Gedichtinterpretation 9. Klasse - Brauche mal Eure Meinung bitte!

Hallo!
Meine Tochter, 14 J., geht in die 9. Klasse einer Gesamtschule und sollte heute eine Deutscharbeit schreiben - Gedichtinterpretation. Leider hat sie das Gedicht nicht verstanden, ihr fiel gar nichts ein und gab ein leeres Blatt ab, sprach auch mit dem Lehrer darüber.

Sie hat mir das Gedicht eben gezeigt, es ist folgendes:

Für Einen
Die Andern sind das weite Meer.
Du aber bist der Hafen.
So glaube mir: Kannst ruhig schlafen,
Ich steure immer wieder her.

Denn all die Stürme, die mich trafen,
Sie ließen meine Segel leer.
Die Andern sind das bunte Meer,
Du aber bist der Hafen.

Du bist der Leuchtturm. Letztes Ziel.
Kannst Liebster, ruhig schlafen.
Die Andern...das ist Wellenspiel.
Du aber bist der Hafen.
(Mascha Kaléko, 1912-1975)

Ich habe es natürlich verstanden und ihr auch erklärt, denn sie wußte rein gar nicht, was das bedeuten soll (habe es ihr so ungefähr erklärt: Die anderen sind das weite Meer = es gibt zwar viele anderen Männer, aber sie sind uninteressant, monoton (wenn man hier an das stille weite Meer denkt...) gefährlich, unsicher (wenn man an einen Sturm auf See denkt)

Du aber bist der Hafen = in einem Hafen legen die Schiffe an und sind "sicher" vor der See hier im übertragenen Sinne : der Mann gibt ihr Sicherheit, Geborgenheit

So glaube mir: Kannst ruhig schlafen,
Ich steure immer wieder her. = Die anderen Männer sind ihr egal, er braucht sich also keine Sorgen zu machen, sie wird immer wieder zum Hafen kommen

Denn all die Stürme, die mich trafen,
Sie ließen meine Segel leer.
Die Andern sind das bunte Meer,
Du aber bist der Hafen.
= Alle Stürme hier vllt. Liebschaften?, die sie hatte, gaben ihr nicht das Gefühl, dass es sich um die richtige Liebe handle (sie ließen meine Segel leer). Die anderen sind vielleicht vielseitig (bunte Meer), aber er ist trotzdem das, wonach sie sucht.

Du bist der Leuchtturm. Letztes Ziel.
= Leuchtturm kann wieder als Rettung gesehen werden (ist ja die Funktion eines Leuchtturms), Letztes Ziel: Sie will keinen anderen mehr.
Kannst Liebster, ruhig schlafen. = sie bleibt ihm ewig treu, wie gesagt, er muss sich nicht darum sorgen, dass sie irgendwann weg ist

Die Andern...das ist Wellenspiel. = die anderen Männer sind nichts ernstes, sondern wenn dann nur Spielerei
Du aber bist der Hafen. = diese Spielereien will sie aber nicht mehr, weil sie quasi die richtige Liebe haben will)

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Allerdings finde ich, dass ein 14jähriges Mädchen ohne Erfahrung in Liebesdingen dieses Gedicht schwer interpretieren kann. Ich finde das unpassend von dem Lehrer, das den Kindern zu geben.

Wie seht Ihr das?

Viele Grüße!

8

Hallo,

zunächst einmal hätten sie die typische Einleitung können müssen, Titel, geschrieben von, geschrieben wann. Dann gehörtzdazu, den Aufbau des Gedichts zu beschreiben, wieviele Strophen a wievielen Zeilen, welches Reimschema.

Zum inhaltlichen Aufbau und Stilmitteln hätte sie dann zumindest die Vergleiche und Wiederholungen nennen müssen, die sind leicht zu erkennen.

Soweit hätte sie definitiv auch ohne großes Textverständnis kommen können, denn sie werden das Thema Lyrik im Unterricht besprochen haben.

Bis hierhin reine Fleißarbeit.

Zum Inhalt denke ich, dass die Methaphorik recht leicht zu verstehen ist, vor allem wenn man gerade solche Stilmittel bespricht.

Deinen Einwand mit dern 'Unerfahrenheit in Liebendingen' kann ich überhaupt nicht verstehen. Deine Tochter ist 14 und keine 4, da sind gerade solche Dinge brandaktuell.

Und bis auf das 'Liebster', dass völlig klar macht, dass der Adressat ein Mensch sein muss, könnte von einer beliebigen Zuneigung zwischen zwei Menschen gesprochen werden. Die wird sie doch wohl mal erfahren haben?

Als letztes, und das ist eigentlich die einzige wirkliche Leitsung, die hätte gebracht werden müssen, wäre das Aufschlüsseln der Metaphern und der Transfer der Bedeutung an der Reihe gewesen. Zusammenfassung, Fertig.

Ich halte das Gedicht für völlig angemessen und denke, dass deine Tochter sich im Unterricht null konzentriert hat oder einfach keine Begabung für Lyrik hat.

Ein typischer Fall einer Mutter, die nicht einsehen kann, dass ihr Kind einfach eine unzureichende Leistung abgeliefert hat und die Schuld dafür nur beim Kind und nicht beim Lehrer, dem Schulsystem oder der Aufgabenstellung zu suchen ist.#sorry

Kurze Frage aus eigenem Interesse; hast du mit deiner Tochter viel gelesen oder liest sie viel?

LG

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Hi!
Also, ich denke, Du hast mich im ersten Posting falsch verstanden, wenn Du mich als "typische Mutter, die nicht einsieht..."bezeichnest.

Ich bin eben auch der Meinung, dass ihr Lyrik nicht liegt. Da kann man als Mutter früher jeden Tag Goethe vorgelesen haben, das nützt nichts in meinen Augen. Das ist eine Begagung, da einen Zugang zu haben oder nicht. Genau wie mit technischen Dingen, Musikinstrumenten spielen, Sprachen usw.
Ihr liegen mathematische Gleichungen und Sprachen mehr, daher denke ich, sie ist in dem Erweiterungskurs überfordert (das sagt sie auch selbst).

Diese Überforderung zeigt sich bei ihr (und auch das ist m. M. nach persönlichkeitsbedingt) mit totaler Verweigerung, indem sie dann ein leeres Blatt abgibt. Da fällt sozusagen die Klappe.

Und damit ich eben nicht wie die "typische Mutter" zum Herrn Lehrer renne und den falte, weil er den Kindern unangemessene Gedichte zum Interpretieren gibt, wollte ich mal Eure neutrale Meinung.

Bist Du Lehrerein, dass Du die "typische Mutter" kennst, oder wie kommt es zu Deinem Schubladendenken?

Viele Grüße und danke für Deine ausführliche fachliche Antwort!

#winke

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Hallo,

dann muss ich mich bei dir entschuldigen! Ich dachte dieser Post zielt, so wie einige andere davon aber nicht von dir, darauf ab eine Grundlage dafür zu schaffen, den Lehrern die Schuld in die Schuhe zu schieben.

Letzendlich ist es ja auch nicht schlimm, mal was nicht zu können. Fast niemand hat eine so weitreichende Begabung, dass ihm jedes Schulfach liegt.

Wenn ihr mathematische Gleichungen liegen, habe ich in punkcto Gedichte noch einen Tipp:

Sie soll so vorgehen, wie sie eine Mathe-Textaufgabe lösen würde. Also das Gedicht zuerst natürlich genau lesen und oft hilft es, Strophen und Reime farbig zu markieren und die Metadaten wie Auto, Veröffentlichung usw. als Solche zu kennzeichnen.

Und dann, so wie in Mathe, nach dem Gegeben-Gesucht Prinzip vorgehen. Also fragen: Was habe ich? Antwort: Ein Gedicht von x, veröffentlicht am y, 4 Strophen, Kreuzreim, Zeile 3 wiederholt sich 4 Mal im Gedicht, es gibt viele Vergleiche.

Daraus dann die Einleitung formulieren, da hilft es, sich Musterbausteine auszudenken und zu üben, diese auf verschiedene Gedichte anzuwenden.

Mit diesem Einleitungsteil hat sich schonmal einen guten Teil der Punkte in der Tasche.

Dann der zweite Teil "Was ist gesucht" Antwort: Die Bedeutung der Zeilen über den klaren Inhalt hinaus.

Möglicherweise helfen kleine Mindmaps, in dem genannten Gedicht beispiels weise DU und DIE ANDEREN als Gegenpole identifizieren und dann alle Wörter rauszuschreiben, mit denen diese Pole vergleichen werden.

Auch das direkt aufschreiben.

Als letztes, und das ist der Teil in dem es dann schwierig wird, muss sie die Bedeutung der Vergleiche erkennen, darauf muss man einfach kommen.

Trotzdem kann es helfen, so einen Leitfaden, der an bekannte Lösungswege angelehnt ist, zu haben um die Blokade zu überwinden, sie sich ergibt wenn man beim ersten durchlesen so gar keine Ahnung hat.

Und selbst wenn die Interpretation mau ausfällt kommt man mit einem "befriedigend"
durch, wenn man das Handwerkszeug beherrscht.

Denke, das sollte klappen;-)

Ich bin übrigen keine Lehrerin, aber ich habe viel und oft Nachhilfe gegeben, gerade für Schüler mit ähnlichen Problemen wie deine Tochter sie hat.

Man muss die Schüler einfach da abholen, wo sie sind, das kommt in der Schule oft zu klurz.

Alles Liebe und Sorry nochmal!

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1

Hi,

"einfach" ist das Gedicht nicht.

Ich denke aber, jeder Mensch hat einen Hafen. Das kann wie im Gedicht der "Liebste" sein, aber auch das zu Hause oder eine gute Freundin.

Ein Blatt ohne irgendwas Geschriebenes würde ich als Arbeitsverweigerung sehen.......

LIebe Grüße

Tanja

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HI,

nicht gerade einfach ... aber sicherlich wurde im Unterricht über sprachliche Bilder gesprochen (Sturm / Hafen / Weite / Leuchtturm) etc ... so dass sie eigentlich etwas hätte formulieren können. Aber Lyrik ist nicht jedermanns Sache :-)

LG Mimi

3

Ja, eben, ich denke, das ist auch das Problem, denn die anderen Schüler haben das Gedicht anscheinend schon verstanden.

Sie ist in einem Erweiterungskurs in Deutsch, möchte aber lieber wieder in den Grundkurs.

Mir liegt Lyrik, dafür kann ich nichts mit Mathe und Physik anfangen, in den Fächern ist sie super...

Naja, aber sie ist schon enttäuscht, das merke ich...

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Meine Tochter hat in der 9ten & 10ten Klasse Gedichte die gleich schwer bzw nach meiner Einschätzung schwerer als dein Beispiel

Mein "Favorit" war dieses hier :
Ich zog dich aus der Senke deiner Jahre
und tauchte dich in meinen Sommer ein
ich leckte dir die Hand und Haut und Haare
und schwor dir ewig mein und dein zu sein.

Du wendetest mich um. Du branntest mir dein Zeichen
mit sanftem Feuer in das dünne Fell.
Da ließ ich von mir ab. Und schnell
begann ich vor mir selbst zurückzuweichen

und meinem Schwur. Anfangs blieb noch Erinnern
ein schöner Überrest der nach mir rief.
Da aber war ich schon in deinem Innern
vor mir verborgen. Du verbargst mich tief

Bis ich ganz in dir aufgegangen war:
da spucktest du mich aus mit Haut und Haar

Da konnt selbst ich mir bei manchen Strophen nur "Was zum??" .. denken
Gedichtinterpretationen sind jedoch Prüfungsthemen die normalerweise auch ausführlich im Unterricht bearbeitet werden
Die Deutschlehrerin meiner Tochter sagte uns Eltern das es bei Gedichten keine Musterlösung gibt,vorallem am Anfang ist erstmal das Schema (also Unterteilung der interpretation,die Stilmitter,.) wichtig und WIE man das Gedicht versteht kann untereinander je nach Text schon abweichen
Aber am Ende liegt es eben anderen mehr und anderen weniger Gedichte zu verstehene ABER warum hat sie es nicht wenigstens irgendwie versucht ? Das wäre besser als ein leeres Blatt abzugeben
Die Stilmittel kann man zB auswendig lernen

5

Sehe ich auch so, formale Dinge, Stilmittel kann man lernen und da muss man kein leeres Blatt abgeben - sähe für mich auch noch Arbeitsverweigerung aus.

Und selbst wenn man in Liebesdingen noch nicht bewandt ist, kann man sich doch zumindest bemühen, sich seine Gedanken zu dem Gedicht zu machen.

6

Das sehe ich auch so...sie ist da leider total extrem, sehr ungeduldig und ungehalten und neigt zu Kurzschlusshandlungen, wie ein leeres Blatt abgeben.

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9

Kommt drauf an, ob sie ähnlich nebelige Gedichte zuvor schon mal behandelt sprich im Unterricht interpretiert hatten oder nicht.

Letztendlich bevorzugt so ein vages Gedicht Kinder die viel Phantasie haben und "labern können" (nicht so abwertend gemeint wie es klingt). Ich habe mich beim mündlichen Reli-Abi zu der These auslassen dürfen/ müssen, dass Gott ein gasförmiges Wirbeltier sei…. Kann man viel dazu sagen, wenn man gern "labert"… ;-)

G k.

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In dem Alter kann man das aber auch auf Eltern beziehen, die immer der sichere Hafen sind in der bunten abwechslungsreichen Umwelt eines Teenies.
oder das Leben, dass sie behütet derzeit leben.

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Anspruchsvoll - ja.

Aber unpassend? Wieso? Sind doch keine sexuellen Anspielungen drin.

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Bei meinen 2 Teenie-Kindern wäre ein leeres Blatt für mich ein Zeichen, von Unlust. Wenn die was nicht verstehen, reden die mit mir und ích versuche ihnen auf die Sprünge zu helfen. Die müßten und würden von alleine z.B.auch hinSCHREIBEN, was deine Tochter wahrscheinlich geSAGT hat

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Grundsätzlich sehe ich das wie die anderen hier. Man muss das Gedicht nicht zwangsläufig auf eine "Liebe" zwischen Mann und Frau beziehen (auch wenn es die wahrscheinlichste Interperetation ist). Von daher liegt es an ihrer "Unerfahrenheit" in Liebesdingen garantiert nicht.

Was mich aber echt wundert, deine Tochter ist in Mathe und Physik begabt. Schön. Ging mir auch so!

Durch dieses ganze Gedöns aus Interpretation und Analyse (Deutsch, Englisch, Musik, Kunst...) habe ich mich immer "logisch" langehangelt....

Soll heißen, wenn sie "logisch" so begabt ist, wird sie es doch wohl hinbekommen, ein vorgegebenes Schema abzuarbeiten. Das hab ich immer so gemacht und das schlechteste, was da rauskommen kann, ist eine 3+ (denn die formalen Anforderungen sind ja erfüllt). Manchmal, wenn ich zufällig richtig lag mit der Interpretation, war es halt auch eine 1. So schafft man es im Mittel immer auf eine 2. Meine Strategie. Hat bis zum Abitur wasserdicht gehalten! Sollte deine Tochter auch mal probieren, dann schafft sie auch den E-Kurs!