Kind sieht und fühlt Musik

Hallo liebe Community,
Ich hätte gerne eure Erfahrungen zu einer Situation. Zur Vorgeschichte, falls da vielleicht der ein oder andere auch "betroffen ist" und es relevant ist : unser Sohn wird im Dezember 5 und zu seinem vierten Geburtstag wurde im Rahmen einer Kinderpsychologischen Untersuchung eine Hochbegabung festgestellt. Die Untersuchung veranlassten wir auf Anraten des Kindergartens. Bis auf wenige Ausnahmen unterscheidet er sich aber in keinster Weise von seinen gleichaltrigen Freunden.

Heute haben wir im Radio ein Lied gehört und mein Sohn hat mich gefragt, wie sich das lied für mich anfühlt. Ich habe ihn dann gefragt ob er meint, was für Gefühle es in mir auslöst. Er hat mir dann erklärt, dass zb dieses Lied sich in seinem Kopf wie ein weicher Ball, der keinen feste Form hat und sich immer bewegt anfühlt. Mit dem Finger hat er dann eine Form auf den Tisch gezeichnet.

Wir haben danach ein anderes Lied angemacht und ich habe ihn gefragt, ob er dabei auch etwas fühlt oder "sieht". Er hat mir erklärt, dass dieses Lied härter ist, es fühlt sich zackig an und er spürt und sieht eine Bewegung wie eine Welle in seinem Kopf(er hat die arme zur Seite ausgestreckt und eine "welle" nachgemacht)

Er war dann sehr verwundert, ob ich keine Formen sehen und fühlen könne, wenn ich Musik höre, da ihm das immer automatisch passiert und er es auch nicht abstellen kann.

Ist es normal, dass Kinder solche Gedanken und Empfindungen bei Musik haben ? Ich kenne das von mir überhaupt nicht und auch in unserem familiären Umfeld hat das niemand

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Das nennt sich Synästhesie.

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https://de.m.wikipedia.org/wiki/Syn%C3%A4sthesie

Das müsste passen.

Habe ich auch 😀

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Vielen Dank für deine Antwort. Hast du das Gefühl, dass dich das irgendwie in deinem Umfeld abgrenzt oder es für andere wichtig wäre, es zu wissen? Ich lese aktuell viel über hochbegabung mit Bezug auf hochsensibilität, weil ich unserem Sohn natürlich die bestmögliche Unterstützung in seinem Alltag sein möchte. Das Thema ist für mich aber neu. Denkst du es gibt Sachen, die wir als Eltern im Alltag beachten oder wissen sollten ?

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"Hast du das Gefühl, dass dich das irgendwie in deinem Umfeld abgrenzt oder es für andere wichtig wäre, es zu wissen?"

Tatsächlich nein.
Ich bin hochbegabt, Autistin und habe adhs. Irgendwie habe ich im Neurodiversitätsbingo zugeschlagen 🤣
Synästhesien prägen mich kaum. Mir fehlt aber das visuelle Vorstellungsvermögen. Augen schließen, an ein rotes Dreieck denken und es dann auch sehen. Kann ich nicht. Dadurch kann ich kaum malen- ich glaube, viele Menschen haben vor Augen, was sie malen wollen. Ich habe nichts vor Augen 🤣 Aphantasie beeinflusst meinen Alltag mehr.

Die Hochsensibilität hat sich bei mir als Autismus entpuppt.

Bearbeitet von schokofrosch
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Klingt ein bisschen wie Synästhesie. Da ich es nur theoretisch kenne, wäre ich mir allerdings nicht sicher. Hier mal der Wikipedia-Artikel dazu:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Syn%C3%A4sthesie#
Da gibt es auch den Punkt "Abgrenzung von cross-modalen Korrespondenzen". Vielleicht ist der auch hilfreich.
Ich find's abgesehen davon ziemlich cool, dass dein Sohn diese Fähigkeit hat.

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Ach, wurde natürlich schon gepostet.

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Cluseo und auch Vincent von SDP sehen in Musik Farben. -- da fühlt sich ein Beat mehr rot an als blau etc....

Das ist eine Art von musikalischer Begabung oder Talent

Bearbeitet von tr357
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Würde ich mir keine Gedanken machen, ich kenne jemanden der hat ein absolutes Gehör und für ihn sind bestimmte Tõne untrennbar mit bestimmten Bildern verknüpft. Weswegen er sie eben auch immer zweifelsfrei erkennt. Und das war auch als Kleinkind so.... Ist doch ganz nett, wenn die Wahrnehmung eine Extradimension hat. Da gibt es auch viele Spielarten. Ich habe ein (ansatzweise) fotografisches Gedächtnis und wenn ich z.B. in Fremdsprachen ein Wort suche erscheint ganz automatisch ein Stift in meinem Kopf, der es mir gut leserlich aufschreibt. Ich habe erst als Erwachsene verstanden, dass nicht jeder diesen Stift sieht....

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Ich war schon immer sehr musikalisch und verbinde bis heute viel mit Musik. Mein Partner amüsiert sich oft darüber, wenn ich ihm erzähle, was dieses oder jenes Lied für Bilder und Gefühle in mir auslöst.

Als Kind war das auch nochmal wesentlich ausgeprägter bei mir. Ich habe z.B. Cembalo-Musik geliebt, weil der Klang bei mir das gleiche Gefühl ausgelöst hat, wie der Moment, in dem man in ein weiches, mürbes Karamellbonbon beißt. 🤷🏼‍♀️ Die Töne hatten für mich die gleiche Konsistenz wie die Bonbons und kamen dadurch dem Genuss der Bonbons sehr nahe. Das klingt für Außenstehende verständlicherweise total schräg, aber ich persönlich finde es gar nicht schlimm, in der Hinsicht irgendwie anders verdrahtet zu sein. Ich spiele mehrere Instrumente, bin allgemein ein recht kreativer Mensch und kann sehr gut assoziativ denken. Mein Gedächtnis ist stark sinnesgeprägt. Das alles bringe ich damit in Verbindung.

Wir haben alle unterschiedliche Stärken und gerade mit solch eher ungewöhnlichen Stärken kann man oft wertvolle neue Impulse setzen. Ich wäre daher nicht beunruhigt!

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"Like ice in the sunshine" ist für mich orange und passt für mich zu Fruchtsorbet 😁 bzw löst dieselben Gefühle aus wie Fruchtsorbet mit Vanilleeis.

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Doppelt

Bearbeitet von schokofrosch
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Exakt so wie von deinem Sohn beschrieben, sieht Musik für mich auch aus.
Ich galt als Kind immer als sehr empfindsam. Heute würde man es wohl. Hochsensibilität nennen. Erst im Erwachsenenalter stellte sich heraus, dass ich die eher nach innen gekehrte Form von ADHS habe und zusätzlich noch eine hohe Intelligenz, weshalb ich die „unerwünschten“ Symptome gut überdecken konnte. Nur so als Hinweis, da du auch von Hochsensibilität schriebst... :)

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Ich bin auch so und es ist total cool. Die Welt ist viel schöner. Ich kann es mir gar nicht anders vorstellen.

War mir früher unverständlich, warum andere das nicht können.

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Da hat dein Sohn aber eine eher seltene Form der Synästhesie.
Die verbreitete Form ist das "Tönehören" und das "Zeitensehen", also für jeden Wochentag und die einzelnen Monate bzw. Zeiteinheiten eine farbige Form sehen und dann bspw. sich im Tagesverlauf automatisch (visuell) weiter nach unten zu bewegen.

Dein Sohn hat davon (vermutlich) keine Nachteile und eventuell Vorteile beim Merken (er kann an mehr anknüpfen).
Ich hatte damals ein Buch von Richard Cytowic zum Thema gelesen. Der ist Neurologe, nicht selbst betroffen und hat das Thema relativ intensiv erforscht. Er hatte immer wieder Bezug zu einem Buch von Luria "Mind of a Mnemonist" genommen, über einen Russen, eine umfassende Form von Synästhesie hatte (alle Sinne waren miteinander verbunden, also, wenn er etwas sah, roch, hörte, fühlte er automatisch etwas auf der Haut und schmeckte einen bestimmten Geschmack).

Was muss man jetzt darüber wissen?

Der wichtigste Punkt: Für deinen Sohn ist das normal und stört ihn nicht.
Es ist aber unbeschreibbar. Wie würdest du einem Blinden erklären, was einen Geigenton von einem Trompetenton unterscheidet? Oder was ein schriller Ton ist? Oder wie eine Stimme klingt?
Wenn du bspw. etwas hörst, z.B. in einem Lied, dann ist der Ton ja recht kurz. Besonders bei schneller Musik. Bevor du ihn beschreiben kannst, ist er schon wieder vergangen. Daher fällt das Beschreiben schwer.

Wir nutzen im Alltag für Sinneswahrnehmungen immer Konventionen und oft Metaphern - wir sagen eigentlich NIE, was wir WIRKLICH wahrnehmen, sondern nur das, was wir gelernt haben, darüber zu sagen.
Wir sagen, dass ein Ton schrill ist oder dass zwei Farben nicht zueinander passen oder sich ein Schmerz dumpf anfühlt. Was wir aber wirklich dabei fühlen, können wir selten beschreiben und wir wissen nicht, ob andere unter "dumpf" das gleiche empfinden.

Daher wird es unmöglich sein, dass dein Sohn dir seine tatsächliche Wahrnehmung beschreibt, es sind immer nur Annäherungen.
Cytowic sagte über seine Befragungen und Experimente mit Versuchspersonen, dass der synästhetische Eindruck immer "einfach" ist. Man fühlt nicht das, was man bspw. emotional mit etwas verbindet. Man fühlt bei Liebe nicht unbedingt "Wärme" oder bei Hass ein "Brennen". Man sieht keine Landschaften oder Kunstwerke, sondern einfache geometrische Formen oder Farbkleckse, man schmeckt bspw. "metallisch", nicht de Geschmack von einem Gourmetgericht.

Beim Tönesehen sehe ich jedenfalls Farben der Qualität, die man sieht, wenn man die Augen schließt und auf die Lider drückt. Daran kann man schon erkennen, dass man diese Farben sehr schwer so beschreiben kann, dass sie bspw. gemalt werden können. Sie sind nicht komplex, sondern nur "anders" als Farben, die man üblicherweise sieht. Das könnte auch auf alle anderen Sinneseindrücke zutreffen.

Vermutlich kann sich dein Sohn nicht vorstellen, wie er ohne diese Zusatzeindrücke etwas wahrnehmen könnte und du kannst es dir nicht mit ihnen vorstellen.

Bei mir war kurios, dass ich offenbar die einzige Betroffene in der Familie war und ich habe das erst mit 18 herausgefunden, als ich einen Artikel zum Thema las und meinte, das würde doch jedem so gehen. Ich war bis dahin davon ausgegangen, dass man einfach diese Farbeindrücke nicht erwähnt, wenn man etwas hört. So, wie man sicherlich auch vieles andere nicht erwähnt, das man wahrnimmt, für das es aber keine Sprachkonventionen gibt (bei JEDEM).

Es gab genau ein einziges Mal, als mir diese Wahrnehmung Probleme bereitete, und das war beim Geigenkauf. Da sollte ich sagen, was ich gern hätte, und unter "einer tiefschwarzen G-Saite" konnte sich die Geigenbauerin nichts vorstellen. Erst da fiel mir auf, dass ich die Geigensaiten immer automatisch in verschiedenen Farben sah und immer ganz überrascht war, wenn ich die Geige mal anschaute, dass die Saiten alle die gleiche Farbe hatten. Bei mir waren sie nur marginal anders, dunkelbraun/ schwarz, dunkel- bis hellbeige, gräulich-weiß und silber. Also nicht sehr komplex. Dieser Eindruck war aber wohl so tief verankert, dass ich immer mal wieder überrascht bin, bspw. beim Saitenwechseln, dass sie eben in Natura nicht so aussehen.

Aber wie gesagt - wir sagen ständig, etwas klänge "rau", "sanft", "lieblich" - und Wein kann auch lieblich schmecken - obwohl diese Begriffe keine Entsprechung in der Realität haben. Das heißt, es fällt uns allen extrem schwer, Sinneseindrücke konkret und für alle gleich zu beschreiben.

Daran sollte man sich immer mal erinnern.

Bearbeitet von Toschkalee
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Du hast wunderschön detailliert geschrieben, aber ich musste einfach schmunzeln, als du gefragt hast, wie man einem Blinden den Unterschied zwischen Geige und Trompete erklären soll. Naja, er kann doch einfach zuhören. Dafür muss er die Instrumente ja nicht sehen. Ich hab zuerst einfach vermutet, dass du Blind und Taub/ Gehörlos verwechselt hast. Aber dann beschreibst du sehr eindrücklich, wie du Töne siehst und Blinde können nicht sehen. Und jetzt frag ich mich, welche Wahrnehmung ist für dich eindrücklicher: das Sehen oder das Hören der Töne/ Musik? Ist es für dich mit Blindheit gleichzusetzen, wenn du nicht hören könntest? Oder war es tatsächlich nur eine Verwechslung und ich hab da jetzt unnötig viel hinein interpretiert? 😅🙉🙈