Kindermund tut alles kund
"Mama, warum sieht der Mann so tot aus?" - manchmal bringen die hemmungslosen Fragen der Sprösslinge die überraschten Eltern in peinliche Situationen.
"Mama, warum sieht der Mann so tot aus?"
Ich hasse Wartezimmer. Es sei denn, es sind Kinder da, denn dann wird’s garantiert nicht langweilig. So wie neulich beim Zahnarzt. Ein etwa fünfjähriges Mädchen, dessen Mutter in eine Zeitschrift vertieft ist, wird langsam zappelig. Ich spitze schon die Ohren – und werde nicht enttäuscht. "Mamaaa?" (energisches Zupfen am Pullover der Angesprochenen) "Mama, wieso sieht denn der Mann da in der Ecke so tot aus?", fragt das liebe Kind ebenso gnadenlos wie unüberhörbar. Das Wartezimmer lebt auf, sieben Augenpaare begutachten entzückt den Gemeinten. "Psst, sei still, der ist doch nur krank, der hat schlimmes Zahnweh", zischt die Mutter. "Der sieht aber ganz tooooot aus!" beharrt das unschuldige Wesen lautstark und zeigt zu allem Überfluss noch mit dem Finger auf das arme Opfer. Der "Verstorbene", den Kopf in die Hand gestützt und sichtlich von argem Zahnweh geplagt, wird noch grauer und sackt gleich noch ein wenig mehr in sich zusammen. Und auch die Mutter kriecht ein wenig tiefer in ihre Zeitschrift.
Töchterchens Fragen sind gnadenlos
Doch ihre Tochter kennt keine Gnade. Nur für knappe fünf Minuten legt sich wieder das übliche Wartezimmer-Schweigen über den Raum, als das Mädchen beschließt, sich seine Mutter jetzt mal ganz genau anzusehen. Der Kommentar lässt nicht lange auf sich warten. "Mamaaa?" (tiefer Piekser in die Rippen) "Mama, du hast dich ja heute geschminkt, das tust du doch sonst nie! Ist das, damit du dem Doktor gefällst?" kräht das kleine Ungeheuer in die Stille. Interessiert und erfreut ob dieser neuerlich gebotenen Unterhaltung beurteilt auch der Rest des Wartezimmers die diesbezüglichen Chancen der Mutter (ob die wohl keinen Mann hat?). Die Arme ist derweil sprachlos und wird rot wie ein Leuchtturm im Watt - wohin sie sich offensichtlich jetzt auch wünscht.
"Papa, die Kuh ist wieder da!"
Die Wahrheitsliebe des Nachwuchses macht natürlich auch vor anderen Situationen nicht halt. Eine Bekannte und ihr Mann haben einen fünfjährigen Sohn und wollten vor einigen Jahren zusätzlich ein Kind adoptieren. Routinemäßig kam eine Mitarbeiterin des Jugendamts mehrere Male zu Besuch, um sich ein Bild von den Lebensumständen der Familie zu machen. Sie war ein ältliches Fräulein mit Haaren auf den Zähnen, das seine Nase gern überall hineinsteckte. Was den Vater eines Abends am Familientisch erbost zu einem wenig schmeichelhaften Namen für die betreffende Dame verleitete. Das war ein Fehler. Der scheinbar weltverloren ins Kauen vertiefte Sohnemann hatte genau zugehört. Als die Jugendamtsmitarbeiterin beim nächsten Besuch an der Tür klingelt, macht der Kleine auf, dreht sich um und ruft entzückt: "Papaaaa, die Kuh ist wieder da!"
Keine Geheimnisse vor der Erzieherin
Überhaupt - wer Nachwuchs im Kindergartenalter hat, sollte auch bedenken, dass es nur wenig gibt, was die Kleinen ihrer Lieblingskindergärtnerin nicht erzählen würden (eigentlich gar nichts). So erfährt meine Freundin Martina ungewollt die interessantesten Dinge. Zum Beispiel, dass Svens Papa letzte Nacht auf dem Küchentisch geschlafen hat. Oder dass die Mama von Jaqueline zur Zeit Haarausfall hat, man in ihrer Schublade so knallrote Unterwäsche findet oder sie schon "komische Plastikzähne zum Rausnehmen" hat, obwohl sie erst Mitte 30 ist. Diskretion ist für eine Erzieherin zwar selbstverständlich, aber es sollte einem vielleicht doch zu denken geben, wenn sie einen beim nächsten Abholen so seltsam interessiert mustert...
Peinlich, peinlich
Während ich schreibe, fällt mein Blick auf meine 13 Monate alte Tochter, die (zum Glück?) bisher nur brabbelt. Es ist aber nicht so, dass nicht auch sie schon für so manch peinliche Situation gut ist. Wie bei der netten alten Dame neulich in der Warteschlange im Supermarkt. Gerade als sie sich dicht über meine Kleine beugt und zu einem "Naaaaaaa, was bist Du denn für ein Süßer?" angesetzt hat, lässt meine Tochter ein empörtes Bäuerchen mitten ins Gesicht der Wohlmeinenden los, das diesen Namen längst nicht mehr verdient, sondern eher eines alten Droschkenkutschers würdig wäre.
Nett auch die Erinnerung an neulich, in der Bank: Es war Mittagszeit, gähnende Leere, der große marmorgeflieste Kassenraum totenstill. Was meine liebliche Tochter, kaum sind wir reingekommen, dazu animiert, erstmal die Akustik zu testen – indem sie einen knatternden Pups in das mittägliche Idyll entsendet, der das gesamte Personal erschreckt zusammenfahren und an einen Überfall denken lässt.
Ja, und auch uns ist es passiert: Ich und eine Freundin saßen im Restaurant, um mal so ganz ohne Männer zu speisen und zu klönen. Als der Kellner sich bis auf fünf Meter unserem Tisch genähert hat, schreit meine Tochter entzückt "Papaaaa!!!" und streckt ihre speckigen Ärmchen nach ihm aus. Was dem Armen sichtlich Anlass zu Verlegenheit und den anderen Gästen zu heimlichen Spekulationen gibt (hat das arme Kind denn keinen Vater...?). Und auch hier hilft wieder einmal nur eins: Contenance bewahren! Kopf hoch, Brust raus, Augen geradeaus - und Lächeln! Schließlich sind wir doch stolz auf unsere Kleinen, oder?