tag in der Kita ist schön, aber total anstrengend für kleine Kinder - wenn sie da raus kommen, sind sie durch. Wir tun gut daran, sie dann wie kleine Marathonläufer zu behandeln, die gerade ins Ziel eingelaufen sind: Füße hochlegen, mit Essen und Trinken versorgen, nichts frage, nichts erwarten. Und schnell nach Hause!
2. Ihr müsst klar sein, was geht und was nicht geht. Die Abholsituation klingt sehr anstrengend - und gleichzeitig sehr normal. Das ist einfach DER Hotspot im Alltag mit einem Kleinkind. Da sind so viele Gefühle gleichzeitig dran: Wiedersehensfreude, Abschiedsschmerz, Erschöpfung, Vorfreude auf Zuhause. Kein Wunder, dass da regelmäßig eine Kurzschlussreaktion im Gehirn einsetzt. Was Du brauchst, ist ein klarer Plan: Das geht beim Abholen. Und das geht nicht. Also zum Beispiel: Beim Abholen können wir in der Garderobe so lange kuscheln, bis Du mich loslässt (nicht umgekehrt!). Und dann setze ich dich ins Auto und wir können NICHT kuscheln, bis wir zuhause sind. Genauso mit dem Essen: "Ich setze dich ins Auto und gebe Dir eine Brezel. Und die nächste Mahlzeit gibt es dann, wenn wir zuhause sind." Schreit oder weint sie dann im Auto nach irgendwas, nicht hektisch versuchen darauf einzugehen, kein Verständnis für Erklärungen erwarten. Einfach ganz ruhig sagen: "Jetzt fahre ich Auto. Alles andere kann bis zu Hause warten." Wie ein Mantra - auch für Dich. Du musst Dichnicht zerreißen. Es ist auch nicht schlimm, wenn Deine Tochter jetzt einen Moment weint oder schreit. So verarbeitet sie ihren Stress. Und Deine Klarheit hilft ihr dabei.
3. Erinnert Euch daran, wie klein sie noch ist. Noch keine zwei Jahre! In diesem Alter wirken Kinder oft schon so fit und clever, und sie verstehen auch schon so viel. Aber: Wir überschätzen sie auch oft. Sie kann noch nicht verstehen, was ihr Verhalten mit Euch macht. Sie kann sich nicht an Absprachen halten, sie kann keine Rücksicht auf Eure Gefühle nehmen, sie kann nicht dafür Verantwortung übernehmen, dass Ihr in Ruhe einkaufen könnt. Sie folgt ihren Impulsen, wie es für noch nicht einmal zwei Jahre alte Kinder normal ist. Und Ihr seid in der Verantwortung, diesen Impulsen einen Rahmen zu geben. Beispiel Einkaufen: Es ist völlig legitim, einfach NICHT mit ihr einkaufen zu gehen, wenn es gerade zu viel Stress bedeutet. Es ist auch legitim, zu erwarten, dass sie in der Trage/Im Buggy/im Einkaufswagen bleibt währenddessen, auch wenn sie das doof findet, weil alles andere für Euch gerade nicht zu handeln ist. Was aber nicht okay ist, ist, sie mitzunehmen, ihr zu sagen, wie sie sich benehmen soll, und dann sauer auf sie zu sein, wenn sie sich nicht dran hält. Das kann sie nämlich noch nicht leisten.
Hilft Euch das weiter?
Alles Liebe
Nora Imlau
Danke, das bekräftigt def mein Gefühl, dass wir teilweise tatsächlich zu viel ausprobieren um die Ausbrüche zu unterbinden oder abzukürzen und dann total ins Schwimmen Geräten und nicht mehr klar sind in unseren Ansagen. Danke
Haben Sie noch einen ultimativen Tipp für das Wickeln? Sie tritt und wehrt sich sehr stark, zumindest auf dem Wickeltisch. Buch oder Kuscheltier mitnehmen bringt es nicht mehr. Im Stehen, wenn sie an der Spielküche beschäftigt ist, geht es meist. Beim großen Geschäft aber nicht praktikabel.
Auch warten und ihr die Wahl lassen, irgendwann wird's unangenehm, immer mal nachfragen ob ich wechseln soll, funktioniert auch nicht.
Hallo Nora,
ich muss zuerst gestehen, ich kenne das Buch noch nicht. Ich habe es aber gerade bestellt, da mich der Artikel hier neugierig gemacht hat.
Alles was ich gelesen habe trifft auf meine Tochter (und auch mich) 3 Jahre zu.
Von Geburt an hat man mir immer gesagt meine Tochter sei schwierig. Ich selbst habe es nie so empfunden. Sie hatte Schreiphasen die haben wir mit viel Ruhe Tragetüchern liebevollen Worten und guter Musik im Ohr überstanden.
Dann hatte sie Phasen in denen sie einzelne Gefühle extrem ausgelebt hat, weinen mit hinwerfen wegen jedem Verbot oder jeder noch so kleinen Ermahnung. Auch hier gute Worte und kuscheln. Klappte immer prima.
Ich war bis sie drei war Zuhause und sie hat sich super entwickelt blieb ohne Probleme bei anderen hat mit zwei schon fließend gesprochen und konnte ohne Probleme bis 10 zählen und bis fünf rechnen (woher sie das kann wissen wir nicht haben das irgendwann beobachtet) Farben etc noch früher usw... Alles in allem sehr schlau sehr anspruchsvoll und sehr kuschelig.
Aber irgendwie gelang es mir immer mit meinem Bauchgefühl richtig auf sie einzuwirken ihr klare Regeln und Strukturen zu geben.
Dann kam sie in den kiga, da lief von Anfang an alles schief, sie kam in eine reine Schulkind Gruppe mit 2jahren und 10 monaten! Dürfte kein Kuscheltier mitnehmen nur Fotos, obwohl ich ihnen gesagt gabe, das es mein Kind zum weinen bringt und ihr nicht hilft.( wir konnten lange keine Fotos aufhängen mit ihr weil sie dann geweint hat weil die schöne Situation um ist und nicht genauso wiederkommt)
Naja sie haben alles geblockt. Dann nach fünf guten Wochen ging sie an fürchterlich zu weinen hatte Alpträume vom Kindergarten etc. ( Das ganze Zinnober ging fast über ein Jahr) Man gab immer mir die Schuld. Bis mein Mann geplatzt ist und man sich dann doch auf mein Ritual mit Kuscheltier und persönlich Begrüßung durch die Erzieherinnen geeinigt hat und ich mein Kind zum Abschied auch wieder küssen durfte. Dann lief es wieder. Alpträume blieben, sind jetzt aber auch besser. Freunde hat sie keine Erzieher meinen sie wäre so und sehen nicht ein da irgendwie mein Kind an die hand zu nehmen.
Die Folge ist das sie jetzt nicht Mal mehr alleine bei Oma bleiben will, sie schläft nur noch bei uns alles ist zu einem Kampf geworden anziehen essen etc...
An unseren Ritualen Zuhause hat sich nichts geändert. Aber ich bin mit den Nerven so runter das ich im Moment ständig mit ihr Schreie wenn sie etwas nicht gleich macht und dann weint sie und versteckt sich oder sie schreit und droht.
Ich selbst arbeite auch ständig mit Drohungen, wie dann gibt's nix süßes. Aber obwohl sie das traurig macht zieht es oft nicht. Sie sagt dann : ist doch eh alles egal Mama. Ist doch nicht wichtig was ich mache! Ich bin doch egal.
Und das zerreißt mir das ❤️ ich weiß nicht wer so was gesagt hat und wie ich dagegen wirken kann das sie so empfindet!
Ich weiß aber das mein schreien und mein drohen das ganze negative Bild von ihr verstärken.
Haben sie vielleicht einen hilfreichen Tipp?
Ich habe eine wirklich großartige Tochter und ich will das sie es auch von mir fühlt nicht nur hört.
Vielen lieben Dank für ihre Zeit!
Hallo kafremmi,
danke für Ihre berührenden Zeilen. Es ist förmlich zu spüren, wie sehr Sie Ihre Tochter lieben und wie sehr Sie unter der belastenden Situation leiden. Was Sie über den Kindergartenstart schreiben, klingt ganz furchtbar. Dieses Vorgehen war wirklich sehr unpädagogisch und das Gegenteil von bindungsorientiert. Gut, dass Sie sich da für Ihr Kind stark gemacht haben. Trotzdem frage ich mich bei Ihren Schilderungen, ob Ihr Kind möglicherweise von einem Kindergartenwechsel profitieren könnte? Die Einstellungen der Erzieher*innen ändern sich ja nicht, nur weil Ihr Mann und Sie sich durchgesetzt haben ...
Dann wäre es wichtig, anzuerkennen, dass Ihr Kind da wirklich eine schlimme Erfahrung gemacht hat, die es erst einmal verarbeiten muss. Da ist ihr Verhalten ganz logisch. Wer in seinem Vertrauen erschüttert wurde, will erstmal nicht woanders übernachten. Wer sich nicht richtig von Mama verabschieden durfte, kann nur schwer loslassen. All das sind völlig normale, gesunde Reaktionen. Die beste Antwort darauf sind Verständnis und Geduld. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind hätte sich vor Kurzem ein Bein gebrochen. Wären Sie böse mit ihm, wenn es danach noch einige Zeit Schwierigkeiten mit dem Laufen hat? Genauso ist es mit seelischen Verletzungen. Sie brauchen Zeit, um abzuheilen, und sorgen dafür, dass Kinder noch lange Zeit nicht voll belastbar sind. Ihre Tochter kann da nicht mehr dafür als für einen gebrochenen Fuß, und braucht das selbe Verständnis und dieselbe liebevolle Begleitung von Ihnen.
Sie schreiben, dass Ihnen dies zur Zeit oft schwer fällt. Dass Sie anfangen, zu schreien und zu erpressen, obwohl sie das eigentlich nicht wollen. Das spricht dafür, dass Sie selbst gerade sehr verletzt sind von den Geschehenissen der letzten Monate. Vielleicht hat die Erfahrung einen wunden Teil Ihrer eigenen Seele berührt, alte Kindheitsverletzungen heraufbeschworen, das passiert sehr häufig. Die Wut, die dann hochkommt, ist eine ganz alte Wut, die Sie vielleicht schon 20 oder 30 Jahre mit sich herumtragen und die sich nun ausgerechnet im Alltag mit Ihrem Kind entläd. Der einzige Weg da raus ist: Konsuquente Selbstfürsorge. Tun Sie sich selbst etwas Gutes, sein Sie für sich selbst da. Versuchen Sie, herauszufinden, was da drückt und schmerzt und einem liebevollen Umgang mit ihrem Kind im Weg steht. Ich weiß, dass vielen Menschen dabei das Buch "Das Kind in dir muss Heimat finden" von Stefanie Stahl sehr geholfen hat, vielleicht ein Lesetipp?
Von Herzen alles Gute für Sie und Ihre Tochter
Nora Imlau
Vielen Dank für ihre Antwort.
Sie haben Recht solche Verletzung brauchen viel Zeit und Liebe.
Ich muss das verlorene vertrauen von meiner Tochter erst wieder aufbauen.
Ich selbst mache mir wirklich große Vorwürfe weil ich sehr genaue Vorstellungen habe wie ich als Mutter sein will und wie nicht.
In diesem Fall ist meine Vorstellung mit der Realität kollidiert und jetzt werde ich die Scherben aufräumen mit mehr Geduld und Einsicht bei mir angefangen.
Ein Kindergarten Wechsel hatte ich letztes Jahr schon in Betracht gezogen. Mit dem Auto würde das eine Fahrzeit von 30 -40 Minuten bedeuten und mit övv 60 Minuten.
Das war für uns organisatorisch
nicht umsetzbar. Leider.
Ich muss gestehen das Buch steht schon lange in meinem Regal aufgrund einer Empfehlung einer Freundin. Nur habe ich es nie zu Ende gelesen.
Das werde ich jetzt tun!
Vielen lieben Dank für ihre Antwort und das sie ihr Wissen mit uns teilen!
Einen wunderschönen Tag für sie und ihre Familie.
Als Lehrerin ist schon die Überschrift eine Qual! Klar! Das eigene Kind ist nicht nervig, es ist „gefühlsstark“. Einfach dümmer als andere Kinder? Kann gar nicht sein! Es muss irgendeine Lernkrankheit haben! Und früher hatten die Kinder nicht noch gute Erziehung und waren disziplinerter, sondern es gab einfach noch nicht die „gefühlsstarken“, die gar nichts dafür können und daher ungestravt alle nerven dürfen 😏
Und ja, so drastisch ist diese Problematik! Die meisten wissen ja gar nicht, was heutzutage in den meisten Klassenzimmern abgeht, wie der Unterricht, die Lehrer und auch die Mitschüler leiden, weil immer neue Ausreden erfunden werden. „Kinder“ (sie sind dann meist 6-20 Jahre in der Schule), wird oft geglaubt, können ja gar nicht mutwillig böse sein! Immer haben sie ein „Problem“...falsch! Man mutiert nich mit Beginn des Berufslebens zu einem guten oder schlechten Menschen.
Hallo Elena,
danke für Ihren Beitrag. Ich lese bei Ihnen jetzt gar keine Frage, ich schicke Ihnen trotzdem mal eine Antwort
Denn mein Eindruck ist: Der Begriff "gefühlsstarke Kinder" hat sie so geärgert, dass sie sich gar nicht näher damit befasst haben, was dahinter steht. In meinem Buch "So viel Freude, so viel Wut" über gefühlsstarke Kinder steht nämlich gleich zu Beginn, dass Gefühlsstärke zwar eine ERKLÄRUNG für so manche schwierige Verhaltensweise ist, aber keine ENTSCHULDIGUNG dafür. Ein gefühlsstarkes Kind zu haben entlässt Eltern also keineswegs aus der Verantwortung, ihrem Kind einen sozialverträglichen Umgang mit seinen starken Emotionen beizubringen - im Gegenteil: Sie sind besonders gefordert, ihr Kind sehr engmaschig zu begleiten und ihm einen festen Rahmen zu bieten, damit es nicht - von der Macht seiner starken Gefühle übermannt - andere oder sich selbst verletzt.
Gefühlsstarke Kinder gab es im Übrigen schon immer - und sie sind schon immer ihren Lehrerinnen und Lehrern auf die Nerven gegangen. Der Erfinder Thomas Edison ist dafür ein gutes Beispiel. Was neu ist, ist dass wir heute verstehen können, warum diese Kinder so ticken, wie sie ticken. Und ihnen dann helfen können, sich besser in den Klassenverband einzufügen. Deshalb habe ich zu meinem Buch nicht nur viele dankbare Briefe von Eltern, sonden auch von Lehrerinnen und Lehrern bekommen.
Insofern: Manchmal lohnt es sich, sich näher mit einem Begriff zu befassen, bevor man darüber urteilt. Ab er das wissen Sie als Lehrerin ja sicher selbst am besten!
Herzliche Grüße
Nora Imlau
Hallo Nora,
Ich habe beim Lesen des Titels auch erstmal mit den Augen rollen müssen.
Ich frage mich, ob anstatt einer Erklärung der Begriff gefühlsstark nicht doch eher eine Ausrede ist bzw eine Folge von fehlender Erziehung? Alle diese Beispiele hier handeln von Kindern, die geradezu nach Halt und Grenzen schreien und Müttern, die es einfach nicht schaffen, diese zu setzen. Ihre Antworten hier an diese Mütter haben mir dann doch Lust aufs Buch gemacht, weil Sie ja, auf höflichste und zurückhaltendste Art, auch sagen: Mensch Mädel, jetzt Hau doch endlich mal auf den Tisch!
Woher kommt diese krasse Unsicherheit der Mütter? Woher die Angst, dem Kind mal einen Wunsch auszuschlagen? Ist es soooo schwer, Bedürfnisse von Wünschen zu unterscheiden? Ist es so schwer zu ertragen, dass mich mein eigenes Kind mal ne Stunde echt blöd findet? Warum? Ist es die Tatsache, dass viele Mütter sich aus dem Berufsleben und teilweise auch eigenem Sozialleben komplett zurückziehen, um alle Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen und dass dann die fehlende Anerkennung zB durch den Job komplett durchs Kind kompensiert werden muss und es dann extrem als Versagen empfunden wird, wenn das Kind mal frustriert oder unzufrieden ist?
Was macht das langfristig mit dem Kind?
Bei vielen Beispielen hier denke ich, dass nicht das Kind besondere Begleitung braucht sondern die Mama.....
Liebe Nora Imlau, meine Tochter ist 18Monate und wir sind gerade mitten in der Eingewöhnung. Ich hatte mich schon einmal an dich gewandt und einen guten Denkanstoß bekommen.li
Nach einer drei tägigen Pause ohne Tennung haben wir eine erneute Trennung "gewagt". Ich habe an meiner inneren Haltung gearbeitet und aktiv mitgestaltet so das auch für mich die Rahmenbedingungen stimmen. Die Trennung lief mit Tränen ab aber ohne großen Drama. Sie zeigt immer wieder kurze Sequenzen der Beruhigung und keine extreme Abwehr.
Nun steigern wir sehr langsam die Zeit.Von 5 auf 10 auf evtl bald 15-20Minuten).
Ich sehe schon wie schwer es ihr fällt. Aber sie ist auch sehr interessiert. Nur war sie vorher ja noch nicht weiter von mir getrennt außer mit ihrem Papa.
Nun bin ich am Freitag unterwegs und der Papa hat frei. Ist es sinnvoll das er für diesen Tag übernimmt?
Oder könnte sie das zu sehr irritieren?
Auch hat er Ende Oktober zwei Wochen Urlaub in denen er übernehmen könnte.
Liebe Grüße Bella
Liebe Bella,
erstmal: Wie schön, dass sich bei der Eingewöhnung alles so positiv entwickelt gerade. Die Trennungssituation klingt doch wirklich schon viel besser. Tränen per se sind ja nicht schlimm - Kinder dürfen ihre Trauer zeigen - entscheidend ist, dass die Kleine sich beruhigen lässt, denn dafür braucht es Bindung.
Meine Einschätzung ist: In dieser fragilen Zeit, in der jede Loslösung noch sehr schwer fällt, würde ich den Freitag aussetzen. Dann verbringt sie zu Erholung einen richtig schönen Tag mit Papa und am Montag geht die ganz normale Eingewöhnung weiter. Ende Oktober ist sie dann sicher soweit, dass der Papa die Eingewöhnung weiter führen kann. Das kann sogar günstig sein, wenn da auch noch mal eine andere Bezugsperson übernimmt. Wichtig ist, dass er es in den zwei Wochen wirklich kontinuierlich macht und nicht nur ab und zu. So entsteht ein verlässlicher Rahmen, den Eure Tochter gerade braucht, um vollends gut ankommen zu können.
Alles Liebe!
Nora
Liebe Nora, vielen Dank für Deine Antwort. Ja das klingt sehr stimmig für mich/uns.
Dann setzten wir am Freitag aus und schauen was der Oktober bringt( evtl. mit dem Papa)
Ich merke auch wie wichtig es ist, für mich und meine Tochter das wir diesen Prozess zusammen durchleben.
Und klar gibt es manchmal noch den kleinen Zweifel ob es alles so richtig ist.
Aber mit Vertrauen und dem nötigen Bauchgefühl und einer offenen Kommunikation wird es!
Bedürfnisorientiert für die gesamte Familie eben.
Ich wünsche Dir alles Liebe. Mach weiter so mit dieser tollen und wichtigen Arbeit.
PS: Eine allgemeine Frage noch: Gibst du auch Workshops oder gehst in Kitas und Schulen?
Liebe Frau Imlau,
ich habe zu diesem Thema eine Frage.
Meine Tochter hatte in ihrer Grundschulklasse einen Jungen, der hochsensibel ist. Dieser Junge wohnt in unserer Straße, sie kannten sich also schon von "der Straße" und haben sich gut verstanden ohne richtig befreundet zu sein.
Irgendwann in der Schulzeit erzählte mir dessen Mutter mal, dass sie ja ständig Ärger mit der Lehrerin hätte, weil diese mit dem Verhalten des Jungen offensichtlich nicht umgehen konnte.
Auch meine Tochter berichtete, dass der Junge permanent wegen Nichtigkeiten ausflippen würde, sich verweigert oder sonst irgendwie den Unterricht stören würde. Als er nach der dritten Klasse die Schule gewechselt hat, meine sie: Ich finde den XY ja eigentlich nett, aber ich bin trotzdem froh, dass er jetzt nicht mehr in meiner Klasse ist.
Jetzt hat meine Tochter vor einigen Wochen zur weiterführenden Schule gewechselt und ist natürlich prompt in der Inklusionsklasse gelandet. Letzte Woche erzählte sie: "Der Z aus meiner neuen Klasse, der benimmt sich genauso wie der XY. Heute ist ermit einem selbst gebastelten Papierboot über die Tische "gefahren" und hat da ein paar Mäppchen und Bücher runtergeschubst. Als sich ein paar Kinder beschwert haben, ist der total ausgerastet, hat die Mäppchen wieder auf die Tische gepfeffert und hat mit einem eine Prügelei angefangen."
Was gebe ich in dieser Situation meiner Tochter mit auf den Weg? Es stört sie nunmal (beim Lernen), dass er z.B. einfach mitten im Unterricht anfängt laut ein Lied zu singen, weil ihm gerade danach ist. Wenn der Lehrer ihn dann zurechtweist, fängt er mit diesem auch noch Streit an. Die Schulbegleiterin, die hat, ändert an der Situation irgendwie auch nichts.
Es geht soviel Unterrichtszeit für diesen Sch... drauf. In der Grundschule hab ich immer noch gedacht, naja, ist ja Grundschule, aber am Gymnasium geht es ja jetzt lernmäßig richtig ab. Ist ja schön für den Jungen, wenn er trotz dieser Eskapaden trotzdem noch alles drauf hat (so erzählte es mir meine Nachbarin jedenfalls von ihrem Sohn), aber ich habe Bedenken, dass die Klasse irgendwann hinterher hängt oder alles durch powert ohne genügend Zeit für Festigung, die ich dann zu Hause nachholen muss.
Ich weiß, dass ist jetzt alles Spekulation, ich möchte aber auch nicht warten, bis das sprichwörtliche Kind in den Brunnen gefallen ist. Daher würde mich interessieren, was der Rest der Klasse tun kann, damit es gut wird?
LG N.
Hallo und vielen Dank für Deine interessante Frage, in der es ja weniger um Gefühlsstärke geht als um das viel größere Thema: Was ist Inklusion? Dass jedes Kind heute ein Recht darauf hat, mit Gleichaltrigen zu lernen, auch wenn es behindert ist oder sich anders verhält als viele andere Kinder, ist in Deutschland noch verhältnismäßig neu. Wir sind es so gewohnt, irgendwie auffällige Kinder in Extra-Schulen zu schicken, dass vielen Eltern das befremdlich erscheint - so ein Kind in der Klasse ihres Kindes. Die Ängste, die Sie formulieren, sind da ganz typisch: Wird die Unterrichtsqualität leiden? Werden die anderen Kinder am Lernen gehindert? Wird es schwerer, den Stoff zu schaffen? All diese Fragen versperren jedoch den Blick darauf, worum es bei Inklusion wirklich geht: um ein Menschenrecht nämlich, das auf soziale Teilhabe. Ja, es mag sein, dass der Unterricht anders aussieht mit einem Kind mit besonderen Bedürfnissen in der Klasse. Doch das ist normal - es gibt kein Recht darauf, nur unter Gleichen zu lernen. Das ist aber für Ihr Kind nicht zum Nachteil, denn von Inklusion profitieren alle in einem Maß, das wir oft unterschätzen. Denn wo Inklusion wirklich gelebt wird, erfahren Kinder tagtäglich, was wir Erwachsenen oft mühsam lernen müssen: Wie normal es ist, verschieden zu sein. Sich auch mal zu nerven über Verhaltensweisen ist dabei völlig normal und legitim. Doch genauso normal ist es, die Anstrengungen des Miteinanders ganz verschiedener Menschen aushalten zu lernen. Und zu sehen, wie fruchtbar es auch sein kann, wenn so viele unterschiedliche Temperamente und Persönlichkeiten aufeinander treffen. Natürlich braucht es dafür einen guten Rahmen: Inklusion bedeutet nicht, dass ein Kind das Recht hat, den Unterricht tagtäglich zu sprengen. Aber es bedeutet, dass alle dazu beitragen, einen Weg zu finden, mit dem jedes Kind in der Klasse auf seine Weise gut lernen kann. Ich bin überzeugt: Dadurch macht auch Ihr Kind Lernerfahrungen, die unendlich viel wichtiger und kostbarer für sein weiteres Leben sind als so mancher Stoff im Lehrplan.
Ihnen und Ihrer Familie von Herzen alles Gute
Nora Imlau
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Ehrlich gesagt ging es mir aber weniger um den Sinn von Inklusion als solches, als um handfeste Tipps für die Umsetzung.
Dass die Inklusion auch für die "normalen" Kinder ganz, ganz toll ist, damit haben uns die Medien ja nun lange genug zugeschmissen.
Ist halt nur schade, dass es daran scheitert, dass die Klassenkameraden das betreffende Kind schon nach 5 Wochen als "lästiges Übel" empfinden, was es zu ertragen gilt und dem man immer wenn möglich aus dem Weg geht.
Da muss man doch meiner Meinung nach schon ansetzen und dieser Entwicklung entgegenwirken, wenn die Sache mit der Inklusion noch irgendwann funktionieren soll.
Was ich mir erhofft hatte, waren Ratschläge à la "bei Ausrastern bitte soundso verhalten um weitere Eskalation zu vermeiden", aber das war wohl nur Wunschdenken.
Danke für die Einladung und die spannenden Fragen - ich komme gerne wieder!
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