Am 18. April (SSW 38+3) wachte ich auf und dachte “Heute kommt das Baby wohl nicht”. Schon seit SSW 37+0 habe ich sehnsüchtig auf echte Wehen gewartet. Auch wenn ich ursprünglich dachte, dass der ET ein schönes Geburtsdatum wäre – der Geburtstag meiner im Dezember plötzlich verstorbenen Oma, die sich sehr auf ihr erstes Urenkelchen freute – nahmen die körperlichen und seelischen Strapazen doch überhand. Ich kam durch keinen Tag ohne Mittagsschlaf, und war aufgeschmissen wenn mir etwas herunter fiel. Große Pläne oder das Besuchen von Verwandten und Freunden waren nicht mehr drin, denn es konnte ja jederzeit losgehen, und wir mussten in der Nähe der Klinik bleiben, denn hier war der Hebammenkreissaal in dem ich entbinden wollte. Ich fühlte mich ziemlich eingesperrt, und so redete ich schon seit Tagen dem Baby zu, ob es denn jetzt nicht kommen möge. Und nach vielen Tagen, in denen es nicht kam, legten mein Freund und ich einfach sturköpfig fest, dass es am 24.04. käme, denn das wäre so ein schönes Geburtstdatum. So, gewiss dass heute keine Geburt stattfindet, ging ich in diesen Donnerstag. Am Vormittag besorgte ich eine Babyhaarbürste in der Innenstadt, und aus einer Laune heraus kaufte ich auf dem Markt beim Warten auf die Straßenbahn Spargel Erdbeeren. Ich freute mich, denn es war der erste weiße Spargel des Jahres, und morgen könnte das Baby ihn dann gleich (im Fruchtwasser) probieren. Zum Mittag kochte ich dann ein Risotto mit grünem Spargel, und danach aßen wir die ersten Erdbeeren des Jahres. Ein paar hoben wir für den 14-jährigen Sohn meines Freundes auf (nennen wir ihn M), der diese Woche bei uns war. Nachmittags war ich dann todmüde, und legte mich ins Bett. Ich schlief bis nach 16 Uhr ohne dass ich das wollte, und kam kaum wieder heraus aus dem Bett. Am Abend kam M zurück. Er hatte einen Känguru Mathematikwettbewerb in der Schule, und die Aufgaben dabei. Zum Abendessen stellte er uns ein paar. Mein Freund fand im Schrank eine angebrochene Flasche Tonic Water, und es quälte ihn, dass sie schlecht werden würde. Ich bot an, ihm beim Austrinken zu helfen, und scherzte, dass das Chitin darin Wehen förderte. Da die intensiven Vorwehen der letzten sechs Wochen aber von jeder wehenfördernden Aktivität unbeeindruckt blieben, machte ich mir keine Gedanken, und trank ein halbes Glas. Nach dem Essen kuschelten wir uns zu dritt auf das Sofa und schauten Dr. House. Wir hatten die erste Staffel wenige Wochen vorher gemeinsam begonnen, denn ich liebte die Show als Teenager und Amazon Prime spielte sie aktuell gratis. Mein Freund goss sich ein Glas Wein ein, die Flasche hatte er am Anfang der Woche begonnen, als er einen Ruf an eine Uni feierte. Wir schauten Folge 9, und begannen auch noch Folge 10, da war es ungefähr 20.15 Uhr.
Doch plötzlich spürte ich ein wenig Nässe in der Unterwäsche. Inkontinenz ist nichts Ungewöhnliches in einer Schwangerschaft, und leicht verwundert ignorierte ich das Gefühl für einige Minuten. Relativ bald kam es mir dann jedoch merkwürdig vor, und ich ging auf die Toilette. Dort war meine Unterwäsche nasser als erwartet, tatsächlich ganz durchnässt. Ich warf sie ins Waschbecken, und rief, selbst noch etwas unschlüssig ob der Situation, aus dem Bad heraus: „Also … [lange Pause] So nah an Kreissaal wie jetzt waren wir noch nie, …“. Noch immer auf der Toilette sitzend bemerkte ich nun auch, dass immer mal wieder ein Schwaps Wasser kam. Auf dem Toilettenpapier war durchsichtiger Schleim mit kleinen roten Bluteinlagerungen, und ich war mir sicher, dass das nun wohl der Schleimpfropf wäre (später merkte ich, dass das tatsächlich das Fruchtwasser war). Ich teilte meine Beobachtung mit meinem Freund, der mittlerweile auch spürbar nervös draußen herumlief. Der Fernseher war aus, und mein Freund und der baldige große Bruder unruhig. Während mein Freund mehr mit sich statt mit mir redetete, dass wir jetzt noch bis zu 24 Stunden warten könnten, bevor es gen Kreissaal ginge, merkte ich das, was sich später als die ersten Wehen herausstellte. Sie waren anders als erwartet. Ein eher mildes Ziehen, mittlerweile habe ich vergessen wo – im Rücken? - , in sehr kurzen Abständen. Während mein Freund nochmal versucht ruhig postulierte, die Kliniktasche auf Vollständigkeit zu checken, begann ich diese „Wehen“ zu tracken. Sie fühlten sich mild an, aber wiederholten sich im Abstand von etwa 2 Minuten. Die erste trackte ich um 20:39. Ich ging auch ins Schlafzimmer und besorgte mir einen neuen Slip, den ich mit einer Wochenbetteinlage ausstatten wollte – im Geburtstvorbereitungskurs hat uns niemand gesagt, wie man sich anzieht, wenn man ausläuft. Im großen Spiegel bemerkte ich, dass ich Nasenbluten hatte. Auch mein Freund riet mir, die Wehen zu tracken, und war sichtlich um Informationen von mir bemüht - ich wiederum hatte Schwierigkeiten all diesen neuen Empfindungen die richtige Interpretation zuzuweisen. Während ich nochmal etwas trank, mein Freund mir dir Haare zu einem Zopf flocht, wir uns die Zähne putzten, und ich eine alte Jogginghose und den zu großen Pullover, den ich zu meiner Promotion geschenkt bekam, anzog, merkte ich dass Sitzen unangenehm wurde, und dass etwas, das ich als „veratmen“ interpretierte, ein wenig half. Stark waren diese Schmerzen aber nicht, und ich war mir unschlüssig was diese mir zu häufig und zu mild erscheinen Wehen denn jetzt zu bedeuten hatten. Gleichzeitig kamen hin und wieder etwas weniger milde Wehen dazu. M war sehr aufgeregt, und redete mir (aber wohl eher sich selbst) auf eine Art und Weise „Mut“ zu, die für mich den Ausschlag gab, jetzt doch in den Kreissaal zu wollen. Mein Freund schickte ihn ins Bett und prepte ihn für den nächsten Schultag, er schnappte sich die Kliniktaschen, ich mir die Jacke meiner Oma, die ich in der späten Schwangerschaft trug, und es ging los. Auf der Fahrt in die Klinik wurden die Wehen schon stärker, auch wenn ich alsbald aufhörte, sie zu tracken – die letzte Aufzeichung ist um 21:18. Auf der kurzen Fahrt lud ich nochmals mein Telefon im Auto, und die Wehen waren noch gut auszuhalten in dem ich meinem Po von meinem Sitz abhob, als würde man den Sicherheitspieper eines nicht-angeschnallten Beifahrers austricksen wollen. Die Fahrt zum Krankenhaus dauerte nur wenige Minuten, und an der Klinik fanden wir einen Parkplatz vor der Notaufnahme. Der normale hintere Eingang war für die Nacht bereits geschlossen, so mussten wir an der Notaufnahme klingeln. Mit meinem großen Bauch und leichtem Pusten und den großen Taschen in der Hand blickten uns die Nachtschichtschwestern nur wissend an („Geht los, was? Alles Gute!“) und ließen uns durch.
Vor dem Kreissaal, es war ungefähr halb 10, saßen bereits zwei sehr müde Väter mit Taschen. Mein Freund wusste bereits, dass er bei der initialen Untersuchung draußen warten musste, aber beim Klingeln teilte man uns mit, dass auch ich noch kurz warten müsste bis ein Untersuchungsraum frei wäre. Es sei heute besonders voll. Ich erinnerte mich an die Beschreibung meiner Geburt, die meine Mutter ebenfalls in einem überfüllten Kreissaal, quasi in einem Abstellraum, vollzogen hatte. Ich ärgerte mich, nicht vorher im Kreissaal angerufen und in den Hebammenkreissaal eines anderen nahen Krankenhauses ausgewichen zu sein. Und ich amüsierte mich darüber, dass ich beim Informationsabend zum Hebammenkreissaal extra fragte, wie wahrscheinlich es wäre, dass alles belegt wäre, und diese Frage mit „Das passiert eigentlich nie“ beantwortet wurde. Als wir warteten konnte ich bereits nicht mehr sitzen, und hing eher vorn übergebeugt über die Stuhlreihen. Mein Freund massierte mir bereits hin und wieder den unteren Rücken in den Wehen. Aus und in den Kreissaal ging an uns nun der Schichtwechsel zu 22 Uhr vorbei. Kurz bevor ich zur Untersuchung durfte kam eine Schwangere mit ein paar Dokumenten aus dem Kreissaal – wohl zum spazieren gehen, dachte ich. Ich durfte kurz danach herein, und kam in einen kleinen, mir bis dahin unbekannten Untersuchungsraum am Ende des Kreissaals. Dort wurde das CTG geschrieben. Schon beim Anlegen merkte die Hebamme an, dass die Wehen ja schon gut im Gange seien, und so startete das CTG bereits bei ca. 100%. auf dem Tokograph Nach dieser initialen Wehe nullte die Hebamme nochmals den Tokographen. Für die nächste halbe Stunde lag ich mehr oder weniger allein am CTG. Eine andere Hebamme kam hinein, um mir zu bestätigen, dass ich ein Familienzimmer haben kann (einige Minuten später kam sie zurück, sich entschuldigend: das Familienzimmer hätte kurz vorher bereits jemand bekommen. Ich bereute nochmals leise, nicht ins UKH gefahren zu sein), und um nach meinem B-Streptokokken Status zu fragen (unbekannt).
Die Nachmittagsschicht nahm mich also auf, und übergab mich an die Nachtschicht. Eine junge Hebamme mit großer Brille stellte sich vor, sie würde mich heute Nacht betreuen. Ich glaube, noch im Untersuchungszimmer bat ich darum, keine Flexüle zu bekommen. Und noch im Untersuchungszimmer wurde die Weite meines Muttermundes getastet – zu diesem Zeitpunkt waren es 3 bis 4cm. Dann wurde ich in den grünen Kreissaal geleitet. Die Hebamme holte meinen Freund schließlich dazu. Ich war froh ihn wieder bei mir zu haben. Die Wehen waren mittlerweile schon schmerzhaft, und ich sehnte mich nach unterstützender Massage. Erst im Nachhinein war ich froh, dass sie mich direkt in den Kreissaal gelassen hatten, und nicht nochmals spazieren. Wir richteten uns im Kreissaal ein. Ich bat meinen Freund um ein letztes Bild von meinem Bauch. Die große Kliniktasche kam auf die Fensterbank. Das Licht wurde gedimmt und gemütlich. Ich konnte mich zwischen meiner eigenen Kleidung und einem Krankenhaushemdchen entscheiden, um bekam ein Krankenhaushemdchen. Die Hebamme machte uns Musik an – entspannte Instrumentalmusik, glaube ich. Die Playlist, die ich mir selbst zusammengestellt hatte, blieb ungehört; Uns fiel erst jetzt auf, dass wir den Lautsprecher vergessen hatten.
Meine Wehen kamen unverändert schnell, aber mit stärkerer Intensität. Es war mittlerweile ein intensiver Schmerz im Steiß. Mein Freund half mit starkem Druck auf meinen unteren Rücken. Er fragte mehrfach, ob er zu dolle drückte (wohl mit ganzer Kraft), dabei hätte ich mir sogar noch stärkeren Druck gewünscht. Am besten klappte es wenn ich mich während einer Wehe stehend übergebäugt ans Fußende des Kreisbetts stützte. Liegend im Kreisbett, auch wenn ich es mir fürein wenig Ausruhen zwischendurch gewünscht hätte, funktionierte nicht gut. Und auch der Gummiball, der sehr gut zwischen Wehen war, war kein guter Ort während einer Wehe. Die Zeit im Kreissaal war für die Dauer der Eröffnungswehen geprägt von kurzen Spaziergängen durch den Raum oder zu einem Schluck Wasser, gefolgt von einer schnellen Rückkehr ans Kreisbett sobald die Wehe kam. Mein Freund hatte keine freie Minute und kam nicht zum Sitzen, denn in fast jeder Wehe massierte er meinen Rücken. Ich war erstaunt, dass ich Berührungen zuließ. Im Vorfeld des Geburtsvorbereitungskurses hatte ich gedacht, dass ich Berührungen nicht tolerieren würde, aber tatsächlich halfen sie mir sehr. Mein Freund sorgte dafür, wie im Geburtsvorbereitungskurs besprochen, dass ich immer Wasser in meiner Tasse hatte, und reichte mir hin und wieder einen Schluck oder eine getrocknete Aprikose an. Relativ bald waren die Wehen so stark, dass stehen bleiben nicht mehr möglich war. So begann die Wehe im Stand, und endete zusammengebrochen auf dem Boden. Die Hebamme brachte uns eine Matte zum Unterlegen, und versicherte, dass sie das Kind auch auf dem Boden auf die Welt bringen würde.
Ich war überrascht, wie viel die Wehen meinem Körper abverlangten. Immer wieder dachte ich an den geburtsvorbereitenden Yogakurs, der mir erklärte, Wehen wären intensiv, würden mir aber 5 bis 15 Minuten Pausen lassen, in denen der Schmerz vollständig verschwindet. Tatsächlich war der Schmerz zwischen den Wehen einfach weg. Doch meine Wehen kamen unverändert im 1.5 minütigen Abstand und reichten kaum zum Verschnaufen.
Die Hebamme fragte mich irgendwann nach meinen Geburtswünschen, „jetzt, wo wir noch drüber reden können“, und ich gab ihr meinen kurzen Geburtsplan (den verbal zusammenfassen schaffte ich schon nicht mehr, meine Gedanken waren zu unfokussiert). Sie kommentierte, dass das alles umsetzbar wäre, und fragte mich, ob ich mir Gedanken zur Geburtsposition gemacht hätte. Ich antwortete, dass ich selbst ja keine Erfahrungen hatte, und spüren müsste, was sich gut anfühlt. Sie befestigte mir noch ein Seil an der Decke (besonders geschickt stellte ich mich nicht mit ihm an, ich hing eher mich selbst strangulierend darin), und erklärte uns den Geburtshocker, und auch, wie mein Freund mich dabei von hinten stützen könnte.
Nach einiger Zeit – vielleicht einer Stunde? - musste ich den Kreissaal nochmals kurz verlassen für eine finale Ultraschalluntersuchung. Zuvor war die diensthabende Ärztin noch mit anderen Geburten beschäftigt. Das Gehen zum Untersuchungszimmer, der Toilettengang vorm Ultraschall, und auch das Liegen auf dem Untersuchungsbett waren in den Wehen äußerst unangenehm. Die wortkarge Ärztin schallte einige Minuten und maß wohl Kopf und Rumpf mehrmals ohne mir jedoch zu erzählen was sie tat oder was das Ergebnis war. Nach einigen Minuten sagte sie nur, dass alles in Ordnung sei, und ich wieder gehen könnte.
Wieder im Kreissaal stellte sich die Routine rund ums Kreisbett erneut ein. Wehe um Wehe vollzog sich so die Geburt. Ich bekam nicht mit, wie viel Zeit vergangen war. In dieser Phase ließ unsere Hebamme uns auch häufig allein. Durch die körperliche Anstrengung war mir wahnsinnig warm. Mehrmals bat ich meinen Freund das Fenster zu öffnen (beim zweiten oder dritten Mal sagte uns die Hebamme auch, vor welchem Fenster ein Insektennetz war). So hatte der plötzliche Kälteeinbruch im April noch etwas Gutes. Irgendwann gab die Hebamme meinem Freund eine feuchte Mullwindel, die er immer wieder ausschüttelte um sie zu kühlen, und mir dann in einer Wehe auf das Gesicht oder den Körper zu legen. Sie kühlte tatsächlich, und das war eine kleine Linderung. Doch mehr und mehr sehnte ich mich nach einer Pause, und verfluchte meine Unsportlichkeit. „Ich bin so ein Schluffi“ stöhnte ich mehrmals mit zitternden Muskeln und Verzweiflung im Gesicht. Mir war nicht klar, wie mein Körper sich selbst so etwas zumuten konnte. Obwohl es ja mein eigener Körper war, der den Prozess antrieb, fühlte ich mich ihm vollkommen ausgeliefert und fremdgesteuert. Getrieben von dem Wunsch nach einer Pause beäugte ich irgendwann die Badewanne, und äußerte vorsichtig, ob ich die Wanne nicht benutzen könnte. Sowohl die Hebamme als auch mein Freund reagierten jedoch verhalten, wahrscheinlich wissend, dass der Aufwand sich nicht lohnen würde, gegeben wie wenig ich liegende Positionen aushalten konnte. Ich verstand, warum viele Frauen nach Schmerzmitteln baten, und fragte mich, ob auch ich das bald tun würde.
Irgendwann bat die Hebamme darum, die Weite des Muttermundes erneut zu messen und auch nochmals CTG zu schreiben. Die Weite des Muttermundes fühlte sie im Liegen. Mittlerweile waren es „weiche 9cm“. Das CTG war zum Glück kabellos und ich musste nur die Bauchbinde anlegen, unter die die zwei Sensoren geklemmt wurden. Das war aber schon unangenehm genug für meinen Geschmack. Wie bei allen anderen CTG Messungen zuvor waren die Herztöne des Kindes fantastisch. Meine Wehen kratzen an der 100% Marke, und sowohl ich als auch mein Freund konnten die Anzeige auf dem Gerät nutzen um rechtzeitig wieder zum Kreisbett zu laufen.
Obwohl Fruchtwasser abgegangen war, war die Fruchtblase unten am Muttermund noch intakt. So verhinderte sie wohl das Eintreten des Köpfchens in das Becken. Die Hebamme fragte mich, ob sie die Fruchtblase öffnen sollte, doch mit einer vagen Erinnerung, dass die intakte Fruchtblase den Beckenboden schonen würde, verneinte ich. Dennoch ging die Geburt bald in die Austrittsphase über. Immer mal wieder spürte ich eine sich verändernde Qualität der Wehen. Zuvor konnte ich nicht verorten, welche Muskelgruppen für die Schmerzen verantwortlich waren. Hin und wieder schalteten sich jetzt jedoch meine Bauchmuskeln dazu, ganz ohne dass ich es wollte oder hätte stoppen können, und ein Gefühl des „Ich muss groß auf Toilette“ kam dazu. Ich glaube an diesem Punkt schickte mich die Hebamme nochmals auf die Toilette, zurück ins initiale Untersuchungszimmer. Mein Freund begleitete mich. Zwischen zwei Wehen schafften wir es bis aufs Klo, aber vor dem Wasserlassen, vor dem Händewaschen, und vor dem Zurücklaufen lag ich jeweils in einer Wehe auf dem Boden, an Heizung oder Waschbecken geklammert.
Irgendwann, ich glaube auf ein Zeichen der Hebamme, nahmen wir dann die finale Geburtsposition ein. Alles wurde näher am Kreisbett positioniert, damit ich mich danach direkt hineinlegen konnte. Ich bekam einen Tee mit Traubenzucker, mein Freund bereute, keinen Kaffee genommen zu haben. Ich lehnte auf dem Geburtshocker an meinem Freund, der hinter mir auf einem Stuhl saß und mich hielt. Links von uns war das Kreisbett, hauptsächlich eine Ablage für die feuchte Mullwindel, und vor mir das Seil in der Luft. Unter uns lag die Matte, mittlerweile mit zwei wasserfesten Unterlagen ausgelegt, auf der die Hebamme vor mir kniete. Ebenfalls Teil der finalen Vorbereitungen waren Tücher mit warmen Wasser und Handschuhe. Ich glaube, die Hebamme hatte sie sich auf einem kleinen fahrbaren Tisch bereit gelegt. Kurz vor den finalen Presswehen drückte sie mir warme, nasse Tücher an den Damm. Der Wehenschreiber schrieb noch immer meine Wehen und die Herztöne auf. Letztere waren bis zum Schluss fantastisch. Ich bemühte mich, weniger zu Schreien als in den anderen Kreissälen um uns herum, und stattdessen Druck nach unten aufzubauen. Die Hebamme riet, nicht direkt mitzupressen, damit das Kind möglichst langsam durch das Becken wandert. Ich erinnerte mich an die Ujjayi Atmung aus dem Geburtsyogakurs, und bemühte mich, das Baby mit dem Atem mitzuschieben. Ein Gefühl dafür, wo das Kind ist oder wie weit die Geburt bereits fortgeschritten war, hatte ich aber zu keinem Zeitpunkt. Mein Freund konnte sich am CTG orientieren, um festzustellen, wann eine Wehe kam – mittlerweile seien die Werte des Tokographen Richtung 150% geklettert, berichtete er mir später. Die Position auf dem Geburtshocker war halb nach hinten liegend, aber in den Wehen bäumte sich mein Körper nach vorn und oben. Irgendwann angelte ich mir mit einem Bein das Seil, und hielt es fest. In den Wehen konnte ich mich damit auch mit den Armen nach vorn und oben ziehen, und das hielf beim Pressen. Die Hebamme riet mir, erst dann mitzupressen, wenn ich es nicht mehr unterdrücken konnte, und dieser Moment kam relativ bald. Wie ich es unzählige Male gehört und gelesen hatte war das mitpressen tatsächlich „angenehm“: Endlich konnte ich mitmachen, und endlich wusste ich, was passiert. Trotzdem war der Prozess in keiner Weise durch mich gesteuert. Wenn mein Körper eine Presswehe produzierte, dann gab es keinen Ausweg, und das einzige, das ich machen konnte, war zusätzlichen Druck mitzupressen. Relativ bald pendelte ich mich in einen Rhythmus ein: Ich ließ mich ermattet in die Arme meines Freundes sinken, wenn die Wehe vorbei war, und bei jeder sich anbahnenden Wehe sagte ich ein leises „okay“ um mich selbst und alle um mich vorzubereiten. Während der Wehe schloss ich die Augen und bemühte mich aktiv, den Schmerz in Druck statt in Geräusch oder Schreien umzuwandeln. Jede Wehe wurde von einem leise gestöhnten „Fuck“ begleitet. An irgendeinem Punkt begann sich der Schmerz zu ändern, von Druck im Steiß zu einem brennenden Ring. Wie schon bei Einsetzen von Pressdrang und dem Gefühl von Stuhlgang freute ich mich, denn es war ein weiteres Zeichen das es weiterging, und nun wohl der Kopf langsam im Vaginalkanal war. Gleichzeitig war das jedoch auch ein schrecklicher Schmerz. Schlimmer als die Schmerzen empfand ich aber die körperliche Erschöpfung darum herum. Meine Beine zitterten, ich war schweißdurchnässt, und gegen Ende der Geburt fiel es mir schwer, zwischen den Wehen nicht einzuschlafen, auch wenn sie in unverändert kurzem Abstand kamen. Die Hebamme machte mehrmals Mut: Sie sagte, sie sähe schon dass er dunkle Haare hätte (auch wenn sie später revidierte, dass das nur die Fruchtblase sei – es könnte auch eine andere Haarfarbe werden). Irgendwann sagte sie, dass die Fruchtblase schon fühlbar wäre, ich könnte selbst mal fühlen wenn ich will. Ich sagte reflexartig nein, fühlte dann aber doch: Eine wabbelige, weiche, warme, wasserballonartige, glatte Blase konnte ich wenige cm vom Ausgang entfernt streicheln. Zu diesem Zeitpunkt ging die Hebamme auch einigermaßen in Deckung – sie meinte, wenn die Fruchtblase platzen würde, wäre sie ganz pitschnass in der Schusslinie. Schlussendlich konnte sie die Fruchtblase am Kopf vorbei zur Seite schieben um ein Platzen zu verhindern.
Die Presswehen dauerten länger als ich dachte. Ich hoffte, vielleicht mit 3 Presswehen auszukommen, oder mit 10, aber es waren mehr. Ich fragte nach einem Zwischenstand und Einschätzung, wie viele Presswehen es noch brauchte, doch das konnte mir die Hebamme nicht sagen. Während der Presswehen drückte mir die Hebamme den Sensor für die kindlichen Herztöne nunmehr mit der Hand sehr tief in die Lendengegend, um die Herztöne noch ablesen zu können. Auch das empfand ich als unangenehm. Vom Schmerz und meiner eigenen Erschöpfung getrieben, begann ich stärker mitzupressen. Ich wollte wirklich, dass es vorbei ist. Ich dachte „Es ist egal, ob irgendwas reißt“, und ich presste mehrmals stärker und länger als die dazugehörige Wehe. Gleichzeitig motivierte mich die Hebamme „Sehr gut! Da haben Sie wirklich gut gearbeitet“ – ein kleiner Hoffnungsschimmer. Ich glaube, bei den letzten Wehen schrie ich auch, auch wenn mein Freund später meinte, man hätte kaum einen Ton von mir gehört. Bei jeder Wehe fühlte es sich an, als wäre der schlimmste Schmerz erreicht, doch die nächste Wehe steigerte ihn weiter. Die letzte oder vorletzte Presswehe vor dem Köpfchen war sehr schmerzhaft. Ich hing im Seil, und presste durch die Lippen „Oh Gott, Baby, bitte!“. Tatsächlich spürte ich dabei aber auch irgendwann, wie etwas Gewebe riss. Mein Freund meinte später, der Hebamme stand das Mitleid ins Gesicht geschrieben (wir alle wussten, dass der Kopfumfang des Babys im 99. Perzentil liegen würde). Gerade noch rechtzeitig kam eine zweite Hebamme dazu, um bei der Geburt zu assistieren. Und kurz darauf war es tatsächlich soweit, und mit einem finalen Pressen war plötzlich der Kopf draußen. Jetzt, hektisch, rief mir die Hebamme zu ich solle hecheln und machte es mir vor. So gab es eine Pause, und Kopf und Körper wurden nicht in der gleichen Wehe geboren. Die Hebamme rief mir auch zu, ich könne den Kopf jetzt selbst sehen, doch in meiner Position sah ich noch immer nur meinen Bauch. Die letzte Presswehe, in der der Körper kam, spürte ich im Vergleich kaum, aber ich erinnere mich, dass ich erleichtert und todeserschöpft in die Arme meines Freundes fiel. Mein Körper fühlte sich merkwürdig an. Ich war erschöpft, aber jeder Schmerz war weg, und sogar die Erinnerung daran begann sofort etwas zu verblassen. Mein Bauch war leer, aber irgendwie neu, und er fühlte sich etwas mehr wie mein eigener an. Ich weiß nicht, wie ich ins Kreisbett kam. Aber ich erinnere mich, wie mir viele Hände halfen, mein Krankenhaushemdchen vorn zu öffnen, mir das kleine Bündel Leben in die Arme legten, und uns mit einer Decke zudeckten.
Der kleine Mensch war warm und glitschig, er schaute mit großen Augen und faltiger Stirn umher, er zappelte kräftig, und es roch nach Käseschmiere und Fruchtwasser. Mein Freund war wieder zu meiner linken, und ich glaube er streichelte meinen Kopf. Ich weiß nicht wie viel Zeit so verging, und ich weiß nicht, was um mich herum passierte.Irgendwann sagte die Hebamme zu mir, die Nabelschnur sei jetzt auspulsiert, und mein Freund könne sie durchschneiden. Ich schaute zu wie sie erst abgeklemmt und dann durchtrennt wurde. Ein merkwürdiges Gefühl dabei zuzuschauen, und erstaunlicherweise vollkommen schmerzlos. Irgendwann wurde es dann Zeit für die Nachgeburt. Noch immer waren beide Hebammen da. Ich streckte schon meinen Arm aus, denn initial hieß es, ich könnte einen Oxytocintropf bekommen, doch wir probierten es ohne. Die Hebammen baten mich, mich im Kreisbett über eine wasserfeste Unterlage hinzuhocken, und halfen mir auf. Der Kleine kam dabei zu meinem Freund, der sich wohl das T-shirt auszog und ihn auf die Brust nahm.
Während ich noch ein oder zweimal presste und die Plazenta kam, suchte der Kleine wohl intensiv und systematisch die Brust meines Freundes nach Milch ab. Meine Hebamme zeigte mir die Plazenta, während beide Hebammen sie intensiv untersuchten. Ein rot blutiger Flatschen, durchzogen von Gewebe, Häuten, Nabelschnur; mit weißen, roten, und lila Teilen. Sie stellten fest, und zeigten mir, dass meine Plazenta auch eine winzig kleine Nebenplazenta hatte. In der wasserfesten Unterlage wurde die Plazenta dann an die Untersuchungsseite des Raumes getragen. Ich hörte die Uhrzeit, 2:45.
Als ich mich zurücklehnen durfte bekam ich das Kind erneut auf die Brust. Mein Freund machte einen Kommentar und lachte, dass es jetzt wirklich Richtung Milch wolle, den der Kleine hatte wohl seine Brust intensiv nach Milch abgesucht. Viele Hände halfen, mir das Kind auf die Brust zu legen, und an meiner Brust anzudocken. Dort saugte der Kleine, mit einer Kraft, die ich nicht erwartet hätte, für eine lange Zeit.
Bald danach kam eine weitere Frau in den Kreissaal, die meine Geburtsverletzungen nähte. Ich hatte einen Dammriss 2. Grades, der innere und äußere Stiche erforderte, und einen Labiariss, der durch die Nähe zur Harnröhre nicht genäht wurde, sondern besser von selbst verheilen würde. Dafür verwandelte sich das Kreisbett in einen Gynäkologiestuhl. Ich erinnere mich, dass ich etwas besorgt war, die Beine zu spreizen, schmerzhaft war es jedoch nicht. Ich erhielt eine örtliche Betäubung mit Spritzen, wie beim Zahnarzt. Genauso wie auch einige der nachfolgenden Stiche empfand ich alles unangenehmer als ich erwartet hätte, und es kam mir länger vor als es wahrscheinlich war. Den kleinen neuen Menschen auf der Brust zu haben half jedoch sehr zum Ablenken.
Nach einer Weile, es könnte eine Stunde oder mehr gewesen sein, nahmen ihn die Hebammen kurz zur Untersuchungsseite des Raumes zum Wiegen und zur Untersuchung. Sie stemptelten das kleine Paar Füße auf eine Willkommenskarte. Er bekam eine riesige grüne Mütze auf den Kopf, und zurück an meine Brust. Zu dritt verbrachten wir noch viele Stunden im Kreissaal, bis nach 5 Uhr morgens Irgendwann kam ein großes Klinikbett hereingerollt, in das ich umverlegt und dann durch das Krankenhaus in die Entbindungsstation gerollt wurde. Die Nachtschicht nahm mich noch als letzte Amtshandlung auf.
Direkt nach der Geburt war ich mir nicht so sicher, ob es eine schöne Geburt war. Diese Gewissheit kam erst ein, zwei Tage später. Stattdessen war ich geschockt ob der Naturgewalt die die Geburt war. Ob der Extreme, die mein Körper sich selbst zugemutet und mir zugemutet hat. Ob der Unglaublichkeit, wie die Natur einen solchen Prozess hat einrichten können.
Nach der Geburt kehrte mein Körper nur langsam zu mir zurück. Bis zum dritten Tag hatte ich keinen Muskelkater, keine Unterleibsschmerzen. Harndrang stellte sich über die nächsten Wochen nur allmählich wieder ein. Am langsamsten kam Gefühl in meine Brüste. Weder Milcheinschuss noch Stillen war schmerzhaft, doch auch den Milchspendereflex spürte ich nicht. Meine Schmerzskala hat sich verschoben. Schmerz der früher nicht auszuhalten wäre, ist jetzt nur eine Kenntnisnahme wert.
Jetzt, Wochen nach der Geburt, hinterlässt sie mich mit einem großen Selbstvertrauen alles leisten zu können. Was ist schon eine Herausforderung – ich habe eine Geburt geschafft! Es ist naturgewaltig und brutal, schmerzhafter als ich es mir vorstellen konnte. Ich bin meinem Körper dankbar für das, was er geleistet hat. Ich schaue mein Kind an, und ich kann vor Unglaube nicht verstehen, wie ich dieses kleine Wesen beherbergen und gebären konnte. Auch wenn die Erinnerungen an die Geburt verfliegen, sie steckte neue Grenzen ab und gab mir eine Erfahrung die mich nicht verlassen wird, auch wenn sie mehr und mehr ins Abstrakte verblasst.
Geburtsbericht: Eine schnelle und schöne Geburt im Hebammenkreissaal
Bearbeitet von mamamita
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Was für ein toller, ehrlicher und berührender Bericht! Danke dafür 🫶🏼
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Das ist wohl der ausführlichste und anschaulichste Bericht, den ich je gelesen habe, danke fürs Teilen! Es klingt für mich nach einer wirklich schönen Geburt und ich glaube, dass du da auch eine richtig tolle Hebamme und genau die Unterstützung hattest, die du gebraucht hast 🙂