Niedlich oder unnötig?

Ohrlöcher stechen bei Kindern?

Kleine Mädchen finden Ohrringe oft toll, und manchmal entscheiden sich auch Eltern schon früh für den Ohrschmuck an ihren Kindern. Was Sie vor der Entscheidung für oder gegen das Stechen von Ohrlöchern bei Kindern bedenken sollten und Tipps, um Komplikationen zu vermeiden.

Autor: Dr. Andrea Schmelz

Kinderärzte: Ohrlöcher sind Körperverletzung

Ohrlöcher
Foto: © iStock, angelacolac

Aus anatomischer und medizinischer Sicht ist das Ohrlochstechen an sich im Baby- oder Kleinkindalter nicht mit einem größeren Infektionsrisiko behaftet als bei älteren  Kindern oder Erwachsenen, sofern Hygiene und Nachsorge stimmen. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sieht das Stechen von Ohrlöchern bei Kindern rein rechtlich jedoch kritisch. BVKJ-Präsident Wolfram Hartmann betont: „Jeder Eingriff in den intakten Körper eines Kindes ist problematisch. Daher sind Ohrlochstechen, Tätowierungen und Piercings bei Minderjährigen aus unserer Sicht Körperverletzung." Letztendlich liegt die Entscheidung dafür oder dagegen bei Ihnen als Eltern.

4 gute Gründe, mit dem Ohrschmuck noch zu warten

  1. Nickelallergie vorbeugen.
    Es gilt als gesichert, dass ein frühzeitiger und intensiver Nickelkontakt der wichtigste Faktor für die Entstehung einer (lebenslang bestehen bleibenden!) Nickelallergie ist. Direkt nach dem Ohrlochstechen kann Nickel aus einem nickelhaltigen Ohrstecker aufgrund der frischen Ohrloch-Wunde leicht in den Körper gelangen. Deshalb ist nur der Einsatz von sogenannten Erststeckern aus medizinischem Edelstahl unbedenklich (316L). Dieser hat zwar einen Nickel-Anteil von 10 bis 14%, doch Nickel wird hier auch in direktem Kontakt mit der Haut nicht freigesetzt. Im Übrigen schreibt eine EU-Verordnung von 2005 klar vor, dass Nickel und Nickelverbindungen in Schmuck für Ohrlöcher oder Piercings nur dann erlaubt sind, wenn weniger als 0,2 µg/cm2 und pro Woche freigesetzt werden. Wichtig: Wenn bei einem Ohrstecker „Oberfläche nickelfrei“ draufsteht, bedeutet das nur, dass die Oberfläche des nickelhaltigen Ohrsteckers mit einer Lackierung überzogen ist. Hat diese sich abgelöst, besteht Allergiegefahr!
  2. Infektionsrisiko Ohrlochpistole.
    Da Ohrlochpistolen nicht sterilisiert werden können, besteht ein gewisses Infektionsrisiko (z.B. für Leberentzündung oder HIV). Außerdem wird bei dieser weit verbreiteten, aber nicht wirklich empfehlenswerten Methode der stumpfe Erststecker mit Druck durch das Ohrläppchen gepresst. Dabei wird das Gewebe stärker geschädigt als z.B. beim Stechen mit einer sterilen Einmalnadel. Die Ohrloch-Wunde heilt entsprechend oft auch langsamer.
  3. Narbenbildung.
    Gelegentlich bildet sich nach dem Ohrlochstechen übermäßig viel Narbengewebe, das sehr unschön aussieht. So etwas kann in jedem Alter passieren, jedoch ist überschießende Narbenbildung aufgrund von Stoffwechselbesonderheiten bei Kindern und Jugendlichen etwas häufiger als im Erwachsenenalter.
  4. Spezielle Risiken des Ohrschmucks bei Kindern.
    Kleinkinder spielen gerne mal mit nicht frisch gewaschenen Fingern an ihrem Ohrschmuck herum, sodass eine Entzündung entstehen kann. Beim Spielen, Klettern oder beim Sport können Kinder an den Ohrringen hängen bleiben, sodass das Ohrläppchen im schlimmsten Fall ausreißen könnte. Nicht zu unterschätzen ist auch die Gefahr, dass sich ein Kleinkind an Kleinteilen des Ohrschmucks verschluckt oder diese sogar in die Atemwege geraten, wenn an den Ohrringen herumgespielt wird und diese sich lösen.

 

Wann und wo Ohrlöcher stechen lassen?

Da in Schmuckgeschäften oder Piercing-Studios überwiegend die Meinung vertreten wird, dass Kinder zumindest so alt sein sollten, dass sie die Ohrlöcher selbst haben wollen, ist es in Deutschland schwierig, jemanden zu finden, der einem Baby oder Kleinkind Ohrlöcher sticht. Eine feste Altersgrenze gibt es allerdings nicht. Einige Juweliere durchstechen die Ohrläppchen bereits bei Kindern ab vier Jahren, andere erst ab sechs, acht oder sogar zwölf Jahren.

Sollten Sie einen Kinderarzt oder eine Hebamme gefunden haben, die vielleicht aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes (z.B. aus Spanien, Südamerika oder Indien stammend, wo traditionell schon Babys Ohrlöcher bekommen) bereit ist, Ihrem Baby oder Kleinkind die Ohrläppchen zu durchstechen, ist es ratsam, mindestens die zweite, besser dritte Tetanusimpfung abzuwarten. Dann ist Ihr Kleines zumindest gegen diese Infektion weitgehend geschützt. Natürlich sollten Sie unbedingt darauf achten, dass das Ohrlöcherstechen unter hygienischen Bedingungen erfolgt!

Richtige Vorbereitung ist wichtig

  • Gehen Sie nur dann zum Ohrlochstechen, wenn Ihr Kind ganz gesund ist.
  • Da das Stechen schmerzhaft ist, kann man die Ohrläppchen eine Stunde vorher mit EMLA® Creme (enthält ein lokales Betäubungsmittel, rezeptfrei in der Apotheke) behandeln.
  • Ziehen Sie Ihr Kind so an, dass es ein geknöpftes Oberteil anhat. Dann muss es nicht abends beim Ausziehen mit dem Kopf durch einen engen Halsausschnitt.
  • Nehmen Sie für Ihr Kleinkind das Lieblingsspielzeug und ggf. den Schnuller zur Beruhigung mit.
  • Wählen Sie einen Zeitpunkt, zu dem es in der Arztpraxis oder im Juweliergeschäft nicht voll ist.
  • Als Erststecker empfiehlt sich ein Modell aus Titan, das ist vom Material her am verträglichsten. Gold- und Silberschmuck ist erst nach der Abheilung der Ohrlöcher geeignet, sofern keine Nickelallergie besteht. Bei Ohrsteckern ist es wichtig, dass sie auf der Rückseite einen gut sitzenden Verschluss haben, damit sie nicht so leicht herausgezogen werden können (Gefahr des Erstickens!). Allerdings darf der Verschluss auch nicht zu eng am Ohrläppchen anliegen und es quetschen, denn das könnte den Heilungsprozess beeinträchtigen.

Damit Ohrlöcher stechen bei kleineren Kindern nicht zum Drama wird

Spezielle Einmalnadeln sind gewebeschonender als das Stechen mit der Ohrlochpistole. Beim ersten Ohrloch weiß Ihr Kind noch nicht, was es erwartet. Beim zweiten hingegen kann es schwierig werden, ein aufgeregtes Kind wieder zu beruhigen und abzulenken. Bieten Sie dann Spielzeug oder den Schnuller an und tragen Sie Ihr Kleines ein wenig herum, bis es wieder etwas zur Ruhe gekommen ist. Bei einem aufgebracht zappelnden Kleinkind ist es schwierig, das zweite Loch an der korrekten Stelle zu stechen. Einfacher ist es, mit zwei Personen beide Ohren gleichzeitig zu durchstechen. Bleiben Sie selbst möglichst ruhig, dann beruhigt sich auch Ihr Kleines schneller!

Das Ohrloch wird im Zentrum des Ohrläppchens gestochen, sodass weder Nerv noch Knorpel getroffen werden. Ein erfahrener Ohrlochstecher trifft die richtige Stelle, ohne dass sie mit einem Stift markiert werden muss, was die Infektionsgefahr erhöhen könnte. Sowohl die Hände des Behandlers als auch die Ohrläppchen Ihres Kindes sollten zuvor mit einer Desinfektionslösung gesäubert werden. Nadel und Stecker sollten ohnehin steril verpackt sein.

Frische Ohrlöcher richtig pflegen

  • Es ist nicht nötig, die Erststecker täglich zu drehen, wie es noch teilweise empfohlen wird. Die Stecker können gar nicht einwachsen! Das Drehen führt nur zu Verletzungen in dem sich neu bildenden Hautkanal und verzögert die Heilung. Selbst wenn die Stecker anfangs „festsitzen“, lösen sie sich nach Abheilung des Wundkanals von selbst.
  • Um eine Infektion zu vermeiden, in den ersten 14 Tagen nur mit frisch gewaschenen Händen an die Ohrläppchen fassen! Lenken Sie auch Ihr Kind ab, wenn es sich ans Ohr greifen will. Lassen Sie Ihr Kind in den ersten zwei Wochen nicht baden gehen. Warten Sie einige Tage mit dem Haarewaschen, verwenden Sie ein mildes Shampoo, das Sie gründlich abspülen.
  • Meist bekommen Sie vom Juwelier oder Arzt eine antiseptische Lösung, die Sie ein- bis zweimal täglich zur Desinfektion auftragen sollen. Alternativ eignet sich auch Octenisept® Lösung (rezeptfrei in der Apotheke), die jedoch nicht in den Gehörgang gelangen darf. Sollten sich Krusten gebildet haben, entfernen Sie diese zuvor mit einem feuchten Wattestäbchen (warmes Wasser genügt).
  • Die Erststecker müssen sechs Wochen im Ohr bleiben. Werden sie vor Abschluss der Wundheilung entfernt, schließt sich das Ohrloch wieder! Erststecker müssen dementsprechend auch beim Sport getragen werden. Kleben Sie sie dann mit Pflaster ab, sodass keine Verletzungsgefahr besteht. Nach der Heilungsphase sollten Ohrringe beim Sport entfernt werden, insbesondere bei Mannschaftssportarten mit Körperkontakt.
  • Seien Sie anfangs besonders vorsichtig beim Anziehen oder Baden, damit der Verschluss der Ohrstecker nicht in der Kleidung oder im Handtuch hängen bleibt. Wechseln Sie Bettwäsche, Waschlappen und Handtücher anfangs häufiger, sodass die Infektionsgefahr minimiert wird.
  • Beobachten Sie, ob sich ein Ohrloch infiziert. Anzeichen dafür sind z.B. Rötungen, Schwellungen oder Sekret (Eiter), das aus dem Ohrläppchen austritt. Gehen Sie dann bitte zeitnah mit Ihrem Kind zum Arzt.

Tipps für Ohrschmuck nach den Erststeckern: Auch danach sind kleine Stecker mit gut sitzendem Verschluss am besten geeignet, da Ihr Kind sie nicht so leicht zu fassen bekommt. Größere Ohrringe ziehen sich Kleinkinder leicht heraus oder bleiben damit an der Kleidung hängen.