Die wichtigsten Fakten über „Polypen"

Rachenmandeln beim Kind entfernen lassen?

Eine vergrößerte Rachenmandel, umgangssprachlich Polypen genannt, kann einem Kind viele Probleme bereiten: ständige Infekte, Schnarchen, Hörprobleme, Mittelohrentzündungen, eine verzögerte Sprachentwicklung. Deshalb werden Rachenmandeln häufig rausoperiert. Wann ist das nötig? Was genau wird gemacht?

Autor: Kathrin Wittwer

Muss die Rachenmandel wirklich raus?

Rachenmandel
Foto: © Colourbox

Mehr als 33.500 Kindern wurde 2014 in Deutschland die Rachenmandel entfernt, es ist eine der häufigsten Operationen bei Kindern. Viele Eltern beruhigt, dass dies eine relativ harmlose Routine ist, andere fragen sich, ob man da nicht zu schnell mit dem Messer ist. Brauchen wir die Rachenmandeln nicht noch? Was genau macht die eigentlich?

Rachenmandel – was ist das eigentlich?

Die Rachenmandel (jeder Mensch hat nur eine) liegt hinter der Nase. Gemeinsam mit den beiden Gaumenmandeln, der Zungenmandel und den Seitensträngen bildet sie den Torwächter unseres Immunsystems, den „Waldeyrschen Rachenring". Dieses Lympfgewebe mit vielen weißen Blutkörperchen prüft alles, was durch Nase und Mund reinkommt, auf Keime schaltet Erreger aus und alarmiert das Immunsystem, wenn es was zu tun gibt.

Und was sind dann „Polypen"?

Wenn der Rachenring Schwerstarbeit leisten muss, „versucht das Lymphgewebe, das mit einer Größenzunahme auszugleichen, das heißt, die Rachenmandel schwillt an. Das sieht man am häufigsten bei Kindern ab zwei, drei Jahren, wenn sie in den Kindergarten kommen und sich dadurch die Infekte häufen", erklärt der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Wolfgang Hornberger aus Sulzbach an der Saar. Im Volksmund werden solche angeschwollenen, vergrößerten Rachenmandeln Polypen genannt. Das ist ein bisschen irreführend: Polyp heißt eigentlich einfach nur „Wucherung", und die kann es überall im Körper geben – zum Beispiel auch direkt in der Nase. In der Medizin heißen Rachenmandel-Wucherungen korrekt „Adenoide".

Was machen „Polypen" im Rachen?

Eine vergrößerte Rachenmandel selbst ist keine Krankheit, tut auch nicht weh. Aber sie kann spürbare Folgen haben: „Der Kopf wächst im gleichen Zeitraum nicht genauso viel mit wie die Rachenmandel. Da stimmt also das Größenverhältnis nicht mehr", so Dr. Hornberger. „Vor allem Kinder mit schmalen Köpfchen, wo die Größendiskrepanz mehr ins Gewicht fällt, haben durch Polypen Probleme." Der übermäßige Platz, den diese einnehmen, fehlt nämliich an anderer Stelle: Die Nasenhöhle ist mehr oder weniger verschlossen, somit Nasenatmung dicht. Dem Ohr wird durch den Platzmangel ebenfalls die Belüftung abgeschnitten, denn die erfolgt über die Ohrentrompete ebenfalls durch den Rachenraum.

Woran erkennt man „Polypen" beim Kind?

Ob die Rachenmandel vergrößert ist, lässt sich nicht durch einfaches Reinschauen in den Hals sehen, da sie versteckt hinter der Nase liegt. Man merkt es aber an den Symptomen, die zwangsläufig entstehen, wenn Nase und Ohr keine Luft bekommen und unter Druck geraten: Das Kind näselt, hat den Mund immer offen, schnarcht, hat möglicherweise auch Atemaussetzer beim Schlafen und hört schlecht.

Warum ist eine vergrößerte Rachenmandel ein Problem?

Kommt das Gewebe nicht zur Ruhe, kann nicht abschwellen und ist in seiner Abwehrarbeit überfordert, können nach und nach auch stärkere Infekte hinzukommen, der ständig offene Mund könnte auf Dauer Zähne und Oberkiefer in ihrer Stellung beeinflussen, der Schlafmangel mag sich bemerkbar machen.

Die größte Sorge gilt in der Regel dem Ohr: Die permanente Belüftungsstörung führt häufig zu einem Paukenerguss, zu Mittelohrentzündungen. „Die Eltern stellen dann oft auch fest, das Kind redet schlechter oder weniger als andere", sagt Dr. Hornberger. Logisch: Wer nicht gut hört, kann auch nicht gut sprechen lernen. Statt der von den Eltern erwarteten Überweisung zum Logopäden gibt es deshalb eine zum HNO-Arzt.

Was kann gegen „Polypen" gemacht werden?

Zeigt dort eine Rachenspiegelung tatsächlich eine vergrößerte Rachenmandel, wird meist empfohlen, die Mandel raus zu operieren, wie es auch Dr. Hornberger bei 200 bis 300 Kindern pro Jahr macht. „Aber nicht gleich beim ersten Infekt, das wäre zu früh. Man kann ein paar Monate bis ein halbes Jahr warten, wenn die Symptome nicht zu schwer sind. Ich bin durchaus ein Fan davon, Kinder ihre Infekte durchziehen und ihre Abwer aufbauen zu lassen."

Wann ist eine OP nötig, wer kann operiert werden?

Zeit für eine OP sei es spätestens dann, „wenn das Gehör trotz Immunstimulation schlechter wird und die Sprachentwicklung sich dadurch deutlich verzögert", sagt Dr. Hornberger. Aufgrund der erforderlichen kurzen Vollnarkose sollte ein Kind wenigstens zwei Jahre alt werden, bevor man operiert. Die meisten Eingriffe gibt es bei Dreijährigen.

Was wird bei der Operation gemacht?

Das Entfernen der „Polypen" heißt im Fachjargon „Adenotomie". Dabei wird die Rachenmandel unter Vollnarkose (meist über Maske, keine Intubation) mit einem speziellen Ringmesser ab- und ausgeschabt. Ein Spreizer hält den Mund offen. Der Eingriff dauert nur etwa 20 Minuten und wird vom HNO-Arzt ambulant gemacht, so dass Kind und Eltern etwa zwei Stunden nach dem Aufwachen aus der Narkose wieder nach Hause können. Große, ungewöhnliche Risiken gibt es bei diesem Standardeingriff nicht. Eventuell kann mal ein lockerer Milchzahn durch den Spreizer „gezogen" werden.

Vielleicht wird auch noch ein Paukenröhrchen eingesetzt

Nicht unüblich ist, dass der Eingriff gleich noch für eine zweite Maßnahme genutzt wird: „Man schaut unter der Operation auch, wie groß die Belüftungsstörung im Ohr schon ist und ob hier vielleicht zusätzlich ein Trommelfellschnitt oder das Einsetzen eines Paukenröhrchens notwendig ist, um das nachhaltig zu beheben", erklärt Dr. Hornberger. Dann dauert die Prozedur etwas länger.

Was muss man nach der OP beachten?

Auch wenn bei einer Adenotomie nicht geschnitten und daher nicht genäht wird und die Wunde wenig blutet, gibt es eben doch eine Wunde, die etwas Schmerzen und Schluckbeschwerden machen kann. Dünne, gern auch kühl(ende) Nahrung oder Breie sind daher zunächst die beste Wahl. „Fünf bis sieben Tage sollte das Kind nicht rumtoben, möglichst nicht die Nase schnauen, nicht schwimmen gehen, nicht den Kopf beim Baden untertauchen und große Kinderansammlungen vermeiden, um sich vor Infektionen zu schützen", so Dr. Hornberger. Nach einer Woche gibt es eine Nachuntersuchung beim Arzt.

Lohnt sich eine Rachenmandelentfernung?

„Eine Rachenmandel-OP führt praktisch immer zum gewünschten Ziel", sagt Dr. Hornberger. Die Kinder bekommen danach weniger Infekte, Ohrenprobleme nehmen ab. Die Mandel fehle dem Abwehrring auch nicht: „Wir haben so viel Lymphgewebe im Rachen, da ist dieser kleinste Teil verzichtbar."

Allerdings kann es sein, dass die Rachenmandel, vor allem bei jüngeren Kindern, noch einmal nachwächst. „Das hängt vom Operateur ab", so der HNO-Arzt. „Man kann die Mandel nie komplett entfernen, aber wenn man das meiste erwischt, wächst sie nicht wieder nach. Lässt man einiges davon stehen, kann es schon sein, dass später eine zweite Operation nötig wird." Je älter die Kinder werden, desto seltener kommen Polypenprobleme vor. Ab der Pubertät bildet sich die Rachenmandel zurück.

Service

Literatur

  • „Gesundheit für Kinder. Kinderkrankheiten verhüten, erkennen, behandeln" von Herbert Renz-Polster u.a. (2013)
  • „Kinderkrankheiten natürlich behandeln" von Georg Soldner u.a. (2014)