Wenn das Kind anders ist als vorgestellt

Okay, das ist ein krasser Beitragsname und ich habe lange überlegt, diese Gedanken zu teilen. Und es wird lang..
Wir haben einen Sohn, der Ende des Jahres 2 wird.
Es war ein absolutes Wunschkind. Und jetzt fällt es mir so schwer, ihn so zu nehmen wie er ist.
Ich hatte keine konkreten Vorstellungen, wie ‚mein Kind‘ sein wird. Aber ich habe so häufig den Gedanken, dass ich mir wünsche, er wäre anders als er ist. Es klingt scheußlich und ich fühle mich schlecht, aber er ist so wahnsinnig anstrengend.
Er ist ein sehr wilder Junge. Freundlich, lacht viel, lernt unheimlich schnell dazu und es macht auch Spaß, ihm dabei zuzusehen, wie er neue Sachen entdeckt. Aber.. er hat die Augen auf und ist von 0 auf 180. Erst heute habe ich mich mit einer Mama unterhalten, die meinte, ihre Jungs wären auch wild, aber das Gefühl der unabdingbaren Liebe würde ja alles wieder gut machen, wenn sie kuscheln und die Mama umarmen etc. Das gibt es hier einfach nicht.
Stattdessen rennt er drauf los, egal wohin. Ich weiß schon morgens nicht, wie ich ihn beschäftigen kann- er ist kein Junge, der sich hinsetzt und Tut tut Flitzer über die Bahn schiebt. Er schmeißt sie lieber durch die Gegend. Jeder Ausflug endet damit, dass ich ihn regelrecht einfangen muss und ihn in seinem Buggy ‚sperren‘ muss, damit er sitzt.
Und um uns herum- die schön im Sand spielenden Kleinkinder, die (überspitzt gesagt) nach dem schönen Ausflug auf Mamas Arm wollen. Ich beneide jede Mama, die ihr Kind auf dem Arm tragen kann- ich kann es (zumindest meistens) nicht, ohne dass er sich windet und wendet. Wie sehr wünsche ich mir, dass wir Ausflüge machen könnten, und er oben Mittelweg findet zwischen Erkunden und Ruhe. Er kennt nur Vollgas, bis er ins Bett kommt. Und manchmal weiß ich schon morgens nicht, wie ich den Tag überstehe (ein Glück, dass er halbtags in die Kita geht…). Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass er irgendwann ruhiger wird oder- dass ich irgendwann einen Weg finde, mit ihm umzugehen und mir nicht vorzustellen, wie wäre es wenn…..
Das musste mal raus..

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Ich glaube tatsächlich, dass der Ball da in erster Linie in deinem Feld liegt. Dein Kind ist wie es ist. Es darf so sein und verdient eine Familie, die es so annimmt, wie es ist.
Du schreibst, es macht Spaß, ihm zuzusehen, wie er Neues lernt. Was macht dir noch Freude, wenn du ihn beobachtest? Schenkst du diesen Sachen genug Aufmerksamkeit?

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Ich hatte mal ein Tagebuch geführt, in dem ich mir jeden Tag 3 schöne Momente mit ihm notiert hab. Vielleicht sollte ich das wieder anfangen..
ich erfreue mich schon an ihm, aber oft ist es leider einfach so, dass er in mir durch sein Verhalten auch so eine Unruhe auslöst. Ich weiß, dass der Ball bei mir liegt, finde es nur super schwer..

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Vielleicht hilft es, zwischen Charakter einerseits und Verhalten andererseits zu unterscheiden? Dein Kind ist ein wilder, aktiver, energiegeladener Junge. Das ist so. Und ich finde es wichtig, seinem Kind nicht das Gefühl zu geben, dass es irgendwie "falsch" ist und man lieber ein anderes hätte.
Auf der anderen Seite stehen konkrete Verhaltensweisen, z. B. dass er Dinge durch die Gegend schmeißt. Das nervt, klar. Aber er ist ja noch klein. Mit deiner Hilfe lernt er mit der Zeit, wie er sich in bestimmten Situationen richtig verhält. Da wird sich also natürlich noch ganz viel tun und es wird weniger Reibungspunkte geben. Vielleicht wird euer Alltag dadurch schon automatisch entspannter?
Hoffe nur bitte nicht darauf, dass er zu einem ruhigen, kuscheligen Beobachter wird. Das macht euch wahrscheinlich beide nur unglücklich.

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Gerade wenn ein Kind sehr anstrengend ist halte ich es nicht für komisch, wenn man sich bestimmte Verhaltensweisen wegwünscht. Manches wächst sich ja auch teilweisd aus (grade diese Wildheit) und man wünscht sich quasi es würde schneller gehen, das ist doch ok. Ob du dein Kind auf tieferer emotionaler Ebene so liebst wie es ist schreibst du nicht, aber das sollte natürlich so sein. Ich wünsche mir bei meinem Kind (eigentlich schon immer), dass es mehr Frustrationstoleranz hätte, weil dieser ewige Frust und das sofortige Aufgeben bei Kleinigkeiten ja auch für das Kind selber total blöd sind. Aber trotzdem liebe ich mein Kind absolut innig und versuche es zu unterstützen, auch wenn ich manchmal sehr genervt bin von seinem Verhalten.

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Ich glaube, dadurch, dass er einfach den ganzen Tag so wild ist, beschäftige ich mich auch permanent damit, ob es sich auswächst und dass ich es mir anders wünsche.
Und mir tut es auch im Herzen weh, dass ich so denke, wie ich denke.. weil er ja auch so schöne Seiten hat, so freundlich und wissbegierig ist.
Aber… welche Mutter muss sein Kind jedes Mal einfangen, weil er nie stehen bleibt? Und dieses Gefühl, dass er mich auch braucht, das vermisse ich einfach total.

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Hallo!

Ich hatte ähnliche Momente mit unserer Nr. 1, die einfach dauernd auf Achse war und uns beide quasi "nicht brauchte". Kuscheln? Wozu? Anziehen nach dem Babyschwimmen? Eine Katastrophe. 2 Erwachsene und 1 Baby von einem halben Jahr... Wir waren im Team schweißgebadet.
äuf
Ich - von Beruf auch noch Pädagogin - habe mir einen Kopf über Bindung und co gemacht.

Nun denn,
es kam die kleine Schwester, ein komplett anderer Typ, eher das Modell Schreibaby.
Plötzlich war da jemand anderes auf Mamas Arm und Nr. 1 lernte tatsächlich das Kuscheln!

Und heute, nach 11 / 9 Jahren: zwei tolle Mädchen, besonders die im Kleinkindalter nicht so anhängliche Nr. 1 hat ein tolles Vertrauensverhältnis zu mir, Kindergarten lief, Schule läuft bei beiden Damen bombig, sie sind kreativ, haben Geduld, lesen viel, ...

Zu deinem Wildfang: Ich würde versuchen, ihm eine Umgebung zu bieten, in der er sich austoben kann und wenig Grenzen braucht. Ein schöner Park, ein Wald, ...

Und dann würde ich unbedingt mit ihm üben, stehen zu bleiben, wenn dies erforderlich ist (Straßenverkehr).

Unsere Nr. 1 musste sich an meinem Hosenbein festhalten, wenn ich Nr. 2 im Maxi Cosi ins Auto setzte oder die Karre ausklappte etc.. Das war Pflicht. Genauso beim Baden. Es musste mit "Piep" auf "Piep" geantwortet werden, damit ich auch wenn ich einer Dame den Rücken zudrehte sicher gehen konnte, dass die andere Luft bekommt.

Klar, durch das Geschwisterchen war die Sache wirklich nicht zu diskutieren, dennoch kommt dein Kind in ein Alter, in dem es "Stopp" verstehen lernen muss, um keinen Schaden zu nehmen, gerade wenn es nicht der Typ ist, der an der Hand gehen will.

Alles Gute,
Gruß
Fox

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Hey ich dachte damals auch mein kind braucht ganze Zeit action aber die Ruhepausen einbauen im Alltag bringt Kinder runter.
Hast du es mal versucht mit deinem kleinen ein buch mit Geräusche gemeinsam zu schauen? Und dabei Dinge zu erklären?
Und hm schaut er vielleichz schon digitale Medien die ihn auch unruhig machen könnten?
Oder tut ihm vielleicht sogar die Kita nicht gut?

Bearbeitet von Startt
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Wir versuchen immer, so gut wie es geht, Ruhepausen einzubauen aber drinnen rennt er halt einfach immer nur rum. Er bleibt einfach nie sitzen, da hilft sich irgendwie kein Buch oder sonst was.. bin auch mal zum Äußersten geschritten und hab Bobo Siebenschläfer angemacht. Da hat er mal ne Minute gesessen und ist dann weitergerannt

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Ich kann dir leider keinen Tipp geben, aber ich wollte dir kurz sagen, dass man herauslesen kann, wie leid dir diese Gedanken tun, aber ich finde nicht, dass du ein schlechtes Gewissen haben musst. Es ist absolut menschlich, Gedanken und Gefühle zu haben, die weit weg von dem allgemein bekannten "ich habe ein Kind geboren und es ist alles sooooooo toll"-Gerede sind.

Es hat sicher gut getan, dass mal niederzuschreiben. Hast du Menschen um dich herum, mit denen du darüber reden kannst? Hast du genug Zeit für dich, in der du runter kommen kannst? Ich stelle es mir unglaublich schwer vor, den ganzen Tag gefühlt auf 180 zu sein.

Ich wünsche dir alles Gute und dass die Zukunft schon bald etwas leichter wird 🍀

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Ich kann deine Gedanken verstehen.
Und doch, irgendwo, ganz tief in seinen Inneren, hat man eine Vorstellung von "seinem Kind".

Als ich bei K2 hörte, dass es ein Mädchen wird, war ich glückselig. Ich habe mir ausgemalt, wie sie rosa Kleidchen trägt, mit ihren Puppenwagen neben mir her fährt und wir gemeinsam mit Barbies spielen. So ein "richtiges Mädchen" halt. Völlig bescheuert im Nachhinein, aber ja - das waren meine Vorstellungen.

Was ist es geworden?
Ein pinkes Kleidchen (will sie selber! Mit Einhorn und Glitzer am besten) tragendes kleines Wildschwein, was sich bei jeder Gelegenheit im Matsch suhlt, Autos liebt, beim Fußball neben ihren Papa sitzt und kommentiert und Puppen und Barbies nicht mit dem Hintern anguckt.
Sie ist auch ständig in Bewegung, von 0 auf 10000. Sie braucht Bespaßung und Action. Viel Action. Im Garten haben wir einen richtigen Kletterparcours aufgebaut, um sie irgendwie zusätzlich auszulasten.
Sie ist laut, frech, verdammt ehrlich (zumindest jemanden die Meinung zu sagen), scheint keine Angst vor nichts zu kennen und sie treibt mich oft an den Rand des Wahnsinns.
Das sie noch ruhiger wird? Joa, irgendwie habe ich die Hoffnung begraben.

Und doch, ich liebe sie. Auch wenn sie nicht "das kleine süße Mädchen" ist, was ich mir erträumt hatte. Auch wenn wir mit Autos rennen fahren statt mit Barbies zu spielen.
Wir können und müssen unsere Kinder so annehmen wie sie sind. Sie sind einzigartig und sie sind perfekt, genau wie sie sind :)

Bearbeitet von Rapheli
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Ich verstehe dich total. Unser Ältester war auch so, aber es hat dich zum großen Teil ausgewachsen. Er ist jetzt im grundschulalter und noch nicht der Entspannteste, aber es ist längst nicht mehr so anstrengend wie mit 2 rum.
Das ist sowieso ein blödes alter. Können noch nix, außer auf jedes Möbelstück steigen. Gleichzeitig kann man nirgendwo mehr mit buggy oder trage hin ohne das sie dir zur unzeit einpennen und dann die Nacht zum Tag machen.

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Och, das klingt jetzt aber gemein. Ich verstehe was du sagen willst, aber 2 ist doch so ein süßes Alter!
Sie kommunizieren endlich richtig mit einem, man kann schon so viel mehr unternehmen, sie sind an allem ehrlich interessiert und die Mischung aus Baby und Kind finde ich herrlich.
Und das mit dem Einschlafen ist ja meistens ne Timing Sache oder uns Eltern geschuldet 😉

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Ach natürlich ist das süß. Ich würde nicht andauernd mehr Kinder machen wenn ich das nicht toll fände 😉

Aber es ist auch anstrengend. So süß wie sie sind.

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Naja, bei einem permanenten "auf 180" bleibt ja irgendwie auch kein Moment zum Innehalten und mal nachfühlen. Ich kann total verstehen, dass dir dadurch innige Momente fehlen... Es klingt auch, als wärst du mehr im Reagieren, als im Agieren und Zeit so gestalten, dass ihr im Miteinander seid.
Vielleicht kannst du doch nochmal schauen, wie du das mehr in euren Alltag einbauen kannst!? Was macht euch beiden Freude? Gibt es Bewegungsspiele, bei denen er sich ausagieren und ihr gemeinsam lachen könnt (Fangen, Verstecken, Quatsch machen)? Wie läuft eure Einschlafbegleitung - ist er da kuschelig oder wie stellt ihr Nähe im Alltag her? Pizza backen spielen auf dem Rücken? Hat er inhaltliche Interessen, auf die du dich einlassen kannst? Dinos, Autos, Puppen, was auch immer!?
Vielleicht brauchst du erstmal ein, zwei Tage Auszeit, um neue Energie zu sammeln. Und dann versuchst du deinem Kind nochmal neu zu begegnen..lass dich auf seine Welt ein und du wirst euer Miteinander (wieder-)finden.
Und achte gut auf dich... zumindest bei mir ist es so: umso leerer meine Akkus, umso weniger schaffe ich den Perpektivwechsel. Ich wünsche dir und deinem Sohn alles Liebe.

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Danke für deine ausführliche Antwort.
Ja das stimmt. Wir waren heute in einem Tierpark und da bin ich ihm eigentlich auch permanent hinterhergerannt. Selbst eine andere Mutter sagte zu ihm ‚Langsam, du fällst noch‘. Er ist auch eher schmal und wackelig auf den Beinen, deshalb stört es mich nochmehr, dass er so rennt, weil ich immer die Gefahr sehe, dass er fällt.
Wenn ich mir Auszeiten für mich nehme und davon dann quasi zurück nach Hause gehe, bin ich auch einfach super schnell immer danach frustriert, weil (haha was auch sonst) alles beim alten ist..

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Mein "großer" Sohn war so (jetzt 3 1/2). Kein Buch, kein Kuscheln, kein ruhigeres Spielen immer nur Action, plus Wenigschläfer und kein Kitaplatz. Ich war auch ehrlich eine ganze zeitlang richtig fertig und war auch etwas unglücklich
Seit ungefähr 5 Monaten, also kurz nach seinem 3 Geburtstag fing er plötzlich an auch mal ruhigeres spielen zu wollen, er kuschelt auf einmal mit mir und seit ca 3 Monaten lesen wir sogar Bücher, etwas das ich mir vorher nie hätte vorstellen können, dass er das mal möchte.
Es kann sich also auch noch etwas auswachsen. :)

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Das lässt noch hoffen zu..
Ich hoffe halt auch, dass er mit dem Alter ruhiger wird und vielleicht kuscheliger..

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Fühl dich nicht schlecht, genau so würde ich auch fühlen an deiner Stelle. Ich will lieber auch ein ruhiges, chilliges Kleinkind haben als einen Wirbelwind. Aber ich schäme mich nicht, das zu sagen, weil ich ein Recht habe auf meine Meinung, meine Vorlieben und meine Abneigungen.