Visuelle Wahrnehmungsstörung - leider etwas länger

Hallo ihr Lieben,

ich mache mir ziemlich große Sorgen um meinen Neffen.

Er ist sieben Jahre alt und besucht die zweite Klasse. Leider sehe ich ihn recht selten, so dass ich kein vollständiges Bild liefern kann, aber kürzlich erzählte seine Mutter von schulischen Problemen, die ich besorgniserregend finde.

Hinzuzufügen ist, dass er eingeschult wurde, obwohl die Erzieherinnen und wir abgeraten haben. Wäre er erst letztes Jahr zur Schule gekommen, wäre sicher Einiges noch im "Rahmen", aber nun ist er im letzten Drittel des zweiten Schuljahres angekommen:

- Er kann nicht in den Zeilen schreiben und verliert die Zeile beim Lesen.
- Er kann überhaupt nicht sinnentnehmend lesen.
- Er schreibt noch Vieles in Spiegelschrift und verwechselt Buchstaben wie d/b.
- Er kann Aufgaben wie "Finde das gleiche Bild" (rechts ist ein Bild, links eine Auswahl an Bildern, eines davon identisch) nicht. Da arbeitet er völlig unstrukturiert und ohne Plan.
- Er kann nicht ausmalen, weswegen er auch in Ergotherapie war.

- Augen sind angeblich getestet, angeblich, weil die Ergotherapeutin vermutete, er würde eine Prismenbrille benötigen. Daher wurde eine Brille von einem Optiker angefertigt. Der Kinderarzt ist der Ansicht, dass sich das "verwachse" und eine Brille nicht nötig sei. Ein Augenarzt wurde meines Wissens nicht aufgesucht, obwohl wir einen sehr guten empfohlen haben und dringend geraten haben, das medizinsich abklären zu lassen.
- Die Lehrerin meint, er habe ADS und eventuell eine Legasthenie. Letzteres würde ich ausschließen. Er schreibt keine Dreher, lässt keine Silben weg, man kann alles problemlos lesen. Er schreibt nur nach dem Punkt klein weiter, vergisst i-Punkte und schreibt mal so, mal so (beispielsweise Zimmer, Zimer). Würde das eher dem Bereich Konzentration zuordnen.

Was uns auffiel ist, dass er, zumindest mit uns, überhaupt keine "Klassiker" spielt wie Memory, Mensch-ärgere-dich-nicht, ... . Spiele, die sein großer Bruder liebte und die auch meine Kinder (3,5 Jahre) begeistert spielen.

Auch ist er sehr tollpatschig, permanent stößt er irgendwo an und verletzt sich.

Auffällig finden wir auch, dass er sehr in sich gekehrt ist. Er erzählt so gut wie nichts, schleicht, wenn er alleine ist, immer nur durchs Haus. Sind seine Geschwister dabei, tobt er nur rum. Auch in der Schule spricht er kaum mit seinen Lehrern, arbeitet demnach auch nicht mit.

Er hat auch nie diese "Vorschulaufgaben" machen wollen. Seinen Bruder hat man nicht genug "Input" liefern können. Versteht mich nicht falsch, Kindern entwickeln sich verschieden, das ist schon klar, aber er zeigte diesbezüglich keinerlei Interesse: weder malen, noch ausmalen, weder Buchstaben noch irgendwas, das mit "Vorschulaufgaben" zu tun hat. Nur toben, fernsehen und Nintend (oder x-Box oder wie auch immer das Zeug heißen mag).

Ich habe nun überlegt, ob das nicht auch Anzeichen einer _visuellen Wahrnehmungsstörung_ sein könnten.
Dass sich das auf die Rechtschreibleistung auswirken kann, ist mir klar, aber ich denke nicht, dass die Ursache für seine Probleme eine eventuelle Legasthenie ist, eher, dass seine wie-auch-immer-Schwäche/ Störung eine LRS bedingt (ich muss dazu sagen, dass ich mich im Bereich LRS/ Legasthenie auch einigermaßen auskenne).

Ich las in einem Artikel, dass die Entwicklung der visuellen Wahrnehmung eng mit dem Krabbeln zusammenhängt (angeblich haben Kinder aus Kulturen, die aus Sicherheitsgründen nicht auf dem Boden krabbeln können/ dürfen), verstärkt Probleme mit der visuellen Wahrnehmung. Gekrabbelt ist er so gut wie nicht. Erst, als er stehen konnte, krabbelte er kurze Zeit, aber auch nur, bis er alleine laufen konnte.

Leider habe ich noch nicht viele hilfreiche Artikel dazu gefunden. Ich habe den Eindruck, zur auditiven WS wurde mehr veröffentlicht.

Kennt ihr vielleicht hilfreiche Artikel zum Thema "visuelle Wahrnehmungsstörung"?
Oder kennt ihr Kinder mit dieser "Schwäche" und könnt kurz schildern, wie sich das auswirkt?

Mir ist klar, dass eine endgültige Diagnose vom Kinderpsychologen gestellt werden muss, jedoch finde ich es hilfreich, einen "Ansatzpunkt" zu haben, um zu Verhindern, dass der arme Kerl von A nach Z gezerrt wird, bis dann "irgendwas" gefunden wird.

Mein Neffe tut mir wirklich leid. Da er von seinen Mitschülern schon ausgelacht wird und jetzt, da er die ersten Noten bekommt, merkt, dass er schwächer ist als andere, befürchte ich, dass er irgendwann resigniert und nichts mehr tut (er sieht ja keinen Lernerfolg) oder sogar eine Schulangst entwickelt bzw. komplett verweigert.

Vielleicht habt ihr ja die ein oder andere Anregung für mich, würde mich sehr freuen, Anhaltspunkte zu haben, wie ich die Eltern und vor allem meinen Neffen unterstützen kann.

LG,
delfinchen

1

Hallo,

das mit dem Krabbeln kann ich nicht unterstreichen.

Meine Tochter war ein Marathon-Krabbler und hatte doch eine Sehstörung, die lange unerkannt geblieben ist.

Sie hat eine Hornhautverkrümmung mit 30 % Sehkraft zum Zeitpunkt der Diagnose.

Da war sie schon fast mit der 1. Klasse durch und hatte eben die Probleme, die Du geschildert hast. 2 Jahre war ich da schon mit ihr ohne sichtbaren Erfolg in die Ergotherapie gewesen.

Sie bekam eine Brille, wurde abgeklebt und ist jetzt auf 100 % (mit Brille).

Probleme mit dem Lesen gibt es noch und sie ist etwas langsamer als die anderen, aber es fehlt ihr ja quasi das gesamte 1. Jahr und das muss erst einmal kompensiert werden.

Dreidimensional sehen kann sie nicht. Der Kinderarzt meint (hofft?), dass sie das noch lernt.

GLG #klee

2

Kinder können gut ihre Umgebung täuschen, wenn sie auch fast völlig blind sind. Niemand würde drauf kommen... Mein Jüngster ist z.B. links völlig blind (unterentwickelter Sehnerv).

Ehe du dich auf die Wahrnehmungsstörung so sehr stürzt, muss erst einmal ein Besuch beim Optiker erfolgen, um physiologische Probleme auszuschließen. Ein richtiges Sehvermögen ist Voraussetzung für die ganzen Tests von VVWS.

3

Hallo Definchen,

ich denke hier sollte ein kompetenter Augenarzt mit Sehschule drauf schauen. Bei der Sehschule sollte die Optometristin auch in LRS fit sein.

Ob Prismenbrille oder nicht hängt z.T. auch von der Ausbildung des Arztes bzw. Optikers ab.

Parallel würde ich noch einen anderen Weg einschlagen und zwar den des Phoniaters.

Die von dir beschriebenen Probleme sehe ich bei Kindern:

- die schlecht sehen wie auch immer

- die schlecht hören wie auch immer

- die eine LRS haben

- die Probleme in der Raumlage haben

- die unstrukturiert sind, auch bei unstrukturierten Elternhaus

- Probleme in der Handlungsplanung haben

- die leistungsorientiert sind

- die ADS/ADHS haben

- die Eltern mit obiger Diagnose haben

- die Geschwister haben, an denen sie sich besonders messen

- die motorisch nicht ausgelastet sind

Die von dir genannten Rechtschreibfehler können auch auf eine LRS hindeuten, da es die/den Rechtschreibfehler ja nicht gibt, bei nicht sinnentnehmenden Lesen könnte auch eine isolierte Lesestörung vorliegen, hier entweder an die Schulpsychologin oder aber an einen niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater wenden. Wäre es mein Neffe würde ich hierzu raten, da dort mehr Bereiche abgedeckt sind.

LG Reina, Logopädin und Mama eines wahrnehmungsgestörten 4 Jährigen Spring ins Feld

4

So, damit es noch etwas länger wird noch ein

PS:

- Probleme in der Körperwahrnehmung

- Linkshändigkeit

- nicht geklärte bzw. umerzogene Händigkeit

- Mikroschielen

sind auch noch auszuschließen.

Vielleicht machst du mit der gesamtem Meute ein kleines Experiment. Du legst einen Stapel Blätter und viiiiiiiele Stifte auf den Tisch. Jeder soll sich ein Blatt nehmen, wenn dies geschehen ist erteilst du den Malauftrag und zwar soll sich jeder selbst malen. Hierbei ist es egal ob das Blatt längs oder quer genommen wird, es geht nur darum sich selbst zu malen. Ich denke dem geschulten Auge einer engagierten Tante, Mutter und Lehrkraft fallen bei Bedarf die Besonderheiten auf.

LG Reina

5

Lieben Dank euch für eure Erfahrungen und Anregungen.

Eine Legasthenie würde ich persönlich ausschließen (habe jahrelang Schüler diesbezüglich getestet, eine LRS, so es sie denn gibt, liegt meiner Meinung nach in einem falschen Schreiblernprozess begraben oder eben in unerkannten Wahrnehmungsstörungen etc.).

Ich werde meiner Schwägerin nochmal und wiederholt ans Herz legen, endlich einen gute Augenarzt aufzusuchen. Danke für den Tipp mit der "Sehschule", das beinhaltet doch mehr, als "nur" die Sehschärfe zu testen.

Liebe Grüße und alles Liebe euch allen,

delfinchen

6

Ich würde ihn im SPZ vorstellen. Die haben doch noch am meisten Ahnung von solchen Problematiken. Dort könnte eben auch eine gesamtheiltiche diagnostik gemacht werden und evt, die richtigen therapien angewendet werden.

Mein Sohn steht auch im verdacht eine visuelle Wahrnehmungsstörung zu haben. Er ist aber erst 3Jahre. Verdacht ist eben, weil er auch kanten und ecken mitnimmt, über kinder und spielzeug stolpert. Bei ihn hat es aber wahrscheinlich doch eher andere Ursachen...