Reform des Sorgerechts

Mehr Sorgen als Rechte für Väter?

Unverheiratete Väter sollen ein Sorgerecht für ihre Kinder künftig auch gegen den Willen der Mütter erhalten können. Doch viele Väter fürchten, dass es zu neuen Konflikten kommt – und fordern ein gemeinsames Sorgerecht von Geburt an.

Autor: Sven Heitkamp

Vaterpflichten - ohne Sorgerecht

Vater Sohn auf Arm
Foto: © panthermedia.net/ Konstantin Sutyagin

Dietmar Nikolai Webel kennt die Nöte der betroffenen Männer. Der stellvertretende Bundesvorsitzende des Vereins „Väteraufbruch für Kinder“ kämpft seit Jahren um die Rechte der Väter, weil er ihre Probleme selbst erlebt und erleidet. Seine Tochter ist heute 13 Jahre alt – ein Sorgerecht aber hat er bis heute nicht, trotz aller Diskussionen mit der Mutter.

Webels Kind stammt aus einer Kurzzeitbeziehung. Nach nur vier Monaten des Zusammenseins zog die Frau auf und davon,  schwanger. Seit dem siebten Monat ihrer Schwangerschaft suchte er den Kontakt zur Kindsmutter, lies sich ein  Ultraschallbild seines Babys geben, besuchte Frau und Kind am Tag der Geburt im Krankenhaus. Er beginnt schon in den ersten Lebenswochen, sich hälftig um seine Tochter zu kümmern.

Der Mann ist stolz auf sein Kind, seine Vaterschaft ist auch nicht strittig. Es gibt zwar Höhen und Tiefen bei der Regelung des Umgangs, bis heute kann er aber seine Tochter im wöchentlichen Wechsel mal drei, mal vier Tage bei sich haben. „Ich gehe mit ihr Reiten, zum Klavierunterricht, mache mit ihr Hausaufgaben“, sagt er. Dass ihm dennoch das Sorgerecht verwehrt wird, frustriert ihn. „Väter haben da nichts zu melden“, sagt Webel bitter. „Ich habe die Pflichten, aber keine Rechte.“

Eine Klage könnte das Verhältnis zur Mutter verschlechtern

Doch auch vom neuen Gesetz, das Ende Januar vom Bundestag beschlossen wurde und den Bundesrat voraussichtlich im Frühjahr passieren soll, wird Webel wohl keinen Gebrauch machen. Der 54-Jährige aus der Nähe von Halle (Saale) hat Angst, dass sich das Verhältnis zur Mutter durch einen zu hohen Druck auf dem Gerichtsweg verschlechtern könnte – und damit sein geregelter Umgang mit der Tochter. Er wird die Frau also erneut fragen, wie sie zur neuen Rechtslage steht. Aber er wird sie kaum vor Gericht zwingen, um neuerlichen Krach zu vermeiden. „Die Reform ist nicht mehr als ein halbherziger Kompromiss. Die einzig richtige Lösung wäre ein gemeinsames Sorgerecht von Geburt an“, sagt Webel.

Dabei ist der ordinierte Gemeindepädagoge keiner, der Auseinandersetzungen scheut. Er beginnt schon früh, sich beim „Väteraufbruch“ zu engagieren, ein Verein mit bundesweit mehr als 3.000 Mitgliedern und rund 90 Regionalgruppen. Vor gut zehn Jahren, da ist seine Tochter drei Jahre alt, wird er in den Bundesvorstand gewählt. Er berät andere Betroffene, macht Öffentlichkeitsarbeit für den Verein, fährt auf Demos, wie zuletzt zum Bundestagsentscheid am 31. Januar, als mehrere Hundert Männer in Berlin Seifenblasen aufsteigen ließen: Symbol für die zerplatzten Hoffnungen auf die neue Sorgerechtsregelung.

Nur eine Pseudoreform?

„Nach dieser Pseudoreform bleiben unverheiratete Väter nur Eltern zweiter Klasse“, kritisiert Webel. Deutschland sei damit weiterhin Schlusslicht in Europa, während in vielen Ländern nichteheliche Väter mit der Anerkennung ihrer Vaterschaft automatisch das gemeinsame Sorgerecht erhalten würden. Nur eine solche Gleichstellung beende auch die Diskriminierung. „All das ist kein guter Zustand, um in Verantwortung zu gehen“, sagt Webel. „Kinder brauchen aber zwei Eltern, die sich zu ihrer Verantwortung bereit erklären.“

Rechte für Väter: Was das neue Gesetzt bringt

Beim Sorgerecht geht es um alle grundlegenden Entscheidungen für ein Kind vom Namen über ärztliche Fragen und Schulentscheidungen über das Vermögen bis zu seinen rechtlichen Angelegenheiten. Bisher bekommt jedoch eine unverheiratete Mutter laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) automatisch das alleinige Sorgerecht, wenn das Elternpaar nicht verheiratet ist und keine übereinstimmenden Sorge-Erklärungen abgegeben hat. Ohne eine Zustimmung der Mutter ging daher gar nichts, viele Väter kämpften völlig vergeblich um ihr Sorgerecht.

Künftig soll im BGB geregelt werden, dass der Vater beim Familiengericht einen Antrag auf Übertragung der Mitsorge stellen kann. Das Gericht kann dann das gemeinsame Sorgerecht in einem beschleunigten und vereinfachten Verfahren übertragen – sofern die Mutter dem nicht widerspricht. Sonst muss sie allerdings triftige, kindeswohlgefährdende Gründe darlegen. Der Richter kann dabei das Verfahren rein schriftlich führen und ohne persönliche Anhörung der Eltern oder des  Jugendamts entscheiden. Er stellt der Mutter zunächst den Antrag des Vaters zu und setzt ihr nach seinem Ermessen eine Frist zur Stellungnahme. Dieser Zeitraum muss, wenn der Antrag gleich nach der Geburt ergeht, mindestens sechs Wochen betragen. Nebenbei: Auch die bisher allein sorgeberechtigte Mutter erhält damit die Möglichkeit, den Vater in die gemeinsame Sorge einzubinden.

Ein Gesetz für die neue Familien-Wirklichkeit

Die Reform kommt nicht von ungefähr – die bisherige Regelung stand seit Jahren massiv in der Kritik. Bereits 2009 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die deutsche Regelung als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechts-Konvention gerügt. Mitte 2010 entschied auch das Bundesverfassungsgericht, dass der Paragraph gegen das Grundgesetz verstößt. Eine Novelle war daher mehr als überfällig. Außerdem musste die Politik der neuen deutschen Familien-Wirklichkeit Rechnung tragen: Bundesweit sind mittlerweile ein Drittel der Eltern neugeborener Kinder nicht verheiratet, im Osten Deutschlands sind es sogar fast zwei Drittel. 1995 lag der Bundesdurchschnitt noch bei 15 Prozent.

Verärgerte Väter ohne Sorgerecht

Doch während die schwarz-gelbe Koalition ihr Vorhaben als „gerecht und ausgewogen“ lobt und die Kritik der Väterverbände zurückweist, sind die eigentlich Nutznießer unzufrieden. „Dieses Reförmchen ist das Herzblut und die Zeit nicht wert“, schimpft Uwe Stierand aus Sachsen-Anhalt, der ebenfalls ohne Sorgerecht dasteht. „Warum soll ich noch immer einen Antrag auf mein Menschenrecht stellen?“ Der 54-Jährige musste Anfang dieses Jahres mit ansehen, wie sein Sohn, heute elf, ins Heim ging, statt bei ihm bleiben zu können. „Über Jahre hat mein Sohn den Wunsch geäußert, bei mir zu leben. Aber weder die Mutter noch die Behörden hatten je ein Einsehen.“

Mehrfach habe die Frau den Jungen sogar geschlagen, er habe die blauen Flecken zuletzt mit ärztlichem Attest dokumentieren lassen, erzählt Stierand. Anfang Januar weigerte sich der Junge dann, zurück zur Mutter zu gehen, er schlüpfte lieber im Kinderschutzhaus unter. Erst dann entschied man, dass der Sohn seinen Lebensmittelpunkt bei seinem Vater nehmen kann und nur noch zu festgelegten Zeiten bei der Mutter ist. Ein Sorgerecht hat der Mann trotz allem bisher nicht erhalten.

Dabei entstand das Kind in einer intakten Beziehung. Zehn Jahre lebten sie zusammen, die Frau war damals mit ihren drei Kindern bei Stierand eingezogen. Erst als der gemeinsame Sohn neun Jahre alt war, trennte sich das Paar. Seither haben sie einen langen, harten Kampf hinter sich. „Mein Wunsch nach der gemeinsamen Sorge wurde immer von ihr verzögert und abgelehnt. Aber ich will dem Kind ja nicht die Mutter wegnehmen“, betont Stierand. Vorerst wird auch er das neue Gesetz nicht nutzen. „Wir sind jetzt erstmal glücklich.“ Allerdings behalte er sich vor, das gemeinsame oder alleinige Sorgerecht später noch zu beantragen, wenn es für das Kindeswohl nötig zu sein scheint.

Kritik am erzwungenen Sorgerecht

Verärgert über den politischen Kompromiss - wenn auch aus anderen Gründen - sind auch viele Alleinerziehende. „Wir sind entsetzt, dass der Gesetzgeber Ideologie über das Kindeswohl stellt“, kritisiert Edith Schwab, Bundesvorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter. Statt das Wohl des Kindes im Auge zu behalten, gelte die gemeinsame Sorge generell als die beste Lösung. „Das geht an der Realität der betroffenen Kinder vorbei“, klagt Schwab. „Wird das gemeinsame Sorgerecht trotz Konflikten erzwungen, wird das dem Kind mehr schaden als gut tun.“ Statt des schriftlichen Schnellverfahrens müsse es daher weiterhin vor allem eins geben: Eine gründliche Einzelfallprüfung.

Auch beim Umgangsrecht sollen leibliche Väter gestärkt werden

Nicht berührt vom neuen Sorgerecht ist indes das Umgangsrecht, das auch unverheiratete Väter haben können und das die Rechte von Vätern stärkt. Das BGB regelt dafür, dass Kinder generell das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil haben – und auch jeder leibliche Vater zum Umgang mit seinem Kind berechtigt ist, wenn er eine persönliche Beziehung aufgebaut hat. Gibt es über den Umgang Streit, kann ebenfalls ein Gericht eingeschaltet werden. Auch auf dieser Baustelle stärkt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger derzeit die Rechte der leiblichen, aber nicht rechtlichen Väter: Nach ihrem Vorschlag sollen die betroffenen Männer ebenfalls mehr Chancen erhalten, ihr Kind sehen zu dürfen, wenn sie tatsächlich Verantwortung übernehmen wollen. Der Gesetzentwurf liegt jetzt im Bundestag.