Die Abschaffung der Mütter
Alina Bronsky und Denise Wilk haben sich im Sachbuch „Die Abschaffung der Mutter“ mit Themen rund um die Mutterschaft auseinandergesetzt: vom Kinderwunsch über die Schwangerschaftsvorsorge bis zur Berufstätigkeit. Wir haben euch daraus einige Leseproben zusammengestellt.
Auf dem Weg zum Mutterersatz*
Warum fällt es so schwer, anzuerkennen, dass Mütter mit ihren körperlichen, psychischen, zeitlichen und ökonomischen Ressourcen Leben schenken und die Gesellschaft von morgen gestalten? Warum schlägt sich sogar das feministische Sprachrohr Emma auf die Seite eines Bloggers, der Frauen mit Kindern als „esoterische Muttertiere" und „fanatische Stillnazis" beschimpft? Warum gelten Mütter, die in bestimmten Lebensphasen andere Bedürfnisse als Männer anmelden, anderen Frauen automatisch als Klassenfeinde?
Kinderwunsch: „Habt ihr sonst keine Hobbys?“
Keine Frau wird schwanger, weil sie die Welt verbessern oder dem Arbeitsmarkt in ein paar Jahrzehnten eine wertvolle Fachkraft schenken möchte. Und wenn das Jammern über niedrige Geburtenraten insbesondere von den Wirtschaftsverbänden kommt, fühlt sich manche trotz Kinderwunsch wie eine Zuchtstute. So mögen volkswirtschaftliche Gründe plausibel sein, doch mit dem Wohl einzelner Familien haben sie wenig zu tun. Heute veranlassen sie zweifelsohne keine Frau dazu, Körper und Lebenszeit einzusetzen. Der Nachwuchs erfordert gerade von Müttern derartige Kraft- und Zeitinvestitionen, dass die Sehnsucht nach ihm grundsätzlich irrational sein muss. Kinder sind keine kalkulierbaren Projekte, sie entziehen sich jeglicher Planung – zum Glück.
Die Täterin mit dickem Bauch
In nahezu allen Kulturen standen werdende und junge Mütter – sofern sie nicht gerade einer benachteiligten Gruppe angehörten, deren Leben und Gesundheit per se wenig Wert hatten – unter dem besonderen Schutz der Gemeinschaft. Im Deutschland von heute wird dagegen der absurde Anspruch an die Schwangeren formuliert, sie sollen mit ihren dicken Bäuchen Rücksicht nehmen. Zum Beispiel auf die Gefühle jener, die sich den Kinderwunsch, aus welchen Gründen auch immer, nicht erfüllen können. Auf Ex-Partnerinnen ihres Mannes, auch wenn die Scheidung viele Jahre zurückliegt. Auf ältere Geschwister, die „ja auch klarkommen müssen". Und natürlich auf die Kollegen, die nun Mehrarbeit zu schultern haben. Die Schwangere als Täterin, vor der ihre Mitmenschen geschützt werden müssen. Für viele Frauen bedeutet die Schwangerschaft einen Abstieg: beruflich, wirtschaftlich, sozial. Jedes weitere Kind verstärkt diese Tendenz. Man muss es schon sehr wollen, um sich darauf einzulassen.
Die verkaufte Mutter und die neue Fortpflanzungstechnologie
Es hat den Anschein, als hätte die Reproduktionsmedizin das Kinderkriegen von all dem Schicksalhaften, Zufälligen, Beliebigen befreit. Das hat den Druck auf die Frauen mächtig erhöht, bei Kinderwunsch zackig für Nachwuchs zu sorgen. Wenn es von allein nicht klappt, wird ein Baby zu einer Frage von Aufwand, Kosten und Durchhaltevermögen. Kinderlosigkeit ist neuerdings kein Schicksal mehr, sondern selbstverschuldetes Versagen. Schwangerschaft und Geburt werden zu einem hochtechnisierten Vorgang, der in Auftrag gegeben, kontrolliert und bezahlt wird. [...] Dass schon die Zeugung dem medizinischen Übergriff überlassen wird, scheint auch bei gesunden Paaren durchaus im Rahmen der baldigen Möglichkeiten zu liegen. Seit 2009 gilt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits der als unfruchtbar, bei dem sich innerhalb eines Jahres kein Baby einstellt. Auch wenn sich in der Praxis viele Ärzte noch an der früheren Wartefrist von zwei Jahren orientieren, bevor sie Maßnahmen empfehlen, ist die allgemeine Tendenz zur Ungeduld deutlich. Längst geht es nicht mehr darum, den Kinderwunsch überhaupt, sondern schneller und zum richtigen Zeitpunkt zu erfüllen.
* Veröffentlichung der Buch-Ausschnitte mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Verlags-Anstalt: Alina Bronsky / Denise Wilk: Die Abschaffung der Mutter. Kontrolliert, manipuliert und abkassiert – warum es so nicht weitergehen darf. Deutsche Verlags-Anstalt 2016, 256 S., € 17,99. ISBN 978-3-421-04726-7