Meine Tochter bekommt im Mai das zweite Kind und ich denke natürlich auch daran, wie das damals bei mir war. Vielleicht interessiert das die eine oder andere und hilft mir, das Trauma abzubauen, denn heute muß es ein wunderschönes Erlebnis sein:
Es war eine problemlose Schwangerschaft, in dem KH, wo ich angemeldet war, sollte ich nur alle 4 Wochen erscheinen, ein Arzt horchte dann nur mit einem hölzernen Rohr nach den Herztönen. Einmal sprach er mich an, ob mein Mann denn ein großer Mensch wäre, das Baby wäre übergroß. Das war in den 9 Monaten auch wirklich alles, was interessierte. Ultraschall gab es noch nicht und Blut-und Urintests hatte man auch nicht gemacht. Termin sollte der 9.9. sein. Mein Mann war von montags bis freitags in einer anderen Stadt und kam stets nur zum Wochenende nach Hause. Der 9.9. war nun ein Freitag, wir tranken abends zur Begrüßung ein Glas Sekt und tanzten so gut es ging im Wohnzimmer einen Foxtrott. Am 10.09. morgens um 7 Uhr platzte die Fruchtblase (ich hatte von dieser Möglichkeit gehört, wußte aber sonst gar nichts), ich duschte noch und um 10 Uhr fuhren wir mit 10-minütigen Wehen ins KH. An der Entbindungsstation wurde ich abgewiesen, ich solle mich gefälligst erst im Verwaltungsgebäude anmelden. Wieder durch den ganzen Park zurückgelaufen und das zuständige Verwaltungszimmer aufgesucht. Dort mußten wir anstehen. Um mich herum entstand ein See, denn es lief schon wieder Fruchtwasser aus. Als ich die Verwaltungsdame darauf aufmerksam machte, daß es doch ein wenig eilen würde, bekam ich zur Antwort, das wäre ganz normal und bekam nach weiterem Warten (!) 6 Formulare zum Ausfüllen. Nachdem wir dieses erledigt hatten, gingen wir wieder zur Entbindungsstation. Dort mußte mich mein Mann abgeben!!! Er bekam eine Telefonnummer in die Hand gedrückt, er könne in einigen Stunden mal anrufen.
Ich wurde von einer Hebamme in einen Kreissaal geführt, grüne Fliesen, in der Mitte ein großes Bett, in der Ecke eine Badewanne. Sie musterte mich mißbilligend (vermutlich wegen meines abgetragenen Umstandskleides, ich hatte nur eines, denn damals waren die entsetzlich teuer) und meinte, zur Säuberung müßte ich in die Badewanne (mein Kleid war sauber!). Auf meinen Einwand, ich hätte zu Hause geduscht, meinte sie, das sagt jeder. Ich badete also und stieg dann aus der Wanne. War dann lange allein. Als die Hebamme wiederkam, fuhr sie mich gleich an, warum ich das Wasser denn nicht abgelassen hätte, ob da drin vielleicht der nächste baden solle (ich hatte das vergessen wegen der Wehen). Mußte dann mit viel Mühe auf das hohe Bett klettern und war dann nur noch allein - allein - allein. Vor mir an der Wand eine riesige Uhr, an der man den Sekundenzeiger verfolgen konnte. Die Wehen nahmen zu, aber höchstens alle dreiviertel Stunde kam die Hebamme, die überhaupt nicht mit mir sprach, nachsehen. Von der Öffnung eines Muttermundes hatte ich natürlich noch nie etwas gehört. Ich weinte auch so vor mich hin und erinnern kann ich mich noch an eine Putzfrau, die den Boden schrubbte und mich sehr mitleidig ansah, ich war der Frau so dankbar, daß sie überhaupt da war.
So ging das bis zum Abend, ich schrie inzwischen vor Schmerzen, obwohl ich mich sehr bemühte, dies zu unterdrücken. Um 21,30 Uhr erschien dann eine andere Hebamme und ein Arzt, der mich gleich anherrschte, ich solle doch nicht so schreien, ich wäre doch eine vernünftige Frau (was soll ich denn damit anfangen?). Nach 6 Preßwehen, bei der mir die Hebamme den Kopf derart brutal auf die Brust drückte, daß ich meinte, der Hals bricht mir durch, hörte ich den Arzt sagen, es sei ein Junge. Es dauerte sehr lange, bis sie mir mein Kind überhaupt zeigten, natürlich schon gebadet und angezogen (Strampelanzüge gab es damals noch nicht), alle Babys wurden in ein dickes Tuch gewickelt. Es war ein wunderschönes schneeweißes Kind von 8 Pfund. Ich hätte so gerne noch mein Baby behalten, aber man nahm es mir gleich weg, es kam zu den anderen auf die Station. Mein Mann soll wohl von der Geburt um 23 Uhr erfahren haben, Grüße wurden mir nicht ausgerichtet. Besuchszeit war ja erst am nächsten Tag um 15,30 Uhr, da wurde ihm das Kind wie allen anderen Besuchern erst kurz durch die Glasscheibe gezeigt!
Was dann folgte, habe ich damals als ausgesprochene Grausamkeit empfunden: Ich landete in einem 8-Betten-Zimmer (mit Zwischenraum zum nächsten Bett 1 Meter, 1 Toillette für alle, keine Dusche), das Kind wurde einem ab 6 Uhr morgens im 4 Stunden-Rhytmus für genau 20 Minuten zum Stillen gebracht und dann von der Brust gerissen. Ob es die ganze Zeit geschlafen hat oder nicht trinken konnte, hat niemanden interessiert. Ich war so unglücklich, hätte so gerne mein Baby behalten und mit ihm geschmust, da es ein so schönes Kind war, was mich schon im Kreissaal mit ganz großen Augen angesehen hatte.
Erinnern kann ich mich noch an eine Chefvisite, geradezu grotesk: Wir 8 Frauen erfuhren gleich nach dem Frühstück, daß jetzt der Chefarzt mit seinem Stab käme, wir möchten uns mit hochgezogenem Hemd auf das Bett legen und die benutzte Binde vorlegen. Es dauerte sehr sehr lange, wir froren inzwischen trotz stets geschlossenem Fensters in der stickigen Luft, bis er hereinschwebte, sich von der Oberschwester einige Daten über die betreffende Person vorlesen ließ und draußen war er (ohne Begrüßung natürlich). Was das nun sollte, erfuhr ich von einer Küchenkraft, die uns das Mittagessen brachte: Der Chefarzt muß sehen, ob ein Wochenfluß vorhanden wäre. Aha.
Ach ja, Besuchszeit war nur sonntags von 15 - 16 Uhr und mittwochs von 18 - 19 Uhr. Wie froh war ich, nach einer Woche aus dieser lieblosen Welt entfliehen zu können.
Wie sehr freue ich mich, daß es heute so human zugeht, ein Kind zur Welt zu bringen muß eine Freude sein und kein Erlebnis, bei dem man Mühe hat, es noch nach 40 Jahren zu bewältigen.
Ach ja, das ganze begab sich nicht in irgendeiner Kleinstadt, sondern in einem großen städtischen Krankenhaus in Berlin.
Meine Geburt vor 40 Jahren
Liebe ältere Mutter,
ich finde es sehr sehr mutig, daß Du Deine Erfahrungen nach so langer Zeit aufgeschrieben hast und versuchst, heute noch das Traurige zu verarbeiten.
Ich habe vor 3 Monaten meine kleine Marlene bekommen, mein erstes Kind, und obwohl ich mich bei der Geburt und im Wochenbett im Großen und Ganzen sehr gut und verständnisvoll betreut fühlte und das Baby fast ständig bei mir hatte, gab es auch da ein paar kleine - im Vergleich zu Deiner Geschichte winzige!! - emotionalen Grobheiten und selbst das beschäftigt mich jetzt noch enorm.
In der Schwangerschaft haben mir die eigene Mutter (ich bin schon 37), Schwiegermutter und andere Frauen Deiner Generation ähnliche Erfahrungen berichtet wie Du. Ich habe zu meiner Mutter, oder vielleicht eher noch sie zu mir, ein sehr schwieriges, gebrochenes Verhältnis und ich denke, einen kleinen Teil davon hat auch die Tatsache ausgemacht, daß meine Mama sich bei meiner Geburt in der Klinik so im Stich gelassen fühlte, daß sie keine vernünftige Hilfe zum Stillen bekam (das dann auch nicht "klappte") etc. Deswegen geht es mir sehr sehr nahe, was Du schreibst.
Es ist wohl so, daß das damalige Verhalten ein Stück weit auch noch von Vorgaben aus der Zeit des Dritten Reichs bestimmt war. Vielleicht hast Du mal von dem Buch gehört "Die deutsche Frau und ihr erstes Kind" - ? Das war in der Nazizeit sehr verbreitet und hat unendlich viel Unheil angerichtet mit Empfehlungen, die von vorneherein beitrugen zu einer Entfremdung zwischen Mutter und Kind. Manche Ideen sind heute noch nicht ausgerottet.
Ich wünsche Dir, daß Du doch etwas Trost findest in Deinem - alten aber wohl noch oder wieder sehr aktuellen - Schmerz. Wenn Du magst, kannst Du mir gerne mailen.
Alles Gute und Liebe für Dich,
Kind und Enkelchen...
Adeodata mit Marlene (*2.12.06)
Hallo,
danke für Deinen ausführlichen und so lebendigen Bericht aus der Vergangenheit. Du hast mich zum Weinen gebracht!!!!!
Aber anhand Deiner Geschichte wurde mir klar, dass man mit mir im Krhs so gesehen sehr gut umgegangen ist und die schreckliche Geburt und das Trauma, welches wir davon zurückbehalten haben, einfach auf das Zusammentreffen unglücklicher Umstände zurück sollte und nicht auf die Lieblosigkeit und menschliches Versagen im Umgang miteinander. Außerdem kann man anhand Deinen Erzählungen ausnahmsweise mal behaupten, das nicht wirklich alles schlecht ist, was die Zukunft uns bringt.
Danke für den tollen Bericht, der einem irgendwie die Augen geöffnet hat, dass es manchmal absolut albern ist worüber wir SS uns heutzutage mukieren und aufregen.
Für Dein weiteres Leben wünsche ich Dir noch ganz viel Freude mit Deinen Kindern und Enkelkindern.
LG, Laura mit Pünktchen im Bauch 25. SSW #liebe
Hallo Heidiland,
Danke. Das war ein sehr guter Bericht und ich freue mich, dass Du ihn geschrieben hast. Natürlich ist eine solche Geburt eigentlich keine schöne Sache - auch wenn sie trotz allem für Dich bestimmt schön war, aber ich vermisse immer, dass mir (sorry) "ältere" Menschen die Vergangenheit erzählen. Meine Mutter und auch meine Omas schweigen sich hierzu und zu allen anderen Dingen einfach aus. Ich bin 33, nicht schwanger und werde es wohl in der nächsten Zeit auch nicht werden. Trotzdem schaue ich bei urbia rein, weil ich es einen tollen chat finde. dein bericht heute, war traurig, bewegend und für mich auch total gut.
vielen dank, dass du diesen mut hast.
alles gute - und freu dich über tochter und enkel *gelle*
aloe
Deine Geschichte bringt mich sehr zum Nachdenken und lässt mich dankbar sein, wie gut wir es in unserer Zeit haben. Vor allem finde ich es in Zeiten von Wunschkaiserschnitt und geplanter Geburt wichtig, auch mal zu hören wie das früher mal war.
Ich wünsche dir ganz viel Freude mit deinem Enkelkind!
liebe Grüße
Saskja
Hallo Heidi,
dein Bericht ist wirklich "gut". Bestimmt kaum nachzuvollziehen für die jungen Mamas von heute.
Durch deinen Bericht ist mir auch wieder ein prickelndes Detail von meinen Krankenhausaufenthalt nach der Geburt eingefallen...ebenso wie du, mußten wir uns zur täglichen Visite unten freimachen. Da lag man dann da..wir hatten ein 3-Personenzimmer...Hemd hochgezogen...breitbeinig...ne Binde zwischen den Beinen...dann kam das Team der Visite...ein Arzt entfernte mit spitzen Fingern die Binde..und beäugte einen untenrum...inspizierte gegebenfalls die vorhandene Naht. Das war einfach ätzend.
Ebenso wie du hab ich es als sehr schlimm empfunden, dass man direkt nach der Geburt niemanden informieren konnte. Es war niemand da, der sich mitfreuen konnte. Ich war ja alleine und ein Telefon hatte natürlich noch keiner in der Hosentasche.
Da mußte man warten, bis der Kindsvater anrief. Oder bis man selber aufstehen konnte und ans Telefon laufen konnte, welches auf dem Gang war. Meistens mußte man da ewig warten, weil viele ran wollten.
Alles in allem wirklich recht krasse Umstände. Kann ich mir gut vorstellen, dass auch heute noch ein Trauma deswegen hast.
Viele Grüße,
Steffi