Mütter-Blogs: Familienleben im Web
Immer mehr Mütter machen sich als Blogger einen Namen. Unter Frau-Mutti oder Mama-Miez schreiben sie sich in Internet-Tagebüchern den Wahnsinn von der Seele, den der Multitasking-Alltag mit Kindern oft mit sich bringt. Wir haben uns die aktuelle Mütter-Blogger-Szene einmal angesehen.
Der Welt schnell mitteilen, was der Nachwuchs wieder angestellt hat
In der Komödie „New York Mom“, die gerade auf DVD erschienen ist, stellt Schauspielerin Uma Thurman Eliza dar, eine gestresste Hausfrau und Mutter in New York City. Sie hat dieselben Probleme wie Frauen überall auf der Welt: Einen Mann, der nicht versteht, was es bedeutet, einen Kindergeburtstag zu organisieren, wenn man im oberen Stockwerk eines Hauses ohne Fahrstuhl wohnt und der Konditor die Torte falsch beschriftet. Eine Nachbarin, die sich ihre bissigen Kommentare nicht verkneifen kann. Und bei aller Liebe zu den Kindern eine heimliche Sehnsucht nach der entspannten, beruflich erfolgreichen Frau, die man früher einmal war. Was tun? Eliza schreibt sich in ihrem Blog, ihrem Internettagebuch, den Frust von der Seele. So wie es im echten Leben Tanja, eine 34jährige Sozialpädagogin aus Ratingen, tut (http://tanjas-traumberg.de/): „Mein Blog dient mir als Erinnerungsstütze und einer Menge Menschen als kurzweilige Unterhaltung. Ich schreibe über den Alltag mit zwei Kindern und den Wahnsinn, der sich daraus ergibt. Außerdem über meine Näherei und die Kuriositäten, die mir so begegnen. Ich motze über Sonntagsfahrer, die falschen Lottozahlen oder das Wetter und teile die Freude über gelungene Rezepte, gute Tage oder schöne Dinge, die ich im Netz gefunden habe.“
Die Pioniere kommen aus den USA
Mütterblogs sind ein Universum für sich. Es entstand vor ungefähr zehn Jahren in den USA. Dawn Friedman aus Ohio, eine der Pionierinnen der „Parenting Blogs“, die unter www.thiswomanswork.com heute noch aktiv ist, ging bereits 2001 online und schreibt seither über ihren Sohn Noah, den sie zu Hause unterrichtet, und die Adoption ihrer Tochter Madison. Vier Jahre und zehntausende „Parenting Blogs“ später resümierte die „Washington Times“ im Mai 2005: „Das Blog-Schreiben, bereits seit längerem eine treibende Kraft in den Medien und in der Politik, hat sich einen festen Platz in der Elternwelt erobert.“ Auch hier bei uns in Deutschland hat sich mit etwas Verspätung in den vergangenen Jahren eine Subkultur der Mütterblogs entwickelt – Frauen, die sich in den wenigen freien Minuten, die ihnen die Familie lässt, an den Rechner setzen, um der Welt schnell mitzuteilen, was der Nachwuchs nun schon wieder angestellt hat, oder ausführlich darüber zu philosophieren, was es heutzutage heißt, eine Mutter zu sein.
Prominenz und ganz normale Mamas von nebenan
Darunter sind Prominente wie Fernseh- und Hörfunkmoderatorin Andrea Ballschuh, die unter http://blogs.hr-online.de/babyblog/ für den Hessischen Rundfunk über die sechs Zähne ihrer Tochter Lia und das Bahnfahren im ICE-Kleinkindabteil schreibt. Unter ihnen sind aber auch ganz normale Mamas von nebenan, so wie Ramona (32), Steuer- und Wirtschaftsprüfungsassistentin aus München, die unter http://babyblog.moonjumper.de/ überlegt, warum Frauen während der Schwangerschaft schnarchen, aber auch unbequemere Themen anschneidet, z.B. „Schweinegrippeimpfung bei Babys?“ oder „Mit einem Jahr in die Kinderkrippe?“. „Die Idee zum Blog kam von meinem Mann, als ich im Juni 2008 schwanger wurde und wir unseren teils weit entfernt lebenden Freunden und Verwandten darüber berichten wollten“, erzählt Ramona, „Anfangs hat er viel geschrieben, weil er es sich schön vorstellte, unserem Kind das Blog eines Tages zu zeigen. Später übernahm ich das Schreiben, inzwischen auch für viele regelmäßige Leser, die uns bei Google gefunden haben.“ Die 29jährige Marketingmanagerin aus Bonn, die unter dem Pseudonym „Mama Miez“ und der URL http://mamamiez.wordpress.com/ auftritt, hat Freunden und Verwandten dagegen nichts von ihrem Blog erzählt: „Ich blogge bewusst anonym, weil man dann freier von Selbstzensur ist. Als ich mein Mamablog vor zwei Jahren einrichtete, weil es mit dem Kinderkriegen nicht klappen wollte und ich ein Ventil brauchte, um meinen Frust rauszuschreiben, wollte ich dabei sicher nicht von Geschäftspartnern und Kunden ‚beobachtet’ werden.“
Manche US-Mütter wurden durch ihr Blog reich
Ein intelligentes, leider nicht regelmäßig bestücktes deutsches Blog übers Elternsein ist die Rubrik „Muttiblog“ unter www.maedchenmannschaft.net, einem feministischen Gruppenblog, das 2008 mit dem Deutsche Welle Blog Award für das beste deutschsprachige Blog ausgezeichnet wurde. Im „Muttiblog“ schreibt unter anderem die promovierte Ingenieurin und Mutter eines Kindes Adele über ihre Suche nach einem Arbeitsplatz in der industriellen Forschung. Dabei wirft sie hochaktuelle, gesellschaftsrelevante Fragen auf, zum Beispiel: Darf eine Frau das Angebot für einen gut bezahlten Traumjob annehmen, wenn ihr Mann dafür seinen schlecht bezahlten Traumjob aufgeben und mit ihr und dem Kind umziehen muss? Adeles Leserinnen fühlen sich zur regen Diskussionen über Selbstverwirklichung, Emanzipation und moderne Familienmodelle animiert.
Vorsicht Fake Blogs
Manche anderen Blogs enttarnen sich bei genauerem Hinsehen als so genannte „Fake Blogs“ oder abgekürzt „Flogs“, hinter denen sich keine Privatpersonen mit ihren Gedanken und Gefühlen verbergen, sondern die subtilen Werbepraktiken einer Firma. Es gibt Profi-Blogger, die sich ihr Einkommen damit verdienen, in lockerem Plauderton Babyprodukte anzupreisen. In authentischen Mütterblogs kommen solche Praktiken nicht vor, doch ein kleiner Nebenverdienst ist möglich. Tipps und Tricks dazu finden sich im Ratgeber: „Mitmachen im Web 2.0: Das Blogger-Buch“ von Dennis Horn und Daniel Fiene (19,95 Euro, Franzis Verlag). „Geld verdienen war nie das Hauptthema bei unserem Blog, aber die eingebundene Werbung als kleiner Zuschuss zum Urlaubsgeld ist schon super“, zwinkert Ramona.
In den USA sind einige Frauen mit ihren Mütterblogs reich und berühmt geworden. Die Ikone der Szene heißt Heather Armstrong, schreibt unter http://www.dooce.com und hat sich auch als Designerin und Fotografin einen Namen gemacht. Auch sehr bliebt ist Kollegin Amy Storch, die unter http://www.amalah.com über das Elternsein sinniert. Zweites Spezialgebiet: die Popkultur. Es zeigt sich: Die Ladies sind erfolgreich, weil es ihnen gelingt, ihre Leserinnen im Alltag abzuholen, um dann gemeinsam mit ihnen über den Tellerrand zu schauen. Deutsche Mütterblogs haben zwar noch keine Millionärinnen hervorgebracht, doch auch hierzulande gibt es Institutionen, die bereits jahrelang online sind und die jeder in der Szene kennt: z.B. die Blogs von „Frau… äh… Mutti“ (www.frau-mutti.de), deren Kinder inzwischen schon größer sind („Töchterlein besucht heute zum ersten Mal den Konfirmationsunterricht“) und „Frau Kassiopeia“ (www.klaresbuntesglas.de), die ihren Alltag mit vier Kindern zwischen sechs Monaten und fünf Jahren ganz bewundernswert meistert.
Bloggen aus Spaß, nicht um die Welt zu verändern
Nun muss die gesamte deutsche Blogosphäre seit jeher Kritik einstecken: sie sei zu wenig politisch, habe zu wenig Feuer, heißt es. In der Aprilausgabe der Zeitschrift „Neon“ bedauert die Autorin Susanne Klingner, dass sich bloggende Frauen von sexistischen Männern, die mit ihren dummen Kommentaren die Gästebücher dominieren, unterdrücken lassen: „Frauen schreiben nur noch anonym, geben das Bloggen ganz auf oder lassen zumindest die Finger von ‚harten‘ Themen. Denn wer über Stillbeschwerden, Kuchenrezepte oder Liebeskummer schreibt, wird nicht angepöbelt.“ Einerseits ist natürlich nichts Schlimmes daran, wenn eine Frau mit ihrem Blog nicht gleich die Welt verändern, sondern einfach nur Spaß haben will. Für die meisten ist genau das die Hauptmotivation: „Ich genieße die Kommunikation mit den Lesern, die Anregungen und das Feedback“, sagt „Mama Miez“. „Schon kurz nachdem ich angefangen hatte zu bloggen, fanden sich Gleichgesinnte und es stellte sich eine Form von Kommunikation ein, die von Verständnis und Anteilnahme geprägt war.“ Und Tanja ergänzt: „Das Schönste ist, dass ich über mein Blog viele neue Menschen auch im echten Leben kennen gelernt habe und mich als Teil einer Gemeinschaft fühle.“ Andererseits hat Susanne Klingner ein gutes Argument dafür, auch mal größer zu denken, wenn sie sagt: „Das Internet ist der Ort, an dem schon jetzt Informationen gesammelt, Meinungen gebildet und politische Debatten entschieden werden. Frauen müssen mehr Mut zur Meinung entwickeln.“
Problem Privatsphäre
Immerhin bekommen viele bloggende Mütter auf Dauer ein Gespür dafür, womit sie ihre Fangemeinde fesseln können, und versuchen wie richtige Chefredakteurinnen, sich daran zu orientieren: „Die meisten Leser haben wir bei Artikeln über Themen wie Arbeitslosigkeit, Elterngeld und Kinderbetreuung während der Arbeitszeit“, stellt Ramona fest. „Aktionen wie Verlosungen und Wichtelaktionen bringen viele Besucher auf meine Seite“, hat Tanja bemerkt. Die amerikanische Pionierin der Mütterblogs, Dawn Friedman, gibt in der „Washington Times“ den Tipp: „Es hilft, eine Fortsetzungsgeschichte mit richtigem Handlungsstrang zu erzählen. Ich hatte die meisten Leser, als die Adoption unserer Tochter immer näher rückte.“
Wenn Gott und die Welt unser privates Leben googeln kann
Ein wichtiger Punkt ist der Umgang mit der Privatsphäre, denn allzu leicht verschwimmt die Grenze zwischen Wirklichkeit und virtueller Welt. Als Uma Thurman alias Eliza im Film „New York Mom“ online sexuelle Geheimnisse ihrer besten Freundin ausplaudert, gibt es Stunk. Zu Recht! „Mein Mann hatte anfangs Sorge, dass Gott und die Welt unser privatestes Leben googeln kann“, erinnert sich „Mama Miez“, „Doch da ich anonym bleibe, hat er keine Probleme mehr damit. Meinen Sohn nenne ich im Blog ‚den Quietschbeu’. Wenn ich nicht will, wird nicht einmal er selber erfahren, dass er da irgendwo in den Weiten des Internets eine kleine Hauptrolle spielt.“ Tanja hat mit ihrem Mann feste Vereinbarungen darüber getroffen, was ins Blog darf und was nicht. Dabei sollte es immer auch darum gehen, die Privatsphäre der Kinder zu schützen, die schließlich als Zweijährige noch nicht artikulieren können, ob sie es witzig finden, wenn die ganze Welt mitliest, dass sie zum ersten Mal ins Töpfchen gemacht haben. Zwar meint Tanja: „Für unsere Kinder ist das Internet ein ganz normaler Teil des Lebens, so wie Spielplatz, Kindergarten oder Sportverein.“ Dennoch kann es nicht schaden, beim Einrichten des Blogs darauf zu achten, dass es jederzeit wieder deaktiviert oder mit einem Passwort belegt werden kann, sodass es nur noch registrierten Besuchern möglich ist mitzulesen.
Auch Väter bloggen mit
Übrigens: Es gibt auch bloggende Väter. Bei weitem nicht so viele wie bloggende Mütter, aber es gibt sie. Drei Beispiele, um das Spektrum zu verdeutlichen: Im www.vaeterblog.de schreibt der erfahrene Organisationsberater und Vater von drei erwachsenen Kindern Hans-Georg Nelles täglich professionelle Berichte über Väterpolitik, Väter und Karriere, Väterstudien und Co., immer mit der Absicht, „Unternehmen zu ermutigen, die Potenziale aktiver Vaterschaft zu nutzen“. Unter http://ich-werde-papa.blog.de/ formuliert der 38jährige „Bullymuk“ aus Lemgo mit viel Humor ein klassisches Familientagebuch, in dem durchaus auch kotzende Kinder en detail vorkommen und das einen aufschlussreichen Einblick in die Gedankenwelt eines Vaters bietet. Und schließlich mischt auch der kaufmännische Angestellte und Vater von zwei kleinen Kindern, Andreas Lorenz aus Senden-Ottmarsbocholt bei Münster, unter http://www.papa-online.com in der Blogosphäre mit und will mit seinen Erfahrungen zur Profilierung eines neuen Vaterkonzepts beitragen. Wenn Mütter Väterblogs lesen würden und Väter Mütterblogs, könnte das zum besseren gegenseitigen Verständnis führen!