Hallo liebes Urbia,
vor der Geburt meines 1. Kindes vor ein paar Wochen habe ich selbst gern Geburtsberichte von Erstgebärenden gelesen. Hiermit möchte ich ein bisschen zurückgeben.
Ich habe die Geburt als krasse Grenzerfahrung erlebt; schmerzhaft, aber nicht nur bzw. nicht abschließend schlimm. Aber auch nicht 'schön'. Ich frage mich echt, wie es sein kann, dass es Körper gibt, die das ohne Schmerzmittel durchstehen. (Habe ich auch mehrmals unter der Geburt verlautet. 😅)
I
Davor
Ich ging über Termin -- wie viele Erstgebärende. Meine Schwangerschaft war vollends komplikationslos und mein Baby fühlte sich scheinbar einfach 'zu' wohl. Ab 41+0 begann ich mithilfe meiner Hebamme, sanft die Wehen anzustupsen: spezielles Massageöl, ein Gewürztee und vor allem Nelkenblätteröltampons.
II
Anfänge
41+2 um 1 Uhr morgens spürte ich die erste Wehe. Es war anders als die Übungs-/Senkwehen; tatsächlich konnte ich das An- und Abflauen spüren. Zunächst konnte ich noch schlafen, so um 8 Uhr ging das nicht mehr und ich richtete mir ein Lager im Wohnzimmer ein.
Mittags waren wir dann in der Klinik. CTG okay. Ärztin, sehr lieb (sowieso waren ausnahmslos alle! sehr lieb, verständnisvoll und mutmachend in der Klinik), tastet nach dem Muttermund, der noch wenige Tage zuvor geschlossen und sakral war. 2 cm, alles weich und gesenkt. Fruchtblase "sehr prall". Ich solle nach Hause fahren, Buscopan nehmen und warm baden. "Ich hoffe, dass wir Sie heute Nacht hier wiedersehen!"
Zu Hause haben wir die letzten Sachen gepackt, mein Mann ist noch mal mit dem Auto los, etwas organisieren. Nachmittag, es wird dunkel. Ich veratme und tracke meine Wehen. Sie sind unangenehm, dauern im Schnitt 50 Sek. und kommen alle 3,5--4 Min. Laut Geburtsvorbereitungskurs ein Grund für die Klinik. Hmmm. Aber vielleicht erst mal Buscopan und Bad?
Dacht's, stand auf und schwapp, schwapp, schwapp läuft's mir das linke Bein innen warm runter. Die "sehr pralle" Blase ist wohl geplatzt (Fruchtwasser farblos, B-Streptokokken negativ). Ich bin allein zu Hause. Kurze Panik. Ich rede mit mir selbst, um mich aufs Atmen zu fokussieren. Die Wehen kommen plötzlich wesentlich stärker (sicher auch dank Nocebo-Effekt). Nach einer Viertelstunde ist mein Partner da, ich bin recht aufgelöst, will sofort in die Klinik. Baden undenkbar. Duschen okay. Mann ruft in der Klinik an; wir sind jederzeit willkommen, ich könnte aber auch erst die Buscopan versuchen. Also die Buscopan in einer Wehenpause. Bringt genau NICHTS. Über eine Stunde lang immer derselbe Dialog zwischen meinem Partner und mir: "Wann wirkt dieses verdammte Teil denn endlich???!" -- "Noch ein paar Minuten. Dann schauen wir." -- "Der Scheiß wirkt nicht!!!" -- "Gib dem noch kurz Zeit." usw.
Eigentlich hatte ich gehofft, noch schlafen zu können, aber die Wehen bleiben stark und steady, also fahren wir los. Ich veratme (ver'brülle') im Auto die Wehen. Und ich dachte noch, ich sei zu verschämt, um laut zu sein. Ha, ha. 😒 Habe schon das Gefühl, der Kopf drückt enorm (ha, ha, ha, nuh-uh, Presswehen sind von einem vollkommen anderen Stern, liebes Vergangenheits-Ich ...). Kinoreif schneidet uns kurz vor der Klinik eine Polizeisperre den Weg ab ...
III
Mittendrin
Endlich angekommen sehen ein paar Schwestern meine Misere, verfrachten mich in einen Rollstuhl und fahren mich mit viel gutem Zureden und warmen Händen in den Kreißsaal. Dort angekommen übernimmt eine weitere nette Schwester samt Ärztin. Die tastet zwischen den Wehen. "Guter Befund", sagt sie bloß. Ich bekomme Paracetamol intravenös (hilft ebenfalls NULL).
Dann geht's schon in den Kreißsaal. Eine junge Hebamme, Florentina, empfängt uns. Ich jammere. "Bitte, bitte, bitte, ich will keine Schmerzen mehr haben ..." Wenn das erst der Anfang ist, wie soll das erst später werden? Ich erhalte Lachgas, während wir auf die PDA warten. Da ich nie Alkohol oder andere Drogen konsumiere, mag ich den Effekt gar nicht. Aber es ist das kleinere Übel gegenüber dem Wehenschmerz. Ich werde locker 4 Stunden durchgängig Lachgas atmen, sehr fragwürdig. Wird mir noch zwei Tage extremes Sodbrennen bescheren.
Unter Lachgas habe ich den super Laberflash zum Amüsement aller. Die PDA sitzt im Nu und ich freue mich über die Taubheit, kann aber meine Beine weiter bewegen. Alles prima.
IV
(Fast) Geschafft
Hebammenwechsel. Es kommen zwei! Ein Luxus. Lena und Finja. Jetzt erfahren wir auch eher nebenbei den Befund von vor ein paar Stunden: Ich war mit 7 fucking Zentimetern Muttermundöffnung in die Klinik gekommen. WTF. In meinen Erstgebärendenohren unglaublich.
Die beiden leiten mich bestimmt, bestärkend und zugewandt an. Damit sich das Köpfchen besser durchschraubt, soll ich das Lachgas mal absetzen und ein bisschen auf dem Klinikbett turnen. "Da will Sie jemand ganz dringend kennenlernen, liebe Frau Mohnschneckchen, er braucht nur noch ein bisschen Hilfe!" Vierfüßler, auf die Lehne beugen, links drehen, rechts drehen, dann irgendwann Beine bei beiden Hebammen in die Seiten stemmen und dem Pressdrang nachgeben. Ich erhalte noch einen Oxytocintropf, meine Wehen sind zu kurz. Whatever.
Ich weiß nicht, wie viel PDA zu dem Zeitpunkt noch in meinem System ist. Aber es kommt ein Punkt, an dem ich wahnsinnig verzweifelt bin: Es fühlt sich an, als würde etwas mein Becken, meine Vagina sprengen. Es brennt, drückt und zieht u n f a s s b a r. Schmerz ohne Ausweg. Hilflosigkeit. "Ich schaffe das nicht!!!" -- "Sie machen das so, so gut! Weiter so! Schieben!!" Dass ein solcher Druck und Schmerz möglich wären ... well, gut, dass ich das nicht vorher wusste. Ich hätte mir eine Geburt sonst nie zugetraut.
Alles ist etwas neblig, ich fühle mich zerrissen und bin's wohl auch tatsächlich teilweise; wie sich herausstellt, habe ich später einen Dammriss, Labienriss und Scheidenriss 2. Grades. Wenn schon, denn schon. Dann Pressen mit Ansage. Kinn auf die Brust und keinen Ton machen, nur nach unten schieben, schieben, schieben. Alle feuern mich an.
Riesiges, riesiges, riesiges Danke an meinen Mann, Wasserspender und Stressball. 🥰 Er war mein stärkstes und wichtigstes Schmerzmittel, was ich immer dann merkte, wenn er kurz meine Seite verließ. Auch die Hebammen waren Fans. "So Männer sieht man hier nicht häufig." Wie schade.
Und dann, mit einer von 2 oder 3 Presswehen, wie mir Lena später nahezu stolz erzählt ("Und das bei der ersten Geburt! Das zweite Kind geht dann sicher sehr schnell!"), ist das Baby geboren. Quäkt quasi sofort. Kommt auf meine Brust. Sieht aus wie ein richtiges Menschenäffchen, keine Schmiere, kaum Blut, nicht zerknautscht oder aufgedunsen. Große, dunkle Augen. Wow. Plazenta kommt noch, sieht wundervoll aus, wie ein Lebensbaum. PDA wird aufgespritzt und ich werde ausgiebig genäht; Baby wird untersucht, mal ist es bei mir, mal beim Vater auf der nackten Brust.
Und ich denke mir: Nie wieder. Schwöre meinen Mann ein, mir zu verbieten, wieder schwanger zu werden oder natürlich zu gebären. "Das nächste Kind wird ein Kaiserschnitt, wenn überhaupt!"
Und jetzt? Ein paar Wochen später? Ist das eingetreten, was mir alle Mütter zuvor gesagt haben und ich nicht fassen konnte. "Es ist unglaublich, wie schnell man doch vergisst ..." Vergessen ist das noch lange nicht. Aber die Färbung der Erinnerung an Schwangerschaftssorgen und -beschwerden, Wehenschmerz, Ungewissheit und Pressdrang hat sich geändert. Matter, weicher, pastelliger. Alles heilt gut ab. Ich chille im Wochenbett und darf mein wunderschönes Baby stillen und in dessen große, dunkle Augen blicken und wir himmeln uns gegenseitig an.
Vielleicht ja doch noch mal, irgendwann? 🙃
1. Geburt in 4 Akten | Blasenriss, Klinik, vaginal | Lachgas, PDA, Wehentropf | Verletzungen 2. Grades
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Herzlichen Glückwunsch!!😊😊😊
Super schön geschrieben!!!
Man konnte sich das ganze echt gut vorstellen. 😊
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Ein wunderschöner Geburtsbericht. Herzlichen Glückwunsch!
Dass unsere Tochter ein Einzelkind bleibt, habe ich dem Papa bei der Geburt auch erklärt. Deine Beschreibung, dass die Erinnerungen "pastelliger" werden, trifft den Nagel auf den Kopf.