Warum sie und nicht ich?

Neidgefühle: Schon wieder eine Freundin schwanger!

Eigentlich möchte man sich ja mitfreuen. Aber wer schon länger einen Kinderwunsch hegt und vergeblich auf ein Baby wartet, kann auch Neid oder Trauer empfinden, wenn eine Freundin oder Bekannte schwanger wird. Wie können beide Seiten damit umgehen?

Autor: Gabriele Möller

Kinderwunsch und Neidgefühle

Schwangerschaftsneid
Foto: © iStock, skynesher

„Ich habe vorhin eine Bekannte getroffen, die vor 15 Monaten mit mir gleichzeitig schwanger wurde. Ich hatte eine Fehlgeburt, sie nicht. Heute habe ich sie mit dem Baby getroffen. Und da sagt sie freudestrahlend: ‚Wir wünschen uns jetzt das zweite Kind, haben diesen Monat angefangen, und was soll ich sagen: Ich bin schwanger!‘ Ich habe ihr natürlich ordentlich gratuliert und mir ihre kleine Maus im Wagen angeschaut. Aber jetzt fühl‘ ich mich so schlecht. Bei uns hat es seither nicht mehr geklappt, und sie kriegt schon das Zweite“, klagt eine Mutter in einem Kinderwunschforum. „Ich weiß, ich sollte ihr ihr Glück gönnen. Aber es ist so unfair!“

Neidgefühle werden im Alltag fast nie offen ausgesprochen. Doch das Internet erlaubt es in der Anonymität der Kinderwunschforen, auch dieses ungeliebte Gefühl in Worte zu fassen. Neid ist hier ein häufiges Thema, was zeigt, wie groß die emotionale Not oft ist. Dicht auf dem Fuße folgt dem Neid dabei fast immer auch noch ein anderes Gefühl: das Schuldgefühl. Schließlich kann es doch nicht richtig sein, einer Freundin ihr Glück nicht vorbehaltlos zu gönnen, oder? „Vor einer Woche hat mir meine beste Freundin erzählt, dass sie schwanger ist. Sie kennt ihren Freund gerade ein halbes Jahr und ist jetzt im dritten Monat. Das ist so ungerecht: Ich erleide zwei  Fehlgeburten, und sie wird im ersten Anlauf schwanger. Warum passiert das immer Menschen, die es nicht zu schätzen wissen? Bin ich jetzt ein schlechter Mensch, weil ich so denke?“, fragt sich eine andere Userin. 

Neid - das verbotene Gefühl

Doch warum tun wir uns mit dem Neid so schwer? „Neid ist ein tabuisiertes Gefühl. Wir ordnen es oft eher Kindern zu, aber nicht so gern uns Erwachsenen“, erklärt dazu Diplom-Psychologin Beatrix Weidinger–von der Recke. „Neid ist einfach vorhanden, aber es fällt schwer, ihn zuzugeben oder darüber zu reden. Im christlichen Kontext gilt er sogar als Todsünde, deshalb kann er vor allem bei christlich geprägten Menschen auch Schuldgefühle auslösen. Neid ist aber auch gesellschaftlich  negativ sanktioniert“, erklärt die Therapeutin, die sich in ihrer Münchener Praxis unter anderem auf die Beratung von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch spezialisiert hat. „Wenn eine Frau also neidisch ist auf eine Freundin, die schwanger ist, bestraft sie sich oft gleich doppelt: Sie hat zum einen dieses fiese Gefühl und muss sich zusätzlich auch noch mit eigenen Schuldgefühlen auseinander setzen, da sie sich schlecht fühlt, weil sie neidisch ist.“ Dabei sei es wichtig zu akzeptieren, dass Neid eines unserer Grundgefühle und ganz normal ist. „Jeder ist gelegentlich neidisch.“

Das scheinbare Glück der anderen

Wie entsteht Neid eigentlich? Beneidet man jemand anderen wirklich um das, was er hat – wie zum Beispiel ein Baby? Nein, das Neidgefühl beziehe sich nicht auf Objekte, erklärt Ulf Lukan, Psychoanalytiker aus Graz: "Es geht vielmehr um das Gefühl, das ich bei demjenigen vermute, der zum Beispiel in dem Auto sitzt, das ich auch gerne hätte." Ob der Betreffende tatsächlich das "gute" Gefühl habe, das man ihm zuschreibe, sei eine andere Frage. Eine Frau, die eine andere um ihre Schwangerschaft beneidet, möchte also nicht das betreffende Baby haben. Sie möchte vielmehr genauso glücklich sein, wie sie es von der anderen vermutet.

Neid gedeiht auch auf Versagensängsten

Beim Kinderwunsch spielen aber oft noch andere Empfindungen mit hinein: das Gefühl der Trauer etwa, oder des eigenen Versagens. „Wenn man nicht schwanger wird, ist dies zunächst eine tiefe seelische Erschütterung. Sie wird verstärkt dadurch, dass ein Paar sich meist automatisch fragt: Woran liegt es, dass es nicht klappt?“, erklärt Psychologin Weidinger-von der Recke im urbia-Gespräch. Freunde und Bekannte täten ein Übriges dazu, wenn sie vielleicht nett gemeinte Ratschläge gäben, wie: „Du arbeitest einfach zu viel, nun entspann‘ dich doch mal. Fahrt einmal in den Urlaub, dann wird es schon werden!“ „Solche Vereinfachungen erhöhen den Druck eher noch oder lösen Versagensgefühle aus. Diese können natürlich den Neid verstärken, wenn eine Freundin schwanger wird.“

Es zeichnet sich ab: Neid ist eine komplexe Empfindung. „Er ist ein abgeleitetes Gefühl. Er setzt sich wie eine Mischfarbe zusammen – aus Traurigkeit, Angst und Wut: Man ist traurig, dass man etwas nicht hat; wütend auf den, der es besitzt; und ängstlich weil man sich für unfähiger hält“, bringt es der Frankfurter Sozialpsychologe und stellvertretende Direktor des Sigmund Freud-Instituts, Professor Rolf Haubl auf den Punkt.

Wohin mit dem schlechten Gefühl?

Was nun mit diesem schlechten Gefühl im Bauch anfangen? „Wenn Neid in der Kinderwunschsituation auftritt, ist es immer am besten, ihn auszusprechen. Das ist wichtig für die Psychohygiene. Dazu gehört auch das Gefühl der Anklage, das den Neid oft begleitet (‚Warum werde ich nicht schwanger, das ist ungerecht!‘)“, betont Psychologin Weidinger-von der Recke. Ob man über seine Gefühle mit derjenigen Freundin, Bekannten oder Verwandten spreche, die schwanger ist, hänge von der Art der Beziehung ab. „Hier sollte man auf sein Gefühl vertrauen. Eine Frau kann alternativ auch mit ihrer Mutter, einem Priester, einem Therapeuten, einer anderen Freundin oder ihrem Partner sprechen.“

Dieses Aussprechen der zwiespältigen Gefühle  - Freude für die Freundin, zugleich aber auch Neid auf sie - helfe auch dabei, eine  Depression zu vermeiden, wie sie aus der Krise, in der sich die Frau gerade befinde, manchmal entstehe. „Eine Frau kann zum Beispiel zu ihrer Freundin oder einer anderen Vertrauensperson sagen: ‚Darf ich dir mal etwas erzählen?‘" Die Möglichkeit zur Aussprache gibt es auch bei Beratungseinrichtungen wie Pro Familia, der Diakonie, Donum Vitae, der Caritas oder über die im Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland (bkid, s. Serviceteil S. 3) angeschlossenen Berater. „Auch Selbsthilfegruppen können entlasten, denn hier erlebt eine Frau in der direkten Begegnung mit anderen Betroffenen: Ich bin mit meinen Gefühlen nicht allein.“

Wie mit der Freundin umgehen?

Wenn sie von Traurigkeit gebeutelt wird, weiß eine Frau oft nicht, wie sie weiterhin mit ihrer schwangeren Freundin, Verwandten oder Bekannten umgehen soll. „Seit zwei Tagen weiß ich, dass meine beste Freundin schwanger ist. Ich sollte mich jetzt freuen. Aber eigentlich könnte ich nur heulen. Wir wollen am Mittwoch zusammen zum Stadtfest fahren, aber wenn ich daran denke, habe ich schon jetzt keine Lust mehr. Soll ich ihr zuliebe mitfahren, oder lieber zu Hause bleiben?“, fragt sich eine Userin mit Kinderwunsch und beschreibt ihr Dilemma: „Meine Freundin hat Angst, dass ich jetzt nichts mehr mit ihr zu tun haben will, aber so ist es auch wieder nicht. Doch ich kann mir nicht vorstellen, sie immer wieder zu treffen und dabei zu sehen wie ihr Bauch wächst.“

„Wie eine Frau mit Neidgefühlen weiterhin mit ihrer Freundin umgehen möchte, kommt auf ihre Bedürfnisse an. Auf diese sollte sie unbedingt hören“, rät Therapeutin Weidinger-von der Recke. Man habe zum Beispiel das Recht, seine Freundin im Moment nicht oder nicht so oft sehen zu wollen und ihr das auch zu sagen. Oder nicht auf eine Familienfeier zu gehen, auf der man Schwangeren begegnet. „Man darf sich also abgrenzen und sich fragen: Will ich mich dem aussetzen?“

Wenn man selbst um die Schwangerschaft beneidet wird

„Meine beste Freundin hat vor sechs Wochen ihre beiden  Zwillinge in der 18. Schwangerschaftswoche verloren. Ich selbst bin gerade in der 13. Woche. Ich weiß nun nicht, wie sie reagieren wird, wenn sie von meiner Schwangerschaft erfährt. Letztes Jahr, nach ihrer ersten Fehlgeburt, wollte sie sich nicht mit mir und meinem kleinen Sohn treffen. Sie sagte, es tue so weh. Ich habe keine Ahnung, wie ich ihr jetzt die Nachricht überbringen soll“, fragt sich die Userin eines Schwangerenforums. „Wenn man selbst schwanger ist und das Gefühl hat, eine Freundin könnte darauf neidisch reagieren, sollte man trotzdem nicht versuchen, sie vorauseilend zu schonen“, rät Diplom-Psychologin Weidinger-von der Recke. „Man weiß schließlich gar nicht wirklich, wie sie mit der Situation umgehen wird. Ihr gegenüber übertrieben vorsichtig zu sein oder das Thema zu meiden, wäre auch deshalb verkehrt, weil es dadurch sogar erst zu negativen Gefühlen bei der Freundin kommen kann: weil sie natürlich merkt, sie soll geschont werden.“ Sie fühle sich zum Beispiel übergangen, wenn sie nur hinten herum von der Schwangerschaft erfahre. „Zugleich fühlt sie sich durch zu viel Rücksichtnahme schnell auch stigmatisiert: Ich bin halt die, die keine Kinder kriegt.“

Offenheit wagen – der Freundschaft zuliebe

„Ich bin in der zehnten Schwangerschaftswoche. Meine Freundin versucht schon seit einem Jahr, schwanger zu werden. Ich sehe nun, dass sie mir das Baby nicht gönnt. Sie hat keine Zeit mehr für mich, trifft sich nur mit anderen Freundinnen, geht jede Woche auf Party. Hinterher ruft sie mich immer an und erzählt mir, wie toll es war. Mit mir könnte sie doch auch weggehen, denn ich bin ja nicht krank“, erzählt eine andere Userin enttäuscht. „Das Beste ist, die Situation offen, transparent und liebevoll zu kommunizieren. Und zu wissen, dass auch bei der Freundin beide Gefühle normal sind: Neid und Freude“, so Weidinger-von der Recke. „Natürlich ist diese Situation trotzdem hoch emotional und schwierig für die Freundschaft. Man muss die Offenheit trotzdem wagen und schauen, was daraus wird. Beide müssen auch verstehen, dass es normal ist, dass sich eine Freundschaft verändert, wenn eine von beiden ein Kind bekommt.“

Service

Adressen von Beratern, die sich auf die seelische Situation von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch spezialisiert haben, unter: http://www.bkid.de/beraterliste.html.