Hüpf, Mama, hüpf! – Das etwas andere Einschlafritual
Unter dem Motto "Endlich bist du da - junge Eltern erzählen von der ersten Zeit" hatten urbia und BOD zu einem Kurzgeschichten-Wettbewerb aufgerufen. Hier eine der Gewinnergeschichten über die Kreativität von Eltern, wenn es darum geht, ihr Baby in den Schlaf zu wiegen.
Es ist einfach wunderbar ein Baby zu bekommen. Schon all die Gedanken, die man sich schon im Vorhinein macht: Wie wird es wohl aussehen, welche Charakterzüge wird es wohl haben? Wie wird der Alltag mit dem Kleinen aussehen? Wie viele Strampler braucht man und sollten die nicht alle besser aus Biobaumwolle sein? Welcher Kinderwagen ist für uns und für das Baby der Beste? Wie lange schläft das Kleine überhaupt und braucht es dazu ein Bettchen und einen Stubenwagen?
Gerade beim ersten, lang herbei gesehnten Baby sind wohl alle Eltern darum bemüht, das Beste an Ausstattungsgegenständen für das Kind auszuwählen und sich auf das Abenteuer „Wir haben nun ein Baby“ voll und ganz einzulassen. Doch niemals wäre uns - bevor Noah auf die Welt kam - eingefallen, welcher Gegenstand in unserem Tagesablauf eine so immense Bedeutung gewinnen sollte.
Vier Jahre ist es nun her, dass Noah, unser erstes Kind, geboren wurde. Er war - was wahrscheinlich jede Mama von ihrem Baby sagen wird - das knuffigste Baby überhaupt. Und er hatte eben diese ganz besondere Vorliebe, die uns 2 Jahre lang ziemlich auf Trab hielt, aber uns auch einiges deutlich vereinfachte.
Es war ein sonniger Tag im Herbst, Eichhörnchen hüpften aufgeregt den Walnussbaum vor unserem Fenster rauf und runter und sammelten emsig die letzten Vorräte für den Winter ein. Nachdem wir drei uns an unser frisches Familienglück in aller Ruhe gewöhnen konnten, ging mein Mann nach drei Wochen Babyurlaub an diesem Tag das erste Mal wieder zur Arbeit und Noah und ich verbrachten unseren ersten Tag alleine. Nach einem Spaziergang an der frischen Luft und einem großen Schluck an Mamas Brust wäre Noah - wie eigentlich jedesmal nach einer Mahlzeit - beinahe eingeschlummert. Aber eben nur beinahe. Dieses Mal war es anders: Kaum, dass ihm die Äuglein auf meinem Arm zufielen, schreckte er wieder hoch und fing an zu weinen. Oh, was hatte der Kleine bloß? Tut ihm irgendetwas weh? Egal, wie ich ihn hielt - vielleicht saß ja noch ein Bäuerchen schief und drückte ihn - es half nichts. Egal, ob ich ihn herumtrug oder hinlegte - vielleicht brauchte er ja einfach mal seine Ruhe - er schrie immer noch. Mittlerweile so doll, dass er sich schon verschluckte. Ich trug ihn drei Stunden durch die Wohnung, sang ihm vor, sprach beruhigend auf ihn ein, doch er kam nicht zur Ruhe. Man muss wohl dazu sagen, dass der erste Moment, in dem man seinem ersten Baby nicht direkt helfen kann, wohl immer ein ganz besonderer ist. Alle Theorien und das Vertrauen in die eigenen Mutterinstinkte scheinen in diesem Fall über Bord geworfen zu werden. Später in ähnlichen Situationen oder vielleicht sogar bei weiteren Kindern sieht man die ganze Sache wohl wesentlich lockerer, aber in jenem Moment wusste ich weder dem Kleinen noch mir zu helfen. Schließlich rief ich meinen Mann bei der Arbeit an und fragte ihn um Rat. Er kam sofort vorbeigefahren, weil ihm die aufkeimende Verzweiflung in meiner Stimme völlig unbekannt war. Und was macht der liebe Papa? Er schnappt sich Klein-Noah, setzt sich auf den Gymnastikball, der noch von der Schwangerschaftgymnastik aufgeblasen in der Ecke lag und begann auf und ab zu hüpfen. Das tat er keine drei Mal und Noah war ruhig und zufrieden. Hüpf-Hüpf-Hüpf: Noch drei weitere Male und unser kleiner Sohn schlummerte tief und fest auf Papas Arm! Ich übernahm den seelenruhig schlummernden Fratz und legte ihn in seinen Stubenwagen, Papa grinste mich nur stolz an und fuhr wieder zur Arbeit, und auch ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, als ich während des halben Nachmittags immer wieder auf mein schlafendes Baby blickte.
War es Zufall gewesen, Papas besonders ruhige Art, die Abwechslung auf dessen Arm zu liegen oder tatsächlich das Gehüpfe auf dem Ball?
Da Noah an den darauffolgenden Wochen immer ganz normal einschlief und auch sonst nie weinte, dauerte es noch ungefähr 4 Monate, bis wir wieder in den Vorzug unseres Balles kamen. Mittlerweile knapp 5 Monate alt, war Noah ein sehr neugieriges Kind, das am liebsten überhaupt nicht mehr schlafen wollte. Es gab einfach zu viele interessante Dinge zu entdecken, so dass Schlafen für den kleinen Mann nicht in Betracht kam. Doch er brauchte den Schlaf, das merkte man ihm deutlich an. Noah wurde mittags gegen zwölf Uhr so müde, dass er selbst nicht mehr wusste, wie er sich drehen und wenden sollte. Kein Spielzeug und keine Aktivität waren ihm dann mehr recht. Doch im Bett ein kleines Nickerchen zu machen, um danach wieder frisch und munter für Neues zu sein, kam nicht in Frage. Einige Wochen lang legten wir uns gemeinsam in unser mittlerweile auf 3 Meter Breite angewachsenes Familienbett, dunkelten alles ab und versuchten ungefähr eine Stunde lang zur Ruhe zu kommen, was wirklich sehr anstrengend war. Noah wollte nämlich partout nicht liegenbleiben und war unüberhörbar sauer, dass ich das Licht nicht mehr anschalten wollte. Irgendwann schlief er dann jedoch immer ein und schlummerte zwei Stunden lang tief und fest.
Abends hatten wir uns mittlerweile daran gewöhnt, dass er bis 22 Uhr wach blieb, wir versuchten gar nicht erst, ihn vorher hinzulegen, da das nur zwei Stunden Kampf für alle bedeutet hätte. Wir nutzten stattdessen die Abendstunden als intensive Spielzeit zu dritt. Doch eines Tages waren sowohl der Papa als auch die Mama abends um 20 Uhr bereits völlig geschafft und diesmal wirklich unfähig, uns noch sinnvoll mit unserem nach außen putzmunteren Baby zu beschäftigen, das mittlerweile wegen Müdigkeit schon wieder etwas „unpässlich“ wurde. Wir saßen fix und fertig auf dem Wohnzimmerteppich, spielten mit letzter Kraft mit den Stoffwürfeln, als unser Blick auf den roten Hüpfball in der Ecke fiel. Ich schnappte mir Ball und Baby und setzte mich der Couch gegenüber mitten ins Wohnzimmer, um mich am Ende jenes Tages noch ein wenig mit meinem Mann unterhalten zu können. Dabei hüpfte ich sanft auf und ab. Nach wenigen Minuten eines entspannenden Gesprächs schaute ich meinem Kleinen ins Gesicht. Er schlief! Das gab es doch nicht! Natürlich, der Ball! Wir legten Noah ins Bett und genossen unseren ersten Abend des Nichtstuns seit Wochen.
Am nächsten Mittag lag der Ball noch parat, als ich merkte, dass sich bei Noah die Müdigkeit breit machte. Ich setzte mich mit ihm darauf, hüpfte eine Minute – und er schlief. Am Abend dasselbe. Der Papa hüpfte 3 Minuten, während ich um 20 Uhr schnell den Abendbrottisch abräumte – und Noah schlief.
Von da an hatten wir unsere Wunderwaffe gegen Schlaflosigkeit gefunden. Bereits beim Setzen auf den Ball entspannte sich Noah dermaßen in unseren Armen, dass er innerhalb weniger Minuten in den Schlaf fallen konnte. Meistens sangen wir ihm beim Hüpfen noch ein schönes Lied vor und oftmals schlief er bereits nach drei Strophen.Wir hüpften von jenem Tag an jeden Tag. Als Noah älter wurde, rollte er von sich aus den Ball zu uns und kletterte begeistert auf unseren Schoß, wenn er müde wurde. Dieses Einschlafritual praktizierten wir ca. 2 Jahre lang. Wir nahmen den Ball mit zu den Großeltern und in den Urlaub. Und obwohl wir uns zwischendurch schon Gedanken gemacht hatten, ob unser Junge jemals fähig sein würde, normal einzuschlafen oder ob wir irgendwann einen Teenager in den Schlaf hüpfen würden, konnte Noah mit zwei Jahren nach einer Gute-Nacht-Geschichte und ein paar Kuscheleinheiten normal in seinem eigenen Bett einschlafen, so dass wir schon beinahe daran dachten einen „In-den-Schlaf-hüpf-Ball“ als Patent anzumelden. Frei nach dem Motto: Damit schläft jedes Kind garantiert.
Ein paar Monate später belehrte uns unsere neugeborene Tochter Maja eines Besseren. Als sie eines Tages nicht zu beruhigen war, setzten wir uns mit einem breiten Grinsen auf den Hüpfball und sie…schrie aus Protest wie am Spieß! Wir probierten es noch einige Male, um auch sie von den Vorteilen des Hüpfens zu überzeugen, doch Noahs Vorliebe schien einzigartig gewesen zu sein. Irgendwann ließen wir also die Luft aus unserem geliebten Hüpfball und legten ihn beiseite. Doch da wir im nächsten Jahr noch ein drittes Baby erwarten, liegt er immer griffbereit im Schlafzimmerschrank. Wer weiß.