Schwanger. Vielleicht hast du und dein(e) Partner(in) sich lange danach gesehnt. Vielleicht kam es viel schneller als erwartet, oder ungeplant.
Ein Wunder beginnt. Deine Körpermitte gehört auf einmal nicht mehr nur dir. Sie gehört auch der Macht der Natur, mit jeder Woche ein bisschen mehr. Wenn du kannst, ist es eine Übung im Loslassen, Bestaunen, auf dich achten.
Während in deinem Körper ein neues Leben wächst, fühlen sich die Sorgen des Alltags vielleicht ein bisschen kleiner an. Oder du spurtest durch die (Arbeits-)tage als wäre nichts, hast vielleicht keine Wahl.
Bis zur 12. Woche - heißt es - sollst du möglichst niemandem außer deine(r) Partner(in) davon erzählen. Vor allem in dieser sensiblen Zeit könntest du das Kind verlieren. Und was dann?
Vielleicht fragst du dich manchmal, vor allem wenn du schon etwas älter bist, ob alles gut gehen wird. Ab 35 endet jede dritte Schwangerschaft mit einer Fehlgeburt. Ab 40 jede zweite, sagt die Statistik. Es bleibt eine vage Sorge, die du verdrängst.
Bis es passiert. Das neue Leben endet bevor es wirklich begonnen hat. Dein werdendes Kind ist tot. Ungläubigkeit. Schock. Trauer. Vielleicht auch Wut. Vielleicht ziellos, vielleicht auf deinen Körper, der nicht "funktioniert" hat.
In dir geht etwas kaputt. Deine Familie und Freunde fragen wie es dir geht, was mit dir los ist. Ihr leidet, du und dein(e) Partner(in) aber was sollt ihr sagen?
Die Konvention sagt das ist privat, darüber wird nicht gesprochen. 'Man' regelt es mit sich selbst - und versucht möglichst schnell wieder zu 'funktionieren'. Du weinst wenn dich niemand sieht, und versuchst, dir nichts anmerken zu lassen. Dabei hast du den Atem des Todes gespürt, die sprachlose Endlichkeit des Lebens. Etwas, das uns alle früher oder später betrifft. Auch wenn die meisten von uns das Thema Tod verdrängen. Bis er über uns hereinbricht.
Wie so viele Frauen hatte ich eine Fehlgeburt. In der rechnerisch 11. Woche. Ich wusste, dass ich ein erhöhtes Risiko hatte. Und doch war es ein Schlag, als es passierte. Ich hörte von der nächsten Statistik: nach Fehlgeburten haben Frauen ein erhöhtes Risiko, in eine Depression oder depressive Phase zu rutschen. Das nächste Tabuthema, ebenso weit verbreitet wie totgeschwiegen.
Ich habe es überstanden. Dank meiner Freunde, meiner Familie, der emotionalen Nahbarkeit meines Partners.
Die existenzielle Einsamkeit (Irvin Yalom) angesichts des Todes werden wir durch menschliche Nähe nicht los. Sie ist dem Menschsein inhärent. Auch nimmt es uns den Schmerz nicht ab. Aber wir können uns gesehen und gehalten fühlen mit dem was ist. Etwas Unterstützung finden, um Schritt für Schritt wieder Boden unter den Füßen zu spüren.
Deshalb möchte etwas anderes vorschlagen, anders als die Konventionen. Eine neue Normalität ermutigen:
Wenn ihr schwanger werdet, sucht euch ein paar Menschen aus, die euch am nächsten stehen - und erzählt ihnen davon. Sobald euch danach ist. Möglicherweise ist das schon in den ersten Wochen der Fall, denn viele Menschen haben den intuitiven Drang, glückliche Neuigkeiten mit unseren Nächsten zu teilen. Habt den Mut, eure Gefühle, euer Inneres zu zeigen. Daraus entsteht Nähe. Nähe, die euch tragen kann wenn wenn etwas schief geht.
Macht euch nicht verrückt, dass eine Fehlgeburt passieren könnte. Ihr habt ohnehin keine Kontrolle darüber. Nur seid euch darüber bewusst, dass es eine der Möglichkeiten ist.
Traut euch, mit den Menschen eures Vertrauens über die Möglichkeit einer Fehlgeburt zu sprechen. Darüber was ihr dann vielleicht brauchen könntet. Ihr werdet euch möglicherweise wundern wie viele Frauen Erfahrung damit haben, bei sich oder bei anderen.
Wenn es passiert, lasst euch Zeit, den richtigen Weg für den körperlichen Abschluss der Fehlgeburt zu wählen. Lasst euch zu nichts drängen. Es muss nicht immer operativ sein. Vielleicht passt etwas weniger invasives besser, vor allem wenn ihr später nochmal schwanger werden möchtet.
Auch bei eurer Fehlgeburt habt ihr Anspruch auf Betreuung durch eine Hebamme. Wenn ihr den natürlichen Abgang wählt oder den Weg mit Tabletten, kann es bis zu 10 Tage oder auch mehrere Wochen dauern. Da ist es gut, eine Ansprechperson zu haben.
Viele Frauen bekommen kleine Geschenke und Karten vor der Geburt. Das ist wunderbar. Doch brauchen wir so etwas nicht eigentlich genauso sehr oder vielleicht noch mehr, wenn wir ein Kind verloren haben? Zwei Tage nach meiner Fehlgeburt bekam ich ein Päckchen von einer guten Freundin. Es war für meinen Partner und mich, mit einer liebevollen Karte und wundervollen kleinen Dingen, die Trost spenden. Drei kleine Kerzen, eine für jeden von uns und eine für das Kind. Duftende Seife, Körperöl, Raumduft und Schokolade, die uns einhüllten und uns einluden, unsere Sinne wieder zu spüren. Uns selbst zu spüren. Meine Freundin und ihr Partner hatten selbst mehrere Fehlgeburten erlebt, und hatten daher ein feines Gespür für das, was wir jetzt brauchen könnten. Eine Freundin meiner Freundin fertigte mir ein kleines Symbol, um es zu begraben oder als Erinnerung aufzubewahren.
An Freunde und Angehörige: auch wenn ihr keine Erfahrung damit habt - traut euch, eurer Freundin ein paar liebe Worte zu schreiben, nach zu fragen wie sich fühlt, was sie jetzt braucht. Schenkt ihr Blumen oder eine Kleinigkeit, die euch gut tun würde wenn es euch schlecht geht. Vergesst den/die Partner(in) nicht. Gebt keine Ratschläge, zeigt nur, dass ihr da seid und den anderen Menschen seht und zuhört, falls der Wunsch besteht. Habt keine Angst, das Falsche zu sagen oder zu schreiben.
Ein Wort zur Arbeit: lasst euch krank schreiben. Ihr habt ein Recht darauf. Niemand ist unersetzbar, und so schwer es manchmal vorstellbar ist: die Welt hört nicht auf, sich zu drehen wenn wir eine Weile ausfallen. Gebt eurem Körper und eurem Inneren die Zeit, die es braucht. Bei mir waren fast zwei Wochen, für die ich sehr dankbar bin.
Spürt in euch, wie ihr am besten Abschied nehmen könnt. Vielleicht eine (symbolische) Beerdigung, ein Ort, an dem ihr das Kind (emotional) gehen lassen könnt. Vielleicht etwas anderes.
Parker Palmer hat einmal gesagt, die menschliche Seele möchte nicht beraten oder repariert werden. Sie möchte nur gesehen und begleitet werden, in genau dem, was gerade ist. Das geht nur, wenn wir uns trauen zu sprechen und in Kontakt zu gehen.
Lasst uns das Thema Fehlgeburt, und das Thema Tod insgesamt, unter dem Teppich des Schweigens hervorholen. Er macht es schwerer als es ohnehin ist.
Wann erzähle ich von meiner Schwangerschaft? Plädoyer für eine neue Normalität der (Fehl-)geburt
Es sind sehr schöne Zeilen von dir, sehr wahre Worte, die einen sehr tief berühren und zum nachdenken anregen.
Bei mir waren es die "nett" gemeinten blöden Sprüche, die ich nicht hören wollte, weshalb ich die ss bei der 1. Fehlgeburt verheimlichen wollte und es bei der 2. Getan habe.
Bei der ersten hat mein Mann es nicht ausgehalten und wollte seine Freude teilen, trotz Hinweis, dass wir es abwarten wollen bevor es die ganze Sippschaft erfährt, hat es natürlich jeder erfahren. Und dann war es so, dass ich mir die nett gemeinten Sprüche anhören musste "du bist noch jung, das wird schon" etc.
Dann habe ich es bei det 2. Fehlgeburt verschwiegen und mein Mann hat mitgemacht. Keine blöden Sprüche mehr, aber das fühlt sich auch so falsch an. So ungesehen. So leer.. keiner weiss, wieso es einem gerade nicht gut geht o.ä. es fühlt sich so falsch an, dass Oma und Opa nichts vom Verlust wissen und nie an das verlorene Enkelchen denken werden. Aber was ist richtig für mich? Beides ist auf gewisse Weise traurig..
Zumindest wissen es 2 Freundinnen und meine Geschwister, die auch damit umgehen können. So ist es etwas erträglicher und man fühlt sich zumindest von denen, den man sich anvertraut hat, verstanden.
Danke für deine Worte und Alles Gute 🍀
Es ist sicherlich Typsache wie man damit umgeht. Ich für mich habe es nie erzählt. Es war und ist ( ich hatte vor wenigen Tagen wieder einen Abgang in der 6.SSW), eine Sache zwischen meinem Mann und mir.
Für mich ist es genug wenn wir beide das wissen, zusammen traurig sind.
Ich bin aber generell nicht der Mensch der über seine Probleme mit anderen redet. Ich habe immer schon alles mit mir alleine ausgemacht.
Seit ich meinen Mann habe, der auch mein bester Freund ist, ist er im Fall die Person mit der ich alles teile. Mehr brauche ich nicht.
Ich muss mich immer zuerst selbst sortieren, selbst klar kommen mit der Situation und jede Zuwendung von außen ist für mich dabei störend.
Wenn ich dann damit zurecht komme, dann könnte ich darüber reden, aber dann möchte ich es gar nicht mehr.
Jeder Mensch soll den Weg wählen der ihm gut tut und hilft zu heilen.
Danke für die schönen Worte. Ich habe allerdings für mich entschieden aufgrund der einmal erlebten FG mit der Verkündung auf jeden Fall länger zu warten. Dies mache ich eher zum Selbstschutz: Je mehr Leute davon wissen, desto mehr wird man darauf angesprochen, desto mehr verstärkt sich die eigene Freude und Erwartungshaltung und desto mehr muss man sich erklären wenn etwas schief läuft. Ich finde zu anstrengend, sodass es für mich definitiv einfacher ist die Schwangerschaft zunächst "geheim" zu halten. Ich habe das im Übrigen bei der 1. problemlosen Schwangerschaft, in welcher ich keinerlei Unsicherheit bezügl. FG hatte, auch schon so gemacht. Verkündung erst ab der 12. Woche. Das hat für mich auch völlig ausgereicht. Man kann sich danach auch noch ausgiebig freuen.
Weiterhin ist es so, dass ich persönlich seit der erlebten FG und einigen "biochemischen" Schwangerschaften nicht daran glaube, dass diese Vorfälle alle in der Form von der Natur gewollt sind. Ich gehöre zu der Gruppe der Frauen, die davon überzeugt ist, dass es eine körperliche Ursache gibt. Das gibt mir Kraft weiter zu machen. Insofern bin ich gedanklich von einer "neuen Normalität" weit entfernt. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Lieber Gruß
In unserem nahen Umfeld weiß mittlerweile eigentlich jeder von unseren Fehlgeburten. Wenn es sich ergibt, sprechen wir darüber. Wir haben in unserem Schlafzimmer auch Erinnerungen an die beiden aufgehängt.
Trotzdem haben wir bewusst erst nach dem ersten Trimenon von der Schwangerschaft erzählt, unter anderem aus diesem Grund.
Wir waren sehr froh, dass wir niemandem gegenüber in einer Pflicht standen, davon zu erzählen.
Niemand wusste von der Schwangerschaft, also mussten wir niemandem in der Trauer und im Schock vom Ende erzählen und niemand hat uns in die Trauer und den Schock hinein gefragt, wie es mir bzw. dem Kind denn geht.
Nach beiden Fehlgeburten hätte ich das als belastend und schwer empfunden.
So konnten wir selbst entscheiden, wann wir mit wem darüber reden.
Mein Mann hat immer schon recht früh andere Leute mit einbezogen. Ihm hat es gutgetan, mit jemandem zu reden, der nicht direkt betroffen ist wie ich. Diese Freiheit hatte er und er hat sie genutzt.
Ich habe erst später mit anderen Leuten darüber geredet, erst, nachdem ich es mehr verarbeitet hatte.
Das war für uns beide der beste Weg.