Der Fötus als Patient
Die vorgeburtliche Diagnostik muss oft mit dem Vorwurf leben, lediglich Indikationen für einen Schwangerschaftsabbruch zu liefern. urbia sprach mit einem Spezialisten über Behandlungsmöglichkeiten des Fötus im Mutterleib.
Streitfall vorgeburtliche Untersuchungen
Die Stichworte "pränatale Diagnostik" haben in den letzten Jahren immer wieder Diskussionen und Kritik ausgelöst. Obwohl heute nahezu jede Schwangere ihre Vorteile – wie die Ultraschall-Screenings im Rahmen der Schwangerenvorsorge - ganz selbstverständlich in Anspruch nimmt, wird mit den vorgeburtlichen Untersuchungen des Fötus oder Eingriffen häufig auch der Vorwurf assoziiert, sie leisteten nicht viel mehr, als Indikationen für Schwangerschaftsabbrüche zu liefern. Diesem Vorurteil sind Mediziner aus Anlass eines jüngst in München veranstalteten Symposions zur Perinatalmedizin entgegengetreten. "Die Behandlungsmöglichkeiten bei einer rechtzeitigen pränatalen Diagnostik werden unterschätzt", sagte der Prof. Dr. Franz Kainer, leitender Oberarzt an der Frauenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Und im Deutschen Ärzteblatt schrieb Prof. Kainer, durch die Verbesserung der Ultraschallgeräte und Eingriffstechniken sei es heute möglich, eine Vielzahl von Erkrankungen des Ungeborenen zu erkennen und zu behandeln.
Ziele pränataler Diagnostik
Grundsätzlich werden so genannte invasive und nicht-invasive Maßnahmen der vorgeburtlichen Diagnostik und Therapie unterschieden. Zu den nicht-invasiven Methoden gehören beispielsweise die Ultraschall-Untersuchungen im Rahmen der Schwangerenvorsorge oder Untersuchungen des mütterlichen Blutes. Invasive Methoden sind unter anderen die Fruchtwasseruntersuchung oder die Chorionzottenbiopsie.
Die Bundesärztekammer hat als Ziele der pränatalen Diagnostik definiert:
- Störungen der embryonalen und fetalen Entwicklung zu erkennen,
- durch Früherkennung von Fehlentwicklungen eine optimale Behandlung der Schwangeren und des (ungeborenen) Kindes zu ermöglichen,
- Befürchtungen und Sorgen der Schwangeren zu objektivieren, abzubauen und
- Schwangeren Hilfe bei der Entscheidung über die Fortsetzung oder den Abbruch der Schwangerschaft zu geben
Kritiker der vorgeburtlichen Diagnostik führen dazu ins Feld, dass bei einer Mehrzahl der festgestellten Störungen keine Therapie möglich sei. urbia befragte dazu Prof. Franz Kainer.
urbia-Interview mit dem leitenden Oberarzt der Münchner Frauenklinik Prof. Dr. Franz Kainer
Die Stichworte vorgeburtliche (pränatale) Diagnostik lösen bei der Mehrzahl der Schwangeren Skepsis aus: Ist dies nach Ihrer Sicht berechtigt?
Meiner Erfahrung nach hat der Großteil der Schwangeren, die zur Schwangerenbetreuung kommen, keine große Skepsis gegenüber der vorgeburtlichen (pränatalen) Diagnostik. Ziel der pränatalen Diagnostik ist es zu erfahren, ob das Kind gesund oder krank ist. Lange Zeit konnte man das Kind erst nach der Geburt untersuchen. Die Möglichkeit mit gefahrlosen Methoden (Ultraschall) zu erfahren, ob es dem ungeborenen Kind gut geht und ob es sich normal weiterentwickelt beruhigt viele Schwangere und man kann hier keine große Skepsis beobachten. Unter vorgeburtlicher (pränataler) Diagnostik versteht man sämtliche Untersuchungen während der Schwangerschaft. Dazu zählt das Abtasten des mütterlichen Bauches und das Abhören der Herztöne mit dem Holzstethoskop durch die Hebamme genauso wie wie die Ultraschallkontrolle oder die Amniozentese. Dabei kann der Gesundheitszustand des ungeborenen Kindes mit dem Ultraschall zweifelsohne besser beurteilt werden, als wenn man nur die kindlichen Herztöne abhorcht. Der Großteil der Kinder wird heute lebend geboren, ein Absterben eines Kindes in der Spätschwangerschaft ist glücklicherweise selten geworden und daher ist es verständlich, dass Schwangere die Vorsorgeuntersuchungen (vorgeburtliche Diagnostik) gerne annehmen.
Spezielle Untersuchungen der vorgeburtlichen Diagnostik (Fruchtwasseruntersuchung, Chorionbiopsie) lösen bei den Schwangeren eher Ängste und weniger Skepsis aus. Sie machen sich verständlicherweise Sorgen, dass durch den Eingriff ein Befund erhoben wird, der eine Erkrankung bestätigt oder dass es durch den Eingriff zu einer Fehlgeburt kommt. Diese Ängste sind zweifelsohne gut nachvollziebar.
Welche Krankheiten können entdeckt und behandelt werden?
Welche Krankheiten beim Fötus können durch vorgeburtliche Diagnostik entdeckt werden? Und welche lassen sich behandeln?
Die häufigste Krankheit, die durch Ultraschall erkannt wird ist die Unterversorgung des ungeborenen Kindes mit Nährstoffen oder Sauerstoff. Durch die Ultraschalluntersuchung kann der optimale Entbindungszeitpunkt festgelegt werden und so eine Schädigung des Kindes oder ein Absterben vor der Geburt verhindert werden. Auch im Rahmen der Betreuung von Mehrlingsschwangerschaften spielt die Ultraschalluntersuchung eine entscheidene Rolle. Bei einer großen Anzahl von Erkrankungen ist jedoch vor der Geburt keine Therapie möglich oder notwendig. Entscheidend ist viel mehr, bei Kindern mit angeborenen Fehlbildungen den Ablauf nach der Geburt und die Behandlung nach der Geburt optimal vorzubereiten. Dies gilt vor allem für Kinder, die nach der Geburt operiert werden müssen (offener Rücken, offene Bauchdecke, Zwerchfellhernie, Darmverschluss, Tumore). Auch bei Herzfehlbildungen ist die Prognose ganz wesentlich von einer vorgeburtlichen Diagnose abhängig, da nur so das Neugeborene gleich eine optimale Behandlung erfahren kann.
In seltenen Fällen ist auch eine Therapie vor der Geburt sinnvoll. Eine zuverlässige und lebensrettende Behandlung vor der Geburt besteht in der Bluttransfusion über die Nabelschnur bei schwerer Anämie (Blutarmut) des ungeborenen Kindes. Neben Blutgruppenunverträglichkeiten kann dies auch durch eine Ringelrötelinfektion ausgelöst werden. Bei ausgeprägten Flüssigkeitsansammlungen im Brustkorb kann eine Ableitung der Flüssigkeit aus dem Brustkorb in die Fruchthöhle lebensrettend sein. Dabei wird unter Ultraschallsicht ein Katheter eingelegt. Bei Zwillingsschwangerschaften mit Gefäßverbindungen in der Plazenta kann eine fetoskopisch gesteuerte Lasertherapie lebensrettend für die Zwillinge sein.
Neueste Erkenntnisse
Welche Risiken bergen die Behandlungen?
Durch das Eingehen mit einer Nadel in die Fruchthöhle kann es zum vorzeitigen Blasensprung kommen. Eine Verletzung des ungeborenen Kindes ist durch die gute Qualität der Ultraschallgeräte extrem unwahrscheinlich geworden.
Welchen Sinn macht es für die Schwangere, von Fehlbildungen des Fötus bereits im Mutterleib zu erfahren?
Wie bereits beschrieben, ist die Prognose von vielen Erkrankungen von einer frühzeitigen Diagnose abhängig. In einigen Fällen ist das Überleben des Kindes (Zwerchfellhernie, Herzfehlbildungen) von einer rechtzeitigen pränatalen Diagnose abhängig. Bei nicht mit dem Leben zu vereinbarenden Fehlbildungen (schwere Hirnfehlbilungen, schwere Chromosomenstörungen wie Trisomie 13) kann eine Entbindung durch Kaiserschnitt vermieden werden. Die Vorbereitung der Schwangeren bereits während der Schwangerschaft auf eine Behandlung des Kindes nach der Geburt ist für viele Frauen von Vorteil. Sie sind bereits gut informiert und wissen, wie die Behandlung ablaufen wird. Wird eine Fehlbildung in der Frühschwangerschaft erkannt, dann besteht für die Schwangere auch die Möglichkeit, die Schwangerschaft zu beenden.
Welche neuen Möglichkeiten, Krankheiten am Fötus zu erkennen und zu heilen, wurden beim jüngsten Symposion "Infektionserkrankungen der Schwangeren und Neugeborenen" vorgestellt?
Im Rahmen des Symposions wurde über neuen Erkennntnisse bei Infektionskrankheiten während der Schwangerschaft berichtet. Neben internationalen Referenten hat auch Frau Prof. Enders aus Stuttgart, die wohl profilierteste deutschsprachige Wissenschaftlerin mit der Thematik Infektionen und Schwangerschaft, über Röteln und Ringelröteln berichtet. Bei der Rötelninfektion können durch eine zuverlässige pränatale Diagnostik unnötige Schwangerschaftsabbrüche vermieden werden. Bei Ringelröteln kann ein Absterben des Ungeborenen durch eine vorgeburtliche Bluttransfusion verhindert werden. Auch über die Behandlungsmöglichkeiten bei Toxoplasmoseinfektionen (teilweise durch Katzen, Biosalat übertragen) wurde berichtet. Entscheidend ist eine möglichst frühzeitige Diagnostik mit rechtzeitiger Antibiotikabehandlung der Schwangeren.