Wie soll das Kind nach Hause kommen?

Ich schreibe diese Nachricht recht verzweifelt aus unserem Familienurlaub.
Unsere Tochter (10) blockt hier alle Aktivitäten, die eine längere Autofahrt erfordern würden. Wir sind am vergangenen Mittwoch schon unter Schwierigkeiten angereist und sie hat seitdem zweimal den Hof zu Fuß ins Nachbardorf mit meinem Mann verlassen.
Einmal war sie gestern überraschenderweise mit Einkaufen. Sobald es darum geht, eine Aktivität zu planen, die es erfordern würde, länger als 30 Minuten ins Auto einzusteigen, wird sie unruhig und man sieht ihr an, wie Unwohl es ihr ist. Auf der Anreise zum Hof hatten wir unsere Anfahrt extra auf zwei Etappen verteilt. Sobald eine Fahrt "droht" wird sie hibbelig, rennt zur Toilette, hat auch Durchfall, klagt über Unwohlsein, sagt sich selbst immer wiederholend "ich muss ruhig bleiben" - erreicht damit jedoch nur das Gegenteil. Schreien, zittern, krampfen, Wut und absolute Verzweiflung sind der Höhepunkt. Sind wir unterwegs: geht es. Sind wir angekommen, ist sie glücklich darüber, da zu sein und findet es "so schön".
Unsere Tochter ist eigentlich sehr empathisch, die egoistische Art, nicht über ihren Schatten springen zu können und auch, sowohl das entgehende Erlebnis als auch unsere Enttäuschung darüber (der jüngeren Schwester und uns Eltern) nimmt sie billigend in Kauf. Ist die Fahrt abgewendet, ist sie "normal". Wir fürchten eine Depression oder Burnout, wie es sich hier darstellt und wissen nicht mehr ein noch aus.
Auch wissen wir nicht, wie wir die bevorstehende Heimfahrt am Wochenende gestalten sollen. (Wir würden wieder in zwei Etappen fahren, das Kind würde gern mindestens eine Etappe mit dem Zug zurück fahren.)
Wer hat Ideen für uns?!

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Hallo

für mich (selbst mit Angst und Panikstörung jahrelang behaftet) hört sich das an, als wenn deine Tochter eine Angststörung ggf, auch Panikattacken entwickelt hat. Dafür gibt es einen Auslöser, den gilt es herauszufinden.


Bei Angst und Panik kann man nicht bzw nur sehr schwer still sitzen; Angst und Panik gehen mit Fluchtreflex einher. Zudem schlägt das oft auch auf den Magen-Darmtrakt ("ich mache mir vor Angst in die Hose") und man ist total verkrampft (die Angst sitzt mir im Nacken).
Nicht gut und schwer laufen können ("...das zwingt mich in die Knie") das allgemeine Unwohlsein, zittern, schreien, all das ist Ausdruck von Angst und höchster Not.
Bei mir flossen immer unkontrollierbar die Tränen und mir war kotzübel.
Klar, klingt erst einmal surreal, aber wenn die Angst da ist, ist sie da.

Nun müsst Ihr schauen, wie Ihr zurück kommt. Am besten wirklich mit dem Zug. Ist das nicht möglich, macht so viele Pausen wie möglich, teilt die Fahrt ein, alles in Absprache mit Eurer Tochter. Fragt sie, was IHR in dem Moment gut tun könnte, vielleicht ein saures Bonbon lutschen, Brausepulver lecken, Musik über Kopfhörer, das lenkt ab weil es die Konzentration auf andere Dinge richtet. Zählen von 50 runter bis 0, wer denkt, denkt nicht an die Angst; alle halbe Stunde Pause mit einer Laufrunde am Parkplatz, so dass das Adrenalin aus dem Körper kommt. Wer Angst oder Panik hat, ist voller Adrenalin.
Das schlimmste ist für jemanden mit Angst, dass er / sie nicht ernst genommen wird. Für den / diejenige ist das vollkommen real, die Angst und Panik ist da. Sie kann nicht bewusst gesteuert werden.

Ihr solltet daheim angekommen, schnellstmöglich mit ihr zum Kinderarzt gehen und das Problem schildern, Ängste können sich ganz schnell auf alle Lebensbereiche ausweiten und leider Gottes den Radius desjenigen immer weiter verkleinern.
Ggf, nein, ich rate auch mit einem Therapeuten Kontakt aufzunehmen, irgendwas ist vorgefallen, dass es sie so in Angst und Panik versetzt mit dem Autofahren.
Ich spreche aus Erfahrung, ich konnte in meiner schlimmsten zeit nicht mal 1 km im Auto als Beifahrer bewältigen geschweige denn selbst fahren. Es war die Hölle.... Und noch schlimmer ist, wenn das nicht ernst genommen wurde: ach, komm, sind doch nur 10 min, stell dich nicht so an... und zack, war es noch viel schlimmer. Die Anreise in den Sommerurlaub, lange vorher gebucht, habe ich zitternd und mit fließenden Tränen 6 Stunden auf dem Beifahrersitz verbracht.

Wichtig ist wirklich, den Auslöser zu finden, das kann was ganz Banales sein, dass ihr vllt. mal schwindelig war, weil sie beim schnellen Fahren das seitliche Ausdemfensterschauen nicht vertrug, oder dass sie in der Schule oder sonst wo ein Erlebnis hatte, wo sie im geschlossenen Raum war und nicht aus der Situation konnte.
Vielleicht wird sie oder fühlt sich gemobbt, nicht "gesehen", übergangen, überfordert. All dass kann Angst und Panikattacken erzeugen. Vielleicht hat sie Angst vor dem Schulwechsel der ansteht. Kann oder mag nicht drüber reden, irgendwo sucht sich der Körper eine Möglichkeit um drauf hinzuweisen...

Jedenfalls helft Ihr Eurer Tochter im Hier und Jetzt am besten, indem Ihr sie ernst nehmt und ihr sie versteht, auch wenn das vielleicht nicht so sein sollte (klingt für mich so ein bisschen zwischen den Zeilen mit, sorry).

Liebe Grüße und alles Gute für Deine Tochter

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Für mich klingt das jetzt auch nicht nach Egoismus oder böswilliger Absicht sondern eher nach einer reingesteigerten Angst. Mir ging es, als ich jünger war, sehr sehr lange Zeit (und manchmal auch heute noch) so, dass ich Angst hatte Durchfall zu kriegen unterwegs. Ich bin in meinen 20ern sogar 1-2 Jahre gar nicht mehr weg weil sich das so zugespitzt hatte. Einmal in eine blöde Situation gekommen (Klassenausflug, ich bekam Durchfall, die ganze Klasse musste ausserplanmässig anhalten und auf mich warten, während ich mit Dünnpfiff quasi auf der anderen Seite auf der Schüssel hockte) hat sich das zu einem Teufelskreis erweitert. "Was wenn ich wieder Durchfall kriege? Was wenn es keine Toilette in der Nähe hat, oh Gott??" etc etc..

Bei deiner Tochter klingt es ähnlich. Du sagst ja selbst ihr seid enttäuscht, reagiert vermutlich leicht genervt.. das kommt dann noch obenauf und setzt sie meiner Meinung nach wahnsinnig unter Druck. Mir hat es geholfen, immer Immodium dabei zu haben. Schon nur das Wissen, dass ich sie habe hat mich beruhigt. Geh doch mit ihr in eine Apotheke, lasst euch beraten. Dann plant für die Rückfahrt mit ihr zusammen die Strecke "Guck, alle 20 Minuten fahren wir an einer Rastanlage mit Toiletten vorbei". Das gleiche könntest du auch für die geplanten Ausflüge machen.

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Warum unterstellst du deiner Tochter Egoismus, wenn ihr eine längere Fahrt so massive Probleme bereitet? Sie hat ja sogar körperliche Anzeichen. Seit wann ist das so?

Bevor ich da an wilde Diagnosen denken würde, würde ich mich einfach damit auseinandersetzen, das längere Autofahrten nix (mehr?) für das Mädel sind....nicht mehr und nicht weniger.
Nach Hause müsst ihr ja irgendwie kommen. Und warum ist es da keine Option, eine Etappe mit dem Zug zu fahren?

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Was genau ist ihr Problem bei langen Fahrten? Hat sie Angst vor der Autobahn
? Wird ihr schlecht? Kann sie die Probleme genauer definieren?

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Sie sagt, es fiele ihr schwer, lange Zeit still an einem Platz sitzen zu müssen.

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Ah okay. Und Bewegungssteuerung für die arme zu machen? Gab früher diese gummibänder mit denen man so Figuren machen kann.
Oder google mal body Percussion. Nervt vielleicht die anderen, aber ist doch gut zum ablenken.
Kann man auch gut im Sitzen machen

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Dein Kind ist ja nun schon 10 Jahre. Da würde ich erstmal überlegen, wie das bisher war und bei welchen Fahrten das konkret auftritt. Manchmal äußert sich das zwar z.B. wie bei deinem Kind mit den Fahrten, aber die Ursache ist etwas vollkommen anderes. Wichtig wäre also auch hier zu überlegen, mit welchen GROSSEN Änderungen dein Kind in der letzten Vergangenheit konfrontiert wurde und in nächster Zukunft konfrontiert wird (Veränderungen, von denen es weiß). Nicht selten freuen sich die Kinder auch über diese Veränderungen in ihrem Leben, trotzdem beschäftigt es sie stark.

Hat dein Kind bereits eine Behinderung, dass du eine Komorbidität befürchtest? Ansonsten würde ich erstmal von den Diagnosen abrücken.

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Ansonsten solltest du noch abgrenzen, ob es deinem Kind unangenehm ist, so lange im Auto zu sitzen, oder in eine unbekannte Umgebung zu fahren.

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Bitte bezeichne sie nicht als egoistisch. Sie hat Ängste und sogar körperliche Anzeichen. Da kann man nicht einfach so über seinen Schatten springen.
Sag mal zu jemandem mit Höhenangst, er soll bungee jumping machen oder jemanden mit Angst vor Spinnen, dass er eine auf die Hand nehmen soll.
Dir fehlt scheinbar die Empathie für deine Tochter.

Hast du schon versucht, die Gründe herauszufinden? Seit wann hat sie die Ängste? Gibt es einen Auslöser? Was genau ist das Problem (fehlende Toilette, Übelkeit beim Auto fahren, unbequem so lange zu sitzen, ...)? Je nachdem, muss man da entsprechend ansetzen.

Und ja, wenn es möglich ist, mit dem Zug zu fahren, dann macht das doch. Einer von euch Eltern fährt mit ihr mit dem Zug und der zweite Elternteil mit dem Auto.

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Einer von Euch fährt mit ihr im Zug zurück.

Weiß ja nicht wo ihr seid aber:

Könntet ihr vor Ort nicht auch Ausflüge mit dem Zug machen?
Dann hätten alle noch etwas vom Urlaub.

Ansonsten eben auch Ausflüge zu zweit machen damit die Schwester was vom Urlaub hat und nicht sauer auf ihre Schwester wird.

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sie ist groß genug zu formulieren, um was es geht. lange sitzen z.B.
Hilft ablenken? Film auf dem Handy?
Niemals würde ich Fahrten wegen dieser Angst im Urlaub absagen - -sondern viel Energie drauf verwenden, im Guten den Angst-Punkt zu begleiten und ihr da durch zu helfen.

Dazu gehört reden. - Dass du hinten sitzt, Ablenkung. Sie fragen, was sie braucht, dass es länger geht usw...

Mein Sohn leidet unter eine Angst-Störung und das war der Rat vom Psychologen. Wenn möglich so wenig wie möglich nachgeben - die Konfliktsituation so oft wie möglich herstellen, sondern mit allen möglichen Ideen + Mitteln "durchhelfen".
Sich nicht zurück nehmen deshalb, sondern extra oft Ausflüge mit Fahren planen usw..., damit sie Übung bekommt im Aushalten. SIeh es als Training. Nehmt eine Uhr mit und macht Pausen, - verlängert die Uhrzeit. - Trefft Vereinbarungen über die "aushaltbaren" Minuten bis zum Ziel etc...
Du sagst ja selber, sobald sie dort ist, ist alles gut. -- Das ist eher die "Angst vorher". -- Wenn sie also den Plan und die Zeiten genau kennt und Vereinbarungen eingehalten werden, dann könnt ihr das "weg trainieren" und nebenbei eben mit Gesprächen rausfinden, wo überhaupt der Knackpunkt ist.

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Guten Morgen!
Hier ein kurzes Update.
Zunächst bedanke ich mich bei allen für ihre Antworten.
Wir stehen seit Februar auf der Warteliste bei der Kinder-/Jugend Psychiaterin. Eigentlich wegen anderer Schwierigkeiten (ausgeprägte LRS, Verdacht auf ADS und damit einhergehende "Begleiterscheinungen"). Leider sind wir eben noch auf der Warteliste. Wir hatten dorthin aber auch eine E-Mail geschickt und die Situation geschildert, bekamen aber eine automatische Rückmeldung, dass die Praxis bis 4.8. in Urlaub sei.
Am Donnerstag haben wir im Laufe des Tages erfahren, dass bei den Freunden, bei denen wir einen Zwischenstopp einlegen wollten (wie auf dem Hinweg), Streptokokken Einzug erhalten hatten. Daraufhin haben wir für mich und beide Kinder für Freitag ein Zugticket gekauft.
Wir hatten der Großen diese Option von Anfang an gegeben, aber vermutlich hatten wir sie damit überfordert, diese Entscheidung zu treffen.
Die Bahnfahrt zurück dauerte 7 Stunden. 5 davon in einem Intercity mit Sitzplatz, zwei in einem völlig überfüllten Regionalexpress.
Die Kinder haben die Reise beide sehr gut mitgemacht.
Mein Mann ist am Samstag mit dem überwiegenden Gepäck und dem Auto nachgekommen.
Als ich meine Tochter "egoistisch" bezeichnete, wollte ich damit nicht ihr Verhalten bewerten, sondern beschreiben, dass ihr in dieser Situation jede Empathie gegenüber uns anderen fehlte, obwohl sie sonst ein sehr empatischer Mensch ist. Es tut mir leid, wenn das anders rüber gekommen ist.
Sie ist glücklich, wieder zu Hause zu sein und freut sich jetzt auf die geplante letzte Ferienwoche. Wir bleiben an der Sache dran.