Mutter - Sohn, Vater - Tochter: Eine besondere Beziehung
Jungs, die die Mama heiß und innig lieben, Töchter, denen der Vater nichts abschlagen kann: Warum Überkreuzbeziehungen in der Familie so besonders sind, aber die ein oder andere Herausforderung bergen können.
Vater Tochter Verhältnis: "Ich will Papa heiraten"
Mit drei Jahren sagte Naomi Bielstein* etwas, das bei jedem Psychoanalytiker blankes Entzücken hervorgerufen hätte. Als ihre Tante sie abends einmal hütete, weinte sie plötzlich herzzerreißend, wollte lange nicht mit der Sprache heraus und gestand ihr schließlich: "Ich will doch den Papa heiraten! Aber das geht nicht, weil der ja schon mit der Mama verheiratet ist!" worauf ein weiterer Tränenschwall folgte. Zugegeben: Mit diesem Klassiker lässt Ödipus sicher eher selten grüßen. Trotzdem ist etwas dran an der besonderen Beziehung von Mädchen zu ihrem Vater. Der spielt nicht selten eine Heldenrolle im Leben seiner Tochter. Mütter erzählen in den urbia-Foren häufig, wie verunsichert sie sind, weil ihre kleinen Töchter den Vater vorzuziehen scheinen. "Meine Tochter ist jetzt 15 Monate alt, und sie will nur noch zum Papa egal, was ich mache und tue! Ich bin traurig, ich hab' das Gefühl, sie mag mich nicht. Ich bin auch echt verzweifelt, denn ich verstehe sie nicht", klagt eine Userin im urbia-Forum Kleinkind.
Zwar ist eine solch starke Fixierung meist nur eine Phase. Trotzdem bleibt die Beziehung eines Mädchens zum Vater oft bis ins Erwachsenenalter besonders eng. Und es gibt bekanntlich auch nicht wenige Väter, die regelrecht in ihre Tochter vernarrt sind und ihr rein gar nichts abschlagen können.
Mutter Sohn Konflikt: Ablösung ist wichtig!
Da mutet es fast wie der gerechte Ausgleich an, dass Jungen wiederum oft stärker an ihrer Mutter hängen als am Vater. Sie rebellieren weniger gegen sie als gegen den Papa, und manche verhalten sich ihr gegenüber phasenweise fast fürsorglich. Für diejenigen unter ihnen, die so gar keine Ablösungstendenzen vom mütterlichen Rockzipfel zeigen, prägte der Volksmund nicht zufällig das Wort vom "Muttersöhnchen". Und auch hier überdauert die enge der Beziehung oft sogar die Pubertät. Nicht erst seit Loriots Film "Ödipussi" wissen wir, dass es Männer gibt, die sich auch als Erwachsene gern im wahrsten Wortsinn bemuttern lassen: Sie lassen sich von ihrer Mutter nicht nur bekochen oder Hemden kaufen. Sondern räumen ihr einen Platz in ihrem Leben ein, der manchmal wichtiger ist als der der eigenen Partnerin. Doch dazu später.
Weniger Konfliktstoff beim anderen Elternteil
Zuerst steht nun die Frage im Raum, warum Kinder oft besonders stark am gegengeschlechtlichen Elternteil hängen. Klar denkt man da schnell an den berühmten "Ödipuskomplex" von Altvater Sigmund Freud. Der gilt zwar in der ursprünglichen Form als überholt. Doch es gibt den Begriff in der Entwicklungspsychologie bis heute, wenn auch mit anderen Vorzeichen: Aus dem Triebmodell wurde ein Beziehungsmodell. Ohne nun allzu tief in die Psychologie eindringen zu wollen, kann man die wichtigsten Ursachen für die enge Überkreuzbeziehung benennen:
Für Mädchen und Väter gilt: Mit der Mutter kann sich ein Mädchen zwar mehr identifizieren, weil diese das gleiche Geschlecht hat. Sie ist zugleich aber auch eine Konkurrentin (natürlich unbewusst, wie bekanntlich fast immer in der Psychologie). Schließlich ist sie schon, was man selbst erst werden muss: eine selbständige, starke Frau. Der Vater dagegen löst dieses Konkurrenzgefühl nicht, aus. Er fasziniert eher, weil er der Tochter etwas Unbekanntes eröffnet: den Blick auf die Welt aus der Sicht eines Mannes. Er führt, sagt die Psychologie, die Tochter quasi aus der Welt der Emotionalität in die der Vernunft. Denn er zeigt ihr, dass man Situationen auch mit dem Verstand bewältigen kann. (Nicht dass Mütter dies nicht auch könnten, aber Väter sind oft "straighter" darin.)
Der Vater ist zugleich durch seine körperliche Stärke auch ein Beschützer, der der Tochter Rückhalt gibt. Umgekehrt sind Töchter für Väter eine Chance, ihre eigenen weicheren Seiten zu zeigen, was sie im Alltag oder im Job vielleicht sonst kaum wagen.
Jungen bekommen mehr körperliche Nähe
Bei der Mutter-Sohn-Beziehung ist es in den Augen vieler Psychologen zunächst eher die Mutter, von der die größere Innigkeit ausgeht: Untersuchungen konnten zeigen, dass Jungen im Durchschnitt länger gestillt werden als Mädchen, und dass sie auch länger gefüttert und mehr beschmust werden. Dies heißt nicht automatisch, dass Jungen bevorzugt würden, die Beziehung zu einer Tochter kann ebenso intensiv sein - sie ist aber anders. Bei ihrer Tochter empfindet eine Mutter viele Parallelen zum eigenen Leben. Die Welt eines Jungen dagegen ist für sie neu: "Jungs verhalten sich in vielen Dingen anders als Mädchen - darin liegt für viele Mütter eine große Faszination", erklärt Roland Kopp-Wichmann, Diplom-Psychologe aus Heidelberg. Umgekehrt genießen es aber auch die Jungen, bei der Mama verletzlich und weich sein zu dürfen, was im Kreis ihrer Kindergarten- oder Schulkumpel nicht so gut möglich ist.
Kein Zukunftsmodell: Muttersohn und Papamädchen!
Doch auch die Kehrseite der besonderen Liebe überkreuz müssen wir an dieser Stelle wieder aufgreifen. Und das ist die Gefahr der verpassten Abnabelung. Normalerweise sorgen Kinder selber für die schrittchenweise Loslösung von ihren Altvorderen, und zwar vom Kleinkindalter an. Die Eltern müssen sie lediglich immer ein bisschen mehr loslassen. Bei einer engen Beziehung zum gegengeschlechtlichen Elternteil aber kann die nötige Abnabelung zu schwach ausfallen. Hier müssen Eltern mithelfen. Das aber ist gar nicht so leicht, denn oft genießen auch Mütter und Väter die Anhänglichkeit des Kindes (natürlich wiederum unbewusst) sehr. Und wer schubst schon gern sein Junges absichtlich aus dem Nest?
In Bezug auf Jungen warnt Psychologe Kopp-Wichmann aber: "Jungs brauchen Freiheit." Wichtig sei Beides: bedingungslose Liebe der Mutter, aber auch klare Grenzen und Verständnis für die Andersartigkeit eines Jungen. Wer in dem eigenen Sohn ewig das kleine Kind sehe, laufe Gefahr, die gesunde Entwicklung zu stören. "Jungen können sich nicht ewig mit der Mutter identifizieren, sondern müssen die Chance bekommen, zum Mann zu werden." Weil Mütter manchmal enger am Rockzipfel ihres Sohnes hängen als umgekehrt, sollten sie sich also hier und da bremsen: Egal ob es um die erste Übernachtung bei einem Freund oder eine etwas riskantere Baumkletterei geht. Zurückhaltend sollte eine Mutter auch sein, wenn ihr Sohn sie umsorgen will, wenn es ihr nicht gut geht. Denn dies ist Aufgabe ihres Partners, nicht die eines Kindes.
Vater Tochter Beziehung: Psychologie zeigt Gefahren auf
Doch auch "Papas Mädchen" hat es früher oder später schwer, wenn beide Seiten die Ablösung nicht schaffen. Ein Vater, der seine Tochter zu sehr dominiert, kann Selbstzweifel und Lebensängste auslösen. Manche Mädchen und Frauen geben sich auch besonders männlich oder "taff", um dem Vater zu gefallen, und schaffen es kaum, auch ihre weichen und emotionalen Seiten zu leben. Umgekehrt kann eine Heranwachsende aber auch ein zu kindliches, püppchenartiges Wesen entwickeln: wenn sie nämlich gelernt hat, dass man vor allem durch Koketterie oder vorgetäuschte Hilflosigkeit auf Männer Einfluss nehmen oder von ihnen etwas bekommen kann.
Väter sollten also zulassen, dass ihre Tochter sich von ihnen löst, dass sie andere Ansichten hat, emotionaler wird, als Teen mehr auf die Jungs ihrer Clique hört als auf den Vater. Und egal ob als Kind oder Teenager: Setzt ein Mädchen regelmäßig kokettes oder schmeichelndes Verhalten ein, um etwas durchzusetzen, sollte der Vater dies nicht immer belohnen. Sondern freundlich abwehren: "Ich muss zusammen mit der Mama überlegen, ob das geht", oder: "Sag mir lieber deine Argumente, dann können wir besser über deinen Wunsch sprechen und eine Lösung finden."
Nicht immer ist die Überkreuzbindung enger
Auch sie dürfen aber nicht unerwähnt bleiben: die Mädchen und Jungen, die gar nicht daran denken, dem gegengeschlechtlichen Elternteil einen Extrabonus zu geben. "Meine Tochter (15) hat diese Phase irgendwie komplett ausgelassen", erzählt Astrid Rheindorf aus Wuppertal. "Sie begegnete ihrem Vater schon als kleines Kind freundlich-entspannt, aber sie nahm ihn nicht überwichtig. Ich war ihre Hauptbezugsperson, obwohl auch er sich viel Zeit für sie nahm. Wenn sie uns zum Beispiel etwas gefragt hat und er ihr eine Antwort gab, ignorierte sie das. Sie fragte dann mich nochmal, so als säße er gar nicht am Tisch."
Auch manche Jungs empfinden es keineswegs als lohnenswertes Lebensziel, in Harmonie mit ihrer Mutter zu leben. "Mein Achtjähriger ist total stur und frech. Wenn ich etwas von ihm möchte, zum Beispiel einfach nur, dass er sich anzieht vor dem Frühstück, oder Apfelschorle zum Essen dazu auf den Tisch stellt, kommt so gut wie immer erstmal ein Nein. Ich sage es im ruhigen Ton, aber selbst wenn ich strenger und lauter werde, hört er null", erzählt eine Mutter im urbia-Forum Erziehung. Dass Mädchen eine besonders enge Beziehung zum Vater haben oder Jungen zu ihrer Mutter, ist also zwar häufig, aber nicht immer so. Gut zu wissen: Beides ist absolut normal!
* Namen geändert