Die Schwangerschaft verlief schon so ganz anders als die mit Lea. Bis auf die heftigen Rückenschmerzen ist so ziemlich nichts gleich. Bei Lea ging es mir gut, diesmal habe ich erst mit Hyperemesis, dann mit einer zweimonatigen Bronchitis zu kämpfen. Aber die Müdigkeit, die ich bei Lea hatte, habe ich diesmal nicht. Soviel zum Thema „Kennt man ja, hat man ja schon mal erlebt“...
Nach dem fünften Monat ist es dann aber endlich ausgestanden und es geht mir gut – vom Rücken abgesehen. Und von meinen Blutwerten, denn mein Eisenwert fällt immer wieder sehr ab und mein Blutdruck tut es ihm gleich.
Schon am Ende der 13. SSW wird uns ein erstes vorsichtiges Outing gegeben – wir erwarten einen Jungen. Dieses wird dann fünf Wochen später bestätigt und auch die Ärztin bei der Feindiagnostik ist sich ganz sicher, dass Lea einen Bruder bekommt. Wir sind glücklich – ein Pärchen!
Mein Ziel, weniger als die 20 kg zuzunehmen, die ich bei Lea am Ende mehr drauf hatte, erreiche ich. Es sind 15,4 kg. Dafür mit 102 cm Bauchumfang aber auch 3 cm mehr als bei Lea.
Als ich den positiven Schwangerschaftstest in der Hand halte, steht für uns erst einmal fest, dass wir wieder im Uniklinikum entbinden wollen, wo Lea auch zur Welt kam. Mit der Zeit stoße ich jedoch auf ein Geburtskonzept, das mich umdenken lässt – HypnoBirthing. Nun möchte ich eine Hausgeburt. Wir ziehen Ende Mai in unser eigenes Haus und haben somit Platz und genug Privatsphäre. Jetzt muss ich nur noch meinen Mann von der Idee überzeugen, der mich zunächst ansieht, als sei ich nicht ganz bei Trost. Ich zeige ihm Geburtsberichte von Hausgeburten und HypnoBirthing Geburten und bestelle mir das Buch von Marie F. Mongan. Er lässt sich überzeugen. Ich suche eine Hebamme, die uns begleiten soll und werde im Internet fündig. Wir treffen uns und sie ist uns sympathisch. Die letzten Wochen wird ausschließlich sie die Vorsorge machen, damit wir uns richtig kennen lernen können. Wow, früher hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können, daheim zu gebären, nun plane ich eine Hausgeburt. Sag niemals nie…
Wir besuchen einen HypnoBirthing- Geburtsvorbereitungskurs und ich freue mich so sehr auf die Geburt. Ich stelle mir eine wunderschöne, entspannte Wassergeburt daheim vor. Ich lese das Buch, mache immer wieder mal die Atemübungen, allerdings eher allein als mit meinem Mann, schreibe meine Affirmationen auf. Der ET ist der 24.08.2012. Am 22.06.2012 habe ich das dritte Screening und den letzten Termin bei meiner Frauenärztin. Alle weiteren Termine wird dann die Hebamme Sandra machen. Schon vier Wochen zuvor meinte meine Ärztin, für sie sei mein Sohn schon viel weiter und diesmal gibt ihr der Computer nach den Maßen einen Termin aus, der 19 Tage vor dem errechneten Geburtstermin liegt, den 05.08.2012. Nun bin ich verunsichert. Was, wenn der neue Termin stimmt, der alte aber im Mutterpass stehen bleibt, sich unser Sohn aber wie Lea etwas eher auf den Weg macht – dann wäre er im Zweifel ein Frühchen und ich dürfte nicht daheim entbinden. Und überhaupt, fast drei Wochen ist ja eine ganz Menge, was stimmt denn nun? Wir gehen also nochmal zu ihr rein. Sie zweifelt, ich sage ihr, dass ich doch nur eine klare Aussage möchte und sie verschiebt den Termin. Auf einmal bin ich also 19 Tage weiter und drei Tage später schon im Mutterschutz. Sandra ist geschockt, wie meine Ärztin den Termin so spät noch ändern kann. Ich bin unsicher, wie weit ich denn nun wirklich bin. Aber gut, nun ist es, wie es ist.
Ich gehe zur Anmeldung ins EKH, denn dort ist Sandra Beleghebamme. Auf Grund der ET-Verschiebung wird sehr gründlich untersucht, auch ein Doppler wird gemacht. Es ist alles super, auch die Ärztin dort versteht nicht, warum meine Frauenärztin den Termin geändert hat, sagt aber, dass von seinen Werten her beide Termine passen können. Entweder ist er eben zierlich oder genau in der Norm. Super, also sind wir auch nicht schlauer, dafür aber auf der sicheren Seite. Denn kommt er eher, ist er kein Frühchen mehr, lässt er sich aber Zeit, können wir bei regelmäßiger CTG-Kontrolle locker auf den alten ET verweisen. Ich hoffe, dass er zumindest ein Augustkind wird und sage ihm, dass er zwischen dem 01. Und 24.08. kommen darf, aber nicht am 13.08., das ist der Geburtstag seiner Schwester Lea.
Die Vorsorgeuntersuchungen sind nun sehr entspannt. Sandra oder ihre Kollegin Sophia kommen zu mir nach Hause und das CTG wird bei uns auf der Couch geschrieben. Dabei unterhalten wir uns. Ab und an habe ich mal eine leichte Wehe drauf, aber nichts weiter. Ich bekomme geburtsvorbereitende Akupunktur.
Ich hatte keine Ahnung, wie sich leichte Wehen anfühlen. In der Schwangerschaft mit Lea hatte ich weder Vor-, Übungs- oder Senkwehen gespürt, die Geburt begann mit einem Blasensprung und kaum waren wir im Krankenhaus begannen die Wehen gleich richtig, so dass ich sie veratmen musste und wusste, dass das Wehen sind. Dieses Mal ist das anders. Ich habe wochenlang Übungswehen, Senkwehen etc., die in einem Ziehen im Unterleib und vor allem in einem immer wieder hart werdenden Bauch äußerten. Teilweise musste ich richtig pausieren, damit sich alles wieder entspannte.
Der 01.08. kommt und geht, so wie auch die nächsten Tage. Ich werde langsam ungeduldig. Zudem habe ich ein weiteres Problem – nämlich keinen Stuhlgang mehr. Seit Beginn der Schwangerschaft muss ich Eisentabletten gegen meine niedrigen Eisenwerte nehmen. Mit den Tabletten geht es mir besser, ich bin fitter, muss sie jedoch immer mal wieder absetzen, weil ich davon harten Stuhl bekomme. Also pausiere ich ein paar Tage und nehme sie dann weiter. Anfang August habe ich dann wohl den Zeitpunkt verpasst, an dem ich die Tabletten absetzen kann. Ich lasse sie dann nach Absprache mit Sandra weg, meine Blutwerte sind nach dem letzten Test super und es ist ja eh kurz vor der Geburt. Aber es passiert nichts. Mit der Zeit gesellen sich zu der Ungeduld, dass ich endlich mein Baby im Arm halten und nicht mehr schwanger sein möchte, nun also auch noch Verstopfungen. Mit den Tagen wird es immer schlimmer, ich bekomme mit der Zeit auch Schmerzen dabei. Zunächst versuche ich es selbst in den Griff zu bekommen, esse tonnenweise Apfelmus und was sonst noch so abführend wirken soll, aber alles erfolglos.
Der 13.08. kommt und wir feiern den Geburtstag unserer Großen. Sie wird heute 3 Jahre alt. Es ist ein schöner Tag und zum Glück bleibt es heute ruhig um meinen Bauch.
Ich erzähle Sandra von meinen Stuhlproblemen und sie verordnet mir einen Klistier, den ich mir aus der Apotheke besorge, einen Einlauf für daheim. Besorgt und benutzt – nichts passiert. Ich nehme auch den zweiten – erfolglos. Also wird Sandra mir am nächsten Tag einen Einlauf geben. Gesagt, getan. Ich kriege am 14.08. zwei Einläufe - erfolglos. Also wird Sophia mir am Nachmittag Rizinusöl mitbringen und ich mixe mir abends einen Wehencocktail aus Orangensaft, dem Öl und einem EL Wodka. Na dann Prost!
Um 20 Uhr habe ich den Cocktail genommen. Nase zugehalten und das Zeug in einem Zug leergetrunken. Gleich noch zwei Gläser Orangensaft hinterher. Vom Geschmack her ging es, aber dieses Ölige im Mund ist widerlich. Nun gut, ich hoffe, es hilft. Ob es nun nur die Verstopfung löst oder auch die Geburt anstupst, ist mir fast egal, Hauptsache, diese Verstopfungen sind weg. Ich lege mich später mit meinem Mann schlafen, bisher ist nichts passiert. Sandra hatte mich auch vorgewarnt, dass ein Wehencocktail Pseudowehen hervorrufen kann, die sich echt anfühlen, aber wieder verschwinden.
Um 2 Uhr ist meine Nacht zu Ende, aber das weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich wache auf und muss auf die Toilette. Okay, ist ja nichts Neues. Aber der Cocktail zeigt Erfolg! Endlich Erleichterung.
Um halb vier dann beginnt das Ziehen im Unterleib. Es ist irgendwie anders als die Übungswehen, aber noch sehr leicht, ich muss nichts veratmen. Aber es kommt immer wieder. Ob ich mal in die Badewanne gehe? Immerhin ist es mitten in der Nacht. Übertreibe ich nicht? Aber nun gut, wenn ich schon mal wach bin, kann ich auch baden gehen. Also lass ich mir ein Bad ein, bevor ich es mir noch anders überlege. Tut das gut! Herrlich. Aber das Ziehen bleibt. Wie leichte Wellen kommt und geht es. Ich habe mir eine Uhr zur Badewanne gestellt. Die Wellen kommen alle sieben bis acht Minuten. Das wäre nun der perfekte Zeitpunkt gewesen um mich ganz dem HypnoBirthing-Konzept in die Entspannung zu begeben und mich auf die Atmung zu konzentrieren. Aber ich glaube immer noch nicht, dass das wirklich der Geburtsbeginn ist. Da bereite ich mich monatelang auf eine sanfte HypnoBirthing Geburt vor und als sie tatsächlich sanft beginnt, bin ich überzeugt davon, dass das nicht echt ist.
Gegen halb sechs steige ich aus der Badewanne, da mein Mann nun bald aufstehen müsste um zur Arbeit zu fahren. Er fragt mich, ob er wirklich fahren soll und ich sage ihm, dass er beruhigt fahren kann. Erstens glaub ich nicht an einen Geburtsbeginn und zweitens ist er innerhalb von zwei Minuten daheim, sollte doch etwas sein. Ich bitte ihn nur, unsere Große etwas später in den Kindergarten zu bringen, weil ich mich ebi dem Gedanken, jetzt Auto zu fahren, irgendwie unwohl fühle. Also will er gegen sieben zurück sein um die Große schnell wegzubringen.
Um 6 Uhr bekomme ich eine SMS von Sandra, in der sie mich fragt, wie es mir geht, ob sich etwas getan hat. Ich antworte, dass ich erfolgreich auf Toilette war und leichte Wehen habe, es mir aber sehr gut geht und ich nicht sicher bin, ob die nicht wieder weg gehen. Sie bittet mich, mich etwas später nochmal zu melden und zu sagen, wie es dann ist. Klar, mach ich.
Als mein Mann dann kurz nach sieben wiederkommt, um die Große fertig zu machen und in den Kindergarten zu fahren, tigere ich durchs Haus. Mein Mann sagt, er würde danach nach Hause kommen und nicht mehr zur Arbeit fahren. Okay, ich widerspreche nicht, denn um halb acht werden schlagartig die Wehen stärker. Nun muss ich sie kräftig veratmen. Ich rufe Sandra an und sage ihr, sie soll vergessen, was ich vorhin sagte, die Wehen seien nun stärker. Sie sagt mir, ich solle in die Badewanne, sie sei um acht Uhr bei mir. Mein Mann lässt mir noch ein Bad ein und fährt dann mit unserer Großen los. Sie merkt, dass da etwas mit Mama ist, ist aber sehr lieb.
Ich gehe in die Badewanne, das tut gut. Als ich drin bin und mein Mann mit der Großen weg ist, kommt mir der Gedanke „Was ist, wenn Sandra nun vor meinem Mann hier ankommt? Ich kann ihr ja schlecht so die Tür aufmachen, nackt und nass.“. Aber mein Mann kommt ein paar Minuten vor ihr heim. Kurz darauf kommt sie bei uns an, gut gelaunt. Ich veratme fleißig meine Wehen, durch meine Verunsicherung, ob das nun wirklich die Geburt ist (bin mir immer noch nicht sicher!) und die plötzliche Heftigkeit komme ich aber nicht in die Entspannung. Sandra untersucht mich nach einiger Zeit und sagt „5 cm und alles butterweich!“. Ich frage sie ernsthaft noch, ob das dann jetzt wirklich die Geburt ist oder doch noch Pseudowehen sein können. Sie: „Nein, ich glaube nicht, dass das Pseudowehen sind.“.
Sie bereitet alles für die Geburt vor und setzt sich dann lächelnd auf die Toilette. Ich sehe, wie sie steril verpackte Scheren holt und bekomme Angst. Bloß keinen Schnitt! Ich frage sie, was das ist und sie sagt lachend, das sei für das Durchtrennen der Nabelschnur und dass sie die Schere für einen Schnitt ganz weit weg hat. Das ist gut!
Kurz darauf kommt Sophia, die zweite Hebamme. Es ist ihr Geburtstag. Da sie an dem Tag noch einen Geburtsvorbereitungskurs gibt, muss sie aber um halb zehn los. Sie scherzen, dass ich mich dann wohl beeilen muss.
Ein paar Wehen später wird es nochmal heftiger. Es zerreißt mich förmlich, ich stemme mich in der Badewanne hoch bei jeder Wehe. Mit einer Hand stemme ich mich auf den Wannenrand, mit der anderen auf die Hand meines Mannes, dem ich damit fast den Arm breche. Sandra bemerkt den Unterschied und fragt, was nun anders sei. Ich sage, dass es nochmal heftiger ist. Kurz darauf untersucht sie mich ein zweites und letztes Mal. „7-8 cm und alles butterweich!“. Da rollt eine Wehe an und ich rufe nur „Nimm Deine Hand da weg“ und versuche, mich freizustrampeln. Im Liegen ertrage ich die Wehe nicht. Sandra zeigt sich unbeeindruckt und zufrieden. Als sie fertig ist mit untersuchen, gehe ich sofort wieder in die Hocke. So komme ich mit den Wehen am besten klar. Die sind nun so heftig, dass es mich bald zerreißt. Ich rufe auch recht laut, aber das ist mir in dem Moment egal, es erleichtert mir den Schmerz ungemein. Ich merke auch, dass es viel angenehmer ist, als ich die Wehen bejahend veratme, ich rufe „Ja“ und denke mir „Öffne Dich!“, womit ich sowohl den Muttermund als auch die Fruchtblase meine. Die ist immer noch intakt und verursacht einen ungemeinen Druck, ich weiß gar nicht, wohin mit mir.
Mit einem Mal merke ich, wie ich leicht nach unten schiebe. Nanu, das sind doch aber keine Presswehen! Die kenne ich viel stärker und intensiver.
Es ist halb zehn und Sophia muss los.
Sandra fordert mich auf, aus der Badewanne zu kommen, sie möchte mir die Fruchtblase nun öffnen. Ich habe die Worte der Kursleiterin aus dem HypnoBirthing-Kurs im Ohr „Frauen, schützt Eure Fruchtblase, lasst sie Euch nicht öffnen.“. Aber das ist mir jetzt sowas von egal, ich bin Sandra unendlich dankbar, denn der Druck ist heftig. Mein Mann sitzt auf der Toilette und ich hocke mich mit dem Rücken zu ihm vor ihn. Meine Güte, das geht so gar nicht! Ich merke, dass mir die Kraft dafür fehlt, ich kann mich so nicht halten und während einer Wehe denke ich, ich ertrage es nicht. Sandra öffnet mir blitzschnell die Fruchtblase und ich stehe wieder auf. Nächste Wehe, ich stütze mich auf meinen Mann, drehe mich dann um und stütze mich auf Sandra. Nein, so halte ich das nicht aus, diese Position geht gar nicht. Ich weiß nicht, wohin mit mir und sage, dass ich ins Krankenhaus will. In dem Moment, in dem ich das sage, weiß ich, wie blödsinnig das ist, ich will doch gar nicht ins Krankenhaus. Sandra fragt, was die denn machen sollen und ich sage „Das Kind holen!“. Zum Glück nimmt mich keiner ernst.
Da ich in der Badewanne immer schief in der Hocke saß, ich habe mich immer auf ein Beim gestützt statt auf beide, möchte Sandra, dass ich mich nun mal auf die Seite lege, damit Der Kleine richtig in den Geburtskanal rutscht. Na super, also aufs Bett und ich wollte doch nicht im Liegen gebären. Sandra sagt, ich könne dann auch wieder aufstehen. Okay. Mein Mann und Sandra legen das Bett mit Unterlagen aus. Kaum liege ich auf dem Bett, weiß ich, dass ich nicht mehr aufstehen werde. Ich habe in der Position wieder Kraft und kann die Wehen gut ertragen. Soviel zu den Vorsätzen. Ich liege also auf der rechten Seite, mein Mann an meiner Seite neben dem Bett hockend. Nach kurzer Zeit sagt Sandra, ich könne nun auch in die Hocke, wenn ich will, und ich sage ihr, dass ich mich nicht mehr wegbewegen werde.
Sie sagt dann, dass ich mitpressen soll. Bei der nächsten Wehe presse ich also mit. Aber es ist so anders. Ich bin voll da, erlebe alles ganz bewusst und bin ganz im Hier und Jetzt. Bei meiner ersten Geburt habe ich jegliches Zeitgefühl verloren und nicht gespürt, wie Lea immer tiefer rutschte, dieses Mal bin ich hellwach. Ich habe zwischen jeder Welle / Wehe richtige Pausen, in denen ich entspannen und Kraft tanken kann. Ich habe einen Wecker neben mir, weiß also genau, wie lange alles dauert und die Geburtsphase scheint wieder eher wie im HypnoBirthing-Kurs gelernt abzulaufen. Die Wellen überrollen mich nicht, sie kommen langsam an und ich muss genau aufpassen, wann ich mitdrücke, damit ich es nicht zu früh mache. Bei jeder Welle drücke ich dreimal mit, so fest ich kann, und ich spüre ganz genau, wie der Kleine vorwärtsrutscht – und dann in jeder Wellenpause wieder ein Stück zurückrutscht. Auf der einen Seite denke ich, dass das gut ist, da das Gewebe sich so besser dehnen kann, auf der anderen Seite weiß ich, dass es so aber auch länger dauert. Naja, ich kann es ja nicht ändern. Die Herztöne des Kleinen sind übrigens während der gesamten Geburt hervorragend, er lässt sich nicht groß davon beeindrucken. Sandra prüft das hin und wieder mit einem mobilen Messgerät. Schmerzhaft ist die Phase aber nicht.
Dann heißt es, sie könnten den Kopf sehen. Ich frage, ob er Haare hat, mein Mann bejaht das. Immer wieder frage ich Sandra, ob ich schon gerissen bin und sie vereint es. Ich habe große Angst, dass der Damm reißen könnte, ich weiß noch genau, wie schlimm es damals mit dem Dammschnitt war. Ich reiße aber lieber als wieder geschnitten zu werden. Sandra sagt mir auf meine Bitte, nicht zu schneiden, dass sie die Schere dafür sowieso im Bad liegen hat und nicht schneiden müssen wird. Das erleichtert mich.
Noch ein paar Mal gedrückt und der Druck auf das Gewebe vorne wird immer größer. Nun umfasse ich mit den Armen die Taille meines Mannes bei jeder Welle, während er mein linkes Bein hochhält. Der Arme trägt das gesamte Gewicht allein, besonders bequem war das für ihn nicht, aber er macht das tapfer mit. Naja, ehrlich gesagt hätte er in dieser Situation auch keine andere Wahl gehabt. Er hätte sich mal beschweren sollen. Langsam ist es unangenehm und wenn der Kleine zurückrutscht, ist es erleichternd, weil es mir den Druck auf das Gewebe nimmt. Bei jeder Pause schaue ich nach unten und als man das Köpfchen sieht, taste ich danach. Es fühlt sich viel weicher an als ich gedacht hätte. In jeder Pause kann ich den Fortschritt sehen. Es ist toll, das so bewusst miterleben zu können.
Dann ist er so weit vorgerutscht, dass es schmerzhaft wird, weil ich denke, er zerreißt mir die Scheide. Das hat er dann auch, aber das weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Noch einmal drücken und ich denke, der Kopf müsste da sein, aber es reicht noch nicht. Also nächste Welle abgewartet, wieder gedrückt und da kommt der Kopf. Ich rufe nochmal kurz auf, denn das war schmerzhaft. Schön höre ich, wie der Kleine versucht zu schreien, noch nicht mal ganz geboren.
Ich denke, ich hätte nun wieder eine Pause und der Körper würde mit der nächsten Welle kommen, aber Sandra fordert mich auf, noch einmal mitzudrücken. Ich habe etwas Angst davor, weil alles so spannt und drücke zunächst nur halbherzig, reiße mich dann aber zusammen, denn ich weiß, dass er ja geboren werden muss, also drücke ich nochmal richtig mit. Sie umfasst seine Schultern, ich drücke und der Körper wird um 10:26 Uhr geboren. Mit einem Schlag ist jeder Schmerz weg, jeder Druck, es ist einfach erleichternd. Mit meinem Sohn wird ein ganzer Schwall Fruchtwasser geboren, mein Mann und Sandra sind erstaunt, wie viel da noch kommt. Ich hatte noch ordentlich viel Fruchtwasser.
Sandra hebt ihn hoch und ich schaue ihn sofort an. Mein erster Blick gilt seinem besten Stück, ich muss mich vergewissern, dass es wirklich ein Junge ist. Zig Ultraschalluntersuchungen bei zwei verschiedenen Ärzten haben mir nicht gereicht. Und tatsächlich, es ist ein Junge!
Mein Mann lässt mein Bein los, ich lege mich auf den Rücken und bekomme unseren Sohn sofort auf den Bauch gelegt. Sandra deckt uns mit einem Handtuch zu. Es geht mir gut, ich bin voll da und begrüße unseren Alex. Er schreit, aber es ist so schön, ihn bei mir zu haben. Als die Nabelschnur kurz darauf auspulsiert war, wurde Alex nur zur Seite gedreht, blieb aber auf meinem Bauch liegen und mein Mann durchtrennt die Nabelschnur. Er musste zweimal ansetzen, dann war mein Sohn abgenabelt.
Sandra untersuchte dann Alex kurz, wog und vermaß ihn und mein Mann holte ihm etwas anzuziehen. Dann bekam er seinen Sohn in den Arm gelegt. Alex ist 52 cm groß und wiegt 3570 g bei einem Kopfumfang von 33,5 cm. Er ist etwas bläulich, aber bereits nach wenigen Minuten ganz rosig. Seine Apgar-Werte sind super (10/10).
Sandra spritzte mir etwas, damit die Nachgeburt kommt. Wie bei Lea damals wollte die Plazenta nicht von allein kommen und Sandra kannte meine Vorgeschichte und wusste von dem großen Blutverlust, den ich damals hatte. Ich spüre keine Wehe, aber Sandra drückt ein wenig auf meinen Bauch und das reicht schon und die Plazenta kommt. Mit ihr etwas Blut, aber ich sehe sofort, dass das nichts ist im Vergleich zu damals, als ein riesiger Schwall mitkam. Ich frage Sandra, ob ich die Plazenta mal sehen kann und sie zeigt sie mir und erklärt mir, welche Seite an der Gebärmutter lag und welche zum Kind zeigte, wo die Nabelschnur lag (recht weit an der Seite) und ist selbst beeindruckt, wie groß sie ist. Sie ist vollständig, es ist alles in Ordnung. Sie nimmt noch etwas davon ab und tut es in ein Röhrchen, denn wir lassen wie damals bei Lea auch Globuli davon machen.
Es geht mir sehr gut, aber ich zittere am ganzen Körper. Ich friere und habe Hunger. Ich bekomme ein Handtuch zum Zudecken, das hilft schon etwas. Sandra untersucht mich dann und ich habe einen Labienriss links direkt an der Klitoris und eine kleine Abschürfung unten, der Damm ist aber heil geblieben. Den Riss muss sie mit sechs Stichen nähen, die Abschürfung näht sie mit einem Stich. Ich bekomme dafür eine Lokalanästhesie, die Klitoris kann sie aber nicht betäuben und es ist es zwar etwas unangenehm, aber nicht wirklich schmerzhaft. Die Angst, dass es wehtun könnte, ist schlimmer als das Nähen selbst. Und es war auch danach nicht wirklich schlimm. Im Gegensatz zum Dammschnitt, der mir zwei Wochen lang Schmerzen bereitete, gegen die ich auch Schmerzmittel brauchte, ist hier nach einer Woche alles verheilt und Schmerzmittel brauche ich keine. Nach einer Woche zieht Sandra die übriggebliebenen Fäden, das war es dann. Ich kann in der Woche sogar sitzen, nur bei harten Untergründen ist es etwas unangenehm. Dass es wieder so werden könnte wie damals mit dem Dammschnitt, war meine größte Angst und ich bin mehr als erleichtert, dass es so problemlos war.
Dann darf ich duschen. Sandra kommt mit und hilft mir hinterher beim Anziehen.
Anschließend gehen wir runter ins Wohnzimmer und ich kuschel mich mit Alex auf die Couch, während mein Mann unser Bett neu bezieht, die Unterlagen haben bei so viel Fruchtwasser nicht alles aufgehalten. Es ist toll, ich habe gerade ein Kind geboren und es geht mir hervorragend. Ich bin bei uns daheim und fühle mich wohl. Mein Mann macht mir Brote und ich bin unter die Decke gekuschelt.
Als unsere Große mit ihrer Babysitterin, die sie heute zufällig gerade vom Kindergarten abholt, heim kommt, geht sie gleich zu ihrem Bruder und begrüßt ihn. Anfangs etwas unsicher, wie sie mit ihm umgehen soll, freut sie sich aber, dass er nun da ist. Inzwischen ist sie so verliebt in ihn und eine stolze große Schwester.
Wir sind nun komplett und eine glückliche Familie. Unsere Kinder sind unser großes Glück.
Alex Henrik
15.08.2012
10:26
52 cm
3570 g
33,5 cm KU
Alex' wunderschöne Hausgeburt
Wirklich toll geschrieben !!!
Ich gratuliere ganz herzlich und wünsch euch eine tolle kennenlernzeit
Lieben Gruß, Biene83
Wie schön....und wie lang
Glückwunsch
wunderschöner Geburtsbericht, toll zu lesen
alles Gute!
Toller Geburtsbericht
hab so richtig mitgefühlt, eine schönen Kennenlernzeit
LG Susanne
Hallo!
Ich hatte vor 15 Wochen eine wunderschöne Geburtshausgeburt, Dein Bericht erinnert mich daran. Dieses bewußte Spüren des Geburtsverlaufs kannte ich von den Krankenhausgeburten so nicht!
Euch viel Spaß mit dem kleinen Mann und alles Liebe!
Alles Gute, kleiner Alex! Und euch 4 eine tolle Kennenlernzeit!
Dann hoffe ich mal ganz feste, dass wir auch eine so schöne Hausgeburt haben werden.
Bei meiner ersten Geburt im Geburtshaus hatte ich übrigens so doofe Labienrisse auch direkt links und rechts an der Klitoris, dass sie mir quasi heraushing. Musste in Vollnarkose genäht werden und später waren alle zu feige, mir wenigstens die Knoten direkt an der klitoris zu ziehen Konnte ganze zwei Wochen kaum laufen. Dachte, das läge an der Lokalisation und bin nun ganz erstaunt, dass bei einem ähnlichen Riss nicht halb so viel Ärger hinterher war! Das freut mich aber natürlich für dich!
Alles Gute!
Danke! :)
Meine Hebamme meinte, ob und inwiefern man Ärger mit der Naht hat, hängt, abgesehen von der Lokalisation, maßgeblich mit der Nahttechnik zusammen.
Ich wünsche Euch ebenfalls eine tolle Hausgeburt. :)
LG
Wie lang der Bericht wirklich ist, habe ich erst gemerkt, nachdem ich ihn abgeschickt hatte. :D
Aber danke trotzdem all denen, die ihn trotzdem zu Ende gelesen haben und jenen, die mir gratulierten. :)
Unser Leben mit den beiden Kindern ist toll. Lea ist eine tolle große Schwester, von Eifersucht keine Spur, und Alex ein sehr pflegeleichtes und fröhliches, ausgeglichenes Kind. :)
Anfangs hatte ich Probleme mit mir, weil ich das Gefühl hatte, versagt zu haben. Ich hatte mich auf eine HypnoBirthing Geburt vorbereitet und den Anspruch an mich selbst gestellt, dass ich genauso entspannt sein müsste wie die Frauen in den Filmchen die man auf You Tube sehen kann. Da dies nicht so war, hatte ich das Gefühl, versagt zuhaben. Erst die Aussage von Sandra und Sophia, dass die Geburt eine schöne, einfache Geburt war und meine eigene Reflexion änderten meine Sicht der Dinge. Im Grunde war es eine HB-Geburt, die ersten 5 cm waren völlig schmerzfrei, ebenso die Geburtsphase (Austreibungsphase), bei der letzteren war nur der Druck später unangenehm, die Wellen aber absolut schmerzfrei. Schmerzhaft waren nur etwa 1,5 Stunden. Ich denke heute, das ist gut, auch wenn ich keine Vorzeige-HB-Geburt hatte. :)