Hallo, ich bin eigentlich sonst nur stille Mitleserin, habe aber gemerkt, dass ich über meinen Verlust sprechen muss, wenn ich ihn verarbeiten möchte. Bisher habe ich diesen nicht verarbeitet.
Meine große Liebe und ich sind nach dem ersten Schock über die Unfruchtbarkeit gleich bei der ersten ICSI schwanger geworden. Wir waren überglücklich. In der Schwangerschaft fühlte ich mich so gut, mein Motto war: Sieger geben nicht auf! Ich war so stark, psychische Probleme kannte ich nicht. Die SS verlief problemlos, auch die Geburt. Ich ging voll auf in meiner Mutterrolle, für mich war es wie ankommen. Mein Leben war perfekt! Dann erfuhren wir dass einer unserer Söhne eine schwere angeborene Sehbeeinträchtigung hat. Wir waren voller Sorge, ich verbrachte Tage und Nächte im Internet auf der Suche nach Hilfe, schlief kaum. Dann kam unserer schwärzester Tag. Ich trug ihn sehr viel, damit er visuelle Anreize hatte. Mir wurde schwarz vor Augen und ich fiel mit ihm die Treppe hinunter. Obwohl wir gleich im Krankenhaus fahren, konnte ihm nicht mehr geholfen werden. Ich war wie unter einer Käseglocke. Mein Kind war tot. Wahrscheinlich wäre es nicht passiert, hätte ich mich nicht so verrückt machen lassen und mehr geschlafen. Ich erlaubte mir nicht zu trauern und hatte starke Schuldgefühle. Ich wollte keine Beerdigung, kein totes Kind, konnte kaum zum Grab gehen. Von den schönen Abschieden, von denen manche Eltern sprechen, konnte ich nichts spüren, ich konnte es lange nicht akzeptieren. War es doch meine Schuld. 100.000 mal habe ich mein Kind und meine Familie um Verzeihung gebeten. Wir hatten eine harte Zeit. Mein Mann und unsere Familien stehen uns bei. Ich liebe meinen Mann über alles. Manchmal denke ich dass Schicksal möchte nicht dass es einem zu gut geht. Ich hatte das perfekte Leben. Ohne meine Eltern hätte ich das nie geschafft. Ich hatte nie Zweifel, dass ich eine genau so gute Mutter wie meine werde und dann passiert mir so etwas. Für mich war ganz klar, dass ich meinen Kindern auch so eine tolle Kindheit bereiten kann wie ich sie hatte. Jetzt habe ich bücken Kind und bin so traurig dass ich auch Sorge um ihn habe. Man hat mich versucht zu trösten und gesagt dass sei einfach Schicksal.
Ich beneide Freundinnen (bitte nicht falsch verstehen) die Fehlgeburten hatten und sich jetzt mit „neuen“ Kindern gut und vollständig fühlen. Sie sagen, der Weg hat sich für sie gelohnt. Sie haben jetzt ihre Kinder und für etwas war es sicher gut. Sie können gut damit umgehen. Ich fühle mich nicht vollständig. Es fehlt mir einfach ein Teil von mir.
Manchmal versuche ich mir zu sagen wir konnten unser verlorenes Kind länger und besser Kennenlernen wie sie, aber es tröstet mich nicht so sehr. Oft denke ich, was wäre wenn… und stelle mir ihn vor, wie er jetzt aussehen würde und wie er sich entwickelt hätte.
Ich habe manchmal Angst, dass ich meinem Sohn nicht gerecht werde, da ich in schlechten Phasen oft abwesend und gedankenverloren bin und nicht genügend im hier und jetzt lebe und zu wenig Lebensfreude verspüre und weitergeben kann. Ich möchte ihm eine tolle Mutter sein und versuche immer wieder aus der Gedankenspirale herauszukommen, mal besser mal schlechter, dann fühle ich mich klein und wertlos. Ich kann nicht verstehen, wie das passieren konnte. Er entwickelt sich gut, nach außen sind wir eine tolle Familie, aber ich habe oft damit zu kämpfen und habe Angst dass mich die Trauer immer wieder einholt und mir die Kraft raubt. So gerne würde sagen können, ich gehe gestärkt daraus hervor und ich habe es verarbeitet und unser Leben geht weiter. Für mich steht es immer noch still. Manchmal habe ich dass Gefühl ich kann nicht alle Emotionen zulassen, was mich irgendwie von vielen lieben Menschen in meinem Leben abschneidet, aus Angst auch sie zu verlieren. Ich konnte sehr lange nicht darüber sprechen. Langsam fange ich auch an, mit meinem Mann darüber zu sprechen, er ist in der Trauerarbeit schon sehr viel weiter. Bei mir kommt die Trauer in Wellen und ich habe Angst dass ich die Stabilität unserer Familie nicht halten kann. Wie kann man ein solchen Verlust in sein Leben integrieren? Wie kann ich unser Schicksal akzeptieren und wieder mit Lebensfreude nach vorne schauen?
Leise verspüre ich manchmal den Wunsch nach einem weiteren Kind. Ich will eigentlich nicht, dass das Kinderkriegen so für uns endet und mein Sohn nur ein totes Geschwisterchen hat. Wir müssten wieder den schweren Weg einer ICSI gehen und da wir schon über 40 sind können wir uns auch nicht mehr soviel Zeit lassen. Außerdem wird sonst der Abstand zu groß. Mein Frauenarzt redet mir gut zu, er hatte schon ähnliche Fälle und er meint es würde unserer Familie bestimmt gut tun. Mein Mann überlegt noch aufgrund des Alters und meint wir sind auch so eine tolle Familie. Er und unser Sohn sind meine Helden!
Sorry für den langen unstrukturierten Text, ich habe darüber noch nie geschrieben.
Wie kann man den großen Verlust in sein Leben integrieren?
Liebe Mona
Ehrlich gesagt musste ich mich erstmal ein paar Stunden sammeln nachdem ich deine Geschichte gelesen habe. Das alles geht mir sehr nah. Furchtbar, was euch passiert ist. Es tut mir so leid, unfassbar - mir fehlen die passenden Worte.
Schwierig, hier das richtige zu schreiben. Da ich dir aus der Ferne leider kaum helfen kann versuche ich einmal, den Kern deiner Aussagen zu finden.
Du gibst dir die Schuld am Tod eures Kindes und nichts und niemand konnte dich bisher davon abbringen. Dadurch bist du immer weiter in eine Abwärtsspirale geraten, aus der du ohne Hilfe nicht mehr herausfindest. Du befürchtest, keine gute Mutter, Partnerin, Tochter, Freundin ... zu sein, da du dich nur oder großenteils mit deinen Schuldgefühlen auseinandersetzt und alle anderen zu kurz kommen.
Du bist NICHT schuld, aber es ist erstmal natürlich, dass du die Schuld bei dir siehst. Du hast für dich eine Erklärung für den Sturz gefunden - die Übernächtigung aufgrund deiner Internetrecherchen zum Wohle deines Sohnes. Du wolltest etwas Gutes, hast aber etwas Schlechtes erreicht. Das passiert uns allen immer wieder, allerdings nicht mit so dramatischen Folgen. Vielleicht hilft es dir ein bisschen, da mal eine andere Perspektive einzunehmen: was würdest du empfinden und denken, wenn du aufgrund eines medizinischen Notfalles (z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall) gestürzt wärest? Oder wenn dein Mann mit eurem Sohn auf dem Arm gestürzt wäre? Würde das etwas ändern?
Im Grunde kann ich dir nur ganz eindringlich ans Herz legen: Nimm bitte professionelle Hilfe in Anspruch! Du leidest schon viel zu lange und brauchst meiner Meinung nach dringend eine Psychotherapie. Ich weiss, dass es schwer ist da (kurzfristig) jemanden zu finden. Aber bitte nimm das in Angriff, vielleicht kann jemand aus deinem Umfeld dir dabei helfen, frag auch bei deinem Hausarzt und der Krankenkasse nach. Wähle unbedingt einen Psychiater aus, das ist ein Facharzt, der dir bei Bedarf Medikamente verordnen und dich krankschreiben darf (ein Psychologe darf das nicht). Anders wirst du, fürchte ich, aus deinem Loch nicht mehr heraus kommen. Es wird ein weiter Weg werden, aber am Ende wirst du deine Trauer verarbeitet haben und Klarheit, wie es mit euch in familiärer Hinsicht weitergehen kann.
Falls du mir noch diese Meinungsäußerung erlaubst: Ohne dich zu kennen bin ich überzeugt, dass ein weiteres Kind dir nicht über deine Trauer und Schuldgefühle hinweg helfen könnte ohne die vorherige Aufarbeitung deiner Probleme beim Psychiater.
Ich hoffe, ich habe deine Gefühle nicht verletzt. Falls doch - entschuldige bitte, es lag nicht in meiner Absicht.
Ich wünsche dir alles Gute!
Liebe Grüße, Kira
TE hat einen Fall von komplizierter/anhaltender Trauer. Es braucht Psychotherapie und nicht notwendigerweise Medikamente. Drum braucht es auch erstmal m.E. keinen Psychiater, sondern eben einen Psychotherapeuten, sei dieser psychologisch oder ärztlich. Ein Psychiater hilft nicht mit der Trauerverarbeitung.
Liebe Mona,
es tut mir leid, dass ich erst jetzt schreibe – ich muss gestehen, dass ich deinen Post erst einige Tage verarbeiten musste, so fertig hat er mich gemacht.
Ich sehe es genau wie die anderen: Du bist nicht schuld.
Weißt du, als Mutter/Vater/etc. macht man so schnell einen kleinen Fehler, es passt so schnell eine kleine Unaufmerksamkeit, der/die sich meist nicht schlimm auswirkt, in ganz wenigen Fällen dann aber doch.
Und jetzt schneide ich mal ein Tabuthema an: Unsere Kleine ist als Baby vom Wickeltisch gefallen, weil wir kurz nicht aufgepasst haben, und wir haben uns deswegen ziemliche Schuldgefühle gemacht. Und wir hatten, anders als du, keine medizinische Problematik (siehe unten). Als wir das dann im Bekannten- und Verwandtenkreis erzählt haben, kam so oft die Aussage: Ach, das passiert eben, ist mir auch einmal/mehrmals passiert. (Und ich habe keinen komischen Bekanntenkreis, sondern ganz normale Menschen im Umfeld.) Tja, nur – wenn unser Kind unglücklich gefallen wäre, wären wir jetzt in deiner Situation. Es war reiner Zufall, dass nichts Schlimmes passiert ist.
Generell ist es einfach so, dass man 24 Stunden 7 Tage die Woche auf das Kind aufpassen muss. Da ist es so gut wie unmöglich, alle Unabwägbarkeiten vom Kind fernzuhalten. Passieren kann immer etwas. Nur passiert in den allermeisten Fällen eben nichts, weswegen du davon auch nichts hörst. Dir ist schwarz vor Augen geworden, schreibst du. Damit ist das Ganze aus meiner Sicht eindeutig: Eine medizinische Problematik. Platt ausgedrückt: Wenn jemand plötzlich, erstmalig und unerwartet am Steuer ohnmächtig wird und in ein anderes Auto fährt, ist er/sie dann schuld? Nein - wie denn auch, wenn er das nicht kontrollieren kann? Es ist ein Unglück.
Du bist Opfer, nicht Täter. Das gilt es für dich erstmal ganz tief zu verinnerlichen.
Nun aber dazu, wie du wieder ins Leben finden kannst: Zurzeit vergräbst du dich – so scheint es – in deiner vermeintlichen Schuld, und auch in Traurigkeit. In Maßen ist Trauer auch okay und meist sogar gut. Nur scheint es bei dir überhand zu nehmen. Professionelle Hilfe ist nicht ganz einfach zu bekommen, daher ein paar Tipps, die nicht unbedingt professionelle Hilfe erfordern:
Selbstvorwürfe rauben so viel Kraft und Energie und bringen gar nichts, außer Elend und Leid. Wäre es nicht viel sinnvoller, diese Energie in etwas Gutes zu stecken?
Vielleicht bist du aktuell mit deinem Sohn ausgelastet. Dann ist er erstmal am Wichtigsten. Und parallel kannst du von deinem anderen Sohn erzählen. So bleibt doch etwas von ihm. Vielleicht pflanzt du auch einen schönen Baum, wirfst, wenn du keinen Garten hast, Samenbomben mit Blühsamen auf Unkrautflächen, wo es keinen stört, und sorgst so für blühendes Leben, für Schönheit an den unterschiedlichsten Orten, in Gedenken an deinen Sohn? Es gibt auch tolle Foren, in denen Frauen, die ihr Kind verloren haben, teilweise über Jahre ihren eigenen Thread mit ihren Gedanken und Gefühlen schreiben – teilweise über Jahre. Das kann sehr heilsam sein – und dein Sohn bleibt gleichzeitig vielen anderen in Erinnerung.
Und vielleicht noch eine Idee: Wenn ich mir Personen anschaue, die einen schlimmen Schicksalsschlag relativ gut überwunden haben, haben sie öfters eines gemeinsam: Sie versuchen, aus dem schlimmen Ereignis, das ihr Leben prägt, etwas irgendwie doch minimal Positives zu machen. So engagieren sich beispielsweise Elternteile, deren Kind an einer Krankheit gestorben ist, in Gesprächsgruppen für Eltern von an der Krankheit erkrankten Kindern, gründen eine Stiftung, klären über die Krankheit auf oder engagieren sich anderweitig ehrenamtlich. Dadurch entsteht aus dem Schrecklichen doch etwas Hoffnung, etwas kleines Positives. Und das Schreckliche bleibt nicht einfach so stehen, sondern bekommt doch irgendwie ein kleines leicht versöhnliches Ende. Und vielleicht kannst du dann dort auch über deinen Sohn erzählen, sodass er von anderen nicht vergessen wird, sein Leben, seine Geschichte in den Erinnerungen ganz vieler Menschen lebendig bleibt.
Vielleicht kannst du auch für dich selbst etwas mitnehmen: Das ganze Schreckliche hatte bei dir doch möglicherweise vielleicht auch eine Ursache: Mangelnde Selbstfürsorge. Du hast dich selbst komplett vernachlässigt, nicht ausreichend auf dein Schlafbedürfnis geachtet. Das war möglicherweise eventuell ein Grund für deinen Zusammenbruch. Und jetzt: Jetzt vernachlässigst du dich wieder, bestrafst dich quasi sogar durch deine vielen Schuldgefühle. Nur brauchen Kinder liebende Eltern. Und wie kann jemand, der sich selbst nicht mehr richtig liebt, weil es/sie in Schuldgefühlen steckt, andere so richtig und aus vollem, ganzem Herzen lieben?
Das heißt, vergib dir erst einmal. Tu es nicht nur für dich, sondern auch für deine Familie. Und dann tu dir ganz viel Gutes. Geh deinen eigenen Bedürfnissen nach, trauere, mach das, was dir guttut, spüre dich wieder, lass dich vielleicht, wenn du arbeitest, krankschreiben, mach vielleicht auch eine Mutter-Kind-Kur, nimm dir einen Abend frei für was auch immer du magst. Du musst nicht immer funktionieren.
Was waren denn deine Hobbys? Wofür hat dein Herz geschlagen? Was hat dir gut getan? Hast du vielleicht eine Sportart geocht? Warst du kreativ tätig? Oder möchtest mit etwas Neuem anfangen, etwas Neues ausprobieren? Kannst du das vielleicht auch mit deinem kleinen Sohn machen? Mach davon viel, probier einfach aus - so, wie es Kinder auch machen.
Und denk immer dran: Dein verstorbener Sohn hätte es vermutlich nie gewollt, dass du dich wegen ihm in deiner Trauer vergräbst. Kinder sind Boten des Glücks – es wird höchste Zeit, dass du dieses wieder für dich findest.
Ich finde dich unglaublich stark und wünsche dir alles Glück der Welt.
Alles Liebe und Gute.