Hallo!
Ich muss mal provokant fragen- kann es sein, dass in der letzten Zeit mehr auf Unruhe bei Kleinkindern geachtet und das thematisiert wird? Ich lese hier immer mal wieder mit und hab das Gefühl, dass es häufiger in den Beiträgen auftaucht- die Sorge vor ADHS und dass die Kinder unruhig sind; wann genau was noch normal ist. Gleichzeitig hab ich auch das Gefühl, dass sich Verdachtsdiagnosen häufig auch bestätigen; dabei heißt es doch, dass eine gewisse Unruhe im Kleinkindalter normal ist- also wo wird’s wann genau und wie auffällig?
Auch uns wurde Frühförderung vorgeschlagen, weil unser Sohn nicht länger mit einer Sache spielt. Sonst kam aber bisher keine Rückmeldung. Ich frag mich da natürlich wie ernst ist das..
Mehr Kinder mit Unruhe/ADHS-Tendenzen?
Ich habe selbst Adhs, im Erwachsenenalter diagnostiziert. Als Kind war ich der Typ wilde Hilde, aber alles noch im Rahmen. Sozial auffällig war ich im Kindesalter auch nicht. Außerdem war ich ein recht gechilltes Baby. Und trotzdem hab ich Adhs, was ich damit sagen will, Auffälligkeiten im Baby und Kleinkindalter können auf Adhs etc hinweisen, müssen aber nicht. Eine kompetente Diagnostik geht eh erst ab 5 6. Und nicht alle Menschen mit Adhs sind in ihrem Leben eingeschränkt. Man schätzt dass es in Deutschland ungefähr noch 2 Mio Erwachsene gibt mit Adhs, die noch keine Diagnose erhalten haben.
Ob nur Diagnosen zunehmen oder tatsächliche Fälle, wird man wohl erst in einigen Jahrzehnten beurteilen können. Mein Schwiegervater hat vermutlich (er lässt es nicht diagnostizieren) und meine Frau diagnostiziert ADHS. Offensichtlich gab's das auch früher, damals hat man sich mit "reiss dich zusammen", "konzentrier dich endlich", stiller Treppe usw. beholfen. Ein Klassenkamerad von mir, der mit mir die ersten Jahre in der Schule war, war ziemlich viel vor der Tür, weil er Unruhe im Unterricht gestiftet hat. Der dürfte ziemlich sicher auch ADHS gehabt haben, nur hat das damals niemanden interessiert.
Ich würde mich an eurer Stelle auf eine offizielle Diagnose stützen, nicht auf Meinungen aus einem Forum, wo niemand euer Kind untersucht hat. Angebotene Frühförderung würde ich auf jeden Fall immer mitnehmen, wenn du sie kriegst. Unsere Tochter hat die aus anderen Gründen auch, ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass es irgendeine Konstellation geben könnte, wo Frühförderung schädlich sein könnte.
Ich empfehle hierzu die Bücher und Blogs von Fabian Grolimund.
Ja, es wird mehr darauf geachtet.
Weil man heute weiß, dass die Kinder unter dieser inneren Unruhe selber sehr leiden und - wenn dies untherapiert oder besser unbegleitet bleibt - im Erwachsenenalter eine viel höhere Wahrscheinlichkeit haben, an Suchterkrankungen oder anderen psychischen Störungen zu leiden.
Die andere Sache ist die, dass die Berufe, die ADHSlern früher gut lagen, immer mehr aussterben bzw die Leistungsanforderungen in diesen Berufen extrem nach oben geschraubt werden. Lehren, für die es früher reichte, sich durch die Mittelschule gekämpft zu haben, verlangen jetzt Mittlere Reife. Das heißt die Gefahr, zu scheitern, bevor man sich durchgewurschtelt hat und endlich den Beruf lernen konnte, für den man brennt und der damit seinem ADHS entgegenkommt, wächst.
Dann ist der modernere Unterricht, so toll er für "Normale" ist, für ADHSler ein Graus. Freies, selbstverantwortliches Arbeiten, Wochenpläne, unruhige Teamarbeiten wo ständig in der Klasse rumgelaufen und in den Teams ja auch geredet wird werden immer mehr forciert ... und sind für viele ADHSler ein einziger Graus.
Und aus all diesen Gründen heraus fängt man schon sehr früh an, diese Unruhe zu therapieren. Da sie einem eben später mehr als früher im Wege steht.
Und ja, eine gewisse Unruhe ist klar normal, aber Ärzte oder auch Erzieher wissen, was noch normal ist und was nicht. Was spricht denn gegen Fühförderung?