Was ist mit unseren Jungs los?
Sie fallen vor allem durch Negativ-Schlagzeilen auf: Als Störer, Pausenhofprügler, Schulversager - und nun sind sie auch im Gymnasium und an der Uni in der Minderzahl. Können Jungs immer weniger mithalten?
Immer mehr Probleme mit Jungen
Immer häufiger werden Sorgen um unsere Jungs laut. So stellte die CDU/CSU-Fraktion in einer Kleinen Anfrage im Deutschen Bundestag fest, dass es in der Schule, in der Freizeitgestaltung, bei der Gesundheit und auf dem Gebiet der Kriminalität eine deutliche Zunahme von Problemen mit Jungen gibt. Es seien besonders die Jungen, die unter dem Zerfall der Familien litten. Auch seien zu wenige Männer als Bezugspersonen in Krippen, Kindergärten und Grundschulen vorhanden. Von der Bundesregierung wollte man wissen, weshalb es seit zwei Jahren mehr Studentinnen als Studenten in Deutschland gibt, was die Regierung unternehme, um die Rolle des Vaters zu stärken und den Beruf des Erziehers für junge Männer attraktiver zu gestalten.
Mit dieser neuen Sicht, dass in unseren privaten und öffentlichen Erziehungssystemen nicht mehr die Mädchen, sondern die Jungen unter Problemen und Benachteiligung zu leiden haben, steht die CDU/CSU-Fraktion nicht alleine. Auch der "Spiegel" titelte: "Schlaue Mädchen, dumme Jungen – Sieger und Verlierer in der Schule". Davor war in der "Zeit" ein Artikel mit der Überschrift "Die neuen Prügelknaben" und der darin enthaltenen provozierenden These erschienen: "Nicht Mädchen, sondern Jungen werden in Schule und Elternhaus benachteiligt." Und der Elternverein Nordrhein-Westfalen vertritt die These, dass Jungen in unserem Schulsystem bereits im ersten Schuljahr Benachteiligungen erleiden, die sie über viele Jahren nicht mehr aufholen können.
Schon seit einiger Zeit fallen Jungen vor allem durch Negativ-Meldungen auf: Sie entwickeln dreimal so oft das Zappelphilipp-Syndrom (ADS) wie Mädchen, sie stellen die Mehrheit unter den Legasthenikern, Bettnässern, Stotterern, sie sind überrepräsentiert in Haupt- und Sonderschulen und auch stärker vertreten bei den Schulabbrechern. Es gibt weniger Jungs an Gymnasien als Mädchen und weniger von ihnen schaffen das Abitur. Wie kommt es aber dazu, dass Jungs vorwiegend negativ auffallen, als raufende, hyperaktive Störenfriede?
Es fehlen Männer in der Erziehung
Zwei Gründe hat die Fachwelt für das immer schlechtere Abschneiden von Jungen in unserem Bildungssystem ausgemacht: Fehlende männliche Vorbilder, zum Beispiel als Väter, Erzieher oder Lehrer und eine gewandelte Gesellschaft, in der diejenigen Qualitäten immer stärker zählen, die Mädchen näher liegen. Dazu gehören Lesekompetenz, Sprachbegabung und Kommunikationsfähigkeit. Jungenforscher warnen seit Jahren, dass die heranwachsenden "Herren der Schöpfung" ein zunehmend schlechtes Image hätten. Immer häufiger wünschen sich Eltern vor allem ein Mädchen, da diese als pflegeleicht, insgesamt ruhiger und lernwilliger gelten. Diese Haltung setzt sich möglicherweise in Kindergärten und Grundschulen fort, wo Jungs nahezu ausschließlich auf weibliches Erziehungspersonal treffen, das – so vermuten Jungenforscher - ihrer Eigenart eher skeptisch gegenüber steht. Jungs gelten häufig als angeberisch, laut und unfähig im Bewältigen von Konflikten. Aufgrund der wachsenden Scheidungszahlen wachsen Jungs zudem immer häufiger in einem vaterlosen Haushalt auf. Weder zu Hause, noch im Kindergarten, noch in der Grundschule irgend ein Mann in Sicht – an welchem Vorbild können Jungs sich da orientieren, wie ihre männliche Identität entwickeln?
Kraft, körperliches sich Erproben, Beweglichkeit, Ausdauer, lautstarke Durchsetzungsfähigkeit sind in unserer modernen Welt immer weniger gefragt: Allzu viele Kinder wachsen als Stubenhocker auf, ein Alltag, der Jungen möglicherweise größere Probleme verursacht als Mädchen.
Lösung: Getrennte Klassen?
Als Sofortmaßnahme zur Verbesserung der Chancen für Jungs plädiert der Elternverein NRW dafür, deutlich mehr männliche Lehrer einzustellen. Eine weitere Verbesserung erhofft man sich von nach Geschlechtern getrenntem Unterricht - zumindest stundenweise. So gäbe es die Möglichkeit, Jungen in den Bereichen Deutsch, bzw. Lesen und Schreiben stärker zu fördern, während Mädchen in Mathe aufholen könnten. Getrennter Unterricht, so hat sich häufig gezeigt, hat den Vorteil, dass Jungen nicht durch das Bedürfnis oder den inneren Zwang abgelenkt werden, sich ständig vor den Mädchen zu profilieren, bzw. sich von den Mädchen und dem Stoff, der für diese interessant sein mag, abgrenzen zu müssen.
Sicher ist wohl eines: Um eventuelle Benachteiligungen von Jungen in unseren Kindergärten und Schulen auszugleichen, sollten sich Männer stärker an der Erziehung beteiligen - in ihrer Rolle als Väter oder indem sie Kindergärtner oder Grundschullehrer werden. In einem Kommentar in der "Wuppertaler Zeitung" schrieb Michael Hammes: "Erzogen wird der Junge in den prägenden Jahren von lauter Frauen. Da wird weibliches Verhalten zur Norm und Männlichkeit unterdrückt. Damit die nächste maskuline Generation bessere Chancen hat, gibt es nur eine Lösung: Männer, werdet Vorbilder, erobert Kindergärten und Schulen."
Mehr Männer in den Chefetagen
Allzu viel Mitleid mit Männern halten jedoch besonders diejenigen, die seit Jahren für Gleichberechtigung von Frauen in Bildung und Beruf kämpfen, für wenig angebracht. Im Berufsleben kehrt sich die in Bezug auf die Schulabschlüsse und die Zahl der männlichen Studenten eher ungünstige Bilanz noch immer um: Die Machtpositionen in der Industrie, im Dienstleistungsbereich und der öffentlichen Verwaltung sind in der Mehrzahl von Männern besetzt. Nur ein Drittel aller Führungspositionen befindet sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts derzeit in weiblicher Hand.