Familienurlaub in Schweden
Klischees können nerven. Dass in Schweden so viele Realität sind, ist hingegen ein Glück, schwärmt urbia-Autorin Kathrin Wittwer: Nie hat ihre Familie so entspannte Ferien genossen wie im roten Haus am See mit Pippi, Elch und Köttbullar. Nachmachen!
Da steht ein Elch an der Straße
Ja, auch auf unserem Auto klebt dieser berühmte Schattenriss eines Elches, mit dem der Deutsche gemeinhin seine Liebe zum Schwedenland publik macht. Denn tatsächlich war es einer dieser knuffigen Riesen, der zwischen Schweden und unserer Familie für Liebe (fast) auf den ersten Blick sorgte. Wir waren damals auf der Anreise und hatten soeben erkannt, dass wir, übernächtigt nach der schlafarmen Fährüberfahrt, gen Westen statt nach Osten fuhren und einen zweistündigen Umweg vor uns hatten, als das Auto entschied, auch urlaubsreif zu sein und seine Funktionsfähigkeit auf den dritten Gang beschränkte. Es war unser erster Urlaubstag, obendrein mein Geburtstag, ich war müde, den Tränen nahe und ich wollte einfach nur wieder nach Hause.
Und dann war da plötzlich dieser Elch. Gemächlich, aber offenbar ebenso an der Richtigkeit seiner Route zweifelnd wie wir, joggte er parallel zur Straße entlang, eines dieser hinreichend bekannten Schilder, die vor Elch-Verkehr warnen, links liegen lassend. Ich interpretierte sein Auftauchen spontan als Willkommens-Komitee, war ab sofort mit dem Schicksal versöhnt, und allen schlechten Vorzeichen zum Trotz begann der entspannteste Urlaub unseres Lebens.
Seen und Wälder, Wälder und Seen: Schweden hat echt viel Natur
Wir verbrachten ihn, wie sich das in Schweden gehört, im rot-weißen Holzhäuschen („röd stuga“) am See, drinnen viel IKEA, ringsum sehr viel Natur. Unser Navi erkannte hier Wege als offizielle Straßen, die ich daheim nicht mal zu Fuß betreten hätte aus Angst, auf Nimmerwiedersehen im Nirgendwo zu verschwinden. „Sollten wir mal unauffällig eine Leiche verschwinden lassen müssen, ist Schweden unser Land“, stellte mein Mann nach spätabendlichen, mittsommersonnehellen Joggingtouren durch den schier endlosen Wald fest. Die überwältigende Fülle und Schönheit der Natur bescherte uns paradiesische Urlaubsumstände: Zwischen einfach nur rumstrolchen, Heidelbeeren sammeln, Marmelade draus kochen, Radfahren, Bootfahren und schwimmen lässt es sich – trotz Mückenplage – wirklich restlos glücklich sein.
Perfekt zum Entschleunigen: das Volk der Abkömmlichen, Gottes weite Wege
Überhaupt machen es einem die Schweden leicht zu entspannen: Allein die Tatsache, dass ein Volk es wagt, sich kollektiv in die Sommerferien zu verabschieden, dass ab dem Mittsommer-Fest (immer am Freitag zwischen 20. und 26. Juni) komplette Fabriken, Betriebe, Ämter schließen, weil dann alle in ihre röd stuga fahren, kurzum, dass die Schweden kein Problem damit haben, abkömmlich zu sein, überträgt auch auf den Gast das befreiende Gefühl, loslassen zu dürfen.
Zusätzlich stellt die Weite des Landes eine echte Entschleunigungsübung bereit: Die Wege von A nach B können sich arg in die Länge ziehen (wir wunderten uns nicht, als unsere Vermieter erzählten, dass Taxifahrer hier Hebammen-Kurse machen), zumal die Schweden deutlich gemäßigter unterwegs sind als wir. Da kann man gemütlich den Tempomaten zuckeln lassen – und die Nerven dafür schonen, den weniger duldsamen Nachwuchs bei Laune zu halten.
Unser ultimativer Lieblingsplatz: Astrid Lindgrens Värld in Vimmerby
Und um längere Ausflüge, vorzugsweise an Orte mit höherer Kinderdichte, kommt man eben in einem mehrwöchigen Familienurlaub nicht drumrum. Småland bietet ausreichend Ziele, von Glasbläser-Werkstätten über das Kulturreservat Åsens By bis hin zu zahlreichen Lindgren-Pilgerstätten wie ihrem Elternhaus in Vimmerby oder den Originaldrehorten der Michel- und Bullerbü-Filme (nur von außen zu besichtigen).
Unsere konkurrenzlose Nummer 1: die „Astrid-Lindgren-Welt“ in Vimmerby, der potentiell kinderfreundlichste Flecken auf diesem Erdball. In diesem schlicht genialen Themenpark rund um Lindgrens Bücherwelten lassen sich Katthult, das Heckenrosental und viele andere Stätten der Lindgrenschen Fantasie besuchen, bestückt mit großen und kleinen Schauspielern, die die zugehörigen Helden mimen, Vorstellungen geben und mit den Gästen spielen. An Pippis Hand durch die „Villa Villekulla“ toben, Kapitän Langstrumpf auskitzeln, mit Karlsson aufs Dach steigen, Michels „snickeboe“ (Tischlerschuppen) durchstöbern, die Mathis-Burg auseinanderbrechen sehen: Das sind grandiose, einmalige Erlebnisse. Wir lieben es, trotz Gedränge, üppiger Eintrittspreise und der zahlreichen Souvenirläden. Und nicht nur trotz, sondern gerade weil im Park ausschließlich auf Schwedisch gespielt und gesungen wird. Konsequenterweise unser Lieblingsmitbringsel: „En dag i Astrid Lindgrens Värld“, eine CD mit den schönsten Liedern aus dem Programm.
Zum Verlieben und Dahinschmelzen: herzige Sprache, leckeres Gebäck
Denn mal ehrlich: Auch wenn die Schweden super Englisch, ziemlich oft auch Deutsch sprechen – angesichts einer Sprache, die so herzig und melodisch klingt, die der Welt schnuckelige Worte wie „Ögenfrans“ und „Snuddebo“ schenkt und selbst im kringelbestückten Schriftbild lebensfroh daherkommt, will man das eigentlich gar nicht. Sondern am liebsten sofort selbst Schwedisch lernen.
Doppelt verführerisch wirkt die Sprache, wenn sich hinter den süßen Worten tatsächlich ebensolche Leckereien verbergen: Als „härligt kladdig“ wird der berühmte „Kladdkaka“ angepriesen, und der herrlich saftige Schokoladenkuchen hält, was er verspricht. Ob „vaniljbullar“(luftiges Gebäck mit Vanillefüllung), „semlor“(eine Art Hefeteigbeutel, gewürzt mit Kardamom, gefüllt mit Mandel-/Marzipanmasse, abgerundet mit einem großzügigen Klecks Sahne) oder die zimtigen „kanelbullar“: Wir kamen an keiner Konditorauslage vorbei.
Allsång: alle mal mitsingen
Genüsslich schwelgen lässt sich in der schönen schwedischen Sprache auch während einer tollen Sommertradition: dem Allsång, wenn nach dem Vorbild eines großen Festivals ins Skansen allerorten kleine Kapellen zum Mitsingen bekannter Schlager einladen, Jung und Alt folgen und keinem die fluffige, im schönsten Sinne Volksmusik peinlich ist. Wenn da der eigene Blondschopf, nahtlos in den Kreis der Schwedenkinder eingefügt, ohne jegliche Fremdsprachenkenntnisse inbrünstig in „Sommar sommar sommar“ einstimmt, schießt das sofort in die Top 10 der schönsten Urlaubserinnerungen aller Zeiten.
Elchland und Zuckerstangen: worauf wir auch hätten verzichten können
Auch wenn das sympathische Schweden uns so für sich einnahm, dass wir gar nicht mehr nach Hause wollten und schnellstmöglich wiederkehrten, haben wir natürlich auch weniger begeisternde Erfahrungen gemacht. Da wären zum Beispiel:
- Ausflüge in (Klein)Städte: Västervik, Gränna, Jönköping, Hulsfred, Tranås… Wir haben einige besucht und nur wenig wirklich Sehenswertes gefunden. Beispiel Vimmerby: Der nette Marktplatz punktet mit einer Lindgren-Statue zum Anfassen und einem Spielschiff. Um dem Rest des Städtchens mit einigen Berührungspunkten zur „kleinen kleinen Stadt“ aus „Pippi Langstrumpf“ etwas abzugewinnen, bedarf es doch Fan-Enthusiasmus.
- Besuch von „polkagriskokeri“: Die Stadt Gränna wirbt mit ihren Zuckerstangen-Kochereien. Es gibt lieblos-moderne wie nostalgische mit Schauküche, wo eben „polkagrisar“, Zuckerstangen, hergestellt werden. Kann man sehen, muss man nicht. Noch weniger lohnt die unscheinbare „karamellkokeri“ in Mariannelund einen extra Ausflug.
- Öffnungszeiten vor Midsommar: Wer vor Mittsommer nach Schweden reist, hat den Vorteil, dass weniger Touristen unterwegs sind – aber den Nachteil, dass viele Attraktionen noch nicht oder nur eingeschränkt geöffnet sind.
- Midsommar-Feste: Man sollte nicht erwarten, überall ein werbereifes Volksfest erleben zu können – es gibt auch sehr unspektakuläre Varianten.
- Schwedische Grillprodukte: Schlaffe Wiener und Steaks in Fenchelmarinade waren unsere Sache nicht. Man hat’s probiert und sich dann lieber mit Appetit der„Tunnbrödsrulle“ (Art Wrap mit Kartoffelpüree, Fisch, Würstchen, Garnelen, sauren Gurken, Senf, Ketchup…) „Hasselbackpotatis“ (mit Käse und Semmelbröseln übergebackene Fächerkartoffeln), „Pytt y Panna“ (Kartoffel-Resteessen mit Eiern und Speck) und natürlich dem allgegenwärtigen Kinderliebling Köttbullar zugewendet.
- Das Elchland „Laganland“ an der Autobahn nach Trelleborg: Eine bittere Enttäuschung statt netter Urlaubsabschluss, ist dieser Touristennepp wenig mehr als ein Souvenirladen mit angeschlossenem Elchgehege.
Und: Bei aller Kinderfreundlichkeit hätten wir in manchen Momenten durchaus auch auf das Kind verzichten können. Wie beim genüsslichen Wandern im Naturpark oder an der Schärenküste Västerviks entlang. Dafür kommen wir noch mal allein zurück. Dann vielleicht im Wohnmobil, den langen Strecken mit flexiblem Gefährt ein Schnippchen schlagend.
Service
Netz
- Offizielle Touristeninformationen inklusive Broschüren-Download für Schweden
- Alles zur Astrid-Lindgren-Welt inklusive Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort
- Informationen zum Kulturzentrum am Elternhaus von Astrid Lindgren in Vimmerby
Reiseführer
- Für Jedermann:
Claudia Rothkamp u.a.: Südschweden. Zeit für das Beste – mit Tipps für Stockholm, Göteborg, Malmö oder Helsingborg.
Bruckmann. 2013. ISBN-13: 978-3765454950. - Für Hardcore-Fans:
Sabine & Wolfram Schwieder: Astrid Lindgrens Schweden – von Bullerbü zur Villa Kunterbunt.
Reise Know-how. 2012. ISBN-13: 978-3831721597. 14,90 Euro.
Weiteres
- GEO Special: Schweden
Gruner + Jahr. 2009. ISBN-13: 978-3570198650. 8,50 Euro. - Antje Rávic Strubel: Gebrauchsanweisung für Schweden.
Piper. 2013. ISBN-13: 978-3492276399. 14,99 Euro. - Dagmar Chidolue: Millie in der Villa Kunterbunt.
Dressler. 2014. ISBN-13: 978-3791527475. 12,95 Euro. - Margareta Schildt Landgren: Das Schweden-Kochbuch.
Gerstenberg. 2013. ISBN-13: 978-3836927598. 24,90 Euro. - Mamke Schrag, Andreas Wagener: Das Astrid Lindgren Kochbuch.
Oetinger. 2008. ISBN: 978-3-7891-8419-2. 16,90 Euro. - Paola Kucera u.a.: Schwedisch in 30 Tagen. Mit 2 CDs.
Langenscheid. 2011. ISBN-13: 978-3468280702. 26,99 Euro. - Anders Lundin: Allsång på Skansen. Doppel-CD. 2009. ca. 19 Euro.