Hier gibt es ja immer mal wieder Diskussionen darüber, was Schulreife bedeutet. Auf der einen Seite sind es die kognitiven Fähigkeiten, auf der anderen die motorischen, und natürlich auch die sozialen Fähigkeiten. Und bei denen frage ich mich, ob wir da von unseren Kindern nicht ein bisschen zu viel verlangen.
Wichtige Anmerkung: Ich meine damit jetzt nicht Kinder, die schon im KiGa *echte* Verhaltensprobleme (in Richtung oppositionelles Sozialverhalten oder starke Aggressivität oder ähnliches) zeigen. Sondern ich meine damit die Bandbreite an Charaktereigenschaften, die Kinder so mitbringen.
Kinder sollen mit 6-7 Jahren
- selbstbewusst sein, aber dabei immer an andere denken und Rücksicht nehmen
- Durchsetzungsvermögen haben, aber geduldig sein und warten bis sie dran kommen
- eine hohe Frustrationstoleranz haben
- sich ausdauernd konzentrieren können in einem Raum voller Kinder
- ohne zu Meckern Dinge tun, die keinen Spass machen
- kreativ sein, aber sich auch bei Langeweile nicht danebenbenehmen
- sich nicht lauthals ärgern, wenn sie etwas nicht schaffen
- freundlich/höflich sein, auch wenn sie jemanden nicht mögen
- Konflikte selbst regeln, Streit schlichten, aber nicht petzen
- um Hilfe bitten können, aber nicht vorlaut sein
- nicht als Erster hauen, aber sich wehren
- nicht gleich weinen, aber sozial und mitfühlend sein
- andere nicht ausgrenzen, aber auch nicht ausgegrenzt werden
- individuell sein, kein Mitäufer sein, aber sich bei Gruppenaktivitäten problemlos unterordnen
- bei unliebsamen Aufgaben nicht "nein" sagen, aber "nein" sagen, wenn es um Übergriffe/Belästigung geht
Puuuuhhh….
Ich glaube, Kinder bekommen hier ganz viel widersprüchliche Signale (Sei nett! Wehr Dich! Sei der Beste! Hilf den anderen! Heul nicht! Sei still! Melde Dich häufiger! Mach mit! Mach nicht mit!) und haben echt Probleme, das "gesellschaftlich gewünschte" Verhalten in bestimmten Situationen richtig anzuwenden.
Ich kenne keinen Erstklässler, der hier nicht an mehreren Ecken Probleme hätte. Und ehrlich gesagt, auch die meisten Erwachsenen… Macht ihr denn gerne Sachen, die euch keinen Spass machen, ohne darüber zu meckern? Ich nicht, und ich meckere auch schon mal lauthals darüber! Schiebt ihr schon mal unliebsame Aufgaben auf? Und: wie weit ist es denn mit eurer Frustrationstoleranz, jetzt mal ganz ehrlich!? Flippt ihr auch mal aus, wenn etwas nicht klappt? Ich kriege vor meinem Rechner durchaus schon mal die Krise und haue mit der Faust auf den Tisch! Flucht ihr beim Autofahren über andere? Ich regelmässig! Lasst ihr Dränglern um des lieben Friedens Willen die Vorfahrt, auch wenn sie eigentlich euch zusteht? Könnt ihr eure Gefühle immer gut und angemessen regulieren? Hmmm...
Dazu kommt: Welche Eigenschaften brauchen Kinder denn, wenn sie erwachsen sind? Was macht "Erfolg" im Leben/Berufsleben aus? Ist es nicht so, dass eher Stärke, Aushalten, Selbstbewusstsein, Durchsetzungsvermögen und Ellenbogen gefragt sind, und weniger Zurückhaltung, Empathie und Nettigkeit? (Ich heisse das nicht gut, aber meiner Erfahrung nach ist es so, dass es sehr "nette" Menschen doch leider eher schwer haben, weil sie von den anderen ausgenutzt werden. ) Wie bekommt man hier überhaupt jemals eine ausgewogene Balance zwischen Altruismus und Egoismus hin?
Ich kenne einen Jungen, der ist extrem schüchtern. Er spricht mit Erwachsenen eigentlich gar nicht. Er will auch bei keiner Vorführung mitmachen. Die Lehrerin geht damit super um. Bei Vorführungen hält er z. B. das Hintergrundbild. So ist er dabei und taut immer mehr auf.
Ich kenne ein Mädchen, das ist super sozial und hilfsbereit und macht keinen Mucks, wenn sie verliert. Sie hat aber grosse Ängste vor fast allem und ist auch sehr schüchtern. Und wenn keiner hinschaut, dann haut sie ihren kleinen Bruder.
Ich kenne einen Jungen, der ist selbstbewusst und kann sich durchsetzen. Seine Frustrationstoleranz geht gegen Null und er ist sehr aufbrausend. Dafür hilft er sehr gerne anderen und ist sehr freigiebig.
Ich kenne einen Jungen, der wird von anderen gehänselt, weil er etwas übergewichtig ist. Er haut meist zuerst zu und beschuldigt dann die anderen.
Ich kenne einen Jungen, der hat grossartige Ideen und ist sehr kreativ. Leider macht er in der Schule oft nicht das, was er soll, sondern das, was ihm Spass macht. Dafür ist er sehr empathisch.
etc.
Alle diese Kinder sind ganz normal eingeschult worden.
Ja, an all diesen "Baustellen" muss man arbeiten, und das ist auch wichtig, aber das sind Verhaltensweisen, die zum Teil Veranlagung und zum Teil Erziehung sind. Sicherlich ist es auch noch mit ein Zeichen der "Reife", aber wie reif kann ein 6-7 jähriges Kind schon sein? Die Lebenserfahrung, die es bewusst reflektieren kann, ist ja recht gering, ca. 3-4 Jahre. Davor halten sich ja alle Kleinkinder für den Nabel der Welt.
Ich finde, jedem Kind stehen hier durchaus Baustellen zu, sonst wären sie ja schon fertige Erwachsene. Die Entwicklung des Sozialverhaltens ist ein kontinuierlicher Prozess im ganzen Leben. Nur weil ein Kind "verspielt" oder "schüchtern" ist, würde ich nicht sagen, es sei nicht schulfähig, wenn sonst alles in Ordnung ist. Bisher gab es ja auch noch kaum andere Anforderung an das Kind als "Los, sei ein Kind, spiele!". Nicht alles ist eine Frage der Reife, vieles ist auch Typsache. Die erste Klasse ist (zumindest hier in NRW) wirklich ein langsamer Einstieg in die Schule. Es sind pro Tag nur drei volle Stunden Unterricht (4x 45 min) und viel Pause, Bewegung, Spielerisches und es gibt keine Noten.
Wie gesagt, das gilt nicht für die Kinder, die stark ausgeprägte Verhaltensprobleme haben, nur nochmal für's Protokoll. Ja, man kann ein bestimmtes Minimum an sozialen Fähigkeiten bei Sechsjährigen voraussetzen, aber noch lange kein (auch nicht annähernd) perfektes Kind. Eine gewisse Bandbreite muss man einfach in Kauf nehmen und auch damit umgehen können. Manchmal habe ich hier den Eindruck, dass jede kleinere Baustelle auch schon als grosses Problem gesehen wird (z. T. auch von den Erziehern). Vielleicht haben wir mit unserer Schule Glück, aber ich habe da den Eindruck, dass auf diese individuellen "Baustellen" der Kinder mit Einfühlungsvermögen und Augenmaß sehr gut eingegangen wird und dies zu einer echten Weiterentwicklung beiträgt.
LG
Hanna
Warum erwarten wir von unseren Kindern Dinge, die wir selbst nicht leisten können?
Hallo,
einige deiner Punkte kann ich nachvollziehen. Allerdings geht unser Sohn auch in NRW zur Schule seit 2012 und er hatte insgesamt 23 Wochenstunden (3 Tage a 5 Stunden und 2 Tage mit 4 Stunden) Es gab natürlich auch leichte Kost, wie Erzählkreis o.ä. Aber das Pensum was sie in der 1. Klasse geschafft haben, hätten sie mit "Spielunterricht" wohl kaum erreicht und das mit 27 Kindern.
Trotzdem hat es die Lehrerin geschafft jedes Kind dort abzuholen wo es nach dem Kindergarten stand und lt. ihr hatte die Klasse am Ende des 1. Jahres einen super Lernstand erreicht.
Vielleicht hatten wir einfach nur Glück, das die meisten Kinder normal entwickelt zur Schule gekommen sind und keine großen Probleme hatten.
Allerdings arbeitet der Kindergarten sehr an den "Alltagsdingen" die für die Schule nötig sind und macht keine Vorschularbeit in Form von Buchstaben und Zahlen üben, dafür ist schließlich die Schule da.´
Unser Sohn darf im übrigen auch mal aus der Haut fahren und muss nicht zu allen nett und lieb sein.
LG
Tanja
Hallo,
so richtig verstehe ich nicht, was das alles mit der "Schulreife" zu tun haben soll. Für mich hat das alles NICHTS mit Schulreife zu tun.
Gruß, wasgibts
Es gibt hier immer wieder Artikel, wo die Erzieher sagen, das Kind wäre "so verspielt" oder "hat eine geringe Frustrationstoleranz" oder "sehr schüchtern", und deswegen Bedenken im Hinblick auf die Schule haben und zu einer Rückstellung raten. Weiter unten ist ein Thread, wo jemand schreibt, die Ärztin hält das Kind für verspielt, und befürwortet eine Rückstellung, obwohl das Kind lt. Aussage der Mutter 30 min. lang konzentriert richtig Vorschulaufgaben gelöst hat.
Ganz oft fragen Eltern hier nach, ob ihr Kind die Schule schaffen wird, wenn es hier oder da Probleme hat, und da wird dann auch immer die ganze Bandbreite der notwendigen Fähigkeiten aufgefahren.
Sicherlich habe ich jetzt auch soziale Fähigkeiten genannt, die etwas darüber hinausgehen, aber oft findet man solche Aussagen wie:
http://www.gesundheit.de/familie/kindheit-und-jugend/schule-und-begabung/von-fruehstartern-und-spaetzuendern-wann-ist-ein-kind-schulreif
"Zur Schulreife gehört nämlich nicht nur, Buchstaben zu erkennen oder von eins bis 20 zu zählen – vielmehr ist soziale Kompetenz gefragt.
"Sich in einer Klasse mit bis zu 30 Kindern zu behaupten, ist nicht leicht. Ein Kind, das unsicher ist, und nicht weiß, wie es sich in einer Gruppe verhalten soll, hat es schwer in der Schule", so die TK-Expertin. Bei der Schulreife kommt es zum Beispiel darauf an, ob ein Kind ohne Angst in einer größeren Runde reden mag und zuhören kann, ohne andere zu unterbrechen. Und ob es auf Wunsch Dinge erledigt, die es eigentlich langweilig findet. Außerdem sollten Schulanfänger schon im Stande sein, sich verantwortlich zu fühlen. Außerdem ist wichtig, dass kleine ABC-Schützen mit Kritik umgehen und Konflikte lösen können, ohne ihre Fäuste einzusetzen."
Meiner Ansicht nach können viele Kinder dies nicht und sind trotzdem ganz normale Schulanfänger.
LG
Hanna
Also erstmal glaube ich nicht, dass das alleinige Merkmal geringer Frustrationstoleranz zu einer Rückstellung führt. IdR wird es das Gesamtpaket sein. Und ich denke, ein Erzieher kann es deutlich besser einschätzen, da er das jeweilige kind im verlgeich zu anderen kindern sieht. von daher kann es nur von Vorteil sein, wenn man noch ein jahr mehr Zeit hat und diese auf Empfehlung auch nutzt. Wäre es anders udn die Eltern würden entgegen der Empfehlung handeln,dann wären wir ja bei dem Rhema, welches du hier ansprichst. Dass ich etwas erwarte, was das Kind (noch) nciht leisten kann.
Und wenn ich mir die Klasse meines Sohnes ansehe, dann gibt es dort sicher einige WENIGE Kinder, denen ein Jahr länger gut getan hätte. Die aber keine Wahl hatten, weil der Stichtag, wann ein kind zur Schule MUSS, diese mit eingeschlossen hat. Und natürlich werden Eltern, deren kind eigentlich noch ncith so weit ist, die aber MÜSSEN, sich deutlich mehr Gedanken machen. weil Schule eben doch etwas anderes ist als Kita. Weil hier plötzlich eine Leistung gefordert wird, die das kind mit etwas mehr Zeit vielelicht ausgebildet hätte. aber nicht "durfte", weil das Geburtstdatum etwas anderes verlangt hat.
Und was das Beispiel mit der Mutter angeht: Der Userin geht es ja vorrangig um die Freundschaften, die ihre Tochter verliert. Würden alle Freunde noch ein Jahr länger bleiben, dann hätte sie vermutlich kein Problem.
toller Text
Hi,
so ganz kann ich das nicht nachvollziehen, was du schreibst. Ich kenne weder Eltern, noch Erzieher, noch Lehrer, die solch überzogene Vorstellungen von dem haben, was ein Kind für die Schule mitbringen soll.
Vlg tina
Hallo Hanna,
wirklich schön geschrieben! Sowohl hier im Forum als auch im "Real-Life" denke ich oft, dass man den Kindern einfach viel entspannter auch mal was zutrauen sollte.
Ach so, in deiner Aufzählung fehlt noch, dass die Kinder Ihr Pausenbrot aufessen müssen, auch wenn sie gerade keinen Hunger haben und die Pause zum Spielen eh zu kurz ist. Und selbst bei Plusgraden müssen sie immer dran denken die Mütze aufzusetzen, sonst muss Mama wieder einen Hilferuf bei Urbia starten
Kat
Hallo,
ehrlich gesagt, hatte niemand bei der Schuleingangsuntersuchung diese Erwartungen an mein Kind und ich habe diese auch nicht.
Ich finde es immer wieder faszinierend wie gut andere meinen, andere Menschen und deren Erwartungshaltungen zu kennen. Im Übrigen stellt die Schule an die Kinder meist höhere Anforderungen als die Eltern, so empfinde ich es jedenfalls. Wobei das auch Lehrer abhängig ist.
LG
Carola
Die Punkte, die du ansprichst, sind interessant, aber der vorangehende Halbsatz
"Kinder sollen mit 6-7 Jahren"
ist falsch.
Ich kenne niemanden, der von einem 6jährigen Kind erwartet, dass er all die von dir aufgezählten Punkte zuverlässig beherrscht. Viel mehr wäre es wünschenswert, dass ein Kind im Laufe des Erwachsenwerdens lernt, sich je nach Situation angemessen (das kann je nach Situation eben mal rücksichtsvoll oder auch rücksichtslos sein) zu verhalten.
Du beschreibst hier das Idealbild eines Menschen, das auch die wenigsten Erwachsenen (wenn nicht sogar keiner) je erreichen werden.
Und mit Schulreife haben die wenigsten deiner Punkte zu tun.
"- selbstbewusst sein, aber dabei immer an andere denken und Rücksicht nehmen"
Mein Sohn soll bitte nicht immer an andere denken und Rücksicht nehmen, das fände ich gruselig
Beispiel:
wenn ich meinem Sohn sage "sei bitte leiser, ich habe gerade Kopfweh", dann möchte ich in dem Moment schon, dass mein Kind Rücksicht auf mich nimmt.
Deine Aussage geht hingegen in die Richtung, dass man von seinem Kind erwartet, dass es ständig im Hinterkopf hat "hmm, Mama könnte gerade Kopfweh haben, also spiele ich deswegen leiser" - und das erwartet wohl niemand von seinem Kind.
Auch finde ich, dass sich Selbstbewusstsein und Rücksichtnahme nicht ausschließen.
"- eine hohe Frustrationstoleranz haben"
Auch das verlangt doch niemand - aber natürlich wäre es wünschenswert.
Nur wenn ein Kind eine besonders niedrige Frustrationstoleranz hat, darf das von den Experten (Erzieher, Lehrer) angesprochen werden und es sollte daran gearbeitet werden.
"- sich ausdauernd konzentrieren können in einem Raum voller Kinder"
Was heißt schon "ausdauernd". Es gibt gewisse Erfahrungswerte, wie lange sich ein Kind im Durchschnitt konzentrieren kann, und darauf ist der Schulunterricht ausgelegt und wird vom Lehrer sicher auch den individuellen Bedürfnissen seiner Schulklasse angepasst, indem der Lehrer den Unterricht auflockert.
Es ist ja auch nicht so, dass man von den Kindern heutzutage mehr Konzentration erwartet als früher, ganz im Gegenteil (meiner Meinung nach).
"- ohne zu Meckern Dinge tun, die keinen Spass machen"
Mein Sohn stöhnt wohl öfter Mal im Unterricht theatralisch auf, sein Lehrer hat es beim Elterngespräch aber mit einem Schmunzeln kommentiert.
"- kreativ sein, aber sich auch bei Langeweile nicht danebenbenehmen"
Kreativ sein sehe ich als ein Talent an (sowie Sportlichkeit oder Musikalität), das man nicht erzwingen kann. Daneben benehmen sollte sich ein Kind nie und eine gewisse Langeweile auszuhalten, sollten Kinder bis zur Einschulung gelernt haben (siehe auch Konzentration, Frustrationstoleranz).
"- sich nicht lauthals ärgern, wenn sie etwas nicht schaffen"
Fällt unter Frustrationstoleranz
"- freundlich/höflich sein, auch wenn sie jemanden nicht mögen"
Das ist doch gerade das Schöne an Kindern, dass sie ganz ehrlich zeigen, wenn sie jemanden nicht mögen, im Gegensatz zu Erwachsenen (Jugendlichen), die einen freundlich anschleimen und hinter deinem Rücken gegen dich intrigieren oder "nur" über dich lästern.
Mein Sohn darf zeigen, wenn er jemanden nicht mag. Mein Sohn muss nicht freundlich zu jemanden sein, den er nicht mag. Höflich sollte jeder sein/bleiben, solange das Gegenüber höflich ist.
"- Konflikte selbst regeln, Streit schlichten, aber nicht petzen"
Das Eine schließt das Andere doch nicht aus
"Petzen" ist sicher eine Gratwanderung. Wann ist etwas "Petzen", wann nicht? Und wann kann "Petzen" nicht doch sinnvoll, notwendig oder gar lebensrettend sein?
"- um Hilfe bitten können, aber nicht vorlaut sein"
Auch hier schließt das Eine das Andere normalerweise nicht aus.
"- nicht als Erster hauen, aber sich wehren"
Und wieder schließt das Eine das Andere nicht aus. Ich finde es immer ganz furchtbar, wenn ich bei Urbia lese "mein Kind darf nie schlagen, auch nicht, wenn es die einzige/letzte Möglichkeit ist, einen Angriff abzuwehren". So erzieht man sich Opfer heran.
"- nicht gleich weinen, aber sozial und mitfühlend sein"
Auch hier: das Eine schließt das andere nicht aus.
Und Erwachsene können mit Sicherheit unterscheiden, ob ein Kind aus Mitgefühl mit jemanden weint oder das Kind zu empfindlich, überfordert, zu frustriert ist.
"- andere nicht ausgrenzen, aber auch nicht ausgegrenzt werden"
Das Eine schließt das andere ja normalerweise nicht aus. In der speziellen Situation "Kind A hält zu Außenseiter B, obwohl die Gefahr besteht, dass Kind A deswegen auch zum Außenseiter wird" muss man individuell entscheiden, ob A besser Abstand zu B nehmen sollte oder es eher positiv ist, dass A B als Freund hat und ansonsten ausgegrenzt wird.
Und zwischen ausgegrenzt werden und jemanden aktiv ausgrenzen gibt es ja auch noch "neutral bleiben" oder "zwischen dem ausgegrenzten Kind und den Ausgrenzenden vermitteln (notfalls auch mit Hilfe von außen)".
"- individuell sein, kein Mitäufer sein, aber sich bei Gruppenaktivitäten problemlos unterordnen"
Diesen Punkt finde ich hochinteressant.
Natürlich möchte ich, dass mein Kind bei vernünftigen Aktionen ein "Mitläufer" ist und bei vernünftigen Regeln ohne nachzudenken diese auch befolgt.
Und natürlich möchte ich NICHT, dass mein Sohn bei unvernünftigen Aktionen ein Mitläufer ist und unvernünftige (z.B. sittenwidrig) Regeln einfach so befolgt.
Aber es ist unmöglich, seinem Kind von Anfang an all die Situationen, in denen es besser ist, kein Mitläufer zu sein, aufzuzählen. Man kann nur hoffen, dass Kinder mit der Zeit lernen, zu hinterfragen, wo es angebracht ist, und nicht zu hinterfragen, wo es nicht angebracht ist.
"- bei unliebsamen Aufgaben nicht "nein" sagen, aber "nein" sagen, wenn es um Übergriffe/Belästigung geht"
Ähnliche Problematik wie beim vorigen Punkt. Das Einzige, was mir zu der Problematik einfällt, ist, mein Kind immer wieder mal daran zu erinnern, dass niemand ihn gegen seinen Willen anfassen darf.
LG,
J.
Huhu,
ich bin ja genau Deiner Meinung, deswegen habe ich das geschrieben. Ich erwarte das nicht. Aber meiner Erfahrung nach legen viele Menschen bei Schulkinder doch recht erwachsene Erwartungen an.
Nur ein Beispiel:
"Das ist doch gerade das Schöne an Kindern, dass sie ganz ehrlich zeigen, wenn sie jemanden nicht mögen."
Aber das wird (in der Schule) überhaupt gar nicht gewünscht, und die Grenzen zu "fies sein" sind hier tatsächlich fliessend. Mein Sohn sagte mal über einen Jungen, der eine Narbe am Unterschenkel hat, "Die sieht ja aus wie ein Regenwurm!". Ich denke nicht, dass er dem Kind damit weh tun wollte, hat er aber, und das war ein Thema beim Elternsprechtag, dass mein Sohn immer direkt sagen würde, was er denkt. Es wurde als mangelnde soziale Fähigkeit gesehen.
LG
Hanna
Hallo,
" Ich erwarte das nicht. "
deine Überschrift lautete aber
"Warum erwarten wir..."
was dich ja mit einschließen würde
"Aber meiner Erfahrung nach legen viele Menschen bei Schulkinder doch recht erwachsene Erwartungen an."
Wie gesagt kenne ich niemanden, der erwachsene Erwartungen an Schulkinder hat
" und das war ein Thema beim Elternsprechtag, dass mein Sohn immer direkt sagen würde, was er denkt. Es wurde als mangelnde soziale Fähigkeit gesehen."
Wenn dein Kind tatsächlich immer direkt sagt, was er denkt, dann ist er bei dieser Thematik auf dem Stand eines ca. 3/4jährigen Kindes.
Aus dem Alter, spontan auszurufen "Mamaaaaaaaaaaaa, warum ist die Frau da drüben so dick?" (einer der Klassiker) sollte man mit 6 Jahren wirklich schon draußen sein.
Nun finde ich den Spruch deines Sohnes "Die Narbe sieht ja aus wie ein Regenwurm!" nicht so schlimm. Ich würde nicht mal den Ausspruch eines Kindes "boah, deine Narbe schaut ja wirklich eklig aus" schlimm finden, wenn es eine Tatsache ist, dass die Narbe eklig ausschaut. Allerdings nur unter Freunden und wenn man weiß, sein Freund hat keine Probleme mit so einem Spruch.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Lehrer deines Sohnes seine sozialen Fähigkeiten alleine an dem "Regenwurm-Spruch" fest machen.
Aber wenn dein Sohn wirklich IMMER direkt sagt, was er denkt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was sein Gesagtes, bei denen, die das mithören, auslöst und dein Sohn eventuell auch nicht nachvollziehen kann, wenn ein Kind wegen seines "Regenwurm-Spruchs" traurig ist, DANN würde das in den Bereich "mangelnde Empathie" fallen, was wiederum in den Bereich Sozialverhalten fällt.
Und bei dem Spruch "deine Narbe schaut aus wie ein Regenwurm", kommt es ja auch darauf an, zu WEM er diesen Spruch gesagt hat.
Wenn dein Sohn nicht mit dem Jungen mit der Narbe befreundet war, muss man ja davon ausgehen, dass der Spruch deines Sohnes nicht nett gemeint war.
Wenn der Junge mit der Narbe als schnell eingeschnapptes Sensibelchen bekannt war, hätte dein Sohn wissen müssen, dass sein Spruch nicht gut ankommt.
Gleiches gilt, wenn er den Jungen mit der Narbe gar nicht kannte, und nicht wissen konnte, wie das bei dem Jungen mit der Narbe ankommen würde.
Vielleicht habe ich mich in meinem 1.Posting falsch ausgedrückt.
ICH finde kindliche, unschuldige Ehrlichkeit bei Kindern bis zu einem gewissen Grad schön, weil mich manche Verlogenheit mancher Erwachsener abstößt. Das heißt aber nicht, dass ein Lehrer kindliche Ehrlichkeit gut finden muss.
Und ich finde es völlig okay, wenn ein Grundschulkind zu einem anderen Kind sagt "ich mag dich nicht". Dass ein Lehrer das nicht gut findet und diesen Spruch kritisiert, wenn er davon hört, ist die Pflicht des Lehrers, denn niemand ist gezwungen, das "ich mag dich nicht" laut auszusprechen und natürlich verletzt das unnötig.
Als Mutter habe ich meinem Sohn natürlich so früh wie möglich beigebracht, dass man nicht jede Wahrheit laut aussprechen muss, wenn diese Wahrheit jemanden unnötig verletzen würde.
Auch habe ich meinen Sohn u.a. nach dem Motto "was du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem anderen zu" erzogen, und mein Sohn möchte gewisse Wahrheiten, die ihn betreffen, sicher auch nicht von anderen gesagt bekommen (solange es sich vermeiden lässt).
LG,
J.
Du hast absolut Recht. Hier im Forum würde vermutlich jeder sagen: "Ach Quatsch, wer erwartet denn DAS alles von einem Erstklässler." Liest man dann aber von Einzelfällen, in denen einzelne Punkte ein Problem darstellen (oder von der Schule zu einem solchen gemacht werden), stürzen sich alle darauf und sagen: "Dein Kind ist 7, das müsste es doch längst können." Dass das Kind vielleicht in anderen Punkten bereits gut "funktioniert" wird nicht berücksichtigt.
Zu deinen letzten beiden Absätzen möchte ich aber noch eine Anmerkung machen:
"Manchmal habe ich hier den Eindruck, dass jede kleinere Baustelle auch schon als grosses Problem gesehen wird (z. T. auch von den Erziehern). "
Ja, das ist so, allerdings werden manchmal auch "kleinere Risse im Asphalt" nicht beachtet, weil die von dir genannten Punkte sonst alle "perfekt" sind. Dass vielleicht gerade auch dieser Perfektionismus zu einem Problem führen kann, sieht man nur als "überbesorgte UFO-Mutter". Aus meiner Erfahrung kann ich dir sagen, dass GERADE auch Kinder, die nicht auffallen, Probleme haben können.
Da hast Du Recht, es gibt sicherlich auch die andere Form. Unauffällige Kinder haben auch oft Probleme, die sich dann zu grösseren Problemen auswachsen, weil man es ihnen nicht anmerkt.