Höhlenkinder: Als Papa noch Mammuts jagte
Womit spielten eigentlich die Höhlenkinder? Gab es damals auch schon Mumps? Und wie wurden die Kleinen gewickelt? urbia auf den Spuren der Höhlenmenschen.
Ganz modern: Beide Eltern waren "berufstätig"
Wenn man seinen Nachwuchs manchmal selbstvergessen im Schlamm matschen sieht, kommt einem das in unserer so auf Sauberkeit bedachten Zeit manchmal ganz schön archaisch vor. Und es ist gar nicht so leicht, entspannt zuzusehen und das kleine Matschmonster anschließend klaglos und mit spitzen Fingern ins Haus zu tragen. Aber wir sind ja pädagogisch geschult und ahnen außerdem tief in unserem Inneren: Der Spaß an Dreck und Schlamm ist so alt wie die Menschheit. Sicher haben auch die Höhlenkinder bereits Sandkuchen gebacken und sich wohlig von oben bis unten eingesaut, oder? Und womit haben die eigentlich sonst noch so gespielt? Wie sah ihr Alltag aus? Hatten die auch schon Mumps? Gab’s da schon Windeln?
Da wir uns mit dem gedrungenen Neandertaler nun doch nicht mehr recht verwandt fühlen, werfen wir lieber einen Blick auf unseren direkten Vorfahren, den Homo sapiens sapiens, der uns schon aufs Haar glich. Er erschien vor rund 40 bis 30 000 Jahren auf der Bildfläche. Eine "Durchschnittsfamilie" dieser Zeit lebte von der Jagd auf wilde Tiere und vom Sammeln von Essbarem aller Art. Diese Lebensweise behielten die sogenannten Jäger und Sammler bis ungefähr vor 10 000 Jahren bei. Während Papa und die anderen kräftigen Männer nun also vielleicht gerade mal wieder tagelang auf Mammutjagd waren und Mama ein paar Stunden herumwanderte, um Beeren, Wurzeln oder Vogeleier zu sammeln, war bei den Kindern Kreativität gefragt. "Sie haben vermutlich sehr viel allein und miteinander spielen müssen, weil die Erwachsenen mit der Beschaffung von Nahrung beschäftigt waren und wenig Zeit für sie hatten", erläutert Dr. Linda Owen, Spezialistin für Jungsteinzeit (Neolithikum) und Geschlechterforschung, zur Zeit Gastprofessorin an der Universität Wien. "Das Spielzeug bestand wahrscheinlich zu einem Großteil aus Miniaturwerkzeugen und -waffen. So diente das Spielen zugleich auch dem Lernen." Die Kinder mussten aber auch schon früh mithelfen beim Sammeln der Nahrung.
Höhlen-Kids kannten keine Karies
Womit wir beim Thema Essen, und vor allem Naschen sind. Ob wohl die Steinzeit-Kinder schon Löcher in den Zähnen hatten? Wohl kaum. Denn sie hatten zwar keine Zahnbürsten, aber säuerliche wilde Beeren, der seltene Wildhonig oder gar der nur in winzigen Mengen vorkommende süße Saft, den Blattläuse ausscheiden, waren im Gegensatz zu Lolly, Lakritz und Co. kaum gefährlich für die Zähne. Dazu gab’s die süßen Naschereien viel zu selten und in zu kleinen Mengen. Statt dessen gab es Fleisch satt, wenn das Jagdglück lachte - und es hieß darben, wenn sich kein Hirsch, Reh, Wildschwein oder wenigstens ein paar fette Vögel zeigen wollten. Damit die Allerkleinsten wenigstens regelmäßig Essen bekamen, wurden sie rund drei Jahre fast ausschließlich gestillt. Dies sorgte zudem für einen guten Schutz gegen Infektionen und bei der Mutter für die Empfängnisverhütung. Wo aber kam das hin, was nach dem Füttern unten wieder herauskam? Hatten auch Höschenwindeln schon vergleichbare Vorfahren? "Vermutlich nahmen die Mütter weiches, saugfähiges Moos, das den Kindern unter die Kleidung gesteckt wurde, um die Ausscheidungen aufzufangen. So behalfen sich übrigens wohl auch die Frauen, die gerade ihre monatliche Regel hatten", so die Wissenschaftlerin.
Lebten Steinzeit-Kinder gefährlich?
Wenn man nun an Säbelzahntiger und riesige Höhlenbären denkt, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass das Leben der Steinzeit-Kids sehr gefährlich gewesen sein muss. "Eigentlich leben aber heutige Kinder viel risikoreicher, wenn man zum Beispiel an den Straßenverkehr denkt", so Dr. Owen. "Klar gab es wilde Tiere, aber die haben nur sehr selten von sich aus Menschen angegriffen." Und in einer Steppenlandschaft beispielsweise kann ein kleines Kind schließlich bei weitem nicht so leicht verunglücken, wie auf Rolltreppen, an Steckdosen, in Swimming Pools oder beim Spielen auf hohen Mauern. "Andererseits konnte sich ein Kind der Steinzeit natürlich auch am Feuer verbrennen. Was es aber wahrscheinlich recht früh gelernt hat."
Aber wie sah’s aus mit den Plagen, ohne die heute kein Kind durch seine ersten zehn Lebensjahre kommt, den Kinderkrankheiten? Bekamen auch Höhlen-Kids schon die Windpocken? "Die Ansteckungsgefahr war nicht so groß, weil die Steinzeitmenschen in recht kleinen, überschaubaren Gruppen lebten und wenig Kontakt zu anderen Gruppen hatten", erklärt Owen. Die Krankheiten konnten sich nicht flächendeckend verbreiten. Bis in die Neuzeit hinein gab es daher Völker, bei denen bestimmte (Kinder-) Krankheiten unbekannt waren. "Außerdem vermutet man heute, dass viele Infektionskrankheiten überhaupt erst auf den Menschen übertragen wurden, als er begann, Tiere zu halten. Dass manche Erreger erst dann den Sprung vom Tier zum Menschen machten, und sich veränderten oder auf ihn spezialisierten." So blieb es für viele der Kinder denn bei der einen Plage: den nicht auszurottenden Flöhen und Läusen.
Kindersterblichkeit war höher
Trotz alledem war die Kindersterblichkeit natürlich in der Steinzeit höher als heute. Medizin beschränkte sich wahrscheinlich auf die Kenntnis einiger hilfreicher Kräuter, schweren Krankheiten (Lungenentzündungen zum Beispiel) oder Verletzungen war kaum beizukommen. Es drohte Hunger durch mangelndes Jagdglück, die Lebenserwartung war insgesamt niedrig. Wurden die Kinder daher auch früher erwachsen? "Wahrscheinlich nicht", so die Steinzeit-Spezialistin, "man vermutet im Gegenteil, dass sie später geschlechtsreif wurden. Weil nämlich die karge Nahrung und die körperliche Arbeit den Reifungsprozess verlangsamten. Was aber nicht hieß, dass die Jugendlichen nicht schon recht früh miteinander verheiratet wurden.“
Woher die Wissenschaftler all diese Vermutungen haben? Genau weiß man natürlich heute nicht mehr, wie genau denn nun der Alltag der Höhlen-Kids aussah. Aber da sich Reste steinzeitlicher Kulturen bis in die Neuzeit hinein gehalten haben (z.B. bei den Eskimo, den afrikanischen Buschmännern oder den Menschen auf Papua Neuguinea), können Wissenschaftler, die sich mit der Vor- und Frühgeschichte des Menschen beschäftigen, hier vieles ableiten.
Kinderbücher zum Thema
Buch-Aktiv-Box. Steinzeit-Menschen. Forschen, spielen, experimentieren. Ars edition, München 1997. 19,90 Mark (ISBN 3760754937).
Auler, Jost: Hundejunge und Blumenmond. Eine Jugenderzählung aus der mittleren Steinzeit.
Ballinger, Erich: Der Höhlenmaler (ab 10 J.). Üeberreuter, Wien. 29,80 Mark (ISBN 3800026252).
Baumann, Gipsy und Franz: Mit Mammut nach Neandertal. Kinder spielen Steinzeit. Ökotopia Verlag Münster 1995. 36 Mark (ISBN 3925169814).
Beyerlein, Gabriele und Lorenz, Herbert: Die Sonne bleibt nicht stehen. Eine Erzählung aus der Jungsteinzeit (ab 12 J.). Arena Verlag Würzburg 1992. 9,90 Mark (ISBN 3401017160).
Craig, Ruth: Malus Wolf (ab 12 J.). Ravensburger Buchverlag 1999. 10,90 Mark (ISBN 347352137X).
Heyne, Isolde: Tanea. Am großen Fluss (ab 12 J.). Loewe Verlage Bindlach 1994. 7,95 Mark (ISBN 378552689X). Sowie weitere Tanea-Abenteuer.
Hohler, Franz: Tschipo in der Steinzeit (ab 10 J.). Ravensburger Buchverlag 2000. 10,90 Mark (ISBN 3473521531).
Kuhn, Wolfgang: Mit Jeans in die Steinzeit. Ein Ferienabenteuer in Südfrankreich (Lernmaterialien). DTV München 1996 (ISBN 3423701447).
SchlauMax. So lebten die Steinzeitmenschen (ab 6 J.). Arena Verlag, Würzburg 2000. 4,95 Mark (ISBN 3401050427).
Lindberg, Margareta: Ausgesetzt. Im Land der Seehundjäger (ab 12 J.). Beltz u. Gelberg 2000. 12,90 Mark (ISBN 3407784309).
Lornsen, Dirk: Tirkan (ab 12 J.). Thienemann, Stuttgart 1994. 19,80 Mark (ISBN 352216864X).
Sklenitzka, Franz S. und Martens, Ute: Das will ich wissen. Die Steinzeitmenschen. Arena Verlag, Würzburg 1995. 16,80 Mark (ISBN 3401045334).