Hallo,
erst einmal Danke für Eure Antworten. Je mehr Infos man von wirklich Betroffenen bekommt, desto klarer wird einem alles. Ich habe mir einige Situationen der vergangen Zeit durch den Kopf gehen lassen, in denen ich fast verzweifelt wäre, warum sich meine Tochter so benimmt. Z.B. mit dem Singen der Laternenlieder letztes Jahr. Im Kiga oder beim Umzug hat sie nie mitgesungen, nur immer z.B. das "bum, bum, bum" zum Schluß des Liedes. Zu Hause dagegen, wenn Sie gedacht hat, sie ist alleine, konnte sie das ganze LIed von vorne bis hinten...
Bei uns ist es Sitte, dass man hier zu den Nachbarhäusern geht. Noch mehr regen mich jetzt die Bemerkungen einiger Frauen auf. "Ach Lisa, was ist denn mit Dir. Du singst ja gar nicht mit, Dich hört man ja gar nicht." Ich fand das letztes Jahr schon unmöglich, sie wurde bei jedem Haus, noch zurückhaltender und hatte gar keinen Spaß mehr an der ganzen Sache. Noch schlimmer für sie ist es dann, dass wir direkt in der Nachbarschaft ein Mädchen haben, dass genauso alt ist wie sie aber wirklich schon sehr weit. Die kann schon ihren Namen schreiben, viele LIeder auswenig, hat überhaupt keine Angst usw. Dieses Mädchen lässt Lisa auch merken, dass sie eben noch nicht malen, schreiben oder z.B. singen kann. Meine Tochter will mit diesem Mädchen auch nichts zu tun haben. Seit dem jetzt Jüngere bei Ihr in der KIga-Gruppe sind, lebt sie richtig auf und hat auch neue Freunde gefunden.
So denn. Eigentlich wollte ich Euch noch fragen, ob ihr noch ein gutes Buch wisst, in dem über dieses Thema informiert wird. Mein Mann würde sich auchgern genauer darüber informieren. Ist aber den ganzen Tag am Arbeiten und hat keine Lust, Abends noch am PC zu sitzen. Ein Buch dagegen würde er sofort lesen.
Ist eine zentrale HÖrstörung und eine auditive Wahrnehmungsstärung eigentlich das gleiche. Oder ist eine zentrale HÖrstörung nur eine Art der auditiven Wahrnehmungsstörung.
Danke für´s Lesen! Ich hoffe, ihr nehmt Euch noch einmal die Zeit, mir zu antworten.
LISA#liebdrück
Zentrale Hörstörung, Wahrnehmungsstörung
Zentrale Hörstörung, Hörverarbeitungsstörung, auditive Wahrnehmungsstörung und so weiter bedeutet alles das selbe. Das ist etwas verwirrend, aber so ähnlich wie bei ADS, da hat sich die Definition des Krankheitsbildes über viele Jahre entwickelt, und je nach therapeutischem Ansatz bekam das "Kind" dann einen anderen Namen. Derzeit wird daran gearbeitet, AVWS in den ICD aufzunehmen, das ist der internationale Katalog für Krankheiten, der weltweit benutzt wird für Klassifikationen. Derzeit haben wir den ICD-10, in der Neufassung soll es einen Unterpunkt geben, er wird "H91.80 Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung" heißen, der offizielle Begriff ist also AVWS. Es gibt noch keine Definition, das wird sicher kommen, im Moment wird die Definition per Ausschlussverfahren diskutiert, also
Exkl:
• Schallempfindungsschwerhörigkeit (H90)
• Schallleitungsstörung (H90)
• Intelligenzminderungen (F70, F71, F72, F73, F78, F79)
• (primäre) Sprachverständnisstörungen (F80.2)
• Zentrale Schwerhörigkeit (H90.5)
Mein Sohn hat zum Beispiel H90 plus eine leichte H90.5. Das wird in den Akten dann genau so notiert. Dass derzeit das Krankheitsbild AVWS noch nicht wirklich bekannt ist, führt dazu, dass es einerseits viele Leute gibt, die davon gar keine Ahnung haben, andererseits aber einige mit gesundem Halbwissen, die plötzlich AVWS überall "diagnostizieren". Bei uns geht das so weit, da hat ein übereifriger und ziemlich schlechter Logopäde mit einem Gutachten richtig Schaden angerichtet, dass sogar in den Akten in Schleswig in der Hörgeschädigtenschule unser Sohn in die AVWS-Förderung gerutscht ist! Was ich damit sagen will: Es gibt wenig echte Experten dafür, es gibt eine Forschungsgruppe in Deutschland, an der auch der unseren Sohn betreuende Prof aus Lübeck, Schönweiler, teilnimmt. Sie arbeiten an einem bundeseinheitlichen Konzept. Das findest Du auch im Internet, wenn Du gezielt suchst. Von diesen Leuten abgesehen gibt es wenige, die wirklich zuverlässig Hörstörungen und AVWS unterscheiden können. Wie ich an anderer Stelle schrieb, die meisten AVWS-Diagnosen sind falsch, wir treffen in den Kliniken immer wieder Kinder mit vernarbten Trommelfellen, zersetzten Hörknöchelchen, denen der Eiter den Hals runter läuft, und die werden oft unter AVWS geführt. Das ist für mich nichts als Hilflosigkeit der HNOs, weil sie den echten Fehler nicht gefunden haben.
Wir haben durch Frühförderung am Institut für Sprach- und Entwicklungsförderung in Geesthacht bei Hamburg (was übrigens auch Leuten aus anderen Bundesländern offen steht) einige echte AVWSler kennen gelernt. Auf den ersten Blick sind sie so wie mein Sohn, wenn er schwerhörig ist (bei ihm schwankt das Gehör sehr stark). Auf den zweiten Blick sind sie jedoch irgendwie anders. Man merkt es als Eltern auch, wie die anderen einen einsortieren. AVWSler können Lärm nicht ertragen, den Schwerhörigen macht er nichts aus. Ich habe auch - das ist natürlich subjektiv - den Eindruck, die AVWSler haben ausgeprägtere soziale Schwierigkeiten. Da gibt es natürlich auch verschiedene Stärken der Behinderung, das ist klar.
Du hast an anderer Stelle gefragt, ob diese Kinder automatisch auf der "Sonderschule" landen. Tatsächlich sind die meisten, wenn ihnen nicht geholfen wird, Kandidaten für die Förderschule, entweder Sprachheilschule oder Schule für Lernbehinderte. Das erste ist klar, die meisten können beim Schuleintritt nicht richtig sprechen. Das zweite hängt damit zusammen, dass Schwerhörige oft Aufmerksamkeitsprobleme haben und/oder viele Fehler machen und/oder langsam arbeiten. Sie haben eine 60% erhöhte Chance, unaufmerksam, langsam und miserabel in den Leistungen zu sein! Und das trifft eben auch auf die AVWSler zu. Das hängt mit der eher visuellen Prägung zusammen, die weniger logisch als vergleichend ist und somit mehr Fehler produziert als bei normalhörenden Kinder. Außerdem sind 50% dieser Kinder Legastheniker, da sie die Laute nicht korrekt hören. Das muss aber nicht sein!
Mir sagte gerade am Montag die Leiterin in Schleswig, dass viele Kinder, die entsprechend gefördert werden, sehr gute Entwicklungschancen haben. Im Falle unseres Sohnes wird es so sein, dass er auf eine Regelschule gehen wird, vermutlich sogar ohne I-Platz! Noch vor einem Jahr war das undenkbar, da standen LB-Schule oder Sprachheilschule oder Hörbehindertenschule zur Auswahl.
Ich kann Dir nur raten, sobald sich der Verdacht bestätigt, Kontakt mit der Hörgeschädigtenschule Eures Bundeslandes aufzunehmen. Die werden Euch helkfen können. Seid Ihr schon im Hörtrainingsprogramm für Kindergärten?
Viele Grüße
Barbara
Nein, davon habe ich noch nie etwas gehört. Wir wohnen auf einem kleinen Dorf. Fraglich, ob man hier so etwas überhaupt kennt.
Danke und viele Grüße!
Lisa
Das kommt auf das Bundesland an, bei uns in Schleswig-Holstein sind sie sehr weit damit. Wir wohnen auch auf dem Land. Bei uns gibt es Förderprogramme zur "phonologischen Bewusstheit", die im zweiten Halbjahr des Kindergartenjahres vor der Schule gemacht werden. Sie sollen das Hörvermögen trainieren und einer Legasthenie vorbeugen. Die sind erwiesenermaßen gut. Das Programm von Christiane Christiansen aus Flensburg ist für alle Kinder gemacht und für alle geeignet. Das kann man bei ihr bestellen, vielleicht schaut Ihr da mal rein? Es ist für die Kinder richtig lustig, und es sind nur wenige Minuten am Tag. Ihr habt bei Euch sicher ein ähnliches Programm. Bekommt sie Frühförderung, hat sie einen I-Platz, hat sie Logopädie?