Jugend trotzt der Finanz- und Wirtschaftskrise
Insgesamt blicken junge Menschen in Deutschland wieder optimistischer in die Zukunft. Das ist die positive Überraschung der Jugendstudie 2010. Betrachtet man die Studie differenzierter, wird allerdings deutlich, dass diese Zuversicht stark von der sozialen Herkunft der Jugendlichen abhängt. Lesen Sie hier die Ergebnisse.
Mehr Optimismus, aber Verstärkung der sozialen Unterschiede
Die Untersuchung wurde gemeinsam von den Bielefelder Sozialwissenschaftlern Professor Dr. Mathias Albert, Professor Dr. Klaus Hurrelmann und Dr. Gudrun Quenzel sowie einem Expertenteam des Münchner Forschungsinstitutes TNS Infratest Sozialforschung im Auftrag der Deutschen Shell verfasst. Dazu wurden Anfang des Jahres mehr als 2.500 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren zu ihrer Lebenssituation, ihren Glaubens- und Wertvorstellungen sowie ihrer Einstellung zur Politik befragt.
Gegenüber der letzten Jugendstudie hat sich der Anteil der optimistischen Jugendlichen deutlich erhöht. 59 Prozent (2006: 50 Prozent) der Jugendlichen blicken ihrer Zukunft zuversichtlich entgegen, 35 Prozent äußern sich unentschieden und nur sechs Prozent sehen ihre Zukunft eher düster. Dagegen ist die Zuversicht von Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien rückläufig. Hier äußern sich nur noch 33 Prozent zuversichtlich. Diese soziale Kluft wird auch bei der Frage nach der Zufriedenheit im Leben deutlich: Während fast drei Viertel der Jugend im Allgemeinen zufrieden mit ihrem Leben sind, äußern sich Jugendliche aus unterprivilegierten Verhältnissen nur zu 40 Prozent positiv.
Bildung bleibt der Schlüssel
Auch weiterhin bleibt der Schulabschluss der Schlüssel zum Erfolg. In Deutschland hängt er so stark wie in keinem anderen Land von der jeweiligen sozialen Herkunft der Jugendlichen ab. Junge Leute ohne Schulabschluss finden seltener eine qualifizierte Arbeit oder eine Ausbildung. Entsprechend pessimistisch blicken Jugendliche, die sich unsicher sind, ihren Schulabschluss zu erreichen, auch in die Zukunft. Zu Ausbildung und Berufseinstieg hat sich die Einstellung der Jugendlichen klar verbessert. 76 Prozent der Auszubildenden glauben, nach der Ausbildung übernommen zu werden. 71 Prozent der Jugendlichen sind überzeugt, sich ihre beruflichen Wünsche erfüllen zu können. Bei den Jugendlichen aus sozial schwierigen Verhältnissen sind es hingegen nur 41 Prozent.
Ungebrochen ist der geschlechtsspezifische Trend beim Thema Bildung: Wie sich bereits zu Beginn dieses Jahrzehnts gezeigt hatte, haben junge Frauen ihre Altersgenossen bei der Schulbildung überholt und streben häufiger bessere Bildungsabschlüsse an.
Familienorientierung bei Jugendlichen auch weiterhin hoch im Kurs
Die Bedeutung der Familie für Jugendliche ist ein weiteres Mal angestiegen. Mehr als drei Viertel der Jugendlichen (76 Prozent) stellen für sich fest, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich leben zu können. In Zeiten, da die Anforderungen in Schule, Ausbildung und den ersten Berufsjahren steigen, findet der Großteil der Jugendlichen bei den Eltern Rückhalt und emotionale Unterstützung. Mehr als 90 Prozent der Jugendlichen haben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Auch mit deren Erziehungsmethoden sind die meisten einverstanden. Fast drei Viertel aller Jugendlichen würden ihre eigenen Kinder so erziehen, wie sie selber erzogen wurden. Fast drei Viertel aller Jugendlichen wohnen noch bei ihren Eltern – insbesondere weil es kostengünstig und bequem ist.
Wieder zugenommen hat der Wunsch nach eigenen Kindern. 69 Prozent der Jugendlichen wünschen sich Nachwuchs. Erneut äußern junge Frauen (73 Prozent) diesen Wunsch häufiger als junge Männer (65 Prozent).
Die Jugend ist online
Auch das Freizeitverhalten der Jugendlichen unterscheidet sich je nach sozialer Herkunft. Während sich Jugendliche aus privilegierten Elternhäusern verstärkt mit Lesen und kreativen Tätigkeiten befassen und vielfältige soziale Kontakte pflegen, sind Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien vornehmlich mit Computer und Fernsehen beschäftigt. Allen gemeinsam ist jedoch eines: Fast alle Jugendlichen (96 Prozent) haben mittlerweile Zugang zum Internet. Nicht nur die Zahl der Internetnutzer ist damit gestiegen, sondern auch die Zahl der Stunden, die Jugendliche im Netz verbringen: im Schnitt fast 13 Stunden pro Woche.
Bei der Art der Nutzung des Internets zeigt sich erneut eine soziale Spaltung – insbesondere bei den männlichen Nutzern. Die Gamer (24 Prozent der Jugendlichen mit Netzzugang) – vor allem jüngere männliche Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien – verbringen ihre Zeit im Netz hauptsächlich mit Computerspielen. Digitale Netzwerker (25 Prozent) – vor allem jüngere weibliche Jugendliche – nutzen vor allem die sozialen Netzwerke (Facebook, StudiVZ). Für Funktions-User (17 Prozent) – eher ältere weibliche Jugendliche – ist das Internet Mittel zum Zweck: Sie gebrauchen es für Informationen, E-Mails und Einkäufe von zu Hause aus. Die Multi-User (34 Prozent) – eher ältere männliche Jugendliche aus den oberen Schichten – nutzen schließlich die gesamte Bandbreite des Netzes mit all seinen Funktionalitäten.
Interesse an Politik steigt wieder leicht an
Auch wenn das politische Interesse bei Jugendlichen weiterhin deutlich unter dem Niveau der 1970er und 1980er Jahre liegt, ist der Anteil der politisch Interessierten wieder leicht angestiegen. Ausschlaggebend dafür sind die mittleren und gehobenen Schichten und die Jüngeren. Bei den 12- bis 14-Jährigen hat sich das Interesse binnen der letzten acht Jahre mit 21 Prozent nahezu verdoppelt, bei den 15- bis 17-Jährigen stieg es von 20 Prozent auf 33 Prozent.
In ihrer politischen Ausrichtung ordnet sich die Mehrheit der Jugendlichen weiterhin links von der Mitte ein. Auch beim Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen hat sich wenig geändert: Hohe Bewertungen gab es für Polizei, Gerichte, Bundeswehr sowie Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen, niedrige für die Regierung, die Kirche, große Unternehmen und Parteien. Als Folge der letzten Rezession zeigen Jugendliche neuerdings einen ausgeprägten Missmut gegenüber Wirtschaft und Finanzen. Dabei hat das Vertrauen in Banken am meisten gelitten.
Trotz allgemeiner Politik- und Parteienverdrossenheit sind Jugendliche durchaus bereit, sich an politischen Aktivitäten zu beteiligen, insbesondere dann, wenn ihnen eine Sache persönlich wichtig ist. So würden 77 Prozent aller jungen Leute bei einer Unterschriftenaktion mitmachen. Immerhin 44 Prozent würden auch an einer Demonstration teilnehmen. Hier zeigen sich Mädchen aktivitätsbereiter als Jungen.
Mehr soziales Engagement und Verständnis für Ältere
Im Vergleich zu den Vorjahren sind immer mehr Jugendliche sozial engagiert: 39 Prozent setzen sich häufig für soziale oder gesellschaftliche Zwecke ein. Auch hier zeigen sich soziale Unterschiede. Aktivität und Engagement sind bildungs- und schichtabhängig. Je gebildeter und privilegierter die Jugendlichen sind, desto häufiger sind sie im Alltag aktiv für den guten Zweck.
Die alternde Gesellschaft in Deutschland betrachten Jugendliche auch weiterhin als Problem. Mehr als die Hälfte sehen das Verhältnis zwischen Jung und Alt als eher angespannt an. Dennoch zeigen immer mehr Jugendliche Respekt vor der älteren Generation und Verständnis für deren Lebensweise. Das zeigt sich auch bei der Frage nach der Verteilung des Wohlstands zwischen Jung und Alt. 47 Prozent der Jugendlichen sind der Meinung, diese sei gerecht. Nur noch 25 Prozent fordern, dass die Älteren ihre Ansprüche reduzieren sollen.
Globalisierung zumeist positiv bewertet
Mit Globalisierung verbinden 84 Prozent der Jugendlichen an erster Stelle die Freiheit, in der ganzen Welt reisen, studieren oder arbeiten zu können. Zunehmend wird die weltweite Verflechtung allerdings auch mit wirtschaftlichem Wohlstand in Verbindung gebracht. Im Jahr 2006, also noch vor der Wirtschafts- und Finanzkrise, haben nur 37 Prozent diese Verbindung hergestellt, 2010 schon 53 Prozent. Gleichzeitig wird Globalisierung jedoch auch viel häufiger mit Umweltzerstörung assoziiert. Generell lassen sich drei unterschiedliche Profile ausmachen: Globalisierungsbefürworter, Globalisierungsgegner und Globalisierungs-Mainstream. Globalisierungsbefürworter sehen in der Globalisierung vor allem die Chance auf wirtschaftlichen Wohlstand, Frieden und Demokratie. Globalisierungsgegner erkennen in ihr mehrheitlich Umweltzerstörung, Arbeitslosigkeit, Armut und Unterentwicklung. Beim kritisch-differenziert bewertenden Globalisierungs-Mainstream halten sich Vor- und Nachteile der fortschreitenden Globalisierung die Waage.
Großes Problem Klimawandel
Ein Thema, das Jugendliche heutzutage besonders stark bewegt, ist der Klimawandel. 76 Prozent halten ihn für ein großes oder sogar sehr großes Problem. Zwei von drei Jugendlichen sehen durch das sich verändernde Klima die Existenz der Menschheit bedroht. Kritiker des Klimawandels geben den reichen Industrieländern die Schuld für die ökologischen Veränderungen. Die Klimaoptimisten, auch wenn sie den Klimawandel problematisch finden, halten die öffentliche Darstellung jedoch für übertrieben. Die fatalistischen Beobachter gehen fast zur Hälfte davon aus, dass es bereits zu spät sei, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen.
Ein Teil der Jugendlichen zieht inzwischen persönliche Konsequenzen und achtet auf ein umweltbewusstes Verhalten. Immerhin jeder zweite spart im Alltag bewusst Energie, 44 Prozent versuchen, häufiger mit dem Fahrrad zu fahren und das Auto stehen zu lassen, und 39 Prozent entscheiden sich für ein kleineres Auto mit geringerem Verbrauch. Besonders klimakritische junge Leute engagieren sich darüber hinaus zunehmend für den Umweltschutz.
Religion weiter im Abseits
Weiterhin spielt Religion für die Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland nur eine mäßige Rolle. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen drei sehr verschiedenen religiösen Kulturen: Während Religion für junge Menschen in den neuen Bundesländern zumeist bedeutungslos geworden ist, spielt sie in den alten Bundesländern noch eine mäßige Rolle. Mittlerweile ist Gott nur noch für 44 Prozent der katholischen Jugendlichen wichtig. Ganz anders sieht es hingegen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus: Sie haben einen starken Bezug zur Religion, der in diesem Jahrzehnt sogar noch zugenommen hat.
Pragmatisch, aber nicht angepasst
Die Werte und Lebenseinstellungen von Jugendlichen sind weiterhin pragmatisch: Der persönliche Erfolg in einer Leistungs- und Konsumgesellschaft ist für Jugendliche von großer Wichtigkeit. Leistung ist jedoch nicht alles: Auch wenn Fleiß und Ehrgeiz für 60 Prozent der Jugendlichen hoch im Kurs stehen, darf der Spaß nicht zu kurz kommen: 57 Prozent wollen ihr Leben intensiv genießen. Optimistisch und mit ihrer Lebenssituation zufrieden, geht es ihnen nicht nur um ihr persönliches Vorankommen, sondern auch darum, ihr soziales Umfeld aus Familie, Freunden und Bekannten zu pflegen. Viele interessieren sich dafür, was in der Gesellschaft vor sich geht.
Die jungen Leute fordern gerade heute sozialmoralische Regeln ein, die für alle verbindlich sind und an die sich alle halten. Eine funktionierende gesellschaftliche Moral ist für sie auch eine Voraussetzung, ihr Leben eigenverantwortlich und unabhängig gestalten zu können. 70 Prozent finden, man müsse sich gegen Missstände in Arbeitswelt und Gesellschaft zur Wehr setzen.
Methodik und Tradition der Studie
Bereits seit 1953 beauftragt Shell in Deutschland unabhängige Forschungsinstitute mit der Erstellung von Studien, um Sichtweisen, Stimmungen und Erwartungen von Jugendlichen zu dokumentieren. Die Shell Jugendstudie, die mittlerweile schon zum 16. Mal herausgegeben wurde, präsentiert nicht nur eine aktuelle Sicht auf die Jugendgeneration, sondern gibt auch konkrete gesellschaftspolitische Denk- und Diskussionsanstöße. Als Langzeitberichterstattung ermöglicht sie es, Entscheidern eine Grundlage für gesellschaftliches und politisches Handeln bereitzustellen.
Die 16. Shell Jugendstudie ist im Fischer Taschenbuch Verlag unter dem Titel „Jugend 2010“ erschienen und ist im Buchhandel erhältlich (ISBN 978-3-596-18857-4, € 16,95, sFr. 25,90).