Ehrenamtliche Zärtlichkeit

Baby-Cuddling: Schmusen mit Klinik-Babys

Muss ein Baby länger in der Klinik bleiben und haben die Eltern wenig Zeit, können ehrenamtliche Babypaten wertvolle Nähe und Zuwendung geben. In den USA ist Baby-Cuddling (Knuddeln) bereits verbreitet. Aber auch hier gibt es schon so genannte „Schmuse-Omas“.

Autor: Gabriele Möller

"Cuddler" schenken Zuwendung und Wärme

Babycuddling: Frau schmust mit Baby
Foto: © iStock, monkeybusinessimages

Jede Mutter weiß intuitiv: Ein Neugeborenes braucht viel Körperkontakt und liebevolle Zuwendung. Doch manche Babys müssen nach der Geburt wochen- oder monatelang in einer Klinik bleiben, "zum Beispiel, weil sie eine schwierige Operation hatten. Manchmal auch, weil ihre Mütter drogenabhängig sind, denn diese Babys müssen nach der Geburt zwangsläufig einen Entzug machen", erläutert Prof. Dr. med. Christoph Bührer, Direktor der Klinik für Neonatologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Und auch kranke oder behinderte Babys werden oft lange auf der Säuglingsstation betreut. 

Oft sind medizinische Zentren für Neugeborene aber weit weg vom Wohnort. Müssen die Eltern arbeiten, sind selbst krank oder haben noch weitere Kinder zu versorgen, bekommt so ein Baby oft nicht so viel Nähe und Zuwendung wie es sich wünscht. In diesen Fällen springen an manchen Kliniken ehrenamtliche Baby-Paten oder Cuddler - fast immer Frauen, daher auch Schmuse-Omas genannt - ein. "Natürlich ist dies nur eine 'Krücke', betont Renate Egelkraut, Vorsitzende des Landesverbandes der Hebammen NRW, "aber es ist viel besser, als wenn ein Baby gar keine Resonanz bekommt."

Durch Cuddling in Kontakt mit der Welt 

Diese Resonanz bedeutet, "dass ein Austausch zwischen Baby und Bezugsperson stattfindet: Das Baby erfährt, dass jemand auf seine Signale reagiert und sich ihm zuwendet", erklärt Egelkraut. Umgekehrt reagiert auch das Baby auf Ansprache und Berührung durch eine Bezugsperson. "Man weiß heute, dass Babys mehrere Bezugspersonen haben können. Dies kann auch ein ehrenamtlicher Helfer sein, sofern es immer derselbe ist", erklärt die Hebamme im urbia-Gespräch. In Deutschland gibt es noch keinen einheitlichen Begriff für diese Form der Betreuung, in den USA heißt sie einfach "Cuddling" (engl.: Knuddeln).

Schmuse-Omas: Wie eine richtige "Oma"

Die Helfer machen dabei alles, was zum Beispiel auch eine richtige 'Oma' tun würde: "Sie schmusen mit den Babys, schuckeln sie, singen ihnen vor, sprechen mit ihnen. Gut ist es, wenn diese Beschäftigung intuitiv funktioniert, deshalb machen wir dazu auch keine konkreten Vorgaben", erklärt Prof. Bührer zu dem Programm, das an der Charité  "Babycare" heißt.

Doch die Ehrenamtler können noch mehr fürs Baby tun: "Toll ist es, wenn die Helferin ein kleines Mobile bastelt und über dem Babybett aufhängt. Denn Säuglinge brauchen einen Haltepunkt für ihren Blick, sie wollen nicht auf eine weiße, wie unendlich wirkende Klinikwand schauen", erklärt Hebamme Renate Egelkraut. "Babys lieben aber auch Geräusche. Die Ehrenamtlerin kann eine Klapper basteln oder auch etwas, das mit Knisterpapier gefüttert ist."

Etwas Schulung muss sein

Natürlich müssen die Babypaten einige Dinge wissen, bevor sie mit Neugeborenen umgehen dürfen. "Die Damen bekommen bei uns eine Einweisung in Sachen Datenschutz und Hygiene: Es versteht sich, dass sie keine persönlichen Informationen nach draußen tragen dürfen, auch nicht die Namen der Kinder. Wir zeigen ihnen genau, wie man die Hände korrekt desinfiziert, dass man keinen Schmuck an der Hand und keine Armbanduhren tragen darf", erläutert Prof. Bührer. Die Helferinnen tragen außerdem einen Einmal-Kittel über der Kleidung.

Zuwendung der Baby-Paten macht glücklicher und gesünder

Wie gut Babys das Cuddling tut, ist offensichtlich. "Babys, die operiert, krank oder auf Entzug sind, sind oft anstrengend und weinen viel. Diese Babys lassen sich aber sichtlich beruhigen, sobald sich jemand mit ihnen beschäftigt und sie tröstet. Menschliche Zuwendung tut in jedem Alter gut!", betont Prof. Bührer. Es gibt aber auch messbare Effekte. Forscher beobachteten: Puls- und Atemfrequenz verlangsamen sich, Babys werden resistenter gegen Stress. Sie können die Körpertemperatur besser halten, ihre Vitalfunktionen werden kräftiger. Schmerzen werden weniger stark wahrgenommen.

Die positive Wirkung reicht aber auch in die Zukunft, wie eine Studie der Universität Wisconsin (USA) ergab: Im späteren Leben entwickeln Kinder, die als Säugling viel Berührung und Zuwendung erhielten, höhere kognitive Fähigkeiten. Sie sind lernfähiger, können leichter soziale Bindungen aufbauen und ihre Gefühlswelt ist reicher.

Mehr Aufmerksamkeit im Klinikalltag 

Das Cuddling kann noch eine andere wichtige Funktion haben: In Zeiten des Pflegenotstands, wo auf mancher Station zu wenige und häufig wechselnde Säuglingsschwestern für zu viele Kinder zuständig sind, bleibt fürs einzelne Baby oft wenig Zeit. "Oft können die Schwestern nur alle paar Stunden nach dem Baby schauen. Ein Ehrenamtler bringt da mehr Zeit mit - und sieht deshalb auch mehr. Er fragt vielleicht, wie die Nacht für das Baby war, achtet darauf, dass bestimmte Therapiemaßnahmen nicht übersehen werden, und Veränderungen beim Kind fallen ihm eher auf", erklärt Egelkraut. Jemand von außen sorge außerdem auch für mehr Offenheit und Einsehbarkeit auf einer Station. "Das kann Spannungen vorbeugen und auch die Pflegekräfte entlasten."

Cuddling: Balance zwischen Nähe und Distanz

Das Cuddling erfordert immer die Zustimmung der leiblichen Eltern. Und es erfordert etwas Feingespür beim Helfer. "Es gibt Dinge, die nur die Eltern dürfen", erklärt Renate Egelkraut. "Zum Beispiel ist Küssen übergriffig, die meisten Mütter mögen es nicht, wenn jemand Fremdes ihr Kind küsst." Haben beide Seiten ein gutes Gefühl dabei, kann der Helfer mit dem Kind sprechen, es berühren, seine Händchen umfassen, die Hände auf den Bauch des Babys legen, das Köpfchen oder auch das Gesicht streicheln. Auf manchen Säuglingsstationen wird auch die Känguru-Methode von Ehrenamtlichen ausgeübt, bei der das Baby (oder Frühchen) auf der nackten Haut liegt. Auch das geht nur, wenn die leiblichen Eltern (und auch der Ehrenamtler) ein gutes Bauchgefühl haben.

Baby-Cuddler sind gesucht

Auch wenn die meisten freiwilligen "Cuddler" ältere Frauen sind - ein Muss ist dies nicht: "Wir hätten gar nichts gegen Männer, aber es melden sich keine. Wir achten natürlich bei allen Helfern darauf, dass das Persönlichkeitsprofil stimmt: Die Ehrenamtlichen müssen zuverlässig und vertrauenswürdig sein. Ältere Damen sind es deshalb, weil sie mehr Zeit haben. Wir hätten gern, dass es noch mehr wären, aber viele Frauen sind auch mit über 50 heute noch im Beruf. Oder haben eigene Enkel, um die sie sich kümmern", so Bührer.

In den USA werden Cuddler an manchen Kliniken auch bei frühgeborenen Babys eingesetzt. Vor allem bei recht kleinen Frühchen ist das Cuddling in Deutschland dagegen die Ausnahme. Professor Bührer erläutert: "Frühchen und reife Neugeborene haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Ein Frühchen lebt beinahe wie in einer schützenden Kugel: Es will Wärme und Geborgenheit, wie im Mutterleib. Im Inkubator, wo es ruhig und warm ist, fühlt es sich am wohlsten, vor allem, wenn man ihm ein Nest aus Tüchern baut."

Die Vorsitzende der NRW-Hebammen, Renate Egelkraut, kann sich dagegen auch das Cuddling bei Frühchen vorstellen. " Schon im Mutterleib haben Babys Interaktion: Sie hören die Stimme der Mutter und spüren ihre Stimmungslage. Und die Mutter reagiert umgekehrt auch auf das Baby, spricht mit ihm oder streichelt ihren Bauch, wenn es unruhig ist." Auch ein zu früh geborenes Kind wolle deshalb wissen: Ist da jemand? "Es nimmt die Außenwelt als grenzenlos wahr, es wünscht sich deshalb Enge und Berührung. Und es braucht Haut!", betont Egelkraut. 

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