Männliche Jugendliche: Faszination Alkohol
Besonders männliche Jugendliche sind für die Wirkung der Droge Alkohol empfänglich. Warum das so ist, beschreibt unser Autor in diesem Artikel und sieht in Sachen Vorbeugung vor allem die Väter als Vorbilder in der Pflicht.
Alkohol ist die Droge Nr. 1
Der Konsum von Tabak bei Jugendlichen geht deutlich zurück, die Anziehungskraft von Alkohol scheint dagegen ungebrochen. Die Zahlen des Drogenberichts der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sprechen eine deutliche Sprache: Der erste Alkohol wird im Schnitt mit etwa 14 Jahren getrunken und drei Jahre später konsumiert jeder siebte Jugendliche pro Tag schon so viel Alkohol, dass man bei einem Erwachsenen von einer bedenklichen Menge sprechen würde. Auffällig ist dabei der geschlechtsspezifische Unterschied. Jungen und Mädchen haben etwa das gleiche Einstiegsalter, aber in der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen konsumieren mehr als doppelt so viel männliche Jugendliche riskante Mengen wie die weiblichen. Jeder achte junge Mann trinkt sich ein Mal die Woche in den Rausch. Das wird sich so schnell auch nicht ändern. „Alkohol ist ein Männergetränk“, sagt Prof. Dr. Heino Stöver, Suchtforscher der Fachhochschule Frankfurt am Main.
Unsinn, werden Sie sagen. Die Zeiten, in denen Frauen nur erlaubt war, am Glas zu nippen, sind längst vorbei. Das stimmt natürlich. Keine Frau wird mehr schief angeschaut, wenn sie mit dem Sektglas auf der Partyparkett steht. Aber die Frau trinkt den Alkohol nicht, um fraulich zu wirken. „Der Mann dagegen baut den Stoff in seine Männlichkeitsrituale ein. Und weil das so ist, will er kein kontrollierter Genießer sein, sondern sich in Gefahr begeben, die Grenzen austesten,“ sagt Stöver. Leider können auch groß angelegte Aufklärungskampagnen nicht verhindern, dass selbst 13-Jährige diese Grenzerfahrungen machen und anschließend als Notfall im Krankenhaus landen. Trinkrituale spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie können gefährlich oder nützlich sein. „Je nach dem, wer sie der nächsten Generation beibringt, können sie auch helfen, Alkohol als bereicherndes Genussmittel in den Alltag zu integrieren,“ ist Stöver überzeugt. Er sieht vor allem die Väter in der Pflicht. Dabei schadet es diesen nicht, wenn sie sich einmal ganz nüchtern und unvoreingenommen dem Stoff nähern. Wie manipuliert er uns und warum ist er in seinen vielfältigen Varianten die Nr.1 der Drogen geworden.
Der Griff ins Gehirn
Da ist schon dieses böse Wort. Drogen, so werden doch nur die Stoffe bezeichnet, die verboten sind. Das Gehirn macht diese Unterscheidungen nicht. Es gibt chemische Verbindungen, die psychoaktiv sind. Sie verändern oder verstärken die Befindlichkeit. Das gilt für Alkohol und Zigaretten, für Cannabis und Heroin und viele andere Mittel, die uns entweder der Dealer in der Hauseinfahrt, der Ladenbesitzer um die Ecke oder der Apotheker verkauft. Natürlich haben viele auch körperliche Wirkungen, die ganz unterschiedlich ausfallen können. Wenn der Körper nach der nächsten Dosis Heroin verlangt und sie nicht bekommt, reagiert er mit quälenden Entzugserscheinungen. Starker Alkoholkonsum ruiniert auf Dauer die Leber und den kompletten Organismus. Die Wirkung im Gehirn aber hat einen gemeinsamen Nenner. Die Drogen übernehmen das Wohlfühlprogramm. Im vorderen Bereich des Gehirns sitzt das Lymbische System. Manche sagen auch Belohnungssystem und beschreiben damit die Hauptaufgabe dieser Region. Was hier die körpereigenen Prozesse eigentlich auch könnten, nämlich Botenstoffe losschicken, die bei uns ein Glücksgefühl auslösen, können die Drogen besser. Sie greifen in die körpereigene Dopaminproduktion ein. Dieser Botenstoff ist für Genuss, emotionale Reaktionen und Bewegung zuständig. Je mehr und häufiger körperfremde Stoffe die Glücksmaschine in Schwung bringen, umso vehementer verlangt das Gehirn nach genau diesem Treibstoff. Ohne die künstliche Stimulierung stottert der Motor, weil er verlernt hat, fürs eigene Wohl zu sorgen.
Warum ist Alkohol so reizvoll?
Wenn die unterschiedlichen Drogen ähnliche Prozesse auslösen, warum gibt es dann diese Dominanz des Alkohols? Es hat zwar sicher etwas mit der aromatischen Vielfalt zu tun, aber es gibt auch ganz praktische Gründe dafür: Der Stoff lässt sich leicht herstellen und gut dosieren. Das war schon vor Tausenden von Jahren so. Die Natur produziert Alkohol ganz alleine. Früchte vergären, Milch und Getreide ebenfalls. Die Griechen haben Alkohol vor 3.000 Jahren in ihre Alltagskultur eingebettet. Die Römer haben das übernommen und für beide Kulturen gilt als ungeschriebenes Gesetz bis heute: lautes Lärmen in der Trunkenheit ist verpönt. Auch bei den Spanier und Südfranzosen kann man das beobachten. „Lärmen, Gröhlen und lauthalses Absingen von Liedern gilt als ganz und gar unschicklich, "stellt die Suchtforscherin und Psychologin Irmgard Vogt fest. Natürlich gibt es auch dort Alkoholiker, aber diese erkranken oft erst nach vielen Jahren an den Folgeerkrankungen eines unauffälligen Konsums. Wie anders sind da die Trinksitten der Deutschen. Schon die Germanen waren bekannt für ihre Besäufnisse, bei denen es laut und derb her ging. Oft endeten die Männersaufgelage in Schmähungen und Gewalt. Allerdings wurde auch die Versöhnung mit dem Feind und Eheschließung mit Alkohol gefeiert, ergänzt die Suchtforscherin.
Da hat sich seitdem nicht viel verändert, könnte man sagen. Nicht ganz, Kirche und Calvin sorgten dafür, dass zumindest die feinere Gesellschaft nicht mehr in der Öffentlichkeit der Trunkenheit hingab. Frauen durften nur zu besonderen Anlässen am Glas nippen. Später wurde der Alkoholkonsum im Klassenkampf diskutiert. Da vor allem die einfachen Menschen ihren harten Arbeitsalltag mit Alkohol erträglicher machen wollten, wurden sie vom Adel als moralisch minderwertig betrachtet. Wer vom Alkohol dahingerafft werde, sei selber schuld. Die Natur raffe eben die Schwachen dahin, galt die sozialdarwinistische These.
Männer suchen das Risiko
Heute kommen die männlichen Jugendlichen, die einen problematischen Umgang mit Alkohol pflegen, aus allen gesellschaftlichen Schichten. Die am Anfang aufgestellte Behauptung, der junge Mann suche beim Trinken von Alkohol bewusst die Gefahr, erklärt der Suchtforscher Heino Stöver so: „Junge Männer bauen den Alkoholkonsum in Rituale ein. Ein Mann ist ein Mann, wenn er Gefahren bewältigt. Aber dazu muss er sich erst mal in Gefahr begeben. Junge Männer lernen von ihrem Vater, dass man Risiken eingehen und dann auch bewältigen kann.“ Früher lernte er so auch, wie viel ein trinkfester Geselle vertragen sollte. Und dann gab es noch die Einführungsrituale ins Erwachsenwerden. Da holte bei der Konfirmation der Großvater die Schnapsflasche aus dem Schrank. Selten hat dem 14-Jährigen das Hochprozentige wirklich geschmeckt. Auf das Einführungsritual, oder wie die Wissenschaftler sagen, die Inauguration, war er am nächsten Tag trotzdem stolz. Mit dem Großvater sterben diese Sitten in unseren Breitengraden langsam aus. Auch sonst hat unsere Gesellschaft das gemeinsame Trinken von Alkohol aus dem Erziehungsprozess verbannt. Der Jugendliche macht seine Rauscherfahrungen nur noch im Freundeskreis, der sogenannten Peergroup. „Was passiert: der Vater als kundiger Gebraucher im Umgang mit Alkohol wird ersetzt von Gleichaltrigen. Eine Gruppe Testender, naiver Probierender lernt die Gefahren des Stoffes kennen“, sagt Stöver. Er unterscheidet zwischen der Genusswirkung, die sich einstellt bei verantwortungsvollem Gebrauch und dem Wirkungsgenuss, also dem gezielten Trinken auf den Rausch hin.
Wie sollen Väter mit dem Problem umgehen? „Eine Verteufelung und komplette Verbannung der Droge macht keinen Sinn“, so Stöver und verweist auf die Familiengebräuche der mediterranen Kulturen. Dort lernen Jugendliche den Wein, erst gemischt mit Wasser, aber immer eingebunden in Rituale, Mahlzeiten, Familienfeiern kennen. Das lässt sich nicht so einfach auf unsere Gesellschaft übertragen. Aber zumindest können Väter die Ambivalenz des Alkoholgenusses aufzeigen. Da ist auf der einen Seite diese große Bandbreite der verschieden Geschmäcker, die unterschiedlichen Anfangswirkungen von Sekt, Bier und Wein. Und es gibt die schwachen, die schwierigen Momente, auch nach jahrelanger Erfahrung, die uns zeigen, dass man den Respekt vor diesem Stoff nicht verlieren sollten.
Dazu müssen die Väter den Blick auf die eigenen Gewohnheiten zulassen. Natürlich ist jeder der Überzeugung, dass er trotz des täglichen Genusses einen völlig unproblematischen Umgang mit Alkohol pflegt. Für die meisten trifft das auch bestimmt zu. Wenn sie jetzt also über den eigenen Konsum reflektieren, eigene Schwächen im Umgang zugeben sollen, dann reagieren sie abwehrend. Schließlich stehen plötzlich Lebensgewohnheiten auf dem Prüfstand. Über die eigenen Stärken und Schwächen nachdenken und dann auch noch reden, dass haben sie von den eigenen Vätern nicht beigebracht bekommen und fällt entsprechend schwer. Wer so denkt, ist aber schon einen Schritt weiter. Denn jetzt fällt es leichter, den eigenen verstockten Sohn zu verstehen, der nicht erklären will, warum ihm heute Morgen so der Schädel brummt. Wer was von den eigenen Kindern erfahren will, muss von sich selbst erzählen – ohne die Angst, seine männliche Geschlechteridentität zu verlieren.