Hallo!
Du schreibst:
„mein Sohn (3,5 Jahre) hat eine ziemlich starke Vorhautverengung und Rüsselbildung (blödes Wort). Zurück schieben kann er gar nix und beim wasserlassen zeigt sich das typische Ballonieren.“
Damit beschreibst Du 2 Effekte, die Dir der Arzt eigentlich hätte erklären müssen:
1. Die Vorhautverengung (Phimose)
Die ist bei einem 3,5-jährigen Jungen völlig normal, sofern sie nicht mit Krankheitssymptomen einhergeht. Solche wären z. B. Schmerzen, wiederholte Entzündungen, Harnverhalt, Harnstau als evidente, JETZT tatsächlich vorhandene Symptome. „Es könnte“ ist keine Diagnose und erst recht keine med. Indikation.
Ich vermute, dass bei Deinem Sohn außerdem eine Vorhautverklebung vorliegt. Das ist bei fast allen kleinen Jungen der Fall. Beide Zustände sind für sich gesehen keine Krankheit, sondern ein natürlicher Schutz a) für die sensible Schleimhaut der Eichel (erogene Zone) und b) die mindestens ebenso empfindliche und später erogene Innenseite der Vorhaut. Das hat also einen Sinn. Die Vorhaut ist nicht, wie manche glauben machen wollen, ein nutzloses Überbleibsel aus der Urzeit oder ein Fehler der Evolution.
Nun hat der Junge seit 2 Wochen Schmerzen. Kennt man die Ursache? Ist etwas entzündet, verletzt? Liegt eine Infektion vor? Wenn ich Schnupfen habe, dann behandle ich die Ursache und lasse mir nicht die Nase abschneiden. Es geht also darum, die Ursache zu finden und zu beseitigen. Um eine Wiederholung zu vermeiden können Eltern einiges tun, etwa im Hinblick auf Hygiene oder Trinkverhalten. Dazu einige Anregungen hier:
http://www.intaktiv-online.de/view-details/pdf-dateien-mit-allgemeinen-informationen-deutsch/14-elternratgeber.html
Eine Beschneidung ist aus heutiger Sicht die letzte und nicht die erste Option bei Vorhautproblemen. Zu den sanfteren Optionen komme ich gleich.
2. Das Ballonieren
Woher kommt das? Ganz einfach: Bei den meisten kleinen Jungs ist die Vorhaut in den ersten Lebensjahren a) verengt und b) mit der Eichel verklebt. Solange der Junge normal urinieren kann, ist das kein Problem. Nun beginnt die Vorhaut irgendwann, sich von der Eichel zu lösen, ein ganz natürlicher Vorgang. Wenn sich dabei die Vorhautöffnung nicht gleichzeitig weitet, kommt es zum Ballonieren, d. h. durch die Lösung der Vorhaut von der Eichel entsteht ein Zwischenraum zwischen Eichel und Vorhaut, der zuvor nicht da war, eine Art Tasche. Darin staut sich der Urin, weil die Öffnung der Vorhaut kleiner ist als die der Harnröhre an der Eichel. Läuft der Urin von selbst ab, wenn auch verzögert, ist alles OK. Die Vorhaut war auch vor dem Ballonieren schon eng; das hat aber niemanden gestört, weil man es nicht gesehen hat. JETZT entsteht dieser Ballon. Dabei handelt es sich um eine vorübergehende Erscheinung, die wieder verschwindet, wenn die Vorhautöffnung ausreichend weit ist. Ballonieren KANN im Einzelfall eine Option für eine Beschneidung sein, wenn es lange anhält, Schmerzen verursacht UND auf weniger einschneidendem, das Kind weniger belastendem Weg nicht therapiert werden kann. Bevor der Dok zum Messer greift sollte man also alles andere, mildere versuchen.
Fazit:
Es besteht ein Behandlungsbedarf, aber noch längst keine med. Notwendigkeit für eine Beschneidung.
Alternativen:
1. Salben
Weil der Junge Problem HAT, beginnt man zunächst, die ihn am wenigsten belastende Behandlung mit Salben. ER unterstützt das, indem er seine Vorhaut nach dem Eincremen und Einziehen bewegt, so gut das ohne Schmerzen geht. Wenn die Haut schon ein wenig zurückgeht, dann kann er sie zurückziehen und wieder vor schieben usw., soweit das OHNE Schmerz geht. Geht sie noch gar nicht zurück, lässt sie sich auf jeden Fall auf der Eichel bewegen (sonst würde er nicht Ballonieren). Das reicht dann erstmal aus. In der Badewanne macht er das Gleiche, nachdem die Haut schön weich ist.
Hilft Salbe nicht oder kann man etwa wegen Schmerzen nicht so lange warten, kommt insbesondere bei Kindern eine vorhauterhaltende OP in Betracht. Dabei wird NICHTS abgeschnitten. Die Vorhaut wird mit winzigen Längsschnitten geweitet und dann so vernäht, dass sich nichts wieder verengen kann.
Eine Teilbeschneidung ist KEINE vorhauterhaltende OP! Davon rate ich ab, weil bei dieser Methode eine rund um den Penis reichende Wunde am vorderen Ende der verbleibdenden Haut entsteht, die im ungünstigsten Fall mit Narbenbildung abheilt und sich dadurch erneut verengt. Narbengewebe zieht sich zusammen! Deshalb bitte keine Teilbeschneidung!
Plastibell – wer sowas heute noch macht ist in meinen Augen ein Metzger und kein Arzt. Es wird immer behauptet, dabei würde nicht geschnitten, die Vorhaut fiele sozusagen von selbst ab wie ein reifer Apfel vom Baum. Das stimmt nicht! Um die Plastibell über die Eichel zu bekommen, muss die Verklebung gelöst und die Vorhaut aufgeschnitten werden. Das mag unter Narkose geschehen; trotzdem trägt der Junge dann u. U. tagelang dieses „Ding“ am Penis, hat Wundschmerzen und schaut zu, wie ein Teil ausgerechnet seines Penis langsam abstirbt. Ich weiß nicht, ob der Arzt das wirklich ernst meint, ob er DAS überhaupt meint oder ob er da Begriffe verwechselt.
Du schreibst:
„Der kinderarzt hat uns zum kinderchirurgen überwiesen, der meinte es sollte operiert werden weil es alles sehr eng ist und dadadurch das Risiko für starke Harnwegsinfekte erhöht ist.“
Natürlich meint der Chirurg, es müsse operiert werden. Der Mann ist Chirurg. Das ist seine Arbeit! Aber hat denn der Kinderarzt vorher nicht nach Alternativen gesucht oder darüber informiert?
Hier informiert der Berufsverband der Kinderärzte:
http://www.kinderaerzte-im-netz.de/fileadmin/pdf/kin/oh-mann.pdf
„Nun zu meinem Dilemma, operieren oder doch noch etwas warten und das Risiko einer weiteren Infektion eingehen und wenn operieren, komplett oder nur teilweise (plastibell). Würde mich über Erfahrungen freuen.“
Natürlich kann ich per Forum nicht einschätzen, wie gravierend die Probleme des Jungen sind. Sollte sich vor Ort herausstellen, dass eine OP angezeigt ist, dann aber bitte eine auf der Höhe der Zeit. Ärzte KÖNNEN heute vorhauterhaltend operieren. Manche tun es nicht. Warum, darüber möchte ich nicht mutmaßen. Nur so viel: Beschneidung ist für einen JUNGEN die schwerwiegendste aller möglichen Optionen. Für den ARZT ist sie die am einfachsten umzusetzende (operative) Möglichkeit.
Deinen Worten entnehme ich, dass Du Plastibell für eine Teilbeschneidung hältst. Wer erzählt denn sowas?
Gerade bei Jungen, die vor der Pubertät (Peniswachstum) teilbeschnitten werden, ergibt sich in bzw. nach der Pubertät dann ein ähnliches kosmetisches Bild wie nach vollständiger Beschneidung, weil die lose hinter der Eichel liegende Restvorhaut natürlich nicht in dem Maße mitwächst, wie sie es getan hätte, wenn ihr natürlicher Mechanismus (Spannung, gefurchtes Band an der Spitze) noch vorhanden wäre.
Vorschlag:
+ 2. Meinung eines KINDERARZTES einholen!
+ Gezielt nach nichtoperativen Alternativen fragen! Das Ballonieren zeigt doch, dass der natürliche Ablösevorgang der Vorhaut von der Eichel bereits begonnen hat. Es entwickelt sich also alles in die richtige Richtung! Mit Salbe kann man dies vielleicht gezielt unterstützen, beschleunigen und dem Jungen dadurch wirklich helfen.
+ Wenn Salbe nicht möglich ist (wegen akuter Schmerzen u. ä.) gezielt nach vorhauterhaltenden OP-Methoden fragen! Wenn der Arzt diese nicht anbietet und auch keinen kennt, der das macht – Ärztekammer kontaktieren (oder wieder schreiben)! Die müssen ja irgendwann mal wach werden!
Ach ja, der „Rüssel“:
Auch der hat natürlich einen Sinn. Er ist eine Vorhautreserve a) für die Erektion und b) für das Peniswachstum. Bei den meisten Jungs ist er mit 12, 13 oder 14 weg oder nur noch ansatzweise vorhanden. Die Spitze der Vorhaut bildet das sogenannte gefurchte Band, eine extrem sensible (später erogene) Zone, die zugleich dafür sorgt, dass die Vorhaut im „Ruhezustand“ des Penis geschlossen bleibt (wie eine Schnur am Rucksack). Auch das ist eine Schutzfunktion.
Ich denke, wenn man Eltern und größeren Jungen vernünftig erklären würde, warum „da unten“ alles so ist wie es ist und wie das alles von der Natur vorgesehen ist, dann würde es weniger Angst und auch weniger Beschneidungen geben (und weniger Jungen, die sich dann später nur mit viel Mut trauen, über ihre damit verbundenen Sorgen wenigsten anonym zu reden).
Ich hoffe, ich war nicht zu heftig, möchte niemandem weh tun oder belehren.
LG Mario