Kindesentführungen sind selten!
Ihre Kinder vor Gefahren schützen, das wollen alle Eltern. Urbia sprach mit Kriminaldirektor Andreas Mayer, dem Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes darüber, wie wir unsere Kinder richtig schützen.
urbia: Helfen Videos und Selbstverteidigungskurse Eltern wirklich dabei, Kinder besser zu schützen?
Andreas Mayer: Viele Anbieter werben mit Angst einflößenden Videos, Werbetexten oder Statistiken für Kurse und andere Trainings, die Kinder gegen Übergriffe von Fremden schützen sollten. Tatsache ist aber, dass Anbieter mit der Angst der Eltern Geld verdienen wollen. Denn Selbstbehauptungstrainings schützen nicht automatisch vor den recht seltenen Übergriffen durch Fremde. Zum einen sind Kinder durch Personen in ihrem sozialen Umfeld eher gefährdet, zu anderen müssen Abwehrtechniken immer wieder trainiert werden.
Wie groß ist für Kinder die Gefahr in Deutschland, von einem Fremden gekidnappt zu werden?
Grundsätzlich: Einen totalen Schutz vor Gewaltverbrechen gibt es nicht. Dennoch ist eine grundsätzliche Angst oder Panik davor weder angebracht noch hilfreich. Die polizeiliche Erfahrung zeigt, dass Extremtaten, bei denen Kinder entführt, missbraucht und misshandelt werden, relativ selten sind.
Richten wir hier das Augenmerk vielleicht auf die falschen Probleme?
Gerade der sexuelle Missbrauch durch bekannte und dem Opfer nahestehende Personen wird dabei oft aus dem Blickfeld verloren.11.808 Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs registrierte die Polizei im Jahr 2015. In den meisten Fällen kannten sich Opfer und Täter: Von den im Jahr 2015 erfassten Opfern eines sexuellen Missbrauchs waren 3.106 mit dem Tatverdächtigen verwandt und 2.532 mit dem Tatverdächtigen bekannt bzw. befreundet. 1.339 kannten den Tatverdächtigen durch eine flüchtige Bekanntschaft, 4.632 hatten mit dem Tatverdächtigen keine Beziehung. Bei 1.223 Fällen ist die Beziehung ungeklärt. Dies zeigt: Nicht einmal jeder zweite Missbrauchsfall wird von einer dem Opfer fremden Person verübt. Vielmehr findet die Tat oft im häuslichen Bereich oder in sozialen Bezügen statt.
Gibt es weitere Fälle?
Die polizeilich erfassten Fälle bilden das eigentliche Ausmaß des Missbrauchs jedoch bei Weitem nicht ab: Zu groß ist das Dunkelfeld, zu selten wird sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen angezeigt. Bedingt durch eine nahe Beziehung zum Täter hat das Opfer zudem oft nicht die Möglichkeit, auf den Missbrauch aufmerksam zu machen bzw. sich diesem zu entziehen.
Welche Präventionsmaßnahmen empfehlen Sie Eltern, um Kinder vor Situationen mit Fremden vorzubereiten?
Eltern können und sollten ihr Kind auf solche Situationen vorbereiten – und Verhaltensregeln für den Schulweg und die Freizeit festlegen. Ebenso wie das richtige Verhalten im Straßenverkehr kann auch der Ernstfall „Fremder spricht Kind an" in kind- und altersgerechter Weise auf dem Weg zum Spielplatz oder zur Schule geübt werden. Realitätsnahe Rollenspiele sollten aber auf jeden Fall vermieden werden, um Kinder nicht unnötig zu ängstigen. Stattdessen sollten Eltern ihrem Kind immer wieder sagen, dass es ohne ihre Erlaubnis mit niemandem mitgehen noch in dessen Auto steigen darf. Sehr wichtig ist auch, dass das Kind den Eltern erzählen sollte, wenn es zum Mitgehen oder Mitfahren aufgefordert wurde oder bei jemandem mitgefahren ist, obwohl die Eltern es verboten hatten.