Die Geburtsstation. Über- oder unterbesetzt?!

Wir klingeln im Kreißsaal. Neben mir zwei Frauen, die ebenfalls rein wollen und kurz vorm entbinden sind. Nach ein paar Minuten wird uns dann doch geöffnet. Mit prüfendem Blick checkt die Hebamme anhand der schmerzverzerrten Gesichter der Schwangeren, wer zuerst reindarf. Ich habe alle 5 Minuten wehen, sehe aber laut Hebamme noch sehr entspannt aus. Also warten.
Nach 15 Minuten darf auch ich rein. Mit meinem Mann komm ich in ein kleines gefühlt 2qm großes Vorwehenzimmer mit Klappbett und nebenan eine gut gebrauchte kleine Badewanne und einer Toilette.
Ein kleines Fenster gab es nur im Bad. "Das ist also unser Kreißsaal!" Sehr gut, wir können noch scherzen. (da wussten wir noch nicht, dass es kein Witz ist)
Die Hebamme kommt nach 40 min zur Kontrolle des CTG's und kontrolliert den Stand des Geburtsvorgangs. Mittlerweile hab ich doch schon heftige Schmerzen. Hebamme "Sie sind bei 1cm, fahren Sie nochmal nachhause"
Wasss? 1cm? Das ist nix. Entweder bin ich extrem verweichlicht, oder die Wehen sind doch heftiger.
"Ich fahr nicht mehr nachhause, beim Zweiten Kind geht es schneller. " (Wie recht ich hatte :-/)
Hebamme: Dann gehen Sie spazieren und kommen in einer Stunde nochmal wieder, und lassen Sie mir Ihre Versichertenkarte und den Mutterpass gleich hier, dann machen wir das schonmal fertig. "
Ok, wir gehen raus. Wir schaffen es 5 Minuten bis zum."Storchenparkplatz" zu laufen. Dann ist bei mir vorbei mit gemütlichem Spazierengehen. Ich will ein Bett und einfach nur Atmen und das sofort.

15 min später sind wir also wieder oben vorm Kreißsaal. Hurra, ich bekomme wieder das kleine Zimmer nebenan. Der Kreißsaal muss noch vorbereitet werden.
Eine Hebamme klopft: Hallo, ich bin Julia, ich bin die Hebamme für die Nachtschicht und werde Sie betreuen!" Wir werden allein gelassen. (Wir haben sie danach nie wieder gesehen) Ich lege mich auf's Klappbett und atme...20 min später ...die nächste Wehe kommt und freue mich dass sie gerade wieder aufhören will, da setzt es noch gleich eine Presswehe hinterher und zeitgleich der Blasensprung. Anhand meines Brüllens deuteten die Ärzte und Hebammen, dass der Geburtsvorgang deutlich beschleunigt wurde...
Sie kommen mit verschiedenen ärztlichen Materialien ins Zimmer und ziehen sich hektisch die Handschuhe an.
"Da hatten Sie ja doch recht " sagt die erste Hebamme," das Kind kommt jetzt".

1,5 Stunden Presswehen hatten es in sich. Gefühlt lief es sehr schleppend, dabei dachte ich , ich bin kurz vorm Ziel. Na toll. Anfangs noch so darauf gepocht, die Geburt so natürlich wie möglich zu haben, erwische ich mich doch wie ich die Ärztin in einer Wehenpause schnell frage: kristellern Sie auch?
Sie: nein, das machen wir nicht"
Ich: dachte ich mir, mist!
Also mach ich doch alleine weiter.
Die Hebamme inzwischen mit mir und meinem Mann alleine.
Die Hebamme: Noch einmal und die Kleine ist da. Ich geh' mal kurz raus, veratmen Sie mal die Presswehe..." und weg war sie.
Wasss??? Wo geht die hin? Veratmen? Wie? Sie ist doch fast draußen? Ich atme haspelnd pffff pfff, wie geht das, was mach ich hier?
Mein Mann leicht irritiert über die Tatsache, dass wir also nun offensichtlich allein unser Kind auf die Welt bringen.
Oh, da kam sie dann doch wieder, die Hebamme.
" Na da komm ich ja genau rechtzeitig zur nächsten Wehe" Schön, sie kann noch scherzen.
5 Minuten später, endlich war die Kleine da.
Nach 30 Minuten verschwindet wieder das Personal komplett aus dem Zimmer. Wir bewunderten die Kleine anderthalb Stunden, bis sich mein Mann fragte, ob es normal ist, dass ich solange in dem Bett liege, ohne dass das Laken kurz mal von den "Eskapaden" ausgewechselt wird. Er geht mal raus fragen.
Draußen im Flur herrscht Geisterstimmung. Alle Kreißsaaltüren, offen und vor allem leer, keine Gebärende zu hören. Ab und zu eine Ärztin die in OP Kleidung für zahlreiche Notkaiserschnitte in den OP-Saal rennt. Amüsant, dass jeder Kreißsaal zur Verfügung gestanden hätte, ich es aber aus Zeitgründen nicht mehr schaffte.
Da erwischt mein Mann doch noch eine Hebamme und fragt, ob Sie uns nicht helfen könne, das Bettlaken auszuwechseln oder mich in ein anderes Zimmer zu verlegen.
Sie drückte ihn 2 Binden in die Hand, die er sehr irritiert entgegennahm und eigentlich überhaupt nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Auch ich fragte mich, was ich nun in meinem Zustand damit soll?!
"Im Moment sind wir alle voll besetzt und haben viele Geburten, das wird ein bisschen dauern. Aber sie können dann gleich in den Kreißsaal. " Wie jetzt? Das Kind ist doch schon da! Achso, die U1 findet dann also dort statt.
Mein Mann erinnert die Hebamme vorsorglich in der Arbeitshektik noch an meine Versichertenkarte. Den Mutterpass hatten wir schon zurück.
" Die Versichertenkarte hab ich Ihnen schon gegeben" sagte die Hebamme sehr bestimmt.
Mein Mann: "Wann? Während der Presswehen? "

Nach 4 std komme ich nach der U1 dann in die Wochenbettstation.
Endlich Ruhe! Oder doch nicht? Mittlerweile hat man den Eindruck, die Wochenbettstation ist kein Ort des Ankommens, des Kennenlernens zwischen Mutter und Kind. Nein. Sie ist ein Ort der Ruhelosigkeit und eine absolute Marketingstation für Jedermann.
Das Verrückte ist, es hat sich wirklich jeder mit Namen vorgestellt, die ich mir natürlich nicht gemerkt habe und deshalb die Namen geändert habe.
Ich habe mich schnell daran gewöhnt, dass egal wer ins Zimmer kam, mich grundsätzlich mit entblößten Brüsten sah. Es blieb einfach zu wenig Zeit, sich den Still-BH wieder hochzuziehen. Es lief ab wie in einer Comedy-Serie.

Es klopft: Hallo, ich bin die Stationsschwester Heike, geht es Ihnen gut?
Ich: Ja. " weg war sie.
Es klopft: Hallo, ich bin Svenja vom Catering. Was möchten Sie morgen essen?
Es klopft: Hallo, ich bin die Stationsärztin Dr Weiß und möchte nochmal Ihren Bauch abtasten.
Es klopft: Hallo, ich mache das Zimmer sauber. Ah wie süß, Junge oder Mädchen?
Es klopft: Hallo ich bin Ute die Stillberaterin.
Klappt es denn mit dem Anlegen?
Es klopft: Hallo ich bin Sarah, die Kinderärztin. Ich würde gerne die Kleine nochmal untersuchen.
Es klopft: Hallo, herzlichen Glückwunsch erstmal. Ich bin Renate die Babyfotografin. Falls Sie Interesse haben.
Es klopft: Hallo, ich bin Izabela die Physiotherapeutin! Haben Sie Interesse an ein paar Rückbildungsübungen?
Es klopft: Hallo, ich bin Claudia, die Familienberatung. Haben Sie irgendwelche Sorgen oder Ängste?
Es klopft: Hallo, ich mach das Bett sauber.
Es klopft: Hallo, ich bin Mareike, die Stillberatung, ich möchte gerne wissen ob die Milch schon einschießt?!
Hier hatte ich ausnahmsweise mein BH noch an. Aber hier hielt ich es für angebracht, ihr einfach kommentarlos ohne jegliche Miene meine entblößten Brüste zu zeigen.
Sie schaute etwas irritiert auf meine Milchbrüste und ging dann schmunzelnd.
Es klopft: Hallo, ich bin der Krankenpfleger Xavier. Ich mache das Hörscreening bei ihrem Kind.
Es klopft: Hallo, ich bin Eva. Sind das Ihre Blumentöpfe?
Ich: Ja.
Sie: die dürfen hier nicht stehen. Infektionsgefahr. Ich stell sie hinten in den Flur in den Abstellraum.
Es klopft: Hallo, ich bins nochmal, die Stationsschwester Heike. Also Ihre Versichertenkarte ist nicht mehr im Kreißsaal auffindbar. Sie müssen sie hunderprozentig bekommen haben.
Es klopft um 0:30 uhr: Hallo, ich bin die Lernschwester Helena, ich wollte bei Ihnen nur mal Temperatur und Puls messen."
Spinnen die? Nachts? Und wozu? Ich leg das stillende Kind ab.
Es klopft: Hallo, ich bin die Kinderärztin Sarah nochmal. Hier sind Ihre Entlassungsunterlagen und ich mache gleich noch die U2 bei Ihrem Kind, bevor Sie nachhause gehen können.
Es klopft: Hallo, ich bin Stationsschwester Leyla. Hier sind Ihre Geschenke vom Krankenhaus. Und alles Gute Ihnen!

1 Woche später...
Es klopft,aber diesesmal an meinem Briefkasten. Ein Briefumschlag mit der Adresse des Krankenhauses...
Keine Zeile, kein Wort.
Aber meine Versichertenkarte!

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Also es tut mir echt unendlich Leid wie das abgelaufen sein muss..
Aber ich musste sooo lachen 🤭🤭
Danke dafür ❤
Und alles Gute zum Nachwuchs, alles Glück und Gesundheit für euch.

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Mein Mann und ich schütteln eher amüsant den kopf, wenn wir an das Chaos denken. Es ging ja alles gut. Von daher darf man auch darüber schmunzeln :-)

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Herzlichen Glückwunsch und schön das alles gut ist.
Ich musste aber gerade auch herzhaft lachen zum Schluss mit dem Briefkasten 😆 da habt ihr ja was durch gemacht ☺

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Danke. :-)

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War toll zu lesen, aber eine weniger "lustige" weil weniger chaotische Geschichte wäre euch sicher lieber gewesen. Nicht zu fassen! Was für ein Glück, dass es keine Komplikationen gab!!!

Ganz herzlichen Glückwunsch und viel Spaß mit den ungläubigen Gesichtern, die ihr bei dieser Geschichte noch sehen werdet! (Erzählt es bloß nicht denen, die da demnächst auch entbinden wollen...)

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Hallo,

genau deshalb habe ich mich zweimal für eine Beleghebamme entschieden. Sie kommt wenn es los geht und bleibt bis das Baby da ist. Und sie betreut nicht noch 3-5 Geburten parallel.

Wie gut, dass ihr drüber lachen könnt ;)

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Ja. Da ist eine Beleghebamme die beste Wahl. Das Personal im Krankenhaus bei Geburten ist einfach zu wenig. Vor allem in den Spät- bzw Nachtschichten....:-/
Aber mich hat es echt gewundert, wieviel Zusatzpersonal sie dagegen auf der Wochenbettstation haben...

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Bieten manche Krankenhäuser leider gar nicht mehr an...

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Schön, dass du diese ganze torture noch mit Humor nimmst und euer Babyglück genießen kannst.
Allein die Tatsache, dass ihr unter den Presswehen allein gelassen wurdet, schlimm! Und die Geschichte mit den 2 Binden 🙈

Gratulier euch ganz herzlich zu eurem Sonnenschein und genießt eure Kennenlernzeit.

Wurdest du nach einem Tag schon nach Hause geschickt?

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Ja, ich hätte nach ein paar Stunden gehen können. Sie war topfit und hatte in der ersten Minute schon einen Apgar-Wert von 10, aber ich wollte die U2 noch mitnehmen und habe dort ein Zimmer allein bekommen. Am 3 Tag sind wir dann mit einem kerngesunden Mädchen nachhause. :-)

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Herrlich geschrieben, den Text solltest du dir unbedingt speichern und vielleicht ins Babyalbum einfügen, da habt ihr auf jeden Fall später noch was zu lachen, auch wenn es in dem Moment vielleicht nicht so lustig war.

Wünsche dir alles Gute!

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Sensationell!!!

Schön, dass Du es (inzwischen) mit so viel Galgenhumor sehen kannst!

Meine 1. Geburt (und die einzige) im Krankenhaus lief fast genau so ab. Nur, dass es mein 1. Kind war, ich mit den Worten "Ui, grade ist es ganz schlecht, wir haben alle Hände voll zu tun!" und einem CTG in einer kleinen fensterlosen Kammer OHNE Toilette wirklich nochnal heim fuhr.
12 Stunden später war ich wieder da und hatte dann zwar einen Kreissaal, aber ein ziemlich erschöpfte und auch sehr wenig anwesende Hebamme.
Ebenfalls fast 2 Stunden Presswehen, allerdings MIT Kristellern (was mich arg überrumpelte).

Die 3 Kinder danach bekam ich dann im Geburtshaus, total anders und soooo entspannt!

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PS: In meinem voll besetzten 3Bettzimmer war haargenau dieselbe Fluktuation von Angestellten. Und leider auch Verwandtenbesuchen.

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Na dann hast du ja auch eine turbulente Geburt hinter dir. :-o ursprünglich wollte ich dann auch in ein Geburtshaus. Aber da läuft es ja ähnlich wie mit kitaplätzen. Du musst dich schon vor der Befruchtung dafür anmelden, sonst ist nichts mehr frei ;-)Ohje...ja das nervt tierisch, wenn man wirklich keine Ruhe hat :-/ trotz einzelzimmer aufgrund der corona-maßnahmen. Hätte ich noch andere Patienten im Raum gehabt, wäre die Tür wahrscheinlich nur offen gewesen.
Alles Gute dir :-)

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Erst mal ganz herzlichen Glückwunsch zu eurem Töchterchen!

Und der Text ist echt toll geschrieben :-D

Ich glaube, dass ist leider in vielen Krankenhäusern so. Dass das Personal so gestresst ist, dass es überhaupt nicht auf die Frauen hört habe ich leider von einigen gehört.

Bei meiner ersten Geburt war ich auch im Krankenhaus. Es lief zum Glück alles sehr entspannt. Die Hebamme hat uns auch oft allein gelassen, blieb aber auch immer wieder für ein Pläuschchen. Als es dann "ernst" wurde blieb sie auch, bis der Kleine da war, obwohl ihre Schicht schon zu Ende war.

Ich bin auch 3 Tage geblieben und hatte das Glück, dass mein Sohn an einem Freitag geboren ist und am Wochenende kaum Personal rein kam. Wir hatten schon fast ein bisschen zu viel Ruhe. Ich war aber froh, dass die Frau aus dem Nachbarzimmer nicht bei mir war, denn die hatte ununterbrochen Besuch.

Meine Tochter habe ich dann im Geburtshaus geboren. Da war die Betreuung natürlich ganz anders.

Diesmal soll es eine Hausgeburt werden. Und ich habe nur noch eine Hebamme abbekommen, weil ich bei der vorherigen SS schon dort gewesen war. Ich rief bei 5+3 an (4 Tage nach dem Test) und bekam erst mal zu hören "Im September sind wir eigentlich schon voll".

LG Rahel-Abra mit Zwerg Nr. 3

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Dankeschön:-)
Ich denke auch, eine Hausgeburt ist sicherlich die beste Alternative.
Falls was wäre, kann man immer noch ins Krankenhaus.
Alles Gute dir und eine tolle Hausgeburt :-)

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Was hab icb gelacht, ich lese deine Zeilen jetzt bestimmt zum 5x... So gut geschrieben!

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Dankeschön :-)